Zu Besuch bei Mutti

Handwerker, einfache Bürger und der Adel wohnen in kleinen Bezirken und doch teilweise Tür an Tür. Von der windschiefen Hütte bis hin zum schön verzierten Fachwerkhaus oder kleinem Anwesen mit Wasserspeiern aus Marmor ist hier alles zu finden.
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Re: Zu Besuch bei Mutti

Beitrag von Erzähler » Samstag 19. Mai 2007, 04:04

Die Tür des kleinen und doch recht unscheinbaren Hauses öffnete sich einen Spalt breit. "Wer ist da?", fragte eine Stimme älterer Generation und ein Augenpaar lugte nach draußen. "Darien, Schatz!" Sofort wurde die Tür aufgerissen und eine besorgte Mutter nahm ihren Sohn in die Arme.
"Wie hab ich dich vermisst! Endlich tauchst du mal bei deiner alten Mutter auf! Junge, was treibt dich nur so weit von zu Hause fort? Hast du so vile Pflichten, dass du nicht einmal vorbei schauen kannst? Ich bin doch so allein, seit dein Bruder nun auch arbeitet. Das könnt ihr Bengel eurer guten Mutter nicht ständig antun. Mein Herz weint, doch lacht es endlich, denn du besuchst mich!"

Sie löste sich aus der Umarmung und musterte ihren Sprössling. Dann kniff sie ihm in die Hüften. "Hm, abgenommen hast du ganz schön. Komm rein und stärke dich, du fällst ja noch vom Fleisch!" Das war sie, Dariens Mutter. Immer liebevoll und übertrieben besorgt um ihren Sohn seit ... diesem Ereignis. Darien wollte gar nicht daran denken, doch allein die beiden Männer, die ihn angestarrt hatten, lenkten seine Erinnerungen für einen Moment auf diese schmerzliche Bahn. Doch auch seine Mutter konnte dies gut. Sie riss ihn wahrlich aus seinn Gedanken, als sie ihren Sohn in die Stube zog.

Alles war noch immer so eingerichtet wie bei Dariens letztem Besuch: Kleine Tischdeckchen überall, die netten Vorhänge mit dem Streifenmuster, das Teeservice auf dem Regal ... er war wieder zu Hause. Die Wohnung roch angenehm nach Ingwer und Lavendel, eine interessante Mischung, aber dafür war seine Mutter bekannt.
Sie lozte ihren Sohn sofort in den Wohnbereich, wo auf einem Tisch zwischen Sofa und Kamin Gebäck auf einem Teller bereit stand. Im Kamin flackerte ein Feuer friedlich vor sich hin. Die Mutter bot Darien einen Platz auf dem Sofa an, setzte sich selbst auf einen kleinen gepolsterten Hocker und verteilte Tassen.

Seltsamerweise stellte sie drei Tassen bereit. Darien erinnerte sich nicht daran, dass auch sein Bruder Aron kommen wollte.
"Dein Bruder arbeitet heute den ganzen Tag, aber ..." die Mutter lächelte, "ich habe noch einen anderen Gast eingeladen. Genauer gesagt, ist er schon hier. Du wirst ihn gleich kennen lernen, lass mich nur rasch den Tee holen." Dariens Mutter trippelte beschwingt in die Küche davon. Wer wohl der andere Gast sein mochte? Darien hatte nicht die leiseste Ahnung. Da trat plötzlich statt der Mutter ein stattlicher Mann, etwa in Mutters Alter, in die Stube. Sein braunes Haar, welches an den Schläfen bereits ergraute, war mit Pomade eingeölt und nach hinten gekämmt. Sein edel gestutzter Bart endete oberhalb eines steifen Kragens. Der Mann trug adelige Gewandung und besaß die steife Haltung eines Besens, jedoch nicht dessen Charme. Nein, er wirkte irgendwie ... streng. Mit hochgezogener Augenbraue musterte er Darien. "Ist das dein Sohn, Liebchen?", rief er mit tiefer Stimme in Richtung Küche.

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Re: Zu Besuch bei Mutti

Beitrag von Erzähler » Samstag 19. Mai 2007, 13:27

Der Mann nickte auf Darien gemurmeltes Hallo und verneigte sich, immer noch in dieser steifen Besenstiel-Haltung. "Gestatten, ich bin Artur von Klamm, ein Kaufmann auf der Durchreise. Ich komme von weit her, genauer gesagt aus dem südlich gelegenen Königreich Grandessa."

Artur nahm wieder seine vorherige Haltung an und musterte Darien mit einem Blick, der tief in die Seele reichte. Seine Augen waren enge Schlitze, die streng auf den Sohn von Karon starrten, ihn fixierten wie eine Schlange ihre Beute.

Darien beschlich Unbehagen und er wich dem Blick aus, indem er zum Fenster sah. Da hörte er Schritte, die sich von hinten näherten. Eine Gänsehaut befiel seinen ganzen Körper, eine reflexbedingte Reaktion auf die schlimmen Erinnerungen seiner Kindheit. Wollte dieser Artur von Klamm etwa ...? In Dariens Hals bildete sich ein Kloß und er schaute hinter sich. Erleichterung machte sich breit, es war nur seine Mutter. Sie lächelte ihn verlegen an.

"Setz dich, mein Junge. Ich habe dich nicht nur eingeladen, um dich nach so langer Zeit wieder zu sehen. Ich ... nun, ich muss dir etwas erklären." Sie selbst setzte sich jetzt auf das Sofa und griff nach einem Gebäckstück. Artur von Klamm ließ sich mit immer noch steifer Haltung in einem Ohrensessel nahe dem Kamin nieder. Er ließ Darien nicht aus den Augen.
"Er ist nicht gerade höflich, dein Sohn. Hat sich mir nicht einmal vorgestellt. Oder liegt das an deiner Erziehung?" Artur lachte und Darien Mutter lachte zu seinem Entsetzen mit. Dieser Mann hatte sie doch soeben beleidigt, auch wenn es wie ein Scherz klingen sollte!

"Artur, das ist mein erstgeborener Sohn Darien", stellte die Mutter vor. "Darien, das ist Artur von Klamm. Er ist ein sehr anerkannter Kaufmann aus Grandessa. Ich traf ihn zufällig auf dem Markt und ... naja, er bleibt eine Weile hier. Er kam vor einigen Wochen mit einem Schiff in Andunie an, doch dort hat man den Seeverkehrt aufgrund der dunklen Wolken eingestellt. Daher reiste Artur nach Pelgar, um sich zu beschweren."

"Im Grund bin ich aus vollkommen anderen Angelegenheiten aus meinem Könogreich losgezogen. Denn offenbar hält die Handelsstadt Andunie nichts davon, ihre erhaltene Ware zu begleichen. Stattdessen reden sie sich heraus, die Piraten hätten die Schiffe gekapert. Ich bin hier, um herauszufinden, wo mein Geld geblieben ist ... und ich werde nicht ohne es wieder gehen. Aber vielleicht", der Kaufmann lächelte Dariens Mutter vielsagend an, "vielleicht brauche ich auch nicht in meine Heimat zurückzukehren." Er warf ihr einen Handkuss zu und die Frau senkte verlegen den Blick, schaute dann aber ihren Sohn an.

"Mein Junge, Artur und ich sind ein Paar. Er wird hier einziehen."
Dariens Kehle schnürte sich zu.

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Re: Zu Besuch bei Mutti

Beitrag von Erzähler » Samstag 19. Mai 2007, 16:35

Darien Mutter brauchte nicht aufzuschauen, um zu wissen, welchen Gesichtsausdruck Darien aufgesetzt hatte. Sie brauchte nicht zu sehen, dass er aufgesprungen war, um zu wissen, was ihr Sohn fühlte.

"Mein Junge", setzte sie an, verfiel dann aber sofort wieder in Schweigen, strich sich den Rock glatt, den sie trug. Das Muster darauf wirkte auf einmal durchaus interassnt für sie.
Im Zimmer war es auf einmal furchtbar still. Einen Moment lang saß die Mutter mit gesenktem Haupt da, Artur schaute Darien verwirrt an und dieser stand einfach nur vor dem kleinen Tisch. Schließlich entsprang ein "Ein Mann?" seiner Kehle, was er sofort bereute.

Der Kaufmann begann zu schmunzeln, schließlich lachte er und klopfte sich auf den Schenkel, doch das bekam Darien schon garnicht mehr mit. Er musste nach draußen. Ein Ziel? Egal, Hauptsache raus, weg von diesem ... Mann!

Am Fuße eines Baumes, den ein naturliebender Wegekonstrukteur zwischen die Pflastersteine hatte setzen lassen, ließ er sich hernieder sinken. Seine Gedanken überschlugen sich, er sah Bilder vor seinem inneren Auge – unangenehme Bilder. Er meinte sogar, die Stimme seines Vaters zu hören, das stetige Hecheln und Lechzen ... angewidert überlief ihn ein Ekelschauer. Und dann vernahm er die Stimme seiner Mutter. Sie rief nach ihm, sie suchte ihn.

"Darien! Liebling, wo bist du? Bitte, ich ... ich wollte es dir doch erklären. Bitte, komm zurück. Es wird alles anders sein, vertrau mir. Bitte, Darien! Ich bin doch deine Mutter, niemals würde ich ... ach, lass uns darüber sprechen, bitte!"

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Re: Zu Besuch bei Mutti

Beitrag von fremde Frau » Samstag 19. Mai 2007, 22:04

"Darien!" Die Mutter kam rasch zu ihm, als er mit gesenktem Kopf plötzlich auftauchte und in ihre Richtung schlurfte. Sie wollte ihren Sohn in die Arme schließen, aber im Augenblick war er für sie so unerreichbar wie das Amt einer Königin. So blieb die Mutter nur mit wehleidigem Gesicht vor Darien stehen, knetete unbehaglich ihre Hände. "Mein Junge, es ... ich ... er ist ein guter Mann. Nicht wie dein Va– Artur ist herzensgut, auch wenn er ein wenig streng mit der Etikette ist. Ich bitte dich, gib ihm eine Chance, es dir zu beweisen."

Tränen standen der Mutter in den Augen und sie fielen als dicke Tropfen heraus, strömten über ihre Wangen, als sich Darien zu einer Entscheidung durchrang, die ihn von ihr entfernen würde. Darien wollte eine Weile fort. Er konnte seiner Mutter und ihrem neuen ... Liebhaber nicht in die Augen sehen. Er wollte keinen von beiden sehen! Er wollte nur weg.

"Darien ... nicht, mein Junge", schluchzte die Mutter, aber es war noch leiser als der Wind und wurde vom Donner geschluckt, der grollend über den finsteren Himmel rollte. Schon drehte sich ihr ältester Sohn um, verschwand die Straße hinunter. Er ließ eine Trauernde zurück, die auf das Pflaster sank und kaum mehr weinen konnte vor lauter Gewissensbissen. Das würde sich seine Mutter nicht verzeihen.

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