Der Kapitän der Edea-Wolke war vielleicht nicht der hübscheste Kerl, mit seinem kantigen Gesicht, dem stoppeligen Kinn und einer breiten Narbe, die unter seinem linken Auge bis zum Ohr verlief, aber die Art, auf der er so breit seine Mannschaft angrinste, machte ihn auf anhieb sympathisch. Ein typischer Andunier, der ganz im Gegenteil zu dem verschlossenen Wüstenkrieger, einen offenen und herzlichen Charakter hatte. Als Erasmus sich ihm näherte, zog er sich den Dreispitz vom Kopf und vollführte eine tiefe Verbeugung, bei der man sehr viel von seinen weißen Zähnen sah. Es war wohl eher spöttisch gemeint, aber garantiert nicht böse. Der unheimliche, grüne Vogel, der auf der Schulter des Kapitäns saß, hatte sich wieder in die Luft erhoben, als sein Sitzplatz ins Wanken geraten war. Nun umkreiste er langsam das Krähennest, während der Matrose auf Ausguck ihm ab und an kleine Brotkrumen zuwarf.
„Männer, diesen tapferen Kerl hier haben wir zu verdanken das wir wieder in See stechen dürfen. Ohne den Bund der Wüstendiebe hätten wir vermutlich noch gewartet bis Sarma einen Angriff auf die Dunkelelfen ausführt ... Und ihr wisst wie oft Sarma schon andere Städte angegriffen hat.“ In einer fließenden Bewegung richtete der Befehlshaber der Seemänner sich wieder auf und platzierte auch seinen Hut wieder auf dem Schädel. Er zwinkerte, um zu zeigen dass er es nicht böse gemeint hatte und schickte die Männer, die ihm zugehört hatten, wieder an die Arbeit. Trotzdem drehte sich so mancher Recke noch einmal zu dem Kapitän und ihrem Passagier herum und einige spitze Kommentare wurden ausgetauscht, von denen der Jäger aber nichts mit bekam. Der Schiffsführer sah seinen Männern nach und rief zwei von ihnen zur Ordnung, ehe er sich wieder dem Nordmann zuwandte. „Dein Schlafplatz wird unter Deck sein, ich zeige dir eben den Weg. Denn da unten hat sich schon so mancher Gast verlaufen. Mein Name ist übrigens Durmánd Duvall. Sag Kapitän Duvall oder Durmánd, ganz wie es dir beliebt.“ Noch einmal grinste der Kapitän sein einnehmendes Lächeln und wies in Richtung der Treppe, die nach unten führte.
Die linke Hand lässig auf den Knauf seines Säbels gelegt, die rechte an der eigenen, breiten Bauchbinde eingehakt, schritt Kapitän Duvall voran. Freundlich öffnete er seinem Passagier die Tür zum inneren des Zweimasters und hielt sie auf, bis Erasmus eingetreten war. Dann entfachte er eine Blendlaterne, die an einem Haken direkt neben der Tür befestigt gewesen war. In den Eingeweiden eines so großen Schiffes, war es im Normalfall stockdunkel und einer Landratte fiel es für gewöhnlich schwer, sich an die Finsternis zu gewöhnen. Anschließend setzte er sich wieder an die Spitze und führte den Jäger durch die engen Gänge. Eigentlich war es nicht schwer, sich den Weg zu merken. So viele Abzweigungen gab es nicht, wenn man sich von den Treppen fern hielt, konnte man sich schwerlich verlaufen. Durmánd führte seinen Passagier von der Treppe im Bugteil durch den Laderaum im ersten Untergeschoss, bis hin zu den besseren Kammern im Heckbereich. Die Edea-Wolke war kein Passagierschiff und für gewöhnlich nahm Duvall keine Gäste mit und Faminas und vor allem Hamas Zuspruch, hätte er auch keine Ausnahme gemacht.
Die beiden waren bei den drei Kammern angekommen, in denen sich der erste und zweite Maat, sowie abwechselnd die beiden Steuermänner niederlegten. Der Kapitän öffnete die mittlere und kleinste Kammer, die sonst seinem zweiten Maat vorbehalten war. Dieser war notgedrungen in eines der Mannschaftsquartiere umgesiedelt und darüber keineswegs glücklich. Aber Duvalls Wort war auf der Edea Gesetz! Der Kapitän hing die Blendlaterne ins innere der Fensterlosen Kammer, die eher rustikal eingerichtet war. „Die Mannschaft schläft noch einen Tiefer,“ Kommentierte der Seemann und deutete abwechselnd auf die beiden Treppenabsätze, am anderen Ende des Laderaums. Im dämmrigen Licht waren sie kaum zu sehen. „Erst wollten wir dich dort mit übernachten lassen, doch Famina hatte sich denn dafür eingesetzt dass du ne Offizierskammer bekommst. Deinen rotäugiger Kumpan schläft übrigens ganz unten. Er macht die Mannschaft jedes mal nervös, wenn die alte Hexe ihm einen Auftrag erteilt.“
Anscheinend war die Kammer zu Erasmus Zufriedenheit, denn er bedankte sich beim Kapitän und bot auch seine Hilfe an, doch fürs erste lehnte Duvall das breit grinsend ab. Ihm blieb auch keine andere Möglichkeit, denn ansonsten handelte er gegen Hamas willen. Und solange Ku’ul sich in der nähe befand, handelte man nicht gegen die Wünsche der Hexe. Außerdem hatte er genug Seeleute, die nicht nur wussten, was sie zu tun hatten, sondern auch über weit mehr Erfahrung verfügten. Durmánd fasste sich an die fordere Spitze seines Hutes und neigte leicht den Kopf, dann machte er sich zurück auf den Weg nach oben. Auch auf einem Schiff mit einer gut eingespielten Mannschaft gab es für einen Kapitän immer etwas zu tun. Die kleine Laterne lies der Seemann seinem Passagier, damit dieser auch etwas erkannte, wenn er seine Kabine verließ.
Für Erasmus hieß es nun erst mal, seine wenigen Habe zu verstauen, was relativ zügig erledigt war. Danach hätte er sich hinlegen können, ein wenig ausruhen und entspannen, aber die Unruhe hatte ihn gepackt und so führte ihn sein Weg sehr bald schon wieder an Deck. Als er die Treppe nach oben trat, musste er erst einmal blinzeln, denn nach der Zeit im zwielichtigen Inneren des Schiffes, war das Sonnenlicht doch sehr grell. Von Sarma war bereits nichts mehr zu sehen und die Edea machte sehr gute fahrt. Alle Segel waren gesetzt worden und das weiße leinen wölbte sich kräftig unter dem perfekten Rückenwind. Der Himmel war klar, die Luft roch salzig und belebend. Noch war es nicht die Jahreszeit, dass die pralle Sonne einem den Buckel verbrennen konnte, stattdessen freuten sich die Matrosen über die Wärme, die nicht so drückend war, wie in der Wüstenstadt. Kapitän Duvall stand auf dem Aufbauten am Heck und unterhielt sich mit dem Steuermann und dem Navigator, eine Karte wurde abwechselnd hin und her gereicht. Auch der grüne Raubvogel war wieder da und ruhte wie ein abgerichteter Papagei auf der Schulter des Schiffführers. Zwar unterhielten sich die Männer gedämpft, aber es stand fest, dass er im Augenblick zu beschäftigt war, um sich mit seinem Passagier zu unterhalten.
Aber das war ja ohnehin nicht der Wunsch des Jägers, der stattdessen den einmaligen Anblick genoss, komplett von Wasser umgeben zu sein. Es war relativ still, zwar konnte man immer wieder mal einen Mann rufen hören, aber es störte die Harmonie keineswegs. Die See war für den Wind recht ruhig. Der Rückenwind schütze die Edea-Wolke vor starkem Wellengang. Und von seinem Platz an der Seitenrehling hatte Erasmus wirklich einen tollen Blick auf die ruhige Welt um ihn herum. Die plötzlich von einer Explosion aufgescheucht wurde! Jemand auf dem Schiff rief warnend Houp, dann, in knapp 50 Metern Entfernung, verglühte Feuerball, der für den jähen Krach verantwortlich war. Allerdings schien dies von den restlichen Mannschaftsmitgliedern niemanden wirklich zu interessieren und kaum einer schenkte dem Spektakel seine Aufmerksamkeit. „Und Houp!“ brüllte jemand in der nähe des Großsegels. Lautlos löste sich der Schuss einer aufgebahrten Ballista. Das speerartige Geschoss flog direkt über Erasmus Kopf in die scheinbare Leere des Ozeans. Fast in der selben Entfernung explodierte auch dieses Ziel in einem Feuerball. Das ganze wiederholte sich noch sieben mal, ohne das es eine logische Erklärung dafür gab, dass die Ballistenmunition explodierte. Dann trat eine pause ein.
Einer der Seemänner, ein breiter, schwarzhäutiger Mann mit einer Glatze, lehnte sich neben Erasmus auf die Rehling. Er trug nur eine offene, ärmellose Weste über dem nackten Oberkörper und in seinem Gesicht prangte ein Muster aus silbernen Nieten. Mit seinen beiden Säbeln, dem Streitkolben und ganzen drei Dolchen, die in seinem Gürtel steckten, hätte er ziemlich einschüchternd gewirkt, wenn er nicht so breit und herzlich gelacht hätte. „Na kleiner Mann? Betrachtest du die Künste unsere Magier?“ Der Schwarze hatte einen sehr singelnden Akzent. Er deutete nach oben, wo drei Männer in seltsamen, bunten Kleidern und mit federbehangenden Baretten, in der Takelage hingen. Wäre die Kleidung nicht so auffällig gewesen, hätte man sie für normale Seeleute halten können, so selbstsicher bewegten sie sich in den Seilen der Edea.
„Ich bin Ganzo, der erste Maat der Edea-Wolke. Und du bist also der Bursche, auf den Tante Hama uns aufzupassen angewiesen hat?“ Er gluckste leise und streckte dem Jäger seine große Pranke entgegen. Ganz eindeutig war der Hüne, der selbst den großen Ku’ul überragt hätte, nicht annähernd so gefährlich, wie er wirkte. Zumindest nicht für Erasmus. „Ich hab gehört, wozu du dich bereit erklärt hast. Schade das dein Abenteuer kein gutes Ende genommen hat, aber für jemanden, der nie Kämpfen gelernt hat, war das eine mutige Leistung!“