Was war geschehen? Sie hatte nur noch unerträgliche Hitze gespürt, gepaart mit Schmerz. Ein Schrei aus männlicher Kehle war an ihr Ohr gedrungen, dass es ein Klingeln erzeugt hatte und dann? Nichts mehr. Schwärze, aber auch seliges Nichtsfühlen. Fort waren Schmerz und Pein, fort der Geruch von verbranntem Fleisch und der Geschmack ihres eigenen speichelarmen Mundraums, weil die Hitze und vorherige Atemnot ihre Kehle ausgedörrt hatten. Hinfort mit alldem, ebenso wie das Gesicht dieser dunklen Hexe, dieser Feuermagierin. Zurück blieb nur die Schwärze - dachte sie.
Erneut drang etwas an Azuras Ohren. Hörte sie denn wirklich? Wo steckte sie? Es war nicht der Schrei von eben, der zu ihr durchdrang. Es war eine eigentümliche Musik. Ein Reigen aus lieblichen Saiteninstrumenten, die sich in ein harmonisches Spiel mit Klavier und lieblichem Harfenklimpern begaben. Jemand sang, sanft und hell, dass es sich wie ein begleitender Windhauch anhörte. Ach, reizend war diese Melodie, die zum träumen einlud. Sie besaß etwas, das Azura in den letzten Stunden reichlich vermisst haben mochte. Sie besaß diese anmutige Grazie mit einer Spur arrogant adliger Dekadenz, in der die junge Frau groß geworden war.
Nun gesellten sich weitere Töne zu dem fröhlichen Spiel. Stimmengewirr, aber nicht laut. Viele Grüppchen unterhielten sich in dezent höflicher Manier. Hier und da ließen sich Worte oder kleinere Satzfetzen aufschnappen. Da schmeckte jemandem der Wein vorzüglich, jemand Anderes betonte die reizende Dekoration, ein dritter lachte herzlich über den geschmackvollen Witz eines Gecken. Und schließlich erschienen Farben. Die Schwärze wich einem munteren Spektrum. Tücher in allen Regenbogenfarben und aus feinster Seide hingen sternförmig von einer gewölbten Decke, in deren Kuppelzentrum ein Kronleuchter aus feinstem Kristall unter den Schwingungen der Musik leicht vibrierte. Girlanden waren über mehreren Torbögen angebracht, welche durch offene Vorhänge hindurch Zugang in den Saal gewährten, in dem sich Azura wiederfand. Silberne Kandelaber mit weißen Kerzen erhellten zusätzlich zum Licht unter der Decke den Raum. Sie wurden vom polierten Parkett als helle Tupfen reflektiert. Blumenarrangements verschönten die Ecken, in denen man kleine Korbstühle aufgestellt hatte. Hinzu kamen überall kreisrunde Tische, auf denen sich Schalen mit allerlei Früchten, sowie Weinkaraffen und Gläser wiederfanden. Die Fenster des mit Goldverkleidung und Stuck verzierten Saales waren hoch und bogenförmig. Sie boten den Blick auf einen nachtblauen Sternenhimmel. Im Glas der Fenster spiegelten sich allerlei skurrile Gestalten wieder. Aber nein, es waren Menschen in bunten Rüschenkleidern und edlen Seidentuniken. Sie hielten sich Masken vor die Augen, so dass man nur das heitere Lächeln erkennen konnte. Einige von ihnen labten sich an Punch und kalten Häppchen, die an einer Wand des Saales auf langen Tischen serviert wurden. Gegenüber dieser Wand spielte ein kleines Orchester auf einer Tribüne auf. Davor versammelten sich Scharen dieser feinen Gesellschaft, lauschten den Klängen und prosteten sich mit vollen Weingläsern zu. Sie warteten ab, dass die Musik einen lebendigeren Ton annahm, damit man das Glas beiseite stellen und sich auf die Tanzfläche wagen konnte.
"Hohe Frau", wurde Azura plötzlich von jemandem angesprochen. Eine seltsame Gestalt verneigte sich vor ihr und jetzt erst merkte sie wohl, dass jene Person die ganze Zeit über neben ihr gestanden haben musste, während sie in einem der Korbstühle saß. Sie trug ein prächtiges Kleid, das in Prunk und Schönheit denen der anderen Frauen ins nichts nachstand. Die Person, die sie angesprochen hatte, hatte sich da für ein eher seltsames Kostüm entschieden. Es handelte sich um eine Harlekinsverkleidung aus Schwarz und Purpur, was den Fremden - sofern es denn ein Mann und nicht eine flachbrüstige Frau war - deutlich von den übrigen Gästen abhob, die sich eher hell und freundlich kleideten. Auch trug diese Gestalt eine Maske aus Purpur mit schwarzen Pailletten und Federn. Eines der Augen verließen aufgeschminkte schwarze Tränen. Unter dem anderen lächelte Azura ein aufgemalter Stern auf der Wange des Fremden entgegen.
"Sagtet Ihr nicht, Ihr wolltet tanzen? Das Orchester spielt gleich zu etwas Fröhlichem auf. Gewährt Ihr mir diesen ersten Tanz mit Euch, Verehrteste?" Erneut verneigte sich der Harlekin, dieses Mal noch tiefer, so dass seine weiß geschminkten Lippen hauchdünn über ihrer Handfläche schwebten und einen Kuss andeuteten.