Anwesen des Armin ibn Halat
Verfasst: Freitag 24. September 2010, 09:31
Jeder einzelne Atemzug schmerzte. Selim hatte den Eindruck, es sei die Luft selbst, die stach und brannte, doch half es auch nichts, die Luft anzuhalten, da er, sobald er wieder atmete, schneller und tiefer nach Luft schnappte. Die Schwärze entließ ihn nur langsam aus seinen Fängen. Selim lag auf etwas Hartem. Was war passiert? Er erinnerte sich nicht mehr. Nur langsam teilten sich die Nebelschwaden. “...ihn hier weg. Sein Gestank beleidigt meine Nase, sein Anblick mein Ehrgefühl!“ Selim kannte diese abfällige Stimme. Sie gehörte Shamsul ibn Halat, dem Sohn seines Herren. Seines toten Herren. Allmählich dämmerte ihm, was vorgefallen war. Er lag ganz still und atmete flach. Schritte erklangen, wanderten um ihn herum, erstarben dann. Eine Fußspitze berührte ihn an der Schulter und schubste ihn an. Selim ließ sich herumrollen. Er lag in etwas Warmen. Sein Blut. “Bah! Schaut euch das nur gut genug an, widerwärtiges Pack! Von heute an wird kein Hochmut mehr geduldet werden! Und jetzt hinfort mit ihm.“ Schritte entfernten sich. Selim wagte kaum zu atmen. Ihm fiel alles wieder ein. Der Tote im Badezuber, wie sein Sohn mit kaum verhohlenem, hämischem Grinsen daneben stand, der gesamte Hausstand vor ihm, und wie er von einer neuen Ära sprach, von einer Reinigung, von vergifteten Zuständen und davon, dass er es gut hieß, die Dunkelelfen hier in der Stadt zu haben, da sie die einzigen waren, die Worten auch Taten folgen ließen, wie es sich gehörte. Selim hatte sich sehr zurückhalten müssen, war dennoch seinem Mundwerk unterlegen gewesen und hatte widersprochen. Sein Herr war ein guter Herr gewesen, der Talente gefördert und nach Können geurteilt hatte, nicht nach Relevanz oder Beziehungen oder Vermögen. Seinem Sohn hatte dies selbstredend nur wenig gefallen, weder die Ansichten des Vaters noch die Worte Selims. Er hatte ein Exempel an ihm statuiert, und jenes war derart schnell gekommen, dass Selim kaum hatte reagieren können. Und nun lag er hier, zwischen Leben und Tod, in seinem eigenen Blut und sollte verrecken!
Selim spürte, wie Arme sich unter seinen Körper schoben. Er wurde hochgehoben, und trotz der Schmerzen spielte er den toten Mann, denn er wusste, dass er nur überleben würde, wenn man dachte, er sei tot. Auf dem Weg in seine Unterkunft musste er das Bewusstsein verloren haben, denn er bemerkte wohl, dass man ihn auf sein bescheidenes Lager bettete, konnte sich jedoch nicht an den Weg dorthin erinnern. Ein Tuch wurde über ihm ausgebreitet, wieder erklangen Schritte, dann war es still. Selim hatte Schmerzen. Er bewegte sich auf schmalen Grat entlang einer neuerlichen Bewusstlosigkeit, war sich dessen jedoch gewahr. Einige Herzschläge später riskierte er einen Blick, lupfte das provisorische Leichentuch zur Seite und sah sich verstohlen um. Jeder Atemzug schien flüssiges Feuer direkt in seine Lungen zu pumpen. Seine linke Brustseite pochte bei jedem Herzschlag – und das Adrenalin, das sein Herz rasen ließ, sorgte zugleich dafür, dass Selim nicht erneut bewusstlos wurde. Er setzte sich auf, berührte die schmale Messerwunde dicht an seinem Herzen – und musste sogleich gepeinigt aufstöhnen. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wo er hin konnte, was er nun tun sollte. Doch er wusste mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, dass er sterben würde, bliebe er hier. Und das wiederum bedeutete, dass er fort musste. Selim besaß die Geistesgegenwart, sich unter Schmerzen aufzurichten und seinen Rucksack hervorzukramen. Ohne jegliche Ordnung stopfte er seine wenigen Habseligkeiten hinein, den linken Arm der Schmerzen wegen kaum bewegend, sondern dicht an den Körper gepresst. Seine Gedanken rasten. Sein Herz schlug noch, das war gut, denn es bedeutete, dass Shamsul nicht einmal das hatte richtig machen können. Er musste schnell sein und fort, bevor die anderen zurück kamen, um ihn zu waschen. Oder zu holen, um ihn irgendwo in der Sar zu verscharren. Wenn er ehrlich mit sich selbst war, würde letzteres besser zu Shamsul passen.
Als er fertig war und sich den Rucksack über die rechte Schulter geworfen hatte, drückte sich Selim mit dem Rücken an die Wand und schob sich daran empor. Ihm war schlecht vor Schmerzen, erneut drohte die Umnachtung, doch er biss die Zähne zusammen und stand schließlich auf seinen Füßen. An der Wand hatte er einen dunkelroten Streifen hinterlassen.
Eine schier unendliche Zeit später fand er sich in den Stallungen wieder. Gewiss hatte er eine Spur hierher gelegt – eine Spur aus Blut. Dann, so sagte er sich, konnte er genauso gut Qamar stehlen, das schnellste und prächtigste Pferd ibn Halats, und Selim hatte hier wenig Hemmungen des Diebstahls wegen. Denn zum einen ging es um Leben und Tod – um sein Leben! - und zum anderen brauchte Armin sein Pferd nicht mehr. Es wäre eine Verschwendung gewesen, seinem Sohn das Tier zu überlassen. Den Sattel auf dem Rücken des Rappen zu platzieren erwies sich als äußerst schwierig und gelang Selim nur mit äußerster Willensanstrengung. Kalkweiß war er, kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn und durchtränkte seine Kleider, als er sich endlich auf den Pferderücken gezogen hatte. Er band sich selbst einhändig fest, nutzte die Zügel hierfür und hoffte, dennoch nicht bewusstlos zu werden. Selim di Basra verließ das Anwesen seines alten Herren ungesehen, doch hörend, wie sein Verschwinden samt seiner Sachen bemerkt wurde. Er schaffte kaum fünftausend Schritt, bis ihn die Schwärze doch wieder umfing.
Selim spürte, wie Arme sich unter seinen Körper schoben. Er wurde hochgehoben, und trotz der Schmerzen spielte er den toten Mann, denn er wusste, dass er nur überleben würde, wenn man dachte, er sei tot. Auf dem Weg in seine Unterkunft musste er das Bewusstsein verloren haben, denn er bemerkte wohl, dass man ihn auf sein bescheidenes Lager bettete, konnte sich jedoch nicht an den Weg dorthin erinnern. Ein Tuch wurde über ihm ausgebreitet, wieder erklangen Schritte, dann war es still. Selim hatte Schmerzen. Er bewegte sich auf schmalen Grat entlang einer neuerlichen Bewusstlosigkeit, war sich dessen jedoch gewahr. Einige Herzschläge später riskierte er einen Blick, lupfte das provisorische Leichentuch zur Seite und sah sich verstohlen um. Jeder Atemzug schien flüssiges Feuer direkt in seine Lungen zu pumpen. Seine linke Brustseite pochte bei jedem Herzschlag – und das Adrenalin, das sein Herz rasen ließ, sorgte zugleich dafür, dass Selim nicht erneut bewusstlos wurde. Er setzte sich auf, berührte die schmale Messerwunde dicht an seinem Herzen – und musste sogleich gepeinigt aufstöhnen. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wo er hin konnte, was er nun tun sollte. Doch er wusste mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, dass er sterben würde, bliebe er hier. Und das wiederum bedeutete, dass er fort musste. Selim besaß die Geistesgegenwart, sich unter Schmerzen aufzurichten und seinen Rucksack hervorzukramen. Ohne jegliche Ordnung stopfte er seine wenigen Habseligkeiten hinein, den linken Arm der Schmerzen wegen kaum bewegend, sondern dicht an den Körper gepresst. Seine Gedanken rasten. Sein Herz schlug noch, das war gut, denn es bedeutete, dass Shamsul nicht einmal das hatte richtig machen können. Er musste schnell sein und fort, bevor die anderen zurück kamen, um ihn zu waschen. Oder zu holen, um ihn irgendwo in der Sar zu verscharren. Wenn er ehrlich mit sich selbst war, würde letzteres besser zu Shamsul passen.
Als er fertig war und sich den Rucksack über die rechte Schulter geworfen hatte, drückte sich Selim mit dem Rücken an die Wand und schob sich daran empor. Ihm war schlecht vor Schmerzen, erneut drohte die Umnachtung, doch er biss die Zähne zusammen und stand schließlich auf seinen Füßen. An der Wand hatte er einen dunkelroten Streifen hinterlassen.
Eine schier unendliche Zeit später fand er sich in den Stallungen wieder. Gewiss hatte er eine Spur hierher gelegt – eine Spur aus Blut. Dann, so sagte er sich, konnte er genauso gut Qamar stehlen, das schnellste und prächtigste Pferd ibn Halats, und Selim hatte hier wenig Hemmungen des Diebstahls wegen. Denn zum einen ging es um Leben und Tod – um sein Leben! - und zum anderen brauchte Armin sein Pferd nicht mehr. Es wäre eine Verschwendung gewesen, seinem Sohn das Tier zu überlassen. Den Sattel auf dem Rücken des Rappen zu platzieren erwies sich als äußerst schwierig und gelang Selim nur mit äußerster Willensanstrengung. Kalkweiß war er, kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn und durchtränkte seine Kleider, als er sich endlich auf den Pferderücken gezogen hatte. Er band sich selbst einhändig fest, nutzte die Zügel hierfür und hoffte, dennoch nicht bewusstlos zu werden. Selim di Basra verließ das Anwesen seines alten Herren ungesehen, doch hörend, wie sein Verschwinden samt seiner Sachen bemerkt wurde. Er schaffte kaum fünftausend Schritt, bis ihn die Schwärze doch wieder umfing.