Vor den Toren Pelgars

Eigentlich bräuchte Pelgar keine Wächter vor den Toren, denn kaum einer könnte das Fallgitter, die schweren Flügeltüren oder gar die hohen Mauern überwinden. Doch die Hauptstadt legt viel Wert auf Sicherheit, weshalb das Tor sogar nachts bewacht wird.
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Stadtwache
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Re: Vor den Toren Pelgars

Beitrag von Stadtwache » Sonntag 5. Oktober 2008, 19:05

Ja, das war jetzt wohl ihr größtes Problem: wie sollten sie jemanden in Pelgar, Celcias Haupstadt, finden, der oder die einen Azurkristall besaß? Es stand ja nicht einmal fest, ob er oder sie ihn stets mit sich führte und sichtbar am Körper trug. Vielleicht wurde der Kristall in einer Schatulle in irgendeinem Herrenhaus aufbewahrt oder er gehörte gar einem alten, armen Mütterlein, das den Wert eines solchen Edelsteins nicht kannte.

Im Grunde stand Merdarion vor einer schier unlösbaren Aufgabe. Hatte die dunkelelfische Priesterin Iridia ihn hinters Licht führen und einfach nur aus Kosral heraus haben wollen, indem sie ihn nach Pelgar schickte? Wenn er sich hier unvorsichtig anstellte oder wenn heraus kam, dass er mit Dunkelelfen zusammenarbeitete, die Kosral besetzten – das irgendwie von niemandem wieder aufgebaut worden war und trotzdem nicht mehr als Ruine bezeichnet werden konnte –, dann saß er aus pelgarischer Sicht ganz schön in der Tinte.

Die Frage war nun, wohin er sich wenden sollte. Die Wachen am Tor hatten ihm nicht wirklich weitergeholfen, denn Merdarion wollte keine Nacht in einer kleinen Kaschemme verbringen. Vermutlich würde man Aaron dort nicht einmal problemlos reinlassen.
Die Wachen hatten sich über jemanden oder etwas unterhalten, aber da Merdarion kein Garmisch verstand, waren ihm nur zwei Worte annähernd bekannt vorgekommen. Sie hätten "verrückt" und "Mord" heißen können, aber sicher konnte er sich da auch nicht sein. Er konnte nur hoffen, dass sich die Worte nicht auf ihn bezogen hatten.

Schritte wurden laut. Sie hallten klappernd über das Pflaster und so ließ sich auch ohne wölfische Sinne schnell feststellen, dass es sich um weitere Wächter handeln musste, die da die Straße entlang geschritten kamen.
<span style="color:FFFFFF;">"Ein Rudel Wachmänner"</span>, gab Aaron leise von sich. Er hatte den Kopf aus der Gasse gestreckt und witterte, sah die Patrouille näherkommen. Schließlich erreichten die Wachen die Gasse, spähten in jene ebenso hinein wie in alle anderen, die sie bereits passiert hatten.

"Ihr solltet Eure Zeit nicht in dunklen Gassen verbringen, Bürger", sprach ihn einer der Wachleute an, während ein anderer alles mit einer Laterne ableuchtete. Das Licht drang in die kleinste Ecke, ehe der Mann sich an seinen Vorgesetzten wandte und zackig verkündete: "Sie ist nicht hier, Herr."
"Verflixte Augenteufelgrütze! Gut, suchen wir weiter. Irgendwo muss sie ja sein und wenn wir sie haben, wartet der Galgen auf diese Dunkelelfe. Los!" Der Soldat, der eben noch mit Merdarion gesprochen hatte, schickte seine Männer voraus, doch er selbst wandte sich noch einmal an seinen Gegenüber. "Ich gebe Euch den Ratschlag, finstere Orte zu meiden. Sucht eine Taverne auf. Eine Mörderin geht in Pelgar um ... schon wieder." Er seufzte und wandte sich zum Gehen.

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Re: Vor den Toren Pelgars

Beitrag von Merdarion » Sonntag 5. Oktober 2008, 19:35

Merdarion blieb seelenruhig und regungslos an der Hauswand stehen, die Arme vor der Brust verschränkt, den Blick gesenkt und die Ohren gespitzt.
Das Scheppern der schweren Rüstungen entfernte sich allmählich, die Worte des einen Wächters hallten noch in seinem Kopf nach.
Doch der Pelgarer hatte dem Kopfgeldjäger unwissentlich einen wertvollen Hinweis gegeben.
Als auch der letzte Eisenstiefel in eine andere Gasse abgedreht war, hob Merdarion den Kopf und grinste teuflisch.
<span style="color:FFFFFF;"> "Hast du das eben auch gehört, Aaron?" </span>
Der Getigerte, der sich im Schatten versteckt hatte, als die Stadtwachen bei ihnen gewesen waren, verließ seine Deckung und blickte in die selbe Richtung wie sein Herr.
Auch in seinem Antlitz war ein gleichwertiges Grinsen zu erkennen.
<span style="color:FFFFFF;"> "He....klar und deutlich, Bruder"</span>, brummte er und trottete neben dem Hybriden her, der zunächst ohne Hast und unauffällig in der Dunkelheit der Gasse verschwand.
Eine Mörderin ging in Pelgar um; das war nichts Besonderes, an sich, doch die Rasse dieser Übeltäterin interessiert ihn vielmehr und seine Reißzähne blitzten wie kleine Sterne inmitten von umarmender Schwärze.
Seine Ohren und Augen wiesen ihn den Weg, er kam mit dem bisschen Licht von oben bestens aus, also machte er sich Gedanken, während Aaron mit seinem ausgezeichneten Geruchssinn die Gegend absicherte.
Niemand würde sich unbemerkt näher als zwanzig Schritt und mehr an die beiden Wölfe heranschleichen können, die sich gerade auf eine Jagd vorbereiteten, auch wenn man es ihnen nicht ansah.
Diese Mörderin war eine Dunkelelfe, ergo bedeutete dies, sie konnte wichtig für den Wolfsmann sein; die Chance, dass sie etwas über Kosral oder gar den Kristall wusste, war schwindend gering doch bis jetzt der einzige Anhaltspunkt für die Beiden.
Er beging nicht den Fehler, zu grinsen und sich ein leichtes Spiel auszumalen.
Ihr neues vorläufiges Ziel verbarg sich in den Gassen, vielleicht schon um die nächste Ecke, und da sie von den Wachen noch nicht geschnappt worden war, bedeutete zumindest, dass sie keine Anfängerin war.
Für Merdarion war die Stadtwache nichts als ein Verein von Stümpern, die sich auf ihrem Rang ausruhten, doch auch sie mussten erst einmal diese Arbeit erhalten haben.
Es würde nicht sehr leicht werden, daher bereitete sich der Hybrid ohne sichtliche Anspannung vor.
Schwach leuchteten seine Narben wie drohende und zugleich warnende, rote Lämpchen den Weg vor sich entlang, Aaron blieb stehen und Merdarion tat es ihm sofort nach.

<span style="color:FFFFFF;"> "Hast du sie?" </span>
<span style="color:FFFFFF;"> "Nein. Sie ist eine Dunkelelfe, das heißt ihren Gestank würde ich trotz zehn Duftwasserbädern wahrnehmen." </span>
<span style="color:FFFFFF;"> "Halte dich im Hintergrund. Unsere Nasen sorgen dafür, dass sie uns nicht aus dem Hinterhalt erdolchen kann. Unsere Umgebung arbeitet für uns, mit einem Bogen oder ähnlichem wären wir kein Ziel, es ist hier kein Platz und keine Möglichkeit uns aus sicherer Entfernung zu erschießen. Aber...." </span>
Merdarion grinste wieder, freudlos.
Es war viel zu leicht.
Die Deckung und Wahrnehmung, das reichte nicht, denn wenn diese Dunkelelfe ihr Handwerk verstand, irgendwie würde sie an diesen Vorsichtsmaßnahmen vorbeikommen.
Das bedeutete, dass Merdarion sich auf keine Hetzjagd einlassen durfte, er würde gewiss in eine Falle geraten und wenn sie sich hier länger schon aufhielt, dann würde sie sich auch besser auskennen und den Vorteil der Umgebung umkehren.
Es ging bei der Absicherung nur darum, sie rechtzeitig zu erkennen, Merdarion hatte nicht die Absicht, sich von ihr fern zu halten.
<i>Wir müssen ihr eine Lücke lassen, die wir kontrollieren können und durch die sie zugleich schlüpfen kann....</i>
Sein Blick geriet an Aaron.
"Du weißt, was du zu tun hast....", sprach er auf Celcianisch, laut und deutlich, worauf der Wolf nickte.
Es sah aus, als habe sich die Dunkelheit in Fetzen über den weißen Pelz gelegt und es nicht geschafft, ihn völlig zu verschlucken.
Langsam zog er sich in die Dunkelheit zurück, während Merdarion seinen Zweihänder zog und zunächst schulterte.
Gemächlich schritt er auf eine spärlich beleuchtete Kreuzung zu und sah sich um.
Nicht gut einsehbar, man kann sich nicht gut verstecken, wenn man sich nähern möchte.
Es ertönte ein leichtes Schleifgeräusch, als er die Klinge verkehrt herum auf den Boden stellte und sich auf das Heft mit beiden Händen stützte.
Sein Blick schien stur geradeaus zu gehen, doch der Schein trügte; die Augen waren noch nicht denen eines Wolfes würdig, auf sie vertraute er nicht, sondern erschuf mit Geruch- und Gehör ein Bild seiner Umgebung, wie er es damals mit Sonea geübt hatte.
Ratten, plätscherndes Gossenwasser, die Wände der Häuser und geschlossenen Fenster.... es war fast alles da...nur die Mörderin fehlte in diesem Bild, aber würde sie so wie er eben angenommen hatte, jeden angreifen, der ihr in die Quere kam, um ihr Stafmaß nur unnötig zu erhöhen und weiter Aufmerksamkeit zu erregen? Vermutlich nicht.
<i>Wo verdammt nochmal ist sie?.... Verflucht, ich werde sie suchen müssen, anstatt hier zu lauern, offensichtlicher kann ich doch gar nicht sein.</i>
Und er schritt langsam weiter in die nächste Gasse hinein, Aaron auf den Fersen.

[OT: sollten wir jetzt nicht ein anderes Topic oder so eröffnen, denn ich befinde mich ja schon lange nicht mehr vor den Toren <img src="http://i140.photobucket.com/albums/r21/ ... /grins.gif" border="0"> ]

<i>Nach kurzer Absprache mit dem Mod: weiter in "Das Wohnviertel Pelgars -> Das Armenviertel"</i>
Zuletzt geändert von Merdarion am Mittwoch 8. Oktober 2008, 16:40, insgesamt 1-mal geändert.

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Re: Vor den Toren Pelgars

Beitrag von Erzähler » Sonntag 7. September 2025, 11:42

Neri kommt von: Nördliche Stille Ebene


Nach 8 Tagen der eintönigen Reise mit dem immer selben Ablauf, war es endlich soweit: Pelgar. Am Horizont tauchte die imposante Menschenstadt auf. Aus dem Berg gehauen, wie eine Skulptur. Einst erstrahlte sie in einem hellen Glanz, leuchtete als Mahnmal der Rechtschaffenheit auf Celcia zurück. Jetzt jedoch zeigte sich die einstige Hauptstadt als finsteres Mahnmal der dunklen Macht. Dass Pelgar gefallen war, war ein massiver Schlag in den Riegen der Widerständler. Man konnte nicht anders als zu erkennen, dass der dunklen Armee hier ein strategischer Streich gelungen war. Demoralisiert waren die Kämpfer der freien Völker Celcias zurückgewichen und irgendwo in sämtliche Teile der Welt versprengt. Neri, Arunn und Calhoun standen am Rande des östlichen Drachengebirges. Das Wetter hatte sich in den letzten zwei Tagen gewandelt. Seit sie die Wälder verlassen hatten, wehte gerade abends, nachts und in den Morgenstunden ein teilweise beißender Wind. Hier auf der freien Fläche vor dem Gebirge, gab es keinen Schutz und keine Flucht vor der einsetzenden Kälte. Teilweise lag auf den Bergspitzen bereits Schnee und kündigte den baldigen Jahreszeitenwechsel an. Die Berge waren imposant und ein Mahnmal gleichermaßen. Dahinter lag die tote Ebene und Morgeria selbst. Dahinter das Blutmeer. Dieses Gebirge war das letzte Bollwerk zwischen dem dunklen Reich und dem Rest von Celcia. Kein Wunder also, dass es ein fataler Einschnitt in die Karten des Krieges gab, als Pelgar dem dunklen Herrscher zufiel. Aber sie hatten andere Sorgen, nicht wahr? Nicht der Krieg war ihr Problem – sondern die Dämonen in ihr und Calhoun, der Fluch, der letzterer erleiden musste. Manthala und die Aufgabe, die Calhoun erledigen musste, bevor er… Daran zu denken half auch nicht weiter. Sie würden Pelgar binnen ein paar Stunden erreichen und jetzt war die letzte Chance, sich überhaupt noch mal abzusprechen. Bald schon müssten sie in ihre auserkorenen Rollen verfallen.
Denn was auch eine Wahrheit war: Hier, vor Pelgar, war nicht nur ein Schlachtfeld entstanden, sondern auch das dunkle Volk zuhause. Und je dichter sie kamen, desto voller würde es werden. Sie konnten ein und ausgehende Menschen, Elfen, Zwerge und weitere Völker erkennen, die zwischen zwei Bergausläufern durch das große Stadttor schritten. Vor diesem war eine Einöde entstanden. Geboren aus dem Krieg, der hier getobt hatte. Schlamm, Matsch und verdorrtes Gras waren die Überbleibsel. Das und… die vielen, vielen Dinge, die man auf seinem Weg immer noch im Boden finden konnte. Hier sind so viele gestorben. Sie alle tränken den Boden vor der einstigen Hauptstadt und allein die Gewissheit, man laufe über sie hinweg, konnte einen frösteln lassen. „Ich hatte es mir nicht so vorgestellt“, murmelte Arunn, der endlich aufgehört hatte zu Nörgeln. Er war ergriffen, betroffen und sauer. Man sah es ihm an, seine Stirn gefurcht, seine Augen voller Zorn. Es war sein Volk, das hier sein schreckliches Ende gefunden hatte. Calhoun nickte zustimmend. „Warte ab, bis du drinnen bist“, prophezeite er düster und folgte einem ausgetretenen Trampelpfad, der direkt um die Gebirgsausläufer führte und ihnen den Weg in die Stadt hinein zeigen würde.
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Re: Vor den Toren Pelgars

Beitrag von Neriélle » Donnerstag 11. September 2025, 10:30

Sie hatten einen Plan. Nicht völlig ausgereift, aber für den Anfang reichte es wohl. Neri wusste, dass sie zu gegebener Zeit improvisieren mussten und sie konnte nur hoffen, dass ihr das gelingen würde. Sie musste es auf jeden Fall anders anstellen als bei dem Verhör mit dem ersten Dunkelelfen, dem sie je begegnet war. Ein gewisser Dunkelelf mit roten Augen. Aber sie hatte aus ihren Fehlern gelernt. Jetzt stand das Leben dieses Dunkelelfen auf dem Spiel und sie würde es nicht kampflos aufgeben. Sie wurde Zeugin davon, wie Calhoun und Arunn damals miteinander umgegangen sein mussten, was sie etwas lächeln ließ. Sie würde auch für die Familie der beiden kämpfen, die doch schon längst zu ihrer eigenen geworden war. Neri musste aufpassen, sich nicht in der Anspannung und all den Überlegungen zu ihrem Vorhaben zu verlieren. Sie wollte alles perfekt machen, wie immer. Nur jetzt war der Druck deutlich größer. Auch Calhoun war die Anspannung anzumerken und das wiederum beruhigte Neriélle überhaupt nicht. Sie versuchte, sich von Arunns Jammern und Geplapper ablenken zu lassen, aber so ganz funktionierte das nicht. Es waren dann doch eher die Wälder, die sie erdeten. Die Reise durch den Arus und Neldoreth machte ihr keine Sorgen. Das Ziel des Ganzen umso mehr. Doch in den Wäldern fand sie Ruhe und eine gewisse Sicherheit, die die Natur ausstrahlte. Es war in gewisser Weise ihre Heimat. Beim Jagen konnte sie das tun, was sie besser als alles andere konnte. Es brachte ihr nicht nur Zeit alleine, sondern bestärkte sie auch innerlich. Außerdem gab es ihr die Ruhe und Zeit, sich mit diesen Träumen auseinanderzusetzen, die sie heimsuchten. Sie hatte wahre Albträume befürchtet, in denen sie das Geschehen im Nachtelfenreich und Calhouns grausamen Tod immer wieder durchleben musste. Aber die Träume waren anders, realer.. Sie träumte von dem Dämon in sich, der tagsüber beängstigend still war. Wenn sie erwachte, sah sie das Verderben aus ihren Träumen noch ganz klar vor ihren Augen, dass sie noch einige Momente liegen blieb, um das Ganze zu verarbeiten - oder zumindest versuchte sie das. Sie sah Zerstörung in Form von Dunkelheit, Blut und Tod. Das Bild ihrer zerstörten Heimat erschreckte sie dabei in besonderem Maße, das würde sie so schnell nicht vergessen können. Es begleitete sie auch am Tage als eisiger Stein in ihrem Magen. Die Träume beunruhigten sie, allen voran, weil sie sich eher wie eine Prophezeiung anfühlten als alles andere. So wie damals, als der Dämon im Waldmenschendorf, ihr schon einmal diesen Thron in Aussicht gestellt hatte, den sie nun in ihren Träumen sah. Etwas, das sich so anfühlte, als sollte es so sein, während es ihr nach dem Aufwachen Gänsehaut bescherte. Gleichzeitig fühlte es sich an wie ein Blick in die unausweichliche Zukunft. Dass sich Calhoun und ihr Dämon hingegen völlig ruhig verhielten, war in Anbetracht dieser Träume vielleicht nur eine falsche Hoffnung..

Je näher sie Pelgar kamen, desto nervöser wurde Neriélle. Innerlich zweifelte sie bereits an ihrer Entscheidung, hierher gekommen zu sein, aber das würde sie immer noch nicht offen zugeben. Als sich das Drachengebirge vor ihnen erstreckte und sie die gefallene Stadt Pelgar zum ersten Mal erblickte, beschleunigte sich unweigerlich der Herzschlag der Elfe. Was war, wenn sie dabei war, hiermit den Weg zur Wahrwerdung ihrer dunklen Träume zu ebnen? Dabei war sie hier, um Calhoun zu helfen. Das allein zählte. Das Drachengebirge war wirklich beeindruckend, aber nicht nur der eisige Wind ließ sie frösteln. Calhouns Ausführungen über Pelgar wurden langsam zur Realität. Die Spuren des Krieges waren deutlich zu sehen und konnten wohl kaum jemanden kalt lassen. Neri spürte einen Kloß im Hals und sah Arunn mitfühlend an. Es war wohl besser, sich nicht vorzustellen, wie viele Menschen den Dunklen zum Opfer gefallen waren, um diese Stadt, ihre Heimat zu verteidigen. Ihr fehlten die Worte und Calhouns Erwiderung klang wie eine finstere Prophezeiung. "Warte", bat sie ihn, bevor er den Trampelpfad gen Pelgar weitergehen würde. Hier waren sie noch vor den Blicken Fremder, vor dem dunklen Volk und seinem Herrscher geschützt. Sie griff nach Calhouns und Arunns Hand. "Wir schaffen das", beschwor sie die beiden und versuchte, nicht gleich ihren Mut zu verlieren. Darüber zu reden, war das Eine. Jetzt tatsächlich vor den Toren des dunklen Herrschers zu stehen, etwas ganz anderes. "Wir kommen da heil wieder heraus, hört ihr?" Sie schaute erst Arunn in die Augen und dann Calhoun. Dann sah sie sich um, um sicherzugehen, dass sich kein anderer hier her verirrt hatte, ehe sie Arunn losließ und sich Calhoun zuwandte. Sie legte eine Hand in seinen Nacken und zog ihn einfach zu sich. Neriélle küsste ihn innig und kostete die Berührung seiner Lippen aus. Sie wollte nicht an diese Möglichkeit denken, aber ihr war inzwischen klar, dass es das letzte Mal sein konnte. Selbst wenn Manthala ihn immer und immer wieder zurückholen würde, was war, wenn nicht er starb, sondern sie? Neri legte all ihre unausgesprochenen Gefühle für ihn in diesen Kuss. Sie löste sich nur widerwillig von seinen Lippen und verharrte nah an seinem Gesicht, als sie die Augen öffnete. "Wir schaffen das, nicht wahr?", fragte sie und hoffte auf aufbauende Worte des Dunkelelfen, dem sie vertraute wie sonst niemanden, bevor sie Pelgar betreten würden.

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Re: Vor den Toren Pelgars

Beitrag von Erzähler » Sonntag 21. September 2025, 08:48

Zu wissen, dass sie ihrem Ziel so nahe waren, ließ Neri noch einmal innehalten. Die Elfe spürte, dass dies das wohl gefährlichste Unterfangen ihres Lebens darstellte. Bis hier her hatte sie alles – halbwegs – unter Kontrolle bringen können und sich mit all den schweren und weniger guten Informationen irgendwie arrangiert. Hier aber, vor den Toren der einst stolzen Menschenstadt würden sie in die Höhle eines verdammten Drachen eindringen. Und er war gefräßig, unnachgiebig und wütend. Neriélle wusste, dass dieses Unterfangen auch vollkommen schiefgehen konnte. Und Arunn, sowie Calhoun wussten das mit Sicherheit ebenfalls. Bevor sie also das imposante Tor der gewaltigen Stadt zu Gesicht bekamen, hielt Neri die beiden wichtigsten Männer in ihrem Leben auf. “Warte. Wir schaffen das", beschwor sie den Menschen und Calhoun. Arunn lächelte schief und irgendwie aufmunternd, Calhoun hingegen bedachte sie nur mit einem eindringlichen Blick. Es stand sehr viel auf dem Spiel und sollte ihnen ein Fehler unterlaufen, würden sie nicht mehr heil aus dieser Stadt herauskommen. "Wir kommen da heil wieder heraus, hört ihr?", versuchte sie es dennoch mit Positivität. Arunn’s Finger drückten ihre, die sie hielt. „Natürlich kommen wir da wieder raus! Ist zwar ‚ne Bergstadt, aber Dessaria will ich schon irgendwann mal wiedersehen!“, grinste Arunn. Es wirkte nur vordergründig wie ein lockerer Spruch, denn sein folgender Blick zum Gebirge war geprägt von Unsicherheit und Zweifel. Die Schatten, die Pelgar seit der Übernahme des Dunklen Volkes heimsuchten, waren allgegenwärtig. Sie spürten es einfach, ohne die Stadt bisher wirklich gesehen zu haben. Kein normales Wesen, das sich noch frei nennen konnte, kam freiwillig hierher. Pelgar existierte nicht mehr als Bollwerk des Guten. Pelgar war zur Bannmeile geworden. Um die Chance nicht verstreichen zu lassen, prüfte Neriélle, ob sich jemand in Sichtweite befand. Erst dann trat sie schließlich an Calhoun heran und zog ihn zu sich. Der Dunkle folgte ihrer stummen Aufforderung und erwiderte den Kuss, den sie als eine Art Abschied teilte. Sie wusste nicht, wann und vor allem ob sie je wieder Gelegenheit dazu haben würde. Als sie sich widerwillig von ihm löste, hielt Calhoun sie in ihrem Rücken auf. Seine Hand, warm und kräftig, legte sich an ihren unteren Rücken und drückte sie wieder an sich. Nun gab er ihr einen Kuss, der sie nicht vergessen lassen sollte, dass sie ihm tatsächlich wichtig war. Es war ein stummes Versprechen seinerseits, dass er auf sie aufpassen würde und sie das nicht vergessen sollte.

Als sie sich lösten, hegte Arunn besonders viel Interesse an einer Gebirgskante, unweit ihrer Position. Er gab ihnen den Moment, hatte aber in der Vergangenheit auch viel erfahren über Dämonen, Larial, Neri’s Oma und ihr Schicksal, sodass er der Verbindung von Neri und Calhoun mit gemischten Gefühlen gegenüberstand. Trotzdem würde er sich nicht offensichtlich einmischen und so war der Moment, den Neri brauchte auch nur für sie und Calhoun. "Wir schaffen das, nicht wahr?", raunte sie ihm mit so viel Subtext zu. Hoffnung, er würde ihre Sorgen ausräumen, Liebe vielleicht gar, die sich ausmalte, dass diese Zeiten schnell vorbei sein würden. Calhoun blickte der Elfe in die Augen und schwieg einen Moment. Dann festigte sich sein Blick und er nickte bestimmend. „Das werden wir“, bestätigte er und strahlte tatsächlich so etwas, wie Zuversicht aus. Vielleicht war er wirklich davon überzeugt. Vielleicht spielte er auch nur sehr gut. Neri würde es nicht erfahren und musste das für sich herausziehen, was sie jetzt vielleicht einfach brauchte. Er hatte ihr gezeigt, dass sie ihm wichtig war. Dass er sich um sie scherte. Und auch um Arunn. Sie waren ein Team und als solches, würden sie Pelgar betreten…. Komme, was wolle.
Nun aber trat Calhoun beiseite und hielt Abstand zu Neri und Arunn. Er zupfte ein wenig an seiner Ausrüstung herum, verschnallte einige Lederriemen falsch und ließ andere sorglos offen. Dann glitt er durch seine hellen Haare und zerzauste sie, was ihm tatsächlich ein derangiertes, ungewohntes Bild verlieh. Calhoun wandte sich Neri und Arunn zu. „Jetzt seid ihr gefragt. Vergesst nicht. Auf meiner Suche nach mehr Macht, bin ich bereit alles auszuprobieren. Ich aß Irrkraut, um Visionen meiner Zukunft zu erhalten. Und seitdem bin ich nicht mehr derselbe. Ihr seid hier, um euren Herrn – K‘aleb Blutdorn – untersuchen zu lassen. Menschen gelangen nur als Sklaven nach Pelgar – also verhalte dich entsprechend, Arunn. Vorlautes Mundwerk hin oder her, wenn du dich nicht zusammenreißt, wird man euch gleich töten.“ Sein Blick ging zu Neri. „Andere Elfen sind überhaupt nicht gern gesehen. Deshalb musst du alles auffahren, was glaubhaft unterstützt, dass du meine Sklavin… Dienerin – vielleicht sogar Mätresse bist.“ Arunn feixte. „Das dürfte nicht schwerfallen. Wie wäre es, wenn du eine gaaaanz tiefe Zuneigung zu deinem Herrn entwickelt hast?“, Calhoun blickte Arunn missmutig an. „Es wird eine Wohltat sein, dich mal ganz demütig zu erleben!“, brummte er, sah dann aber zurück zu Neriélle. „Vielleicht hat er dennoch Recht. Das würden sie unter Umständen hinnehmen. Entscheide selbst, wie du auftreten willst. Bedenke aber, dass es hier nichts Gutes mehr gibt. Und ihr müsst eure Rollen immer – immer! – perfekt spielen.“ Calhoun’s mahnender Blick dürfte klarmachen, dass er es ernst meinte. Dann aber war es endlich soweit. Er verfiel in eine Art Maske, die ihm einen latent irren Blick einbrachte. Sein Mundwinkel hatte sich etwas gehoben, zeigte seine weißen Zähne, während er tatsächlich scheinbar zu einem Irren wurde. Man sah ihm den Wahnsinn an und Neri bekam einen Eindruck davon, wie Calhoun hatte ursprünglich mal eine hohe Position innerhalb des Heeres vor Zyranus bekleiden können. Der Mann konnte sich verstellen. Vielleicht erinnerte sie sich daran, wie er auf sie gewirkt hatte ganz zu Anfang ihrer Begegnung. Und nach allem, was sie inzwischen von ihm hatte erfahren dürfen, hatte er seine Rolle damals hervorragend gespielt. Arunn folgte dem irren Calhoun und versuchte sich ebenfalls in seine Rolle zu finden. Es fiel ihm bei weiten nicht so leicht und er wirkte etwas hölzern in seinen Bewegungen. Blieb zu hoffen, dass er es noch perfektionierte. Auch Neri musste sich nun ihre Rolle überlegen, denn Calhoun und Arunn gingen bereits um die Ausläufer des Gebirges herum und steuerten auf das imposante Tor zu.

Und es war imposant: Auch wenn es zerstört worden war bei der Belagerung, hatten es die Dunklen wieder aufgebaut. Die kleine Schlucht, durch die sie und sämtliche Besucher der Stadt, zu gehen hatten, führte nur auf dieses Tor zu. Es gab nur den Weg zurück, aber zur Seite auszubrechen oder gar einzudringen, war unmöglich. Kantige Felsen des Drachengebirges würden sich unerbittlich in die zarte Haut der Menschen und Kulturen Celcia’s schneiden, sollten sie versuchen zu klettern. Am Tor stand eine Reihe von hervorragend gerüsteten Dunkelelfen. Schwarze Helme, schwarze Harnische, schwarze Ketten und schwarze Stiefel mit spitzzulaufenden Enden. Sie trugen Schwerter, Hellebarden, Schilde mit dem dunklen Wappen – einer Fledermaus – darauf. Ihre Blicke glühten regelrecht unter den Helmen hervor. Rot, weiß, schwarz… egal wohin man blicken mochte, egal was das reine Auge für Schönheit sehen wollte… es fand nichts. Kalt und dunkel war es hier und das immer weiter aufsteigende Gebirge verschluckte den letzten Rest Sonne. Eine Reihe hatte sich gebildet und jeder musste erklären, was er in der dunklen Stadt Pelgar wollte. Neriélle konnte erkennen, dass viele unterwürfige Menschen dabei waren. Sie hatten keinerlei Freiheiten mehr. Und dann musste sie Zeugin dessen werden, wovor Calhoun sie gewarnt hatte: Gefiel ihnen die Antworten nicht, machten sie kurzen Prozess! Einer Elfe wurde das Leben genommen, ohne dass Neri den Grund dafür hätte erkennen können. War es Willkür? Oder gab es ein striktes Prozedere, das sie ebenfalls nicht kannten? Der Leichnam der Elfe wurde von einem Ork auf einen Karren gehievt, der Neri sicherlich an die Leichenkarren in Zyranus erinnerte. Auf diesem Karren, dessen Bretter bereits schwarz von all dem Blut waren, lagen bereits etliche Unglückselige. Arunn schluckte, als auch er darauf aufmerksam wurde. Und es motivierte ihn, seine Rolle verdammt gut zu spielen! Er bückte sich in der Reihe, während sie vorrückten, und benetzte seine Hände mit etwas feuchtem Boden. Dann fuhr er sich damit durch die Haare, das Gesicht und über die Kleidung. Er sah nun etwas mehr nach armen Sklaven aus. Er riss sogar noch etwas sein Hemd und seine Hose in Fetzen, während sie weiter aufrückten. Vielleicht sollte Neri auch etwas ähnliches tun? Oder hatte sie ihre Rolle bereits anders gefunden? Als Wahnsinnige vielleicht, die ihrem Herrn verfallen war? So oder so, ihr blieb nicht mehr viel Zeit, denn als nächstes würden sie sich der Reihe aus Dunkelelfen stellen müssen, die bisher nur zwei der unzähligen anderen hereingelassen hatten…
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Re: Vor den Toren Pelgars

Beitrag von Neriélle » Donnerstag 25. September 2025, 21:31

Ihre aufbauenden Worte an die Männer waren wohl doch eher ein Vorwand, um den gleichen Zuspruch von ihnen zu erhalten. Die Elfe brauchte Mut und Zuversicht und hoffte, sie von Arunn und Calhoun zu bekommen, um selbst Hoffnung zu schöpfen. Hoffnung, dass sie das Kommende zusammen überlebten. Neriélle küsste den Dunkelelfen innig und genoss es, dass er sie noch einmal zu sich heranzog, als sie sich selbst schon lösen wollte. Arunns Reaktion darauf entging ihr dabei, da sie sich nur auf Calhoun konzentrierte, in dessen Händen sie sich sicher fühlte. Sie verstand sein stummes Versprechen, das sie dringend brauchte. Als er ihr dann noch einmal mit Worten bestätigte, dass sie es schaffen würden, zeigte sich der Anflug eines Lächelns auf Neris Lippen. Dabei war es nicht von Bedeutung, ob seine Zuversicht vorgespielt war, denn sie brauchte sie nun einfach und blendete aus, dass er es nicht ernst meinen könnte, was durchaus im Bereich des Möglichen lag. Aber sie musste sich wappnen für das Folgende und das war mit vorgespielter Zuversicht einfacher als gänzlich ohne.

Doch irgendwann war der Zeitpunkt gekommen. Sie mussten sich voneinander lösen und in andere Rollen schlüpfen. Neriélle beobachtete Calhouns Verwandlung, die ihm wirklich gut gelang. Als er ihre Hintergrundgeschichte wiederholte, stieg die Aufregung in der Elfe, denn nun wurde es wirklich ernst. Ganz in der Nähe wartete die von Dunklen eingenommene Stadt auf sie. Und Calhoun brachte es gewohnt direkt auf den Punkt. „Menschen gelangen nur als Sklaven nach Pelgar – also verhalte dich entsprechend, Arunn. Vorlautes Mundwerk hin oder her, wenn du dich nicht zusammenreißt, wird man euch gleich töten.“ Neri spürte bei seinen Worten direkt einen Kloß im Hals und tauschte einen Blick mit Arunn. Zum Scherzen war sie aber längst nicht mehr aufgelegt. Calhouns Worte ließen keine Zweifel an der Lebensgefahr, der sie sich aussetzten. Dann trafen sich ihre Blicke. „Andere Elfen sind überhaupt nicht gern gesehen. Deshalb musst du alles auffahren, was glaubhaft unterstützt, dass du meine Sklavin… Dienerin – vielleicht sogar Mätresse bist.“ Da hob sich eine Augenbraue der Elfe. Doch im Gegensatz zu Arunn blieb ihr einer ihrer sonst so sarkastischen Erwiderungen im Halse stecken. „Das dürfte nicht schwerfallen. Wie wäre es, wenn du eine gaaaanz tiefe Zuneigung zu deinem Herrn entwickelt hast?“ Der skeptische Blick aus goldenen Augen traf nun den Dessarier, den auch Calhouns Zurechtweisung nicht wirklich abmildern konnte. "Das würde euch also gefallen, ja?", fragte sie nach einem Moment und blickte wieder zu Calhoun zurück, während ihr Mundwinkel dann doch kurz zuckte und ein freches Schmunzeln zeigte. „Vielleicht hat er dennoch Recht. Das würden sie unter Umständen hinnehmen. Entscheide selbst, wie du auftreten willst. Bedenke aber, dass es hier nichts Gutes mehr gibt. Und ihr müsst eure Rollen immer – immer! – perfekt spielen.“ Seine Worte sorgten dafür, dass Neriélle jedoch schnell wieder ernst wurde. Dann sollte sie also die demütige Elfe spielen, die ihrem Herren jeden Wunsch von den Augen ablas? So sehr sie Calhouns Nähe auch genoss, dürfte wohl allen von ihnen klar sein, dass Unterwürfigkeit nicht gerade zu Neriélles Charaktereigenschaften zählten. Sterben wollte sie aber ganz bestimmt nicht. Also schluckte sie ihren Stolz herunter, nickte lediglich und atmete tief durch.

Wie Arunn folgte auch sie schließlich Calhoun, der sich schon bestens in seine Rolle eingefunden hatte. Wie einfach ihm das augenscheinlich fiel, überraschte Neriélle dann doch. Sie wusste inzwischen sehr viel von ihm, aber seine Verwandlung zeigte dann doch noch einmal, wie gut er diese Anpassung beherrschte. Für ihr Vorhaben konnte es aber nur hilfreich sein. Sie tat sich da schwerer, so wie auch Arunn. Neriélle war stets ehrlich und wohl manchmal auch zu direkt. Daher war sie froh, dass sie noch ein paar Minuten hatte, um in ihre unterwürfige Rolle als Sklavin zu finden. Es würde nicht einfach für sie werden, sich zu verstellen. Aber sie war auch ehrgeizig und sie würde es sich nicht verzeihen, wenn Arunn oder Calhoun wegen ihrem Versagen leiden mussten. Also sprang sie über ihren Schatten, nahm eine leicht gebeugte Haltung ein, den Blick gesenkt und folgte Calhoun auf dem Weg nach Pelgar, stets bemüht, seine demütige Dienerin zu mimen. Als das Stadttor in Sicht kam, blieb der goldene Blick länger auf dem imposanten Bauwerk hängen. Sie musterte die Überbleibsel des Krieges, während sie die Schlucht durchschritten und klar wurde, dass es nun keinen Rückweg mehr gab. Als die ersten gerüsteten Dunkelelfen in Sicht kamen, senkte Neri ihren Blick und sah nur noch verstohlen zu den Wachen. Sie wirkten kalt wie die Stadt selbst in dem unwegsamen Gebirge vor sich. Während sie sich in die Schlange einreihten, schlug Neris Herz bis zum Hals. Sie musterte die unterwürfigen Menschen mitleidig und versuchte gleichzeitig, ihre Mimik und Gestik nachzuahmen, um noch glaubwürdiger aufzutreten. Als sie mit ansehen musste, wie man eine Elfe in der Reihe vor ihnen tötete, stand ihr die Fassungslosigkeit ins Gesicht geschrieben. Das hätte auch sie sein können - oder konnte sie noch werden. Schnell senkte sie den Blick, um sich nichts anmerken zu lassen. "Phaun, steh uns bei", flüsterte sie zu sich selbst und nahm das Geschehen zum Anlass, ihre Rolle so gut wie möglich zu spielen. Erst als Arunn begann, mit dem Dreck sein Aussehen als Sklaven zu perfektionieren, hob sie wieder den Blick in seine Richtung. Sie nickte ihm zu, das war eine gute Idee. Dann bückte auch sie sich und rieb ihre Kleidung und ihre Haut mit Dreck ein. Auch ihre Haare bekamen etwas davon ab. Man sollte ihnen wohl besser nicht ansehen, dass sie gestern noch im Becken des Klosters gebadet hatten. Sie wollte eher den Eindruck erwecken, dass sie mehrere Tage unterwegs waren und es sehr eilig gehabt hatten, um hierher zu gelangen - um Hilfe für ihren Herren zu bekommen. Neriélle hatte sich dazu entschieden, tatsächlich Calhouns Mätresse zu spielen, was sie auch davon abhielt, ihre Kleidung zu dreckig oder gar kaputt zu machen. So strahlten sie im Zusammenspiel hoffentlich aus, dass Calhoun ihr Wohlergehen wichtiger war als Arunns. Trotz ihres Plans wollte sie es nicht übertreiben, sie tastete sich langsam an ihre Rolle heran und erweckte zunächst einen demütigen Eindruck, während sie dem Stadttor und den Wachen immer näher kamen. "Sollten wir ihn ankündigen - unseren verrückten Herrn?", raunte sie dann überlegend in Arunns Richtung. Der irre Calhoun wäre wohl nicht mehr fähig dazu. Neri musste aber zugeben, dass die Dunkelelfen mit ihren Rüstungen und kalten Blicken sie einschüchterten und sie sich nicht ganz sicher war, ob es so ratsam war, ihnen gegenüber einfach das Wort zu ergreifen. Immerhin war sie immer noch eine Sklavin. Dazu kam der Anblick der Dunkelelfen und die Erinnerung an den Mord der Elfe, die sie doch ungewohnt kleinlaut werden ließen.

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