Lilith zog Darak erneut in ihre Arme. Der Abschied war so schwer, denn er war ungewiss. Ungewissheit konnte zum schlimmsten Faktor in einem Krieg werden. Für den Soldaten, der nicht wusste, ob er jemals wieder heim kehren und seine Liebste wiedersehen würde gleichermaßen für jene Frau, die auf ihn wartete und nicht wusste, ob ihr Warten Früchte trüge. Niemand zog gern in den Krieg. Jedenfalls niemand, der sich derzeit auf dem heißen Sand der Insel Belfa befand. Wie es in den dunkelelfischen Reihen aussah, war eine ganz andere Situation. Hier gäbe es sicherlich einige Soldaten, die sich nur zu gern auf den Weg machten, getrieben von Blutdurst und Rache. Bei den Sarmaern war das Motiv ebenfalls klar: die Verteidigung all dessen, was ihnen gehörte. Deshalb wurde es nun auch Zeit für Darak, den Befreier, vor seine Männer zu treten und ihnen Mut zuzusprechen, so wie Khan ben Issam es von ihm erwartete. Er war nicht nur der größte Gegenspieler aus Sicht der dunklen Völker, sondern für die Wüstenstädter auch eine bedeutende Figur. Er hatte sie befreit, den finsteren Stadtherrn gestürzt und er - der Befreier - sollte nun noch einmal glänzen, wenn sie unter seinem entschlossenen Blick in den Krieg zögen. Das Schlachtfeld würde der Sand der Wüste sein und vielleicht auch noch der Küstenhafen Sarmas. In jedem Fall würden beide Elemente eine Menge Blut zu schlucken bekommen. Eine schwere Zeit stand ihnen allen bevor.
Vor allem für Darak sollte es nicht leicht werden. Zum Glück hatte er Freunde, die zu ihm standen, allen voran das Bollwerk einer Frau, die man auch als Rammbock hätte einsetzen können. Alma würde immer für ihn da sein, was auch geschah. Und sie überlegte sich Mittel und Wege für ihren Lieblingspatienten und Freund, dass dieser möglichst effektiv an der bevorstehenden Schlacht teilnehmen konnte. Immerhin musste er präsent sein, um die Moral der Soldaten zu stärken. Soldaten, von denen ein Großteil - Darak selbst sogar - stark traumatisiert waren. Soldaten, von denen viele einfache Bürger waren, die nun zur Waffe griffen. Die Dunkelelfen hatten bereits gewütet und Spuren in den Reihen der Wüstenkämpfer hinterlassen. Zu Tode gefolterte Männer würden ihnen jetzt fehlen.
Trotzdem durfte nun niemand von ihnen zurückschrecken. Sie mussten wie ein Mann kämpfen, ein gewaltiger Mann, der den Dunkelelfen in den Arsch trat. Anders ließ es sich wohl nicht mehr ausdrücken - nun, das würde Darak entscheiden. Er hatte noch eine Rede zu halten. "Schieb ihnen die Schwerte quer ins Rektum", sagte Alma, während sie und einige Sarmaer dem Befreier auf sein Kamel halfen. "Und denk nicht an Dinge, die dich auf dem Sand ablenken könnten. Sei versichert, dass ich Vesta, Lilith und alle Zurückbleibenden genauso wenig im Stich lassen werde wie dich seit unserer ersten Begegnung." Wenn sich diese Worte bewahrheiteten, wäre Sarma zu einem Teil bereits gerettet, denn keinem Schwur könnte mehr geglaubt werden als dem einer Alma.
Sie klopfte dem alten Haudegen doch tatsächlich auf den Hintern, lachte und zeigte zu seinem Helm, der nicht ganz gerade ausgerichtet war. "Kämpfe und dann komm wieder, um mit uns zu feiern", sagte sie. Derweil hatte sein ihm zugeteilter Sklave Rhiven Nocturn seine Krücken in den Lederschlaufen befestigt und ihm die Schärpe zurück gereicht. Er selbst erklomm kein Kamel. "Der soll laufen", riefen die Sarmaer und anfangs würde das wohl auch noch funktionieren, solange Darak nicht mitten in die Schlacht würde reiten müssen.
Dann ging es los. Kamele und Constanzes Schlachtross setzten sich in Bewegung. Rhiven ging brav an der Seite seines Herrn, den Kopf leicht gesenkt und schweigend. Selbst er schien zu ahnen, dass es besser war, jetzt nicht den Rebellen zu spielen. Die Sache war ernst. Nur einer konnte natürlich nicht still sein. Etwas regte sich bei Darak, als er die hübsche Amazone in ihrer Kriegsrüstung ausmachte. Sie sah wirklich alles andere als gut aus. Sie sah verdammt gut, ich möchte mit ihr schlafen! aus. Wer könnte einer solchen Frau widerstehen?
"Ich jedenfalls nicht. Heee, Großer! Reit näher an sie heran, vielleicht kann ich micht gegen ihren Schenkel drücken!" Da war sie wieder, die seltsame Stimme aus seinem Schritt. Wenn ihn sein eigenes Gemächt in der Schlacht ablenkte, könnte es ganz schnell das letzte Mal gewesen sein, dass sich dieses Körperteil in irgendeiner Weise noch einmal regte. Er musste konzentriert bleiben. Vielleicht half es, wenn er genau jetzt mit Constanze sprach und so richtete Darak das Wort an sie.
Die Amazone wandte den Kopf, schaute ihn an. Eine Braue hob sich. "Conny? Ich habe dir niemals erlaubt, mich so zu nennen. Das darf nur Lilith." Aber ehe sich Groll gegen den Befreier regen konnte, verqualmte er auch schon wieder wie schwelender Rauch an einer abgebrannten Ruine. Sie hörte seinen Worten aufmerksam zu. Ihre Mundwinkel senkten sich, aber sie nickte, als Darak geendet hatte. "Sie ist verliebt, ich kann nachempfinden wie das ist. Denn ich liebe sie." Ihr Blick wanderte zu den Sandhügeln vor der Stadt, als sie das Tor passierten. Irgendwo dort standen Soldaten - Männer wie Frauen - und auch unter ihnen gab es Menschen, die andere Menschen liebten. Selbst unter den Männern. Constanze straffte die Schultern. Vor ihr lag eine schwere Entscheidung, die es eigentlich nicht sein sollte. Sie liebte Lilith Blütentau. Sie würde alles für die Elfe tun, nichts im Leben war ihr wichtiger. Nicht einmal Rache an jenem Männchen, das ihr diesen Schicksalsfpad geebnet hatte ... jener Mann, der neben ihr herritt und den Lilith offenbar so sehr liebte, wie Constanze ihn verabscheute. Dabei hatte es sich gebessert. Sie hatte Respekt vor Darak bekommen, aber über manche Dinge konnte noch so viel Gras wachsen, sie blieben nicht vollens vergessen. Und sei es nur, dass sich unter all dem sonst so flachen Grün ein kleiner Hügel dunkler Erinnerungen abhob, so aber immer zuerst zu erkennen war.
"Nur für sie", sagte die Amazone schließlich und meinte natürlich, dass sie für Lilith bereit war, die Bedingungen einzugehen. Sie wollte ihre Liebste nicht verlieren, hätte diesen Fehler bereits einmal gemacht. Sie hatte ihre Lektion gelernt. Offenbar konnte sie Lilith nur noch mit Darak Luthrokar zusammen haben. Etwas, das ihr lieber war als ganz allein zurück zu bleiben. Trotzdem war es schwer für sie. "Du fasst mich nicht an und nackt kriegst du mich bestimmt auch nicht zu sehen, damit das klar ist! Ich akzeptiere dich in ihrer Nähe, aber nicht in meiner - unter gewissen Umständen." Ihre Worte schnitten schärfer als jede Klinge. Eine verdammte Warnung.
"Eine verdammte Herausforderung! Mach mal die Hose auf, dann überzeuge ich sie, dass du gute Seiten besitzt, hehehe!"
Selbst wenn Darak den Worten seines Gemächts Folge hätte leisten wollen, dazu besaß er im Augenblick nicht mehr die Zeit. Sie erreichten die Hügelkuppe, hinter der die sarmaer Soldaten Stellung bezogen hatten. Es waren viele, aber im Hinblick auf den Ansturm des Feindes mochten sie kaum ausreichen, um Sarma zu verteidigen. Dreitausend Mann, vielleicht viertausend. Es sah schlecht aus. Wie viele Einheiten konnten die Dunkelelfen aufbringen? Hatten sie Verbündete, die unterstützen?
Auf einem Hügelkamm saß der Kriegsveteran Khan ben Issam auf seinem Kamel. Es trug Lederzeug, um vor Angriffen geschützt zu sein. Er selbst zeigte sich in Platte, trotz der Hitze und dieser Mann schwitzte nicht einmal sonderlich. Noch hatte er Darak nicht entdeckt, denn sein Haupt war gesenkt, seine Hände zum Gebet gefaltet. Erst als er offenbar geendet hatte, hob er den Kopf und entdeckte den Befreier. Er hob eine Hand, damit dieser zu ihm herüber ritt. Bei Khan stand eine Gruppe hagerer Burschen. Sie trugen nicht einmal Schuhe, was sie allerdings kein bisschen zu stören schien. Wollte der Veteran denn Jungen ebenfalls in die Schlacht mitnehmen? Hatten sie so wenig Einheiten?
Die Soldaten wandten die Köpfe. Einige hoben sogar ihre Schilde, andere ihre längeren Stangenwaffen. Was ihnen fehlte, waren Bögen. Es gab keine Schützen. Wo steckten jene Soldaten der Wüstendiebe, die doch vermutlich am besten mit einer Fernwaffe umgehen konnten? Darak hörte sie in seinem Rücken. Da standen sie, auf den Zinnen und Mauern, die Sarma umgab. Sie würden nicht in den Nahkampf verwickelt und konnten das feindliche Ziel von ihrer Position aus nicht nur sofort sehen, sondern auch gut befeuern. Doch da stand noch jemand ganz oben, auf dem Wehrgang der Stadtmauer, kaum zu übersehen. Sie winkte Darak kurz, hob dann eine Handharfe an und begann zu singen. Lilith sang für sie alle.
ich sag's euch, ich sag es, er führt uns zum Sieg.
mit lautem Gebrüll, einem Blick wie der Tod,
glaubt fest daran, er führt uns aus der Not.
Er vernichtet das Böse, die Feinde des Sands
Gebt Acht, gebt gut Acht, er befreit unser Land.
Die dunklen Völker bezwingt er, er hat diese Macht
Befreier, Befreier, mit dir in die Schlacht."
Ihr Gesang hob sich zu einer lieblichen und doch entschlossenen Arie an, in der Lilith weiter den Befreier besang und es bereitete heiße Schauer, als die Schützen auf den Zinnen und sogar einige Soldaten in den Reihen vor ihm in den Gesang einstimmten. Schließlich sangen sie alle noch einmal die beiden letzten Zeilen und wurden dabei immer lauter, bis sämtliche Sarmaer ihre Fäuste gen Himmel reckten und so ihrem Befreier Loyalität in der Schlacht schworen.