Ein Silberstreif am Horizont

Das große Meer ist launisch wie das Wetter. Einmal ist es friedlich und dann wieder die reinste Gefahr. Erfahrene Seemänner befahren es mit ihren großen Schiffen. Alle Reisen sind hier verzeichnet.
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Re: Ein Silberstreif am Horizont

Beitrag von Erzähler » Donnerstag 4. April 2024, 11:41

Im Lager herrschte eine ausgelassene Stimmung, die sich auch auf Razag oder Syn übertrug. Letzterer nutzte seine Chance, die Erin durch einen stechenden Blick verwehrt wurde und brachte damit ausgerechnet Crys in Verlegenheit. "Untervögelt, als Einziger? Also hat Razag dir eine gute Zeit geschenkt." Die Heilerin japste, lief puterrot an, dann aber warf sie gespielt tadelnd ein Kissen nach Synnover und streckte ihm die Zunge heraus. Aber sie lächelte breit und schenkte Razag einen verliebten Blick, bevor sie sich alle wieder ihren Sachen widmeten. Dass Syn sich von Zarrah gelöst hatte, weil er glaubte, sie in Verruf zu bringen, war eine ihm natürlich gewordene Reaktion. Sie bedeutete nicht länger, dass es auch der Wahrheit entsprach, und die Dunkle hatte ihm vermutlich hinlänglich bewiesen, dass sie auf solches Gebaren keinen Wert legte. Trotzdem mussten sie sich nun alle auf anderes konzentrieren und so war das eigentlich gemütliche Lager flugs abgebaut. Jetzt zeigte sich auch, dass Erin und Amos offenbar einen gewissen Standard eben auch an Land bevorzugten, denn die Kiste war randvoll mit guten Dingen. Es lag Aufbruchsstimmung im Wind der See und doch fühlte es sich nicht wehmütig an. Razag sah dem größer werdenden Schiff voller Aufregung und Sehnsucht entgegen und musste sich unweigerlich fragen, ob das der Teil mit der Freiheit war, die Zarrah ihnen predigte. Bevor es allerdings ans Erkunden ging, mussten sie das Gefährt noch erklimmen. Für Razag war das generell kein Problem, denn er war kräftig und könnte notfalls auch seine Arme nutzen. Allerdings stellte sich das Klettern für Syn als Herausforderung heraus. Durch das Rennen hatte er seine Muskeln gehörig überstrapaziert und so bemerkt er beim Versuch aufstehen zu wollen, dass… es nicht ging. Seine Beine gehorchten ihm nicht. Und während sich das zweite Beiboot bereits leerte und Zarrah, Erin und Amos einer nach dem anderen das Schiffsdeck erreichten, da mussten sich Syn, Crys und Razag etwas überlegen. Die erste Eingebung seitens des Menschen stieß nicht unbedingt auf Gegenliebe. Razag fürchtete, dass Syn sich mehr schadete als es Nutzen hätte, und so überlegte der Grüne gehörig, wie er seinem Kumpel helfen könnte. „Leute? Wie bekommt ihr Lasten da hoch? Könnt ihr meinen Freund hier mit der Strickleiter hochziehen, oder habt ihr eine Seilwinde oder diese Schaukeln wie die Schiffe im Hafen?“, fragte er und plötzlich tauchte oberhalb der Reling ein neues Gesicht auf. Schwarze Haare wehten im Wind, während ein wachsames Auge die Situation am Kiel prüfte. Das andere war hinter einer Augenklappe verborgen, deren Riemen sich über die Stirn und die Nase zogen. „Heda! Warte mal, Kumpel!“, hörte Razag eine ihm sehr vertraute Sprache. Dann verschwand der Schopf aus seinem Sichtfeld und plötzlich wurde eine zweite Leiter hinabgeworfen. Sie war deutlich stabiler und besaß breitere Sprossen, die auch Razag’s Füße tragen würden. Während Razag also entspannt die orkische Strickleiter emporklettern konnte, wurde Synnover nicht vergessen. Der Mensch hatte sich hinreißen lassen, seine neusten Informationen zu teilen, allerdings war dies wohl ein schlechtgewählter Zeitpunkt. Razag war so fasziniert von dem Schiff, dass er es einfach überhörte. Synnover würde gewiss die Gelegenheit erhalten, sich seinem Freund anzuvertrauen, wenn die Neugierde erstmal befriedigt wurde.

Während also Razag den Rumpf des Schiffes über seine eigene Leiter bezwang, sauste mit einem Mal eine Bewegung über den Rand der Reling. Ein Körper wurde zu einer Kugel, zog ein Seil hinter sich her, rollte sich zweimal in der Luft und landete dann, einem Artisten gleich, in dem Beiboot neben Syn und Crystin. Die Heilerin zuckte zusammen, als ein rothaariger Schopf die Haare zurückwarf und blaue Augen aufblitzten. Ein charmantes Grinsen folgte, dann eine Verbeugung. Der Junge besaß einen wettergegerbten Teint und wachsame Augen. Er war schmal und drahtig. Er trug eine Weste über dem nackten Oberkörper, die dunkelbraun denselben Farbton annahm, wie seine locker sitzende Pluderhose. Er war barfuß. „Darf ich bitten?“, fragte er und blickte zu Synnover. Er verneigte sich, hauchte Crystin einen Handkuss zu, ehe er Syn das Seil um den Leib band. „Wir helfen dir!“, bestätigte er dem Menschen und feixte erneut. Er schien wohl eine Frohnatur mit gewissem Charme zu sein. Dann pfiff er mit zwei Fingern im Mund und das Seil wurde langsam angehoben, sodass man Syn ebenfalls an Deck bugsieren konnte, ohne, dass er sich alle Knochen brach bei einer Landung. Crystin starrte den Jungen an, der ihr dann auf die Leiter deutete. „Nach dir, Locke!“, betitelte er sie und Crystin räusperte sich, ehe sie sich ebenfalls an den Aufstieg machte. Erneut Pfiff der Junge im Beiboot und schwupps flogen weitere Seilenden, die er an der Ladung vertäute, damit auch sie hochgezogen werden konnten.
Nachdem alle endlich das Deck erreicht hatten, wurde sich im Hintergrund um die Boote und um die Ladung gekümmert. Jetzt war allerdings Zeit, die ‚Silberpfeil‘ in Augenschein zu nehmen. Razag hatte einen Vorsprung erhalten und sich bereits mit dem dunklen Holz bekannt gemacht. Der Pfeil war ein Viermaster, dessen dicke Holzmasten prominent hervorstachen. Die Segel waren eingeholt, während das Schiff vor Anker lag. Während sich der Rothaarige um Crystin und vor allem Syn gekümmert hatte, hatte der Ork Zeit gehabt, einen Blick auf die Mannschaft zu werfen. So war ihm nach seiner Ankunft an Deck tatsächlich eine Orkin gegenübergetreten, die ihm die Hand hingehalten hatte. „Wenn ich gewusst hätte, dass sie einen Ork mitbringt, hätte ich gleich die richtige Leiter hinuntergeworfen!“, hatte sie Razag begrüßt und gelächelt. Das schwarze Haar war im Nacken zu zwei geflochtenen Zöpfen gebunden, während ein Dutt am Hinterkopf einem Kriegerzopf nachempfunden war. Es hielt die Strähnen selbst im Wind zurück. Die Augenklappe verdeckte das linke Auge und in dem durchaus hübschen Gesicht prunkten einige Narben. Über dem rechten Mundwinkel zog sich eine Narbe zur Wange hinauf, während ihre rechte Augenbraue ebenfalls unterbrochen war. Die spitzen Ohren zierten einige Ohrringe und das weiße Hemd, das sie trug, war in eine dunkle Hose gesteckt, dazu ein für sie passendes Mieder. Sie war eine Halborkin, das konnte Razag erkennen. Sie war deutlich größer als manch männliches Mannschaftsmitglied, aber nicht so groß wie er selbst. „Mein Name ist So’Raj!“, stellte sie sich mit kräftigem Händedruck vor, sollte Razag ihre ergreifen. „Schön, mal wieder einen von meinesgleichen zu sehen!“, schenkte sie ihm ein durchaus sympathisches Lächeln. „Wir sehen uns noch, ich muss da kurz mal helfen!“, wechselte sie wieder ins Celcianische, zwinkerte mit ihrem rechten Auge, das golden hervorleuchtete aus der grünen Haut und sah daraufhin zu, dass sie den anderen half, um die Ladung und die Boote an Deck zu ziehen.

Schließlich fanden sich nach einiger Zeit allesamt an Deck ein. Amos und Erin standen zwischen ihrer Mannschaft und den Gästen und brachten die Meute zur Ruhe. „Herhören! Das sind Raz’ulak der Furchtlose, Zarrah’lindae von den Nachtklingen, Syn, das weiße Kaninchen, und Crystin!“, rief Amos und die Mannschaft nickte ihnen zu. So’Raj zog einen Mundwinkel hoch, als sie Razag noch mal begrüßte, ehe sich das goldene Auge wachsam auf die anderen legte. Es wurde sich gemustert. Der Rothaarige feixte, hatte die Arme locker verschränkt und betrachtete die Neuen. Er schien sich eher zu freuen als sich mokieren zu wollen. Ansonsten gab es hier eine bunte Mischung als allerlei Rassen, Größen und Formen. Die Crew bestand zu weiten Teilen aus Menschen. Keiner von ihnen wirkte besonders grimmig oder ungehalten. Offenbar hatten Erin und Amos ihre eigene Art gut in ihre Mannschaft etabliert. Man gab sich allenfalls neutral, aber niemand schien ihnen feindlich gesinnt. Neben dem Rothaarigen und der Orkin, gab es noch einen stämmigen, eher bulligen Typen ohne Haupthaar aber mit Bart. „Freunde, das ist Mitsch. Er ist unser erster Maat und für eure Sorgen und Nöte ebenso verantwortlich, wie wir!“, grinste Erin und Mitsch brummte. „Ja, aber wehe einer kommt auf die Idee Spitzendeckchen und Blumenbouquet haben zu wollen, wenn er … schmaust!“, sah er warnend in die Runde und im Hintergrund kicherten einige der Mannschaften. „Ha-ha!“, machte Mitsch und warf die Hände in die Luft. Ganz offensichtlich neckte man den armen Brummer, doch jener blickte nun mit seinen dunklen Augen auf die Gäste. „Wir haben zwei Kabinen für euch. Eure…“, sein Blick glitt zur Dunklen „… Gönnerin? Keine Ahnung, mir einerlei, zahlt jedenfalls üppig. Da werde ich mal nicht so sein und meine Kajüte für euch räumen, aye?“, sagte er und nickte. „Ihr da!“, er zeigte auf Syn und Razag „Ihr dürft die Kapitänskajüte beziehen, die ist größer. Wegen des Orks und so. Und die Damen ziehen in meine ein!“, verkündete Mitsch, der erste Maat und Erin, sowie Amos nickten zufrieden.
„So ist es! Das bedeutet aber auch, dass Amos und ich im Mannschaftsquartier nächtigen“, allgemeines Murren war zu hören „JA! Und das bedeutet, dass ihr den Saustall aufräumt, verstanden! Sonst schrubbt ihr das Schiff – von unten!“, warnte Erin und das Gemurre verstummte augenblicklich. Amos klatschte in die Hände. „Gut, noch Fragen?“, wollte er wissen und da schob sich eine Hand in die Höhe. „Ja… Sprotte?“, fragte Amos und der Rothaarige trat etwas aus der allgemeinen Gruppe hervor. „Ähhhm… darf ich jetzt fragen, wohin wir nun segeln?“, meinte er und feixte weiterhin. Erin und Amos blickten zu Zarrah. Die Dunkle wirkte, entgegen Razag’s Meinung nicht weicher oder gelöst. Sie wirkte gar etwas unsicher und schien sich nicht unbedingt wohlzufühlen. Doch sie bewahrte Haltung und nickte dem Kapitäns-Geschwisterpaar zu. Dann feixten Amos und Erin gleichermaßen in die große Runde und schienen sich zu freuen: „Rumdett!“, riefen sie aus und die Mannschaft jubelte allgemein auf. Das waren tolle Neuigkeiten! Wenn man Pirat war… „Hisst die Segel!“, rief Erin, während sich die Mannschaft an ihre Aufgaben machte. Es würde noch bis zum frühen Abend dauern, bis das Schiff auch wirklich ablegte, doch bis dahin hatten Syn und Razag jede Menge Zeit, sich mit dem Schiff und den Bewohnern vertraut zu machen. Oder aber sie suchten ihre Kajüten auf. Sie lagen unterhalb des großen Steuerrades auf der Heckseite des Schiffes und direkt gegenüber. Dazu führte noch eine Tür unter Deck. Allgemein durften sie sich frei bewegen und konnten erstmal diese neue Erfahrung auf sich wirken lassen.



Neue NPCs:
Mitsch: Erster Maat
So'Raj: Orkin an Bord
Flosse: Mitglied der Mannschaft, am Strand dabei gewesen
Sprotte: Rothaariger Junge
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Re: Ein Silberstreif am Horizont

Beitrag von Synnover » Montag 8. April 2024, 04:09

Synnover war guten Mutes. Er hatte eine Entscheidung für sich getroffen, die für sich sprach. Das weiße Kaninchen entwickelte sich und schien auch endlich in Freiheit etwas aufzutauen. Es wägte neue Möglichkeiten ab. Eine davon sah aus, dass er seinem neuen Freund Razag und dessen Verlobter Crystin jenen Namen nennen wollte, den er seit er sich zurückerinnern konnte, tief in seinem Herzen verborgen gehalten hatte. Zarrah kannte ihn, beherrschte ihn sogar in einer Sprache, die seinesgleichen in Hymlia nutzte, und nun wollte er diesen Namen - wenn auch auf Celcianisch zunächst - weitergeben. Er würde Razag und Crystin etwas schenken, das er überhaupt niemanden hatte wissen lassen wollen. Zarrah aber hatte dieses Wissen nicht missbraucht, sondern gefüttert und Syns Vertrauen zu ihr damit gestärkt. Da er am Tag zuvor noch bereits entschieden hatte, dem Ork ein Freund sein zu wollen, würde er nun den ersten Schritt in diese Freundschaft hinein gehen. So lautete jedenfalls sein Plan, aber die Gelegenheit, sich als Synnover vorzustellen, ergab sich zunächst nicht. Dafür offenbarte er ihnen beiden auf dem kleinen Beiboot anderes Wissen. Es rutschte einfach so aus ihm heraus, weil er es selbst immer noch nicht ganz glauben konnte. Er war aus dem Himmel gefallen, unbeschadtet gelandet ... ja, es klang verrückt. Niemand würde ihn jedoch für wahnsinnig halten, denn ... niemand hörte ihm zu. Razag hatte nur mitbekommen, dass er Hilfe beim Aufstieg auf das Schiff brauchte, würde seinen Kumpel jedoch garantierte nich bis über die Reling werfen. Allerdings fackelte er auch nicht lange, ihn sich einfach über die Schulter zu hieven. Er rief nach Hilfe, wartete bis eine fremdartige Stimme nach kurzem Rufen auf Kr'zner eine dickere Strickleiter fallen ließ und schon war Razag auf dem Weg an Deck.
Es trübte die Stimmung des Kaninchens, dass sein Kumpel und einziger Freund nicht auf etwas einging, das ihm selbst doch irgendwie wichtig war, aber er nahm es ihm auch nicht allzu übel. Er konnte sehen, wie aufgeregt Razag war, auf das Schiff zu gelangen und auch er selbst schaute mit Faszination nach oben. Jedenfalls so lange, bis sich ein roter Blitz in zweifachem Salto an der Bordwand herunter stürzte und wie ein Akrobat kerzengerade auf dem Beiboot zurück in eine menschliche Haltung streckte. Das Boot brachte er dabei zwar ein wenig zum Schwanken, aber seine Füße hielten zumindest ihn in Balance.
Was zuvor so rot aufgeblitzt war, entpuppte sich als der feurige Haarschopf eines Burschen, der nicht nur sich in fließender Bewegung hinunter gebracht hatte, sondern auch ein Seil für den Transport des weißen Kaninchens. Er schenkte ihm, als auch Crystin ein Lächeln, aber Syn hatte nur ein geschnauftes "Angeber" für ihn übrig. Da war er eben noch eigen und es passte ihm nicht, dass ein anderer mit seinem Talent so viel Aufmerksamkeit auf sich zog. Der Gladiator, der stets bejubelt wurde, meldete sich in seinem Inneren und wollte sich die Butter nicht vom Brot klauen lassen. Erst Recht nicht, weil er im Moment nicht einmal in der Lage war, aufzustehen. Oh, er spürte bereits eine tiefe Abneigung zu dem Rotschopf, auch wenn er dessen Charakter genauso wenig kannte wie seinen Namen.
"Darf ich bitten?"
Syn verzog den Mund, aber er erwiderte nichts. Dieser kleine Hänfling machte sich zu wichtig. Er musste gegenhalten, sonst würde Zarrah ihn für seine Faulheit noch schelten. So versuchte Syn, sich hochzustämmen. Er schaffte es aber nicht. Nicht nur, weil ihm die Beine nach wie vor nicht gehorchten, sondern weil er ob seiner Laune und Erwartungshaltung gegenüber der Dunkelelfe stutzte. Würde sie nicht, dachte er und hatte im nächsten Moment schon das Seil um der Hüfte. Der rote Charmebolzen wartete keine Erlaubnis ab, ebenso wenig jene an Bord, die Syn nun am Rumpf entlang nach oben zogen. Er hielt sich am Seil fest und fühlte sich nun doch etwas unwohl. Erst oben angekommen und nachdem man ihn über die Reling gezogen und auf der Innenseite an Deck abgesetzt hatte, atmete er durch. Sein Blick wanderte über die Mannschaft, hinüber zu Erin, Amos und Zarrah, dann suchend über die Länge des Schiffes, wo Razag steckte. Da erkannte er, dass jener bei einer Orkin stand, die überraschend gut aussah für ihresgleichen. Syn hatte dafür keinen Blick, er war ja selbst kein Ork und sein persönlicher Geschmack besaß ein anderes Bild von Schönheitsidealen ... silbrig weiße, lange Haare zum Beispiel, auch wenn er das wohl nur unterbewusst für sich entschieden hatte bisher.
Doch nicht einmal von Zarrah ließ er sich nun ablenken. Der Anblick seines ersten Schiffs war zu fantastisch und riss nicht nur seinen Kumpel in den Bann. Syn starrte an den vier gewaltigen Masten hinauf bis zu den Querbalken, an denen die Segel gut vertäut wie weiße Ärmel um das Holz lagen. Er betrachtete sich die netzartige Takelage und verdammte sich innerlich dafür, dass er dort nun kaum würde hochklettern können. Denn dieser Wunsch ergriff ihn sofort, als er weit, weit oben auf einem der Masten eine Art Korb entdeckte. Von dort aus hätte er einen noch besseren Blick auf die Weite des Himmels als damals in den Wäldern von den Wipfeln der Bäume. Sehnsucht packte ihn. Er wollte hinauf in diesen Korb und schauten, ob er von dort aus das Blau über sich berühren könnte. Schon streckte er die Hand ein wenig danach aus.
Was an Bord selbst geschah, nahm er nur bedingt wahr. Er hörte das eifrige Fußgetrappel und die Befehle der Mannschaft, die Fracht ähnlich wie Syn an Bord zu schaffen. Er half nicht mit. Das konnte er gar nicht. Razag schleppte vielleicht hier und da etwas, falls er nicht zu sehr ins Gespräch mit der Orkin vertieft war. Was Crystin und Zarrah derweil anstellten, sah das Kaninchen nicht. Sein Blick galt allem, was über seinem Kopf stattfand. Er fragte sich, wozu die hölzernen Seitenarme des Mastes den Stoff benötigten. Oh, wie würde er erst schauen, wenn die Silberpfeil Segel setzte! Aber noch war es nicht soweit, auch wenn alles für die Abreise endlich an Bord zu sein schien.
Amos stellte die neuen Mitreisenden vor. Syn unterbrach ihn nicht, um auf seinen neuen Namen hinzuweisen. Er wollte ihn Fremden gegenüber nicht nennen und hier gab es reichlich neue Gesichter. Also schwieg er, aber der Blonde hatte nun trotzdem seine Aufmerksamkeit. Noch immer hockte das Kaninchen am Boden, die Reling im Rücken. Er hatte sich keinen Schritt weit gerührt, sondern nur nach oben gestarrt und eher unterbewusst mal seine Waden massiert. Jetzt aber musterte er die neuen Gesichter, damit er ihnen die genannten Namen zuweisen konnte.
Der kleine, rothaarige Angeber hieß also einfach nur Sprotte. Das passte, wenn man wusste, was eine Sprotte war. Syn wusste es nicht, aber so würden dem Burschen einige neckische Kommentare seitens des Kaninchens erspart bleiben. Dass Sprotte gar nicht darauf beharrte, den Macker zu spielen, stellte Syn bisweilen noch nicht fest. Die Reise gäbe ihnen möglicherweise Gelegenheit, sich auf einem anderen Fuß zu erwischen. Vielleicht ergab sich aber auch nichts, denn das musste es nicht. Es existierten noch genug Mannschaftsmitglieder, an die man sich wenden konnte. Flosse kannte Syn ja bereits. Hinzu kamen nun noch Mitsch, der Erste Maat ... Was immer das ist. Maat ... Maat ... nein, damit kann ich nichts anfangen. ... sowie So'Raj, die Orkin.
Sogleich zeigte Mitsch, worum er sich an Bord alles kümmerte - nämlich auch um die Unterbringung der Gäste. Er teilte eine Kabine für Zarrah und Crystin zu, eine zweite gehörte Razag und Synnover. Anschließend scherzte er gleich mit seinen Leuten, woraufhin Erin sich sofort am Spaß beteiligte.
"Gut, noch Fragen? Ja ... Sprotte?"
"Ääähhhm ... darf ich jetzt fragen, wohin wir nun segeln?"

Mitsch antwortete nicht sofort. Stattdessen schien die allgemeine Aufmerksamkeit sich auf Zarrah zu richten. Auch Syn betrachtete sie und bildete sich ein, ihre Unruhre zu spüren. Etwas behagte ihr nicht, aber sie nickte dem blonden Zwillingspaar zu und beide verkündeten choral: "Rumdett!" Die Mannschaft jubelte. Syn nahm es hin. Ein weiterer Ort, der nicht Morgeria war und den er nicht kannte. Machte Zarrah vielleicht deshalb einen etwas angespannten Eindruck? Syn entdeckte nicht einen Dunkelelfen an Bord und So'Raj schien nicht viel zu sagen zu haben. Sie hatte keine Befehle gebrüllt. Wo waren Vertreter der Herrschaften, die diese Schiffsmannschaft von Sklavenbande befehlligte?
"Sie ... sind alle frei...?", stellte Syn leise und eher für sich fest. Schon im 'Gejagten Eber' hatte es niemanden gegeben und alle Nichtdunkelelfen dort waren so ... heiter gewesen. Sogar er hatte sich zum Tanzen hinreißen lassen und über Razags Witze gelacht! Auch hier herrschte eine lockere Stimmung. Niemand duckte sich über ein vorlautes Wort. Sie scherzten miteinander. Niemand schien sich zu verstellen und alle wirkten ... glücklich. Aber Syn hatte nicht allzu viel Zeit, darüber nachzudenken. Er bekäme vielleicht noch Gelegenheit, es anzusprechen. Jetzt jedoch erwartete man wohl von ihm, dass er die ihm zugeteilte Kabine bezog. Für einen Moment noch schaute er dem Treiben an Bord zu. Sein Blick streifte erneut Razag, dann Zarrah, schließlich Crystin. Ob sie ihr Licht nochmal einsetzen könnte? Mit einer anderen Form von Sehnsucht erinnerte Synnover sich an die Wärme des magischen Lichts, das ihn durchströmt und seinen Arm geheilt hatte. Das Zauberlicht, das Zarrahs Überleben gesichert hatte. So entschied er sich dagegen, es für sich zu fordern. Ha! Soweit war er ohnehin noch nicht, auch wenn Zarrah ihm gesagt hatte, er solle es tun - mehr vom Leben fordern. Aber wenn Crystin sich nun an ihm verausgabte, fehlte ihre Kraft möglicherweise für Zarrah oder andere, denen er dieses Recht mehr zusprach. Oh, er musste noch einiges lernen. Die Reise und die Mannschaft der Silberpfeil würden ihm da vielleicht helfen. Bis dahin musste Syn sich selbst helfen. In Morgeria hatte niemand ihm eine Hand gereicht. Man erwartete, dass er seine Aufgaben erfüllte und das, ohne zu klagen. Wenn nicht, setzte es Strafen. Er hatte schnell gelernt, lieber zu funktionieren und dabei still zu sein, denn so konnte er sich Privilegien sichern.
Syn griff am Holz empor. Seine Finger umklammerten die Reling. Er biss die Zähne zusammen und zog sich mit aller Kraft empor. Kaum, dass Gewicht auf seine Beine kam, brannten die Muskeln unter Protest. Die Ruhephase hatte nicht gereicht. Sie wollten noch einige Stunden in ihrer Trägheit verweilen. Wärme hätte sie entspannt, aber die war hier nicht zu bekommen. Syn ächzte. Es war der einzige Ton, den er von sich gab, während er sich mit beiden Händen am Holz des Geländers festklammerte. Mitsch hatte ihnen mitgeteilt, dass die Kabinen im erhöhten Heck zu finden wären. Syn wusste nicht, was ein Heck war, aber der Maat hatte glücklicherweise auch in die richtige Richtung gezeigt. Langsam setzte er sich dorthin in Bewegung. Es war mehr ein Humpeln und Schlurfen, außerdem hielt er sich fest, wo er konnte. Das letzte Stück von der Reling bis zur Tür lag nun noch vor ihm. Er hielt sich an der Wand des Heckbereichs fest. Schweiß perlte bereits auf Synnovers Stirn. Den Blick hielt er auf sein Ziel gerichtet. Nicht mehr weit... Er musste nur durchhalten. Zähne zusammenbeißen, durchhalten, wie er es immer getan hatte, erst zehn Jahre in Dreck und Unrat bei Orks, dann sechs Jahre unter Yolinthas hämischem Lachen und Karrishs Schweigen. Er hatte Schlmmeres erlebt als das hier. Vor allem aber hatte er dabei nie den Himmel sehen können ... und irgendwo dort lag seine Heimat?
Er blieb stehen, schaute nach oben. Seine warmgrünen Augen erfassten den Korb an der Spitze des Mastes. "Ich will da hoch", teilte er sich selbst mit. Er würde es tun, sobald seine Beine wieder dazu in der Lage wären. Er musste die Welt unbedingt von dort sehen. Er musste! Und plötzlich breitete sich cremeweiße Freiheit über seinem Sichtfeld aus, ließ sich vom Wind aufblähen, streckte sich, um das Schiff in Bewegung zu setzen. Syn prallte gegen die Wand des Hecks. Erschreckt und fasziniert zugleich starrte er die Segel an, welche sich wie geblähte Schleier von den Masten herabgeschwungen hatten, um den Wind einzufangen. Er hörte ihn, wie er sich gegen den Stoff drückte und das Schiff auf diese Weise anschob. Er hörte das Flattern, das hölzerne Knarren, das Rauschen der Wellen. Er hörte und fühlte seinen eigenen Herzschlag, der sich der ungezügelten Wildheit dieser Freiheit anschließen wollte. Und er lächelte.
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Re: Ein Silberstreif am Horizont

Beitrag von Erzähler » Donnerstag 11. April 2024, 11:48

Nicht immer verlief alles nach dem Plan, den man sich im Innern aufstellte. Manchmal geschahen so unvorhersehbare Dinge, dass man binnen Sekunden neue Wege und Möglichkeiten erörtern musste. Synnover hatte sich ein Herz gefasst seinen neuen Freunden zu erzählen, woher er laut Zarrah stammte. Dass jene, doch auch wichtigen Worte, allerdings im Angesicht des gewaltigen Schiffes untergingen, war gewiss keiner böser Absicht geschuldet. Pure Faszination traf den Grünling, der sich trotzdem bemühte, seinem Kumpel ein guter Freund zu sein, ohne ihm dabei gleich sämtliche Knochen zu brechen. Razag ging umsichtig mit seinem Kumpel um, auch wenn es manchmal grob wirkte. Nun aber, als alle auf die eine oder andere Art sicher an Bord der ‚Silberpfeil‘ gelangt waren, blieb Zeit für Staunen. Nicht nur Razag durfte sich einen Überblick verschaffen, auch Synnover gewann Zeit nach einem Moment des Verschnaufens, sich in Ruhe alles anzusehen. Dabei musste er jedoch an Ort und Stelle bleiben und seinen Muskeln diese Auszeit genehmigen. Razag aber geriet angeregt in ein Gespräch mit der Orkin So’Raj.
Sie sah dem Kämpfer gar etwas ähnlich und es tat Razag gut, sich mal in seiner Muttersprache zu unterhalten. Dabei war er jedoch umsichtig genug, auch Crystin einzubeziehen, die sich ebenfalls an seine Seite gesellt hatte. Er würde die Heilerin nicht mehr hergeben, denn sie hatte einen festen Platz in seinem Herzen.

Nachdem sich die Crew ein wenig vorgestellt hatte und Syn beschloss, dass er den rothaarigen Akrobaten nicht leiden konnte, da verkündete das Geschwisterpaar, wohin ihre Reise sie führen würde. Rumdett, Stadt der Piraten und Synnover ebenso unbekannt, wie alle anderen Orte außer Morgeria. Zarrah indes wirkte nicht ganz so zufrieden auf dem Schiff und wurde ein wenig ruhiger als sie ohnehin schon war. Gerade nach ihrer gemeinsamen Zeit mit Syn hatten sich die Züge der Elfe ein wenig geglättet. Jetzt aber wirkte sie angestrengt und unwohl. Syn aber richtete seinen Blick von den Gesichtern seiner Reisegefährten wieder gen Himmel. Von dort oben sollte er stammen und es klang viel zu fantastisch, als dass es doch wahr sein könnte – oder? Beim Blick hinauf entdeckte der Mensch das Krähennest des Schiffes. Höchster Punkt des Hauptmastes, konnte Syn gar jemanden erkennen, der dort oben stand und Ausschau zu halten schien. Der Wunsch, dass er eben dort stehen und sehen könnte, wuchs in ihm, doch noch waren seine Muskeln viel zu beansprucht, um diesen Traum wahrwerden zu lassen. Er hievte sich unter größter Anstrengung auf die Füße und klammerte sich am dunklen Holz der Reling fest. Der Wind frischte etwas auf, als alle Seemänner und Frauen sich ans Werk machten, das Schiff in Bewegung zu setzen. Tatsächlich entstand eine chaotische Ordnung, die man als Außenstehender wohl nicht gut lesen konnte, aber jeder hatte seine Aufgaben und seinen Platz. So erschrak Syn, als sich plötzlich die Segel lösten, herabfielen und sofort im Wind bauchige Falten schlugen. Der Mensch konnte erkennen, dass es eben jene Kraft war, die das ganze Holz samt Metallbeschlägen, Meschen, Orks und Beibooten in Bewegung zu setzen wusste. Es war seine eigene Kraft, die auch ihn belebte, wenn er sie willentlich unterwarf. Syn lauschte dem Pfeifen und Sausen des Windes und spürte ein erneutes Gefühl von Freiheit. Das war… wunderschön! Sein Lächeln stand ihm gut zu Gesicht und so blieb er eine kleine Weile fasziniert an Ort und Stelle. Das gab jemandem Gelegenheit, sich seiner zu nähern. „Syn?“, hörte er vielleicht nicht sofort, doch dann tauchte das braungelockte Gesicht von Crystin vor seiner Nase auf. Sie lächelte ihn an. „Komm, ich will dir helfen!“, entschied sie und griff nach seinem Arm, damit sie ihn stützen konnte. Crystin führte ihn langsam und stützend in die Kajüte, die man ihr und Zarrah zugewiesen hatte. Tatsächlich aber hatte Razag bereits ein Veto eingelegt und darum gebeten, dass er mit Crys in einer Unterkunft nächtigen durfte. Es war gar kein Wunder, denn der Ork war über beide Ohren und jeden Winkel seines Herzens verliebt und wollte nun jede mögliche Sekunde auskosten. Crystin aber war aufgefallen, dass Syn sich mit dem Gehen schwertat und so führte sie ihn zu einem der Pritschen und ließ ihn dort los. Sie sah au ihn herab.

„So kann das nicht bleiben, sonst gehst du noch über Bord, sobald es etwas mehr schaukelt!“, gluckste sie gutmütig und ging vor dem Menschen in die Knie. Sie legte ihm ihre Hände auf die Oberschenkel und schloss ihre Augen. Nur kurze Zeit später breitete sich das bereits liebgewonnene Licht unter ihren Händen aus und eine einlullende Wärme tastete seine Muskeln entlang. Crystin atmete ruhig und konzentrierte sich. Ihre Magie suchte nach den Problemen im Innern und wärmte das, was zerschunden war. Dann spürte Syn, wie sich seine Muskeln schneller regenerierten und sich eine wohltuende Entspannung etablierte. Nur kurz darauf, beendete Crys ihre Behandlung und sah lächelnd zu Syn hinauf. „Muskelkater ist keine Verletzung im eigentlichen Sinne. Ich habe lediglich die Regeneration angeregt, aber es wird dennoch noch bis morgen dauern, bis du dich wieder vernünftig bewegen kannst. Gönne dir jetzt etwas Schlaf, Syn. Morgen dann bist du wieder ganz der alte!“, versprach sie und lächelte erneut. Dann, bevor sie sich auf den Weg hinaus machte, hielt sie noch mal inne. „Es ist eine wirklich schöne Vorstellung, dass du dein Zuhause finden kannst. Dass du aus den Wolken gefallen bist…“, sie strahlte ihn an. Dann lachte sie herzlich. „Weißt du, … ich kann mir das verdammt gut vorstellen! Du bist besonders, weißt du? Und … Zarrah wusste das von Anfang an!“, lächelte sie ihm zu und nickte daraufhin. „Schlaf gut, Syn!“, wünschte sie ihm und verließ die Kajüte der Geschwister. Tatsächlich hatte Syn hier ausreichend Platz und es gab ein Stockbett. Über seinem Kopf war das zweite fest verbaut und ansonsten gab es hier noch einen festgenagelten Schreibtisch, einen hölzernen Schrank mit Gebrauchsspuren an den Türen, einen runden Tisch mit zwei Stühlen neben dem Eingang und eine Fensterfront mit eckigen, dicken Gläsern, die das Licht hereinließen. Syn konnte dort das Meer sehen und die aufgeschäumte Fahrrinne des Silberpfeils. Die Betten waren bequemer als der Boden aber nicht so luxuriös, wie in Morgeria. Dennoch war es angenehm, lud zum Verweilen ein und auch er merkte, wie die Heilung seiner Muskeln dem Körper einiges abverlangte. Er wurde müde, schläfrig und würde sich nicht sehr viel mehr bewegen können als noch hinzulegen. Crystin’s Magie arbeitete in ihm und schickte seinen Geist und Körper in einen heilsamen Schlaf. Irgendwann dämmerte er vielleicht noch mal hoch, nahm am Rande eine Bewegung wahr. Er würde vielleicht spüren, wie sich von außen eine Wärme neben ihm ausbreitete und sich feines, weiches Silberhaar auf seiner Schulter verteilte. Ein weicher Druck an seiner Seite und ein ruhiger Atem an seinem Ohr, dann aber floss sein Geist wieder in den Schlaf hinein und ruhte.

Am nächsten Tag war Syn tatsächlich ausgeschlafen, fühlte sich mehr als fit und konnte auch spüren, dass er seine Beine wieder benutzen konnte. Neben ihm lag noch jemand und sobald er sich orientierte, konnte er die Dunkelelfe neben sich auf der Seite liegen sehen. Sie hatte sich zur hölzernen Schiffswand gedreht und schlief noch. Ihr Atem floss ruhig dahin, ließ ihren Körper sich sanft wiegen. Man hatte die Zimmereinteilung geändert und so konnten nun Zarrah und Synnover gemeinsam in einem Zimmer liegen, während sich Razag mit Crystin im anderen ausbreiteten. Es schien noch früh am Tag zu sein, denn Syn konnte durch die Fensterfront des Hecks erkennen, dass der Himmel noch in einem Graublau auf ihn wartete. Das Meer wirkte beinahe schwarz, doch am Horizont zeichnete sich bereits eine helle Linie ab, die den Tag ankündigte. Sobald er sich dazu bereit fühlte, konnte er das Schiff auf eigene Faust erkunden. Zarrah schlief noch und würde nicht durch sein Aufwachen oder Weggehen erwachen. Jetzt aber konnte Synnover feststellen, dass das Krähennest nicht besetzt war. Ihm fielen die einfachen Sprossen links und rechts des Mastes auf, die sich ins Holz bohrten und somit Hand und Fuß einen sicheren Halt beim Klettern bescherten. Seine Muskeln waren noch etwas träge, aber nichts schmerzte mehr. Er konnte sich bewegen, wie er es kannte und somit fand er auch seinen Platz im Ausguck. Hier oben wehte der Wind stärker und zerzauste Kleidung und Haar. Es war ein frischer Wind, leicht beißend vor Kälte und doch kräftig und belebend. Er verfing sich weiterhin in den Segeln unter Syn’s Füßen und blähte das beige Tuch. Hier oben war er dem Himmel so viel näher. Unter ihm waren die bereits aufgestandenen Mitglieder von Erin und Amos und wuselten dem Tag entgegen. Ruhe herrschte noch. Friedlichkeit und… Freiheit. Wie lange Syn da oben auch stand, er wurde nur eine halbe Stunde später Zeuge eines wahren Naturschauspiels: Der helle Streifen am Horizont wurde mehr und mehr sichtbar. Dann tauchte plötzlich ein enormer Feuerball am Horizont auf, tauchte alles in das gleißende Licht der wärmenden Sonne und schob sich über den Rand der Welt.
Lysanthor entfaltete seine Schönheit, während er Manthala ablöste. Möwen kreischten um das Schiff herum, schienen Synnover zu rufen und im Wind zu spielen. Sie segelten auf Böen, ließen sich treiben und sangen ein freudiges Lied des Lebens. Das Meer, so weit Syn auch schauen konnte, glitzerte in den Strahlen der Sonne und wirkte ruhig, friedlich und einladend. Das alles belebte die Sinne und wusste mit einer ganz eigenen Faszination aufzuwarten. Der Himmel über seinem Kopf verbarg die glitzernden Sterne und an ihre Stelle traten weiße Schleierwolken, die Fantasiegebilde trugen. Es war eine unvergleichliche Schönheit an Weite, Freiheit und Sehnsucht. Dort oben, dort lag seine Heimat. Irgendwo… irgendwo in dieser immensen Vielfalt an Blautönen.
Das Leben erwachte an Deck und hier und dort flogen Rufe durch den Wind getragen zu ihm hinauf. Irgendwann konnte Syn auch Razag, Crystin und Zarrah ausmachen. Letztere hatte den Blick schweifenlassen und hatte daraufhin den Kopf in den Nacken gelegt. Sie hatte Syn im Krähennest entdeckt und zufrieden ausgesehen. Dann war sie mit Erin und Amos in ein Gespräch vertieft. Razag hatte seine helle Freude daran, sich am Schiffleben zu beteiligen. Er war wissbegierig, wollte lernen und fand in So’Raj jemanden, der ihm das Leben an Bord eines Schiffes näherbringen konnte. So half er beim Segelrichten, beim Einholen der Tücher oder beim Schrubben des Decks. Razag war die ganze Zeit über in heller Begeisterung und so ausgelassen, wie nicht zuvor. Auch schien er für diesen Moment seinen dunklen Schatten vergessen zu können. Flussnadel ruhte in der Kajüte und wurde im Moment nicht gebraucht. Dafür sprach er Ork immer mal wieder über die Reling gebeugt, mit einer scheinbaren Fantasiegestalt, die nur er sehen konnte. Nalia begleitete Razag im Wasser und mühelos konnte sie als Aquadin mithalten. Crystin war häufiger bei Zarrah zu sehen.
Die Elfe wirkte etwas blasser im Gesicht und nicht ganz so zufrieden, wie es Razag oder Syn waren. Allerdings war es Crystin, die eines Abends beim Essen erklärte, dass es der Elfe gut ging, sie allerdings die Seereise nicht so gut vertrug, wie zu Pferd oder zu Fuß. Zarrah hatte eine leichte Form der Seekrankheit und musste sich ein wenig schonen. Allerdings konnte sie jetzt auch durchaus das Ruder den Geschwistern überlassen. Erin und Amos waren wirklich zwei Lebemänner und Frauen. Die Geschwister hatten hier mit ihrer Mannschaft ein heimeligen Umgang geschaffen. Syn durfte beobachten, dass hier jeder seine Meinung vertreten und mitteilen durfte. Zwar behielten die Geschwister das Kommando, aber sie berieten sich auch, ließen sich von ihrem Navigator den Kurs diktieren und sprachen mit dem Ersten Maat darüber, was die beste Strategie sein. Es war, wie eine große Familie. Sprotte war und blieb ein Angeber. Er musste ständig zeigen, was er konnte und geizte nicht mit Effekthascherei. Tatsächlich versuchte er Synnover zu imponieren, vielleicht, weil sie sich ähnlich waren. Auch Syn war ein Künstler und Akrobat, wenn er denn wollte. Aber viel mehr interessierte sich Sprotte für Crystin. Zumindest augenscheinlich. So’Raj und Razag verstanden einander ebenfalls gut und konnten sich über die alte Heimat austauschen. Es stellte sich im abendlichen Gespräch, während alle gemeinsam aßen, heraus, dass So’Raj ebenfalls vom Bärenclan stammte. Die Orkin hatte irgendwann ihr Glück anderswo versucht und war daraufhin an Erin und Amos geraten. Nun segelte sie bereits seit fünf Jahren unter ihrer Flagge und wusste zahlreiche Geschichten von Schatzsuchen und Seeschlachten zu berichten. Sie beherrschte tatsächlich ein winziges Maß an Wassermagie, doch hatte sie diese nicht näher ausgebaut.

So verliefen die meisten Tage und Nächte an Bord der ‚Silberpfeil‘. Synnover durfte den lieben langen Tag im Ausguck verbringen, während Razag an Deck das Matrosenleben kennenlernte. Zarrah versuchte sich nichts anmerken zu lassen und erhielt von Crystin hier und dort Hilfe. Jeder durfte sich frei bewegen, wohin er wollte. Und wer helfen wollte, fand immer eine Sparte, wo er es auch konnte. Auch Syn, sofern er sich für etwas begeistern wollte. Abends wurde gemeinsam gegessen und Syn hatte bereits den Smudje, den Koch des Schiffes, kennengelernt. Ein kerniger Kerl mit Zahnlücke und Glatze, laut und etwas beleibter. Er trug meist eine fettige Schürze, kochte aber mit dem Wenigen, das er zur Verfügung hatte, ganz vortrefflich. ‚Karl der Koch‘ wurde er liebevoll genannt, obwohl er eigentlich Eramus hieß. Warum, das wusste keiner mehr zu erzählen. Es gab auch mal Rum und laute Musik. Flosse, der bereits am Strand aufgespielt hatte, wusste auch hier immer wieder zu unterhalten. Bei einer dieser gemütlichen Zusammenkünfte, hatte sich Razag neben den Menschen gesetzt und ihm eine schwere Pranke auf die Schulter gelegt. „Ist das nicht atemberaubend, Kumpel?“, hatte er ihn gefragt und dabei so zufrieden ausgesehen. Seine Augen leuchteten regelrecht. Und er hatte Syn an sich gezogen, ihn in den Arm genommen und gelacht. „Auch wenn du im Himmel zuhause bist, ist das hier doch die schönste Art zu reisen!“, hatte er ausgelassen gejubelt und seinen Becher gehoben, während ihm die Mannschaft zustimmte. „Ich wünsche dir, dass du dein Zuhause findest, Syn!“, hatte Razag ihm dann lächelnd anvertraut. „Es ist immer wichtig, seine Wurzeln zu kennen!“, wusste er selbst am besten. Ansonsten dümpelte die Schiffsfahrt vor sich hin und in der Nacht kam Zarrah zu Synnover und sie teilten sich ein gemeinsames Bett. Sie hielt Wort und er durfte spüren, was es für ihn bedeutete, dass er nicht mehr allein einschlief.
Dabei blieb die Elfe auch ihrem Versprechen treu, dass sie ihn nicht bedrängte. Nicht einmal versuchte Zarrah sich ihm zu nähern. Sie war da, sie bot die körperliche Wärme an und ansonsten nichts. So fuhren sie über vier Tage lang und ab und zu hörte Syn Erin oder Mitsch darüber reden, dass der Sturm ihnen auf den Fersen war. Und als Syn erneut ins Krähennest kletterte, da konnte er dieses Mal keinen wundervollen Sonnenaufgang erleben. Dicke, schwarze Regenwolken verhingen an diesem Tag das Himmelszelt und peitschte gleichwohl die graugewordene See auf. Das Schiff schaukelte etwas mehr als sonst und der Wind pfiff scharf um sie herum. Regentropfen begannen sich auf das Gesicht des Menschen zu setzen und es dauerte nicht lange, da prasselte ein ordentlicher Schauer über sie hinweg. Hatte Syn noch die Tage zuvor unter blauem Himmel, Sonne und einer angenehmen Brise die Gelegenheit gehabt, sich ein wenig mit den Fächern zu beschäftigen – ausreichend Platz gab es – so bedeckte nun ziemlich schnell der Regen das Deck und machte es rutschiger, sodass es im Ausguck nicht mehr sicher war.

Razag musste im stärker werdenden Wind helfen, einige Segel einzuholen. Seine Kraft war immens hilfreich bei dieser Arbeit. Aber auch Syn könnte sich inzwischen nützlich machen, sofern er Interesse daran gehabt hatte und ebenso auf die Querbalken klettern, um hier und dort einige der kleineren Segel einzuholen. Bei Sturm musste man gut aufpassen, denn ansonsten verlor man die Kontrolle über das Schiff. Die ‚Silberpfeil‘ senkte und neigte sich immer wieder heftiger in die aufstobenden Wellen hinein. Es schaukelte ordentlich. Auch spritzte nun vermehrt die Gischt über die Reling und besudelte zusätzlich Crew und Deck. Crystin klammerte sich an der Reling fest, während Zarrah nicht gut aussah. Die Elfe konnte das Schaukeln am wenigsten vertragen und hatte mit Schwindel und Übelkeit zu kämpfen. Nur eine gute Stunde später aber, hatte sich der Sturm manifestiert. Das Schiff schaukelte von einer Seite zur nächsten und von oben nach unten. Es gehörte schon viel dazu, sich festzuhalten, denn auch der Wind zerrte unerbittlich an einem. Alles war nass und kalt und sowohl Meer als auch Himmel zeigten sich von ihrer eher unschönen Seite. „Das Segel klemmt!“, hörte man plötzlich Mitsch durch den Sturm rufen und deutete auf ein herrenlos flatterndes Ende. „Syn!“, rief Razag nach dem Menschen und lehnte sich gegen den Wind, um zu ihm zu gelangen. „Syn komm her, ich werfe dich hinauf und du fängst das Segel ein!“, rief der Ork und grinste noch im Angesichts des Sturmes. Er hatte ihn nicht vergessen. Seinen Wunsch nicht vergessen. Dann griff er nach dem Körper des Menschen und wartete eine Böe ab. Razag holte Schwung und schließen entließ er Synnover mit dem Aufschwung des Sturmes in luftige Höhen. Er warf ihn und Syn? Syn spürte den Luftzug unter sich. Er spürte sein Element und wie er getragen wurde von den Strömungen der Luft. Er sauste zielgerichtet auf den Querbalken zu, auf dem er landen und das Segel festmachen konnte. Doch bevor es dazu kam, bevor er sich eventuell gar am Holz des Balkens stoßen konnte, hörte der Wind schlagartig auf. Doch anstatt, dass Syn fiel, blieb er an Ort und Stelle und spürte, wie er einfach in der Luft stand.
Mit einem Mal tat sich im finsteren Dunkel der Gewitterwolken ein Riss auf und Licht fiel auf das Schiff. Es war ein magisches Schauspiel. Das Licht fiel direkt auf Synnover und wie eine Lichtgestalt hing er oberhalb des Schiffes in der Luft, durch die er von Razag geworfen worden war. Mit einem Mal umspielte der Wind ihn, wie der kleine Welpe sein Herrchen. Syn spürte, wie friedlich der Wind ihn willkommen hieß. Und wie er höhergetragen wurde. Höher und immer höher, an den Quermasten vorbei und in Richtung Krähennest. Unten an Bord reckten sämtliche Mitglieder die Hälse. Sie starrten Syn an, betrachteten staunend das Schauspiel. Die Zeit schien für einen Moment stehenzubleiben. Die hohen Wellen erstarrten, der Sturm erstarrte. Einzig Syn spürte den Wind wie einen alten Freund. Und dann schossen mit einem Mal unzählige, weiße Vögel aus dem Wolkenriss hervor. Sie umschwirrten Synnover, ohne ihn zu verletzen. Und sie reihten sich aneinander und bildeten eine Leiter aus ihren Schwingen, auf die Syn seine Füße setzen konnte. Er fühlte sich federleicht, vom Wind getragen und die weißen Federn waren weich und hielten ihn mühelos. Die Vögel aber zeichneten einen Weg hinauf in den Riss in den Wolken. Dort, wo Sonne und Wärme wartete. Wo der Himmel blau und weiß funkelte. Wo kein Sturm ihm etwas anhaben konnte, so spürte er. Und er spürte gleichwohl ein seltsames, tiefverbundenen Gefühl in sich. Es war gut so. Es war… „NEIN!“, durschnitt eine Stimme das friedliche Gesamtbild. Sofern Syn seine Augen lösen, konnte von dem Naturschauspiel, würde er silberweiße Haare erkennen können. Sie wehten im abgeschwächten Wind, waren aber nass und auch die Kleidung klebte an ihrem Körper. Zarrah stand im Krähennest, reckte den Blick zu ihm hinauf und starrte ihn entsetzt an. „Geh nicht…“, formten ihre Lippen bittend. „Nicht allein!“, baten ihre Augen und ihre Brauen schoben sich zusammen. „Synnover!“ Dann streckte Zarrah eine Hand nach ihm aus. Es war seine Entscheidung. Nahm er die Elfe mit? Oder würde er allein gehen? Und an Deck konnte er Razag erkennen, der Crystin im Arm hielt. Sie lächelten und hatten beide Tränen in den Augen. Sein grüner Kumpel nickte ihm zu. „Flieg nach Hause, Rammellappen!“, rief er ihm ehrlich lachend und ergriffen zu. Razag freute sich für seinen Kumpel. Und sie würden einander gewiss wiedersehen – wann auch immer.
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Re: Ein Silberstreif am Horizont

Beitrag von Synnover » Mittwoch 17. April 2024, 15:49

So wie Razag ohne jegliche böse Absichten zuvor seinen Kumpel stehen - respektive sitzen - gelassen hatte, um sich das Schiff anzuschauen vergaß nun auch Synnover alles um sich herum. Ihm fielen Zarrahs härtere Züge zwar auf, aber er ging nicht darauf ein. Er ging nicht zu ihr herüber. Erstens war der Weg Richtung Kajüten ohnehin schon beschwerlich genug und Zarrah für ihn nun viel zu weit weg. Zweitens fiel nun auch das Kaninchen in den Bann der Silberpfeil, als die Mannschaft damit begann, ihren Aufgaben nachzugehen. Spätestens als die Segel gesetzt wurden, war es um das Kaninchen geschehen. Mit großen Augen und den Mund vor Staunen leicht geöffnet starrte er auf die endlos erscheinenden Stoffbahnen der Segel, welche sich unter aufkommenden Wind spannten. Wie war es möglich, allein mit ihnen ein Schiff dieser Größe anzutreiben? Synnover wusste die Antwort nicht, spürte aber sehr gut, dass sich ihr Wassergefährt in Bewegung setzte. Ein Ruck ging durch Schiff und Besatzung, anschließend pflügte sich der Kiel der Silberpfeil durch die Wellen.
Der aufgefrischte Wind blähte nicht nur die Segel, sondern streichelte auch Synnovers Gesicht. Er streichelte seine Wangen, kitzelte seine Stirn und hinterließ eine salzige Kühle, die nach Aufbruch schrie. Dann küsste er Syns Lippen, um ein Lächeln darauf zu hinterlassen. Er bemerkte es nicht einmal, sondern atmete tief durch und beobachtete das Schauspiel, das ihm der Wind mit seiner geballten Kraft zu bieten hatte. Es fühlte sich an, als sähe er dem großen Bruder zu, der - im Gegensatz zu Sprotte - sehr wohl zu imponieren wusste. Synnover fühlte sich ihm nah, auf eine Weise verbunden wie er es zu keinem Menschen, Ork oder Dunkelelfen je geschafft hatte. In Morgeria wehte kein solcher Wind, der ihm das inzwischen doch etwas länger gewachsene Haar zerzauste. Sein Blick wanderte nach oben, wo er das Krähennest einfing und auch eine Person darin. man konnte also wirklich bis zur Spitze des Mastes klettern, um die Aussicht zu genießen. Oder den Himmel zu berühren. Syn versank in Tagträumereien, wie er an der Takelage Masche um Masche nahm, um endlich in den Korb unterhalb der Mastspitze anzugelangen. Er stellte sich vor, er wäre die Gestalt, die dort über den Rand hinweg spähte. Sein Lächeln wurde breiter. Bilder formten sich vor seinem geistigen Auge. Er träumte davon, den Wind zu umarmen und anschließend den Himmel zu berühren, ihn zu streicheln wie er es bei so vielen Frauenkörpern all die Jahre hatte tun müssen. Er versuchte, sich Hymlia vorzustellen, aber es wollte nicht gelingen. Sein Horizont war eben nicht so weit wie jener, auf den sie nun zusteuerten. Morgeria hatte ihn nie wachsen lassen und wenn, dann nur ein bisschen durch Abbildungen und Beschreibungen in Büchern. Aber nichts kam auch nur ansatzweise so nahe wie das hier.
"Syn?"
Aus mit der Träumerei. Die Bilder schwanden und mit ihnen sein Lächeln. Er hatte sich einen Moment nur hingegeben, alles fallen gelassen - vielleicht so, wie Zarrah es sich für ihn wünschte. Einen kleinen Moment nur, aber selbst den durfte er sich nicht erlauben. Mit gestraffter Haltung und distanziertem Blick schaute er sich wieder um, legte die Maske eines Aufmerksamen auf, damit er so vielleicht abfälligen Worten entging. Aber es war nur Crystin, die ihn ansprach. Seine gesamte Haltung lockerte sich etwas. Vor ihr konnte er fast er selbst sein. Zumindest durfte er die Masken ablegen, denn er war wie sie ... frei.
"Komm, ich will dir helfen!", griff sie nach ihm und führte ihn gemächlich hinein in seine Kabine. Der Weg war nicht mehr weit, aber jeder Schritt erinnerte Syn daran, dass er mit seinem kopflosen Sprint einen Fehler begangen hatte. Jeder Schmerzimpuls, der durch seine Beine jagte, versicherte ihm, dass er so niemals bis hinauf ins Krähennest würde klettern können. Seufzend ließ er sich nieder, wo Crystin ihn absetzte, nur um sich dann vor ihn zu knien und ihre Hände auf seine Schenkel zu legen. Er ließ es geschehen, musterte sie.
"Na, dich hat er auch vergessen, hm?", meinte Syn ohne es Razag übel zu nehmen. Denn jetzt konnte er es nachempfinden und verstand, was den Ork so in Fahrt brachte. Das Meer, ein Schiff, der Wind ... Freiheit war etwas Wunderbares! Schon wollte er Crystin ein paar aufmunternde Worte sagen, denn er glaubte, sie erwartete Trost, da schlich sich eine vertraute Wärme unter seine Haut. Sie ließ ihn verstummen, ehe er die Stimme erheben konnte. Sie lullte ihn ein, als sie sich über seinen Körper hinweg ausbreitete, als würde er von sanftem Sonnenlicht beschienen. Es drang ihm tief in die Glieder, massierte den Schmerz aus seinen Muskeln und regte sie dazu an, sich endlich zu entspannen.
Syn lehnte den Kopf zurück, schloss die Augen und stöhnte auf, dass es beinahe brünftig klang. Er griff nach Crystins Haar, schob seine Hand in die gelockte Wolle hinein und legte seine andere auf eine der ihren. Bloß nicht aufhören! Er wollte es ihr sagen, sie anflehen, ihm diese Wohltat noch ein wenig länger zukommen zu lassen, aber er brachte kein Wort heraus. Stattdessen glitten Tränen aus seinen Augenwinkeln. Es war jeweils nur eine auf jeder Seite, aber sie präsentierten sich dick, rund und deutlich sichtbar, als sie Spuren auf seinem Gesicht hinterließen, um bis zum Hals zu wandern. Noch immer trug Synnover nichts weiter als seine Unterwäsche am Leib, aber bislang hatte es ihn nicht gestört. Jetzt aber fühlte er sich plötzlich ... nackt, so als würde Crystin all die Narben seiner Seele offenlegen, um sie mit ihrem Licht heilen zu können. Und er wollte mehr davon. Er sehnte sich nach dieser Wärme, die ihn ählich umfangen konnte wie der Wind. Beinahe wäre Syn unter Crystins Zuwendung eingeschlafen und auch sie bemerkte das. Schon riet sie ihm, sich auszuruhen. Auf dem Weg hinaus wandte sie sich jedoch ein letztes Mal um:
"Es ist eine wirklich schöne Vorstellung, dass du dein Zuhause finden kannst. Dass du aus den Wolken gefallen bist..." Syn schnaufte amüsiert, behielt aber seine entspannte Haltung bei, den Kopf zurückgelegt, die Augen geschlossen. Er war so träge. "Weiß du ... ich kann mir das verdammt gut vorstellen! Du bist besonders, weißt du? Und ... Zarrah wusste das von Anfang an!"
"Das wissen alle", murmelte er. "Sie alle sehen und vergöttern mich, wollen mich besitzen, mit mir prahlen ... mich benutzen." Er atmete durch. Zarrah nicht. Es lag ihm auf den Lippen, diese Information auch Crystin mitzuteilen und so eine erste aufrichtige Andeutung gegenüber der Heilkundigen zu machen, dass er deshalb auch in der Dunkelelfe etwas Besonderes sah. Doch es sollte nicht dazu kommen.
"Schlaf gut, Syn!"
"Mhm..." Er folgte dem Wunsch, sank immer mehr in Manthalas Reich. Die Göttin empfing ihn mit traumloser Schwere, aber wohlwollend. Andernfalls hätte sie Syn nämlich hochschrecken lassen, weil Crystin hinter sich die Tür zuzog und den Raum somit in sich abschloss. Etwas, womit das Kaninchen seit seiner Kindheit nicht zurechtkam, aber es war müde. Zu müde, um diesen Gedanken zu seinem Bewusstsein durchdringen zu lassen. Stattdessen gelang es ihm irgendwann noch - und Syn wusste nicht, wie - den Platz von der Pritsche zum Bett zu wechseln. Er lag, ruhte selig, als das Öffnen besagter Kabinentür ihn weckte. Es reichte nicht für seine volle Aufmerksamkeit, aber im halbschläfrigen Dämmerzustand registierte Synnover die sanften, aber vertraut klingenden Schritte. Er lauschte dem Rascheln der Decke und dem seichten Knarren der Matratze, auf die er sich selbst schon zur Ruhe gebettet hatte. Dann folgte Wärme, lullte ihn erneut ein, so dass er sich kaum mehr Gedanken machte. Er schmatzte nur kurz, als sich jemand an ihn schmiegte. Da jedoch die Aufforderung körperlicher Gefälligkeiten ausblieb, seufzte er selig. Synnover fand in den Schlaf zurück, der ihn den übrigen Tag und die Nacht gefangen hielt.
Hungrig erwachte er unter dem leichten Schaukeln des Schiffs, sowie dem Licht, das durch die Fenster der Kabine drang. Noch immer spürte er die Wärme eines anderen Körpers. Dieses Mal fühlte Syn sich allerdings erholt genug, um seiner Neugier nachzugeben. Er schlug die Augen auf, suchte nach der Person, die es sich neben ihm gemütlich gemacht hatte. Sein Blick wanderte über die wohlgeformte Statur von Zarrah. Sie hatte ihm den Rücken zugewandt, schlief tief und fest. Ihr Haar verteilte sich über der gesamten Decke. Wenige Strähnen umrahmten sogar Synnovers Gesicht, kitzelten ihn leicht. Behutsam schob er sich in eine Sitzposition und blickte auf Zarrah herunter. Schon strich er mit der flachen Hand über ihr Haar, streichelte ihr Ohr und zog dann die Decke etwas höher, damit sie es auch ohne ihn weiterhin warm hätte. Denn Syn knurrte gewaltig der Magen.
Zufrieden stellte er fest, dass seine Beine ihn nicht mit quälendem Muskelkater straften, auch wenn seine Glieder noch etwas schwerfällig wirkten. Dieses Mal wollte er nicht halbnackt an Deck entlang schlurfen, also suchte er den Raum ab und fand seine Habseligkeiten sogar in der festgenagelten, schweren Kiste. Rasch zog er sich ein simples Hemd und eine Hose über, wollte schon los. Da fiel sein Blick auf die Kampffächer in seinem Gepäck. Syn schmulte flüchtig zu Zarrah. Sie hatte ihm gezeigt, wie man damit umging. Er war es ihr schuldig, damit zu üben. Also griff er nach ihnen und einem Gürtel, um sie sich um die Hüften zu legen. Anschließend verließ er den Raum, stellte fest, dass er diesem Drang genau zur rechten Zeit folgte. Denn jetzt erkannte er, dass er die Nacht in der geschlossenen Kabine verbracht hatte. Ehe Panik ausbrechen konnte, huschte das Kaninchen an Deck.
Frische Morgenluft empfing ihn, zusammen mit dem Rauschen von Stoff, der vom Wind gebläht wurde. Von seinem Hunger abgelenkt richtete er den Blick erneut hinauf zu den Segeln, daran vorbei und bis zum Krähennest. Es war unbesetzt. Syn tappte von einem Bein auf das andere, schüttelte seine Glieder aus. Er fühlte sich munter, schmerzfrei. Nichts könnte ihn aufhalten. Sofort ließ er von seinem Plan ab, etwas Essbares zu suchen. Stattdessen erklomm er schnurstraks die Takelung, als hätte er seinen Lebtag nichts Anderes getan. Wie eine Spinne im Netz krabbelte er die vertäuten Maschen empor, stieg hoch und immer höher. Nach Minuten erreichte er den Querbalken des Mastes, an dem das Großsegel befestigt war. Syn kletterte darauf und legte eine Pause ein, bei der er den Blick hinunter auf das Deck und dann nach vorn auf das Meer richtete. Er sog die kalte Brise ein, die hier stärker wehte. Er lauschte dem Keckern der Möwen, dem Rauschen der See und dem Pfeifen des Windes. Bevor ihm erneut die Tränen kommen konnten, setzte er seine Kletterpartie fort. Es war nicht mehr weit bis zum Krähennest. Mit Schwung glitt er in den hölzernen Korb, hielt sich an dessen Rand fest und nutzte die Gelegenheit, die große weite Welt zu überblicken. Blau, wohin er auch schaute, außer unterhalb.
Syn genügte das nicht. Er umfasste den Rand des Korbs, ehe er sich auf diesen hochschwang. Anstatt dass der Wind ihn in die Tiefe stieß, schien er ihn zu umkreisen und in Balance zu halten. Syn achtete kaum darauf, denn für ihn war dieses Gefühl nur allzu natürlich. Er wirbelte herum und erklomm die Spitze des Mastes, kletterte an der kleineren Signalflagge vorbei und auf den höchsten Punkt der Silberpfeil. Wie eine Statue auf der Spitze eines hohen Gebäudes stand er nun auf dem schmalen Pfosten. Er streckte seine Arme aus. Der Wind hielt ihn nach wie vor, drückte ihn ein wenig nach vorn und wieder zurück, damit er sein Gleichgewicht hielt. Syn holte Luft. Mit strahlenden Augen und wie Flügel ausgebreitete Arme riss er den Mund auf und ... blieb still. Er seufzte aus, anstatt sein Glücksgefühl in die Weite hinaus zu schreien. Er war frei, aber noch nicht soweit für so viel Ausgelassenheit. Das wagte er noch nicht, aber das Verlangen existierte. Stattdessen reckte er seine Hand nach oben aus, beobachtete sich selbst dabei, wie er ins Nichts griff. Der Himmel, so nah über ihm, war immer noch unerreichbar.
Deutlich umsichtiger kletterte er in seinen Korb zurück. Dabei entschied er, dass es besser wäre, die Welt von dieser Position aus zu beobachten. Auch, weil bereits erste Matrosen an Deck zu ihm empor zeigten und irgendetwas riefen, das er nicht hören konnte ... oder wollte. Er blendete sie allesamt aus, gleichermaßen wie seinen Hunger. Jedenfalls lange genug, bis jemand Sprotte zu ihm hoch schickte, um ihn zum Frühstück zu holen. Beide jungen Männer wetteiferten, wer schneller und zugleich graziler wieder zum Deck herunter fand. Sprotte gewann, was nur dafür sorgte, dass Syn seine Versuche, ihm zu imponieren künftig nicht einmal mehr eines Blickes würdigte.Angeber!
Das Frühstück verlief überraschend ruhig. Auch wenn Razag beispielsweise in ein aufregendes Gespräch mit So'Raj verwickelt war, von dem Syn nur wenige Bruchstücke verstand, weil die Orks es in ihrer Muttersprache führten, verlief das gemeinsame Essen eher ruhig. Synnover tauschte einmal einen Blick mit Crystin aus. Sie lächelte ihn an, wohl wissend, dass ihre Magie mehr als seinen Körper wiederbelebt hatte. Zarrah hingegen mochte seinen Blick erwidern, wirkte aber etwas distanziert. Es lag dieses Mal nicht an Syn. Sie versuchte, ihm gegenüber ebenso neutral zu sein wie allen anderen, doch irgendetwas beschäftigte sie wohl. Er hakte nicht nach, denn er war abgelenkt. Sein Blick huschte immer wieder am größten der vier Schiffsmasten empor, zurück zum Ausguck. Nach dem Essen zog es Synnover dennoch nicht dorthin.
Während sich Zarrah mit Erin und Amos unterhielt, Razag in seiner neu gefundenen Rolle als Matrose voll aufging und Crystin einfach nur das Wetter genoss, fand das weiße Kaninchen sich in alten Mustern ein, wenn auch nur bedingt. An Bord konnte er kaum Runden laufen und seine Beine würden ihn mit quälenden Schmerzen strafen, nachdem er sie am Tag zuvor schon derart beansprucht hatte. Aber seine Trainingseinheiten waren ihm eingebläut worden und es fehlte ihm eine alternative Beschäftigung. Da weder Kaserne noch ein strenger Soldat für ihn zugänglich waren, damit er auch ja den nächsten Arenakampf überleben würde, griff er auf etwas von höherem Interesse zurück.
Bis zum Mittag trainierte Synnover den Fächerkampf. Zwar wiederholte er nur erneut und in langsamen Bewegungen die Übungen, die Zarrah ihm gezeigt hatte, nahm aber inzwischen schon beide Fächer zur Hand. Er ging die Positionen über Stunden hinweg durch und schaffte es sogar, sich langfristig darauf zu konzentrieren. Vielleicht, weil sie mit einer inneren Ruhe vonstatten gingen, die auf sein träumerisches Gemüt übergingen. Die Bewegungen wurden immer fließender, so dass er die Schritte zum Ende seiner Trainingseinheit hin sogar bei manchem Positionswechsel schon schneller durchführte. Er würde noch mehr Training benötigen. Er musste die Bewegungen so sehr verinnerlichen, dass er sie durchführen konnte, ohne über sie nachdenken zu müssen. Dann erst wäre er weit genug, sich auch mit einem eigenen Stil in dieser Kampftechnik auszustatten. Ein Schritt nach dem anderen.
Synnover belohnte sich selbst am frühen Nachmittag damit, erneut die Takelung zu erklimmen. Den Rest des Tages verbrachte er wieder im Krähennest und nur natürliche Grundbedürfnisse wie Durst, Hunger oder der Wunsch sich zu erleichtern, locketen ihn zwischenzeitlich hinunter. Diesem Schema folgte er den weiteren Tagen der Reise.
Wenn die Sonne jedoch in den Tiefen des Meeres versank und der Himmel so schwarz wurde, dass die Sterne wie unbewegliche Glühwürmchen über ihm leuchteten, kehrte Synnover an Deck zurück. Denn dann wurde es kalt und selbst ihm war der Wind nicht mehr so angenehm. Er schlich in seine Kabine zurück, in der am ersten Abend Zarrah bereits im Bett lag und schlummerte. Crystin hatte beim gemeinsamen Essen erwähnt, dass die Seefahrt ihr zu schaffen machte. Syn hatte sich daraufhin bis auf die Unterwäsche ausgezogen und war sehr behutsam zu ihr unter die Decke geschlüpft. In dieser Nacht versuchte er, sie zu schonen, indem er ihr nicht zu nahe kam. Doch Bande knüpften sich auch, indem man einfach nur Zeit miteinander verbrachte.
Das durfte das Kaninchen erkennen, als Razag aus einer Laune heraus nach dem Essen des zweiten Tages seinen Kumpel plötzlich in den Arm zog. Er lachte und herzte ihn. Vor allem aber war er ihm der Freund, dem Syn sich hatt anvertrauen wollen. Denn Razag mochte vielleicht vor lauter Aufregung, die Silberpfeil zu erklimmen nicht sofort auf ihn eingegangen sein. Vergessen hatte er ihn jedoch nicht. "Ich wünsche dir, dass du dein Zuhause findest, Syn!" Das Kainchen starrte ihn daraufhin nur an, unfähig, ihm noch mehr - seinen Namen - anzuvertrauen. Manchmal lief es eben nicht nach Plan.
Am späteren Abend hatte Razag unter den bunten Melodien von Flosse einige Witze zum Besten gegeben. Erin, Amos, Crystin und Sprotte hatten zu den wilderen Liedern getanzt und am Ende war die versammelte Mannschaft so ausgelassen gewesen, dass sogar gemeinsame Seemannslieder gesungen wurden. Die Stimmung war perfekt. Sie schaffte es sogar, dem Kaninchen hin und wieder ein echtes Schmunzeln oder Kichern zu entlocken. Meistens gelang das Razag. Seine Witze waren flach, aber sie erreichten den Freund. Nur Zarrah fehlte. Sie zog sich rasch zurück, ihrem Zustand geschuldet und jeder entschuldigte das auch wortlos. Nur Syn blieb daraufhin ebenfalls nicht lange.
Schweigend betrat er die Kabine, ließ wie immer die Tür entweder angelehnt oder öffnete eines der Fenster - im geschlossenen Raum hielt er es nicht aus. Auf Zarrah fragenden Blick hin, warum er nicht bei den Feiernden blieb, antwortete er nicht. Stattdessen legte er routinemäßig seine Kleidung ab, kroch zu ihr ins Bett, aber dieses Mal blieb er nicht einfach neben ihr liegen.
Den Rücken an die Rückwand der Bettnische gelehnt, zog er Zarrah in seine Arme, dass sie an seinem Körper Ruhe finden konnte. Er deckte sie und sich zu, platzierte eines der Kissen an ihrem Bauch und das andere in seinem Nacken, damit er es wenigstens etwas bequem hätte. Dann streichelte er das Spitzohr der Dunkelelfe, wanderte über ihren Hals und den Nacken an ihrer wirbelsäule entlang, nur um an ihrem Arm wieder emporzusteigen. Die Zärtlichkeiten wiederholte er, bis Zarrah darunter eingeschlafen war. Dabei sprach er nicht ein Wort.

Es wurde in den wenigen Tagen der Reise genauso zum Ritual wie Synnovers Routine an Bord. Aufstehen, ins Krähennest klettern, die Morgensonne begrüßen, frühstücken, trainieren, wieder ins Krähennest, Abendessen und gemeinsam mit Zarrah im Arm einschlafen. Offensichtlich brauchte es gar nicht viel, um den Menschen glücklich zu machen ... oder wenigstens zufrieden. An Bord trug er keine Maske, konnte aber noch lange nicht so frei und ausgelassen sein wie Zarrah es sich für ihn vielleicht wünschte. Sein bisheriges Leben hatte natürlich Spuren hinterlassen, von deren Weg er sich nur langsam löste, aber mit jedem Schritt fand er mehr und mehr zu seinem eigenen. Dass sich dies auch noch in Form eines zauberhaften Phänomens zeigen würde, war keinem der Reisenden bislang bewusst.
Wer hätte auch ahnen können, dass sich inmitten eines aufkommenden Unwetters etwas Zauberhaftes offenbaren sollte?

Am vierten Morgen ihrer Reise wartete der Himmel nicht damit auf, ihm Lysanthors feurige Sonnenscheibe zu zeigen. Synnover war trotz des grauen Wolkenschleiers wieder ins Krähennest geklettert. Er störte sich nicht an dem unliebsamen Wetter. Auch das wollte er beobachten. Wie üblich streckte er seine Hand gen Himmel aus, versuchte ihn zu haschen und griff in die vertraute Leere. Auch diese Geste war zur Routine geworden, ebenso wie sein Seufzen, gefolgt von einem warmen Lächeln. "Heute bist du ziemlich grau", sprach er zu der großen Weite über sich. Anschließend ließ er den Blick gen Horizont wandern, um dort die kaum erkennbare Grenze zwischen Himmel und Meer auszumachen. Die Wellen bewegten sich heute reger als in den letzten Tagen. Manchmal war die See glatt und klar gewesen wie die Oberfläche eines Spiegel. Synnover hatte sich selbst darin trotzdem nicht erkennen können. Glücklicherweise besaß jemand an Bord einen Handspiegel und auch ein Messerchen hatte das Kaninchen sich morgendlich geliehen. Sein Bartwuchs war zwar nicht sehr ausgeprägt, so dass er keine Matte am Kiefer befürchten musste, als er die Klinge ansetzte, aber den weichen Bartflaum hatte er dennoch nicht ignorieren können. Vor allem, weil die feinen Härchen genauso schwarz wie seine Brauen waren und dann deutlicher als Bartschatten hervorstachen. Es gab ihm etwas Verwegenes, aber Syn gefiel es nur bedingt. Ohne die richtigen Pflegeprodukte und tägliche Fürsorge könnte er sich optisch auch mit Stoppelbart nicht attraktiv genug gestalten, dass es seinem persönlichen Niveau gerecht würde. So rasierte er sich wieder kahl, sobald es ging. Nur bei den Haaren wollte er keine Hand anlegen. Die wuchsen seit Beginn der Reise ungetrimmt vor sich hin. Das müsste jemand mit befähigten Händen angehen. Er selbst wollte das Risiko nicht eingehen, sich derart zu verunstalten - dafür war er zu eitel. Und so peitschten ihm die silbrigen Strähnen um die Ohren als der Wind erneut auffrischte. Sie wirbelten sein Haar durcheinander, gleichermaßen wie die See. Wellen hoben und senkten sich, dass sie eine Fläche gezackter Zahnreihen glichen, die immer wieder in die Leere schnappten, als könnten sie Beute holen. Das Schiff ließen sie glücklicherweise heil, so dass Syn weiterhin seine morgendliche Aussicht genießen konnte.
Erst als der Regen mit deutlich dickeren Tropfen und heftigem Prasseln einsetzte, wurde es selbst ihm etwas unangenehm. Er fröstelte, fand sich schnell vollkommen durchnäst vor. Jetzt klebten ihm die Haare fest an der Stirn. Selbst Syn erkannte, dass es nun zu gefährlich würde, den halben Tag im Ausguck zu verbringen. Er kehrte dennoch sicher auf das glitschige Deck zurück. Mittlerweile bewegte er sich barfuß fort, so wie Razag. Er hatte gestgestellt, dass er auf der Takelage, den Mastbalken und überhaupt dem ganzen Schiff das Gleichgewicht besser wahren konnte, wenn er das Holz direkt unter seinen Füßen spürte und leicht darüber kratzte, sobald er die Zehen etwas einzog. Er genoss dieses Gefühl, auch wenn der Untergrund nass war. Ja, er wagte sogar seinen allerersten kleinen Ausbruch, als er an Deck ankam und bewusst einmal über die feuchten Planken schlitterte. Schon rutschte er an Razag und Crystin vorbei. Der Ork und Syn klatschten einander ab. Er grinste ihm im Vorbeischlittern sogar zu.
Das Wetter trübte die Stimmung beider kein Stück.
"Bindet euch lieber fest", rief ihnen Mitsch allerdings zu und hob seinerseits das Tau an, das er sich um die Hüften gewickelt hatte. Es verband ihn mit einem von vielen Haken, die an den Schiffsmasten zu genau diesem Zweck angebracht worden waren. So konnte man in einem weiträumigen Bereich noch agieren, ohne befürchten zu müssen, plötzlich ungesichert über Bord zu gehen. Razag beherzigte den Ratschlag sofort. Er schlang sich ein besonders dickes Stück Seil um die Hüften. Für Crystin wählte er ein schmaleres und auch Syn sollte nicht am Gewicht seiner Rettlungsleine zu nagen haben. Das Kaninchen ließ sich jedoch nur schwer einfangen. Für den Moment war es aber gut, dass er nicht durch ein Seil eingeschränkt worden war, denn just über ihren Köpfen löste sich das Ende eines der Segel. Es flatterte so heftig im Wind des Unwetters, dass sein Geräusch wie die provokante Aufforderung klang, mit dem Donnergrollen in Konkurrenz treten zu wollen.
Erneut war es Mitsch, der ihnen einen Hinweis gab: "Das Segel klemmt!" Schon schwappte eine gewaltige Welle empor. Es brachte nicht nur die Silberpfeil ordentlich ins Schwanken, sondern ließ den Ersten Maat auch verstummen, als er eine gehörige Portion Wasser zu schlucken bekam. Dafür meldete sich Razag zu Wort: "Syn! Syn, komm her, ich werfe dich hinauf und du fängst das Segel ein!"
Syn reagierte schnell. Er nutzte den aufgekommenen Wind, um sich erneut mit blanken Füßen über die durchnässten Deckplanken schieben zu lassen. Dabei legte er sein Gewicht nur so weit in die Böe hinein, dass sie ihn wie die Arme eines führenden Tänzers hielten. So viele andere wären einfach umgeweht worden oder hätten mit dem Sturm zu kämpfen gehabt, aber das Kaninchen spielte mit ihm. Es tanzte, wirbelte und hatte sogar genug Spaß daran, experimentierfreudig zu werden. Denn Razags Vorschlag war im Grunde Wahnsinn. Wenn er nicht vollends über Bord geschleudert würde, könnte eine weitere heftige Brise das Kaninchen einfach hinfort oder gegen den Mast wehen. Doch Synnovers Augen blitzten auf. "Lass mich fliegen", forderte er seinen Kumpel auf und breitete bereits die Arme aus.
Gesagt, getan. Raz'ulak der Furchtlose reichte seinen Titel an das weiße Kaninchen weiter. Dieses ließ sich packen und furchtlos mit aller Kraft, aber sehr zielgerichtet in die Luft werfen. Syn spürte den Wind unter seinen Armen. Oh, hätte er nur Flügel gehabt, wäre er nun sicherlich weit genug empor gestiegen, um den Himmel selbst endlich berühren zu können. So aber drückte er seine Hände mit gespreizten Fingern nur in die Kraft des Windes hinein und ließ sich vom Auftrieb, sowie Razags schwungvollem Wurf leiten. Der Querbalken mit dem eingeholten Segel kam immer näher. Vor ihm flatterte sein Ziel heftig im Wind. Beinahe schon konnte er das lose Ende des Segels erreichen. Er streckte die Hand schon danach aus, fühlte eine innere Aufregung, die ihn belebte wie selten etwas. Syn streckte seinen Körper etwas mehr durch. Plötzlich stellte er aber fest, dass alles irgendwie zur Ruhe kam. Wohin war der Schwung? Warum stob er dem Segel nicht weiter entgegen? Warum ... schwebte er mitten in der Luft?!
"Hm?" Er starrte an sich herab. Unten standen Razag und weitere Mitglieder der Mannschaft. Sie spähten zu ihm hinauf. Crystin, die sich bislang energisch an der Reling festgeklammert hatte, streckte nun einen Finger nach ihm aus. Sie alle wirkten verwirrt, aber Syn konnte sich in die Runde nur eingliedern. Nun, wenigstens stürzte er nicht wieder zu Boden. Das war eine gute Nachricht, denn sie sicherte - vorerst! - sein Überleben. Warum aber hing er einfach so in der Luft?
Habe ich verpasst, dass Raz mich zu heftig geworfen hat und ich mit dem Kopf gegen den Mast geknallt bin? Bin ich tot? Gelange ich nun zu Manthala, Faldor oder sonstwo hin?
Das würde zumindest das geradezu göttliche Licht erklären, welches einen Riss in die Wolkendecke brach. Es schien direkt auf Syn, hüllte ihn ein und erhob ihn in den heiligen Stand, von dem er in Morgeria gern einmal kühn behauptet hatte, ihn zu verdienen. Immerhin war er das weiße Kaninchen, bester Gladiator der Nachtklingen! Nun aber wirkte er kein bisschen so, als wollte er diesen Titel annehmen. Perplex konnte er seinen Blick nur auf das Loch in der grauen Wolkendecke lenken. Oder war es der Wind, der mit charmanter Geste seinen Kopf in die gewünschte Richtung drehte? Er spürte ihn noch immer. Der Wind hielt ihn. Er ließ ihn schweben, weil er unentwegt und mit weicher, unsichtbarer Kraft unter ihm entlang strömte. Er hielt ihn, trug ihn am Querbalken vorbei, höher und immer höher! Syn ließ sich darauf ein, denn das Gefühl war unbeschreiblich. Er breitete erneut die Arme aus, streckte auch die Beine von sich und flog bis auf Höhe des Krähennestes empor. Kurz schloss er die Augen, ließ Regen und Wind sein Gesicht küssen. Er atmete tief durch, dann öffnete er seinen Blick erneut für die Wahrheit. Es war kein Traum. Er flog, immer noch! Er flog wie die Vögel, welche sich nun hinter dem Lichtstrahl aus dne Wolken hinaus stürzten. Unzählige gefiederte, weiße Wesen umkreisten ihn, als wäre er kein Kaninchen, sondern einer der ihren, den sie zum Spielen aufforderten. Syn versuchte, ihren Flug zu verfolgen, aber sie flatterten so zahlreich und wild um ihn herum, dass er immer wieder einen anderen Vogel in den Fokus nehmen und den Kopf drehen musste.
Schließlich nahmen sie Positionen vor ihm ein. Für einige Herzschläge standen sie Spalier, die Schnäbel gen Himmel gerichtet. Dann neigten die Vögel sich nach vorn, bildeten mit ihren Schwingen und kleinen Körpern versetzte Stufen, dass sie Syn eine gefiederte Treppe hinauf in ein Reich schufen, welches jenseits der Wolken liegen musste.
Er starrte empor, hinein in die von Licht erhellte Öffnung, die ihm wie ein Wunder inmitten seines grauen Schicksals einen Ausweg anbieten wollte. Er schluckte, ehe sein Fuß sich bereits nach vorn streckte. Mit den Zehen berührte er vorsichtig die erste Stufe aus Vogelfedern. Er fühlte ihre Leichtigkeit unter seiner Sohle kitzeln, aber auch er schien nunmehr federleicht zu sein, so dass der Wind ihn spielend tragen konnte. Somit wagte er es, den Fuß vollkommen auf die Vogelstufe abzusetzen. Es folgte der zweite und er schritt durch den Himmel zu etwas empor, das nur auf ihn gewartet zu haben schien. Mit großen Augen starrte er diesem Weg entgegen, dieser Treppe Richtung ... "Hymlia?"
"NEIN!"
Zarrahs Stimme zerriss das Bildnis vor ihm, als sie sich einen Weg durch den Sturm und zu Syn bahnte. Er erstarrte, aber noch ehe sein Verstand ihm mitteilte, dass es die Dunkelelfe war, die ihn rief, blickte er ihr schon entgegen. Sie stand im Krähennest, Entsetzen in den tiefgrünen Augen. Er aber näherte sich ihr. Stufe umd Stufe tänzelte er durch den Himmel zurück, bis er plötzlich stutzte und stehenblieb. Wo sie ihn mit Entsetzen anstarrte, da musterte er sie mit einer wachsenden Erkenntnis aus bitterer Wahrheit, die ihn so schwer werden ließ, dass er glaubte, gleich bis hinunter zu Deck sütrzen zu müssen. Nein. Syn engte die Augen. Seine Mimik nahm einen von Seelenschmerz erfüllten Ausdruck an. Nein.
Ein einziges Wort hatte genügt. Es war nicht einmal sein Name - Syn - notwendig gewesen oder sein Titel. Sie hatte ihn nicht als das weiße Kaninchen zurückrufen oder ihn an seine Stellung erinnern müssen und dass er lieber gehorchen sollte. Ein simples Wort hatte genügt und obwohl sie ihm immer beteuerte, dass sie ihn tun lassen würde, was er wollte, so hielt sie ihn jetzt auf. Mit einem einzigen Wort, das mehr Macht über ihn besaß als er jemals über sich gehabt hatte. Denn er gehörte nicht sich selbst. Es war ihm von Anfang an eingetrichtert worden, dass er keine Rechte besaß, keine Entscheidungsgewalt - weder über sein Schicksal, noch über sich selbst. Andere bestimmten seinen Weg, bestimmten sein Leben. Und auch Zarrah'lindae von den Nachtkllingen tat dies, mit einem einzigen Wort. Sie war trotz aller Beteuerungen ihrerseits in der Lage, ihn jederzeit zurückzurufen, denn er würde gehorchen. Man hatte es ihm sein Leben lang eingebläut und die letzten sechs Jahre nur noch perfektioniert. Es steckte ihm so tief in den Knochen, dass sein Körper bereits gehorchte, ehe sein Verstand den Befehl begriff.
Langsam setzte er seinen Weg fort, seinen Weg zurück. Schritt um Schritt, fort von dem Licht und der Hoffnung, die es versprach. Zurück dorthin, wo er hingehörte, weil andere ihn dort haben wollten. Er würde niemals frei sein. Es war längst zu spät für ihn. Sie hatten ihn vom ersten Tag an gebrochen und was immer er anstellte, was immer andere ihm versprachen, am Ende genügte doch ein Wort, um alle Hoffnungen zu zerschlagen. Und er? Er trauerte nicht einmal groß darum. Er nahm es hin, denn er musste. Alles, was er nun tun konnte, war zurückzukehren, sich hinter den Masken seiner Existenz zu verbergen und zu sein, was man erwartete: das weiße Kaninchen. Der Gladiator, der erhobenen Hauptes stets für andere kämpfte, aber nie für sich selbst. Der Liebhaber, der in anderen Leidenschaft, Gefühle und ... Liebe erweckte, ohne die Bedeutung all dessen nur im Ansatz zu kennen. Der Sklave.
Er erreichte die unterste Stufe seiner Vogelfedertreppe, so dass er fast auf Höhe mit dem Krähennest stand. Er konnte Zarrah direkt in die Augen schauen. Er brauchte nur die Arme ausstrecken, um sie in die seinen zu ziehen. Ein Schritt noch, hinunter vom weichen Gefieder, zurück in den Korb, zurück in sein Leben, das andere führten. Ein Schritt und der Traum wäre vorbei. Dann wäre er trotz ihrer schönen Augen, ihrer warmen Worte und der Hoffnung darin letztendlich nur wieder der Sklave einer Nachtklinge. Er wäre wieder...
"Synnover!"
Ein Impuls jagte durch seinen Körper, dass er vom Scheitel bis zur Sohle eine Gänsehaut hinterließ. Ein Wort. Ein Name allein genügte, um so viel in ihm auszulösen und ihn aus der Dunkelheit seines Schicksals zu reißen wie das Sonnenlicht, das sich einen Weg aus der Finsternis der Wolkendecke gebahnt hatte. Er - Synnover - atmete tief aus. Ein wehmütiges Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. Mild schaute er Zarrah an, erwiderte ihren Blick. Dann schüttelte er den Kopf, verlagerte sein Gewicht nach vorn und streckte seine Hand aus wie sie die ihre. Ein Schritt nur, hinunter von der letzten Federstufe und zurück in den Korb. Er musste nur ihre Hand ergreifen und wäre wieder dort, wo er sein sollte. Aber er tat es nicht. Syn hätte es getan. Das weiße Kaninchen stünde längst an ihrer Seite, emotionslos und gehorsam wie man es haben wollte. Synnover aber kletterte nicht zu ihr in den Korb. Er griff auch nicht nach ihrer Hand, sondern legte seine ausgestreckten Finger auf ihr Haar. Er war frei ... in einem gewissen Rahmen. Freier als er je hätte sein können und das verdankte er nur ihr.
"Ich kann doch gar nicht gehen", beantwortete er ihre nur geformten Worte, die er niemals hätte hören können. Aber er sah es. Er brauchte nur sie sehen, um zu wissen, was sie bewegte, denn ... ihm ging es doch ähnlich. Sanft strich er über ihr nasses Haar. "Deine Mission", erinnerte er Zarrah daran, dass er an sie gebunden war, Freiheit hin oder her. Nein, er konnte nicht gehen. Er hatte es für sich entschieden, sie zu begleiten und zu beschützen. Er hatte ihr zugesagt, ihr bei ihrer Mission zu helfen und er war loyal, ob als Sklave oder einer, der glaubte, frei zu sein. Er konnte sie nicht verlassen, weil es nicht in seiner Macht lag, dies zu Entscheidung. Es ging nicht um ihm. Er besaß nicht den Wert, so viel zu fordern. Er besaß nicht das Recht. Er würde an ihrer Seite bleiben, ihr bei ihrer Mission helfen und ihr treu ergeben sein, denn er konnte gar nicht anders. Nicht so. Er konnte nicht-
"Flieg nach Hause, Rammellappen!"
Erneut stutzte Syn. Sein Blick huschte seitlich nach unten zum Deck des Schiffes. Die Mannschaft spähte noch immer zu ihm empor. Razag war auch noch da, Crystin im Arm. Beiden standen die Tränen in den Augen und auch um Syns Lindgrün wurde es feucht. Es brannte, aber auch in seinem Herzen breitete sich etwas aus. Wärme. Wissen. Er war frei. Er war etwas wert und er durfte etwas fordern. Er musste - für sich. Für niemanden sonst. Auch wenn es ihm das Herz zerriss.
"SYNNOVER!", schrie er gegen den Wind an, dabei hielt dieser ganz still. Doch er wollte, dass seine Freunde es hörten. "Ich heiße Synnover! Und ich gehe nach Hause!", rief er ihnen zu. Dann winkte er Razag und Crystin. Er winkte der Mannschaft mit wachsender Euphorie. Erst als er sich wieder Zarrah zuwandte, sank diese und von seinen Zügen schwand das aufgebaute Lächeln wieder. Er neigte sich vor. Seine Hand fand einen Platz an ihrer Wange. Er hielt sie, strich mit dem Daumen an ihren Lippen entlang.
"Ich möchte dich mitnehmen", sagte er und spürte erneut das Brennen in den Augenwinkeln. "Das möchte ich wirklich. Ich brauche dich." Tränen schossen Synnover aus den Augen. Er nahm sie hin. Sanft zog er Zarrah etwas dichter heran, kam ihr aber seinerseits auch näher, bis seine Stirn die ihre berührte. Seine Sicht war feucht, leicht verschwommen, aber er konnte ihr Grün noch immer gut erkennen. "Außerdem wäre dir weniger übel, wenn du von dem Schiff herunter wärst." Er keuchte. Nein, er schluchzte auf! Es fiel ihm ungemein schwer, aber die Erkenntnis, dass es das tat, wog noch schwerer. Sie erschreckte ihn, denn er konnte sie weder einordnen, noch einen Grund benennen, warum sich in seinem Inneren ein zweiter Sturm zusammenbraute und alles in Chaos stürzte. Er suchte Frieden an ihren Lippen.
Synnover küsste Zarrah noch inniger als in ihren intimsten Momenten. Er küsste sie lang, damit er sich eine Weile an der Erinnerung würde wärmen können, wie er gleichermaßen hoffte, dass sie es könnte. Denn...
"Ich möchte dich so sehr mitnehmen, aber ich kann nicht. Ich ... glaube, das hier muss ich allein tun, ohne den Einfluss anderer." Er löste sich etwas, sah sie aber immer noch an. "Du ... musst mich das allein erfahren lassen." Synnover wischte sich über die Augen. Anschließend nahm er Zarrah in die Arme. Er drückte sie eng an sich, so dass er im Grunde nur flüstern brauchte, um ihr sein Versprechen mitzuteilen. "Ich komme zurück. So schnell ich kann, bin ich wieder bei dir. Gib mir etwas Zeit. Warte in Rumdett auf mich. Ich finde das schon." Er löste sich, dieses Mal ganz. Sein Lächeln sollte aufmuntern, aber er brachte diese Lüge weder für sie noch für sich zustande. "Ich beeile mich. ich komme wieder", sagte er und wanderte bereits rückwärts die Vogelstufen empor. Erneut benetzten Tränen in langen Bahnen seine Wangen. "Ich finde dich", versprach er so aufrichtig wie es ihm möglich war. Dann winkte er auch Zarrah noch einmal mit erhobener Hand und langsamer Geste.
Schließlich aber wandte er sich doch ab. Er atmet durch, stieg die Schwingen hinauf, wieder dem Licht entgegen. Er schlang seine Arme um den eigenen Körper. Zum einen versuchte er, das Zittern zu unterdrücken, das ihn gerade befiel und eine seltsame Leere hinterließ mit jedem weiteren Schritt hinauf in das Licht. Zum anderen versuchte er, sich ruhig zu halten, während er sich für das Unbekannte wappnete. Nur noch wenige Stufen, dann verschwand er im Schein, der durch die Wolken drang. Was wohl auf der anderen Seite auf ihn wartete? Auf ihn allein? Er konnte nur hoffen, sein Versprechen halten zu können. Denn wer wusste schon, was Hymlia ihm zu bieten hätte. Vielleicht würde er alles fahren lassen, wenn er erst einmal dort oben wäre. Zuhause...
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Re: Ein Silberstreif am Horizont

Beitrag von Erzähler » Montag 22. April 2024, 10:48

Die Sehnsucht dem Himmel nahe zu sein, die Syn seit seiner Flucht aus Morgeria empfand, wurde mit einem Mal greifbarer. Sie wurde genährt und gleichzeitig getilgt, als sich der Wind um ihn sammelte und ihn immer höher und höher trug. Schon die Flugbahn, die Razag für ihn geschaffen hatte, hatte dem ehemaligen Kaninchen das Gefühl des Fliegens nähergebracht. Doch das? Syn hätte womöglich keine Worte für dieses Gefühl finden können, weil er nichts hatte, womit er es vergleichen könnte. Es fühlte sich fantastisch an, als hätte er das schon immer tun können, nur nicht gewusst wie. Es fühlte sich an, als gehöre es zu ihm und er brauchte nicht eine Sekunde Sorge zu haben, dass er bald den Fall in sein Verderben erleben würde. Der Wind war sein Freund. So wurde der Mensch immer höhergetragen, bis sich ein beinahe göttliches Schauspiel auftat. Es wirkte wundervoll, wenn auch ein wenig dramatisch, doch das störte nicht, wenn man von der Sonne auf jene Art gewärmt wurde. Seine Haut begann ein wenig zu prickeln, denn die Strahlen erfassten ihn direkt. Daraufhin folgten die Vögel, die sich um ihn scharten und schlussendlich zu einer Treppe aus weichen Federn bis zu den dunklen, sturmgrauen Wolken formten, auf die er anfangs zögerlich doch dann immer mutiger seine Füße setzen durfte. Weich waren die Schwingen und kitzelten leicht seine nackten Zehen. Und Syn wusste in seinem Herzen, dass es nur den Weg nach vorn gab. Er würde heimkehren, endlich dorthin, wo er einst verloren ging.

NEIN Ein einzelnes Wort war es, das jegliche Sicherheit ob seines Weges in ihm erzittern ließ. Nein…, wie oft hatte er dieses Wort bereits gehört in seinem Leben? Syn hatte gelernt viel mehr nicht zu dürfen, als zu dürfen und so war es kein Wunder, dass er es nicht mal in Frage stellte, als er wieder die Stufen hinabstieg und in das Gesicht von Zarrah blickte. Der Moment, da sich ihre Augen trafen war begleitet von vollkommener Stille. Syn glaubte schon daran, dass er doch nie frei sein durfte. Er erkannte bereits eine verblendete Wahrheit, die niemals Zarrah’s Wahrheit gewesen war. Sie verbat es ihm nicht. Aber sie wollte ihn nicht loslassen. Das war… neu. Synnover aber bemerkte, dass es nicht das Leben in Freiheit war, das er führen wollte. Er bemerkte die feine Wahrheit, dass er neben Zarrah niemals würde er sein können. Er konnte sie nicht begleiten. Zarrah aber wollte ihn nicht aufhalten. Sie wollte ihn nicht zwingen, wieder an Bord zu kommen. Es ging ihr auch nicht um ihre Mission, wie Syn im nächsten Moment glaubte. Die Elfe runzelte leicht die Stirn bei seinen Worten. "Ich kann doch gar nicht gehen. Deine Mission…“ Nun war es an ihr, eine Erkenntnis im Gesicht zu tragen, so schwer sie auch sein mochte. Das dunkle Grün hüpfte über sein Gesicht, während er ihr Haar berührte. Er musste nach Hause fliegen. Und Razag’s Worte, so unbekümmert und ehrlich, weckten in Syn endlich den Funken, den er brauchte, um sich von allem Schlechten zu lösen. Um die Verbindung zu seiner Vergangenheit, die niemals seine hätte werden dürfen, zu kappen. Synnover! Und er würde nach Hause gehen! Zarrah beobachtete die wachsende Euphorie. Sie war klug und sie war achtsam. Sie wusste, was auf sie zukam. Innerlich wappnete sich die Dunkle und schon kehrte Syn mit seinen Augen zu ihr zurück. Die Mannschaft jubelte, ließ sich von dieser seltsamen Atmosphäre anstecken. Auch Razag jubelte, während Crystin ein Tränchen verdrückte und nur Augen für die Elfe hatte.
"Ich möchte dich mitnehmen. Das möchte ich wirklich. Ich brauche dich.", versicherte er Zarrah, während seine Finger die Weichheit ihrer Haut noch einmal aufnahmen und als Erinnerung an sein Gehirn sendeten. Die Elfe ließ es zu, doch ihr Gesicht war zu einer glatten Maske verkommen. Eben noch hatte sie ihm ihre Angst gezeigt, doch mit dem Finden seiner Wahrheit, war sie in ihr altes Muster verfallen. Einzig ihre Augen glänzten etwas, denn ein Stein war sie auch nicht. Aber sie war der Stein, der Synnover im Moment am Fliegen hinderte. Sie besaß diese Macht und er wollte das ändern.

Es war nicht leicht, sich von allem zu lösen, was man kannte. Egal wie schlecht oder missbräuchlich es gewesen war. Es war seine Heimat über Jahre hinweg und das, was er unter Heimat kennengelernt hatte. Zarrah aber hatte ihm gezeigt, dass es etwas Besseres geben musste. Und dorthin zog es ihn nun, aber ohne sie. Er löste sich, probierte noch mal ihre Lippen, küsste sie so viel zärtlicher, so viel liebevoller als zuvor. Zarrah ließ es zu, erwiderte den Kuss sanft und offen für das Gefühl, das sich entwickeln wollte. "Ich möchte dich so sehr mitnehmen, aber ich kann nicht. Ich ... glaube, das hier muss ich allein tun, ohne den Einfluss anderer. Du ... musst mich das allein erfahren lassen.", entschied er sich. Das war der Moment, in dem Zarrah gänzlich zu ihrem Ich zurückfand. Das zarte Gefühl von Loslassen zog sich in ihr zurück. Die Dunkelelfe öffnete ihre Augen und blickte in das tränenbenetzte Gesicht von Synnover. "Ich komme zurück. So schnell ich kann, bin ich wieder bei dir. Gib mir etwas Zeit. Warte in Rumdett auf mich. Ich finde das schon.", flüsterte er an ihrem Ohr und sie lehnte sich gegen ihn, dass sie fast aus dem Krähennest fiel. Sie wirkte steif. Es schien bereits, dass sie es nicht erwidern konnte. Doch dann legte sie ihre Arme um seinen Körper und wandte den Kopf leicht. „Schon gut…“, kam es leicht gepresst. Sie war gut darin, ihre Emotionen zu verbergen, aber sie war bereits zu weit gegangen. Hatte sich viel zu sehr geöffnet. Das hier tat weh, selbst einer Zarrah’lindae von den gefürchteten Nachtklingen. „Finde dein… wahres Schicksal, Synnover. Es ist gut…“, presste sie hervor. Es war nicht so, dass Zarrah ihm das nicht gönnte. Aber sie hatte angefangen auch für sich selbst zu hoffen. Als er sich löste und einen letzten Blick auf sie erhaschte, da sah er das glatte Gesicht einer Elfe, die gelernt hatte, mit wenig bis gar nichts auszukommen. Zarrah hatte das, was sie Synnover gezeigt hatte, bisher niemandem gezeigt. Und würde es auch niemandem mehr zeigen. Sie erwiderte den Gruß, hob die Hand und… nickte nur. Sie ertrug das für ihn, damit er gehen konnte. Ungeachtet dessen, was sie selbst dabei empfand. Sie blieb zurück, wie alle anderen an Deck und sah ihm nach, bis er hinter den schweren Sturmwolken verschwand.

Synnover weiter bei: Deutlich zu spät
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