Das hatte sich Trisst Na'Werdenn deutlich anders vorgestellt, als man ihm mitteilte, dass sich Hehlerware am besten in Sarma verkaufen ließ. Hätte er nur mal auf einen anderen Wichtel gehört und wäre nach Rumdett gegangen. Die Wüstenstadt bot aktuell keine Möglichkeit, Diebesgut an den Mann zu bringen. Hier herrschte Krieg! Missmutig gab der Wichtel seiner Ratte die Sporen zu spüren. Diese quiekte, unterließ allerdings ein Aufbäumen des halb gekrümmten Körpers. Hastig und mit hopsenden Bewegungen hechtete sie unter eine zerbeulte Brustrüstung. Sie gehörte einem der dunklen Völker, von denen sich derzeit genug auf dem Schlachtfeld ein wahres Gemetzel mit den Verteidigern Sarmas boten. Ja, selbst jetzt noch kämpfte man, obwohl schon die Nacht hereingebrochen war und die meisten sich vom Feld zurückgezogen hatten. Einige, um ihre Wunden zu lecken. Andere, um neue Kriegsstrategien für den kommenden Tag auf einem Stück Karte auszuhandeln. Trotzdem floss immer noch Blut, färbte den Sand rot und hinterließ überall diesen metallischen Geruch in der Luft. Jener, sowie der des bestialisch riesigen Schuppenwesens, das mit seinem Feueratem noch immer den Nachthimmel erfüllte. "Ich hasse Drachen", murmelte der Wichtel. Es gab Dinge, die waren selbst für ihn eine Nummer zu groß. Er hätte nach Rumdett gehen sollen. Nun war er aber hier und noch immer wollte er aus seiner Beute Gewinn schlagen. Sie einfach liegenlassen oder zu verschenken, wie es eigentlich Tradition der Wichtelwesen war, kam für ihn nicht in Frage. Das brachte ja keine glitzernden Münzen ein, aber genau auf die hatte es Trisst abgesehen. Er mochte Münzen. Sie funkelten so schön!
Aber wohin sollte er sich nunmehr wenden? Seine Ratte reckte die Schnauze empor, schnuffelte, dass ihre silbrigen Barthaare wippten. Der Wichtel wusste, dass sie mehr lauschte anstatt zu schnuppern. So reckte auch er den Kopf, denn wenn sein Reittiert zuhörte, musste es wichtig sein. So richtete sich seine Aufmerksamkeit auf zwei Soldaten der Sarmaer. Der eine führte seinen Kameraden gerade vom Feld und Richtung der Tore. Dem Mann lief das Blut die gesamte rechte Körperhälfte herab und sein Bein hing nur noch an wenigen Gewebefasern. Es schleifte schlaff hinter beiden her, hinterließ eine lange und blutige Spur im Sand. Der Anblick war ernüchternd.
"Wir haben es gleich geschafft, Adil. Gib nicht auf."
"Ich kann mein Bein nicht mehr spüren. Es ist alles verloren. Lass mich hier liegen."
"Nein, beim verfluchten Sonnengott! Ich hab dir gesagt, gib nicht auf. Denk an den Befreier von Sarma."
"Darak Luthrokar?"
"Eben jenen. Denk an ihn. Tapfer wie er ist, hat er die Hoffnung nicht fahren lassen. Er ist mit zwei verkrüppelten Beinen auf einem Drachen in die Schlacht geflogen und hat sich Säbel schwingend durch die Reihen der Feinde gemäht."
"Aber ich habe keinen Drachen, Mussath."
"Du hast mich."
Die Soldaten zogen an der verbeulten Rüstung vorbei, unter der sich Wichtel Na'Werdenn noch immer verbarg. Er verfolgte sie geraume Zeit aufmerksam, bis er erkannte, dass sie die Stadt Sarma betraten. "Befreier, wie?" Der Wichtel hob einen Mundwinkel. Na, wenn so ein Mann wie dieser Luthrokar mit missgestalteten Beinen in den Kampf zog, war er sicherlich auch in der Lage, selbst im Krieg eine Münze springen zu lassen. Erneut spürte die Ratte die Hacken des Wichtels, dann huschte sie auf die Stadtmauer zu und suchte sich dort einen schmalen Spalt zum Hindurchschlüpfen.
Währenddessen wirkte der Befreier nicht gerade so mächtig, so befreiend, wie seine getreuen Soldaten über ihn gesprochen hatten. Ganz im Gegenteil, es war bei weitem kein schöner Anblick, den er seinem dunkelelfischen Sklaven da bot. Rhiven ließ sich auf Almas Hocker nieder, knurrte noch leicht über die dort befindliche Schweißpfütze, die seinen Hintern befeuchtete. Dann aber erkundigte er sich tatsächlich nach Daraks Zustand. Er klang interessiert, was man einem seines Volkes angesichts des feindlichen Anführers sicherlich nicht zugetraut hätte. Aber Rhiven gab sich von Anfang an als schwer einschätzbarer Elf. Seine Motive blieben Darak noch immer verborgen, der Mann ein ungelüftetes Geheimnis. Was trieb ihn an, sein Leben so oft für jemanden zu riskieren, von dem er behauptete, dass er ihn in die Sklavschaft getrieben hatte?
Der helmlose Luthrokar stellte diese Fragen auf seine Weise, verborgen in Erklärungen, die keinen fragenden Laut bedurften und dennoch genau darauf abzielten, endlich Antworten zu erhalten. Der Dunkelelf musterte jenen Mann auf der Liege. Seine Augen funkelten tiefrot, vermutlich so dunkel wie das Blut, das die Wüste färbte. Er stank - wie der Rest im Lazarett. Jeder von ihnen konnte ein Bad gebrauchen. Etwas, das sich in Sarma ohnehin nur die gut Betuchten leisteten. Sultane, für die es keinen Aufwand bedeutete, in Milch oder Wasser zu baden. Die Unterschicht missbrauchte kostbare Flüssigkeiten nicht für derlei Belange. Es kam vor, dass man badete, aber nicht so intensiv. Immerhin wollte man das Wasser im Anschluss noch zum Kochen und Trinken verwenden! So mancher Sarmaer tat einiges für sein Überleben. War dies auch das Kernmotiv hinter Rhivens Taten? Überleben? Warum verlor er dann jeglichen Respekt vor der Frau, die ihn heilte?
Rhiven schaute zur Plane, die den Eingang des Lazaretts darstellte. Almas mächtiger Schatten hob sich als dunkler Fleck davor ab. Sie stand draußen, gönnte sich etwas "frische Luft" und rauchte vermutlich. "Befehlt mir doch, manierlich zu sein ... Herr", gab der Elf zurück. Ein Schnauben folgte: "Als wüsste ich nicht, dass man mich am Leben erhält, damit ich Euch besser dienen und Euch aufs Neue den Arsch retten kann. Sieht so aus, als kommt das ohnehin häufiger vor." Da hatte er nicht ganz Unrecht. Darak geriet so oft in brenzlige, gar lebensgefährliche Situationen ... er könnte von einem Wohlwollen der Götter sprechen, dass sie sein Leben noch immer verschont hatten. Oder keiner der höheren Wesen wollte ihn in seinem Reich wissen...
"Das war ... alles wahnsinnig..."
Rhiven grinste auf, dass seine Eckzähne hell leuchteten wie der Verband auf der dunklen Brust. "War es." Wahnsinn passte zu diesem Spitzohr. Oder es schien ein Gewand zu sein, in das er sich gern kleidete. Aber um des Wahnsinns Willen solche Taten zu begehen? "Also werden wir ihn noch töten? Lacheis Aertes, den Unbefleckten ... deinen weißmanteligen Bastard. Immerhin ... wäre das ebenso Wahnsinn, oder nicht?" Das Grinsen verweilte mehrere Intervalle auf den elfischen Zügen, ehe es abebbte. Hatte es Rhiven tatsächlich darauf abgesehen, einen anerkannten und den Worten nach unbesiegbaren Anführer seines eigenen Volkes zusammen mit Darak Luthrokar hinzurichten? Mit Darak Luthrokar, der momentan vermutlich sogar Hilfe brauchte, wenn er zum Donnerbalken wollte?
Das war im Moment aber gar nicht Daras Ziel. Er erkannte, dass er nicht hier liegenbleiben durfte. Er nahm einen wichtigen Platz im Lazarett in Anspruch, den andere viel nötiger hatten als er selbst. Außerdem wollte er zum Palast gelangen, Vesta sehen. Ohne in diese Richtung auffällig zu werden, erteilte er Rhiven den Befehl, ihm einen Gefallen zu tun. Der Elf erhob sich und vollführte trotz seiner verbundenen Brust einen nahezu perfekten Salut mit halber Verbeugung. Dabei senkte er den Kopf so übertrieben demütig, dass ihm die silberweißen Haare an beiden Spitzohren vorbei wie ein Vorhang bis ins Gesicht fielen. "Für einen Keks werde ich alles tun,
Herr. Seid versichert, dass auch Euer Spielzeug nicht auf den Straßen Eurer Stadt zu Bruch gehen möchte." Der Sarkasmus troff ihm aus dem Mund wie Geifer aus dem Maul eines Hundes. Er richtete sich wieder auf und wandte sich ab, verließ das Zelt. Darak konnte von seinem Platz aus sehen, wie er sich mit dem großen Schattenfleck Almas unterhielt. Kurz darauf ertönte ihr Lachen, dass es Darak in den Ohren läutete. Nein ... das war etwas Anderes. Glockengeläut, jedoch nicht wie jenes eines Alarmsignals. Es kam von viel weiter her, als tönte jeder Glockenschlag wie ein Echo, der von den Winden übers Meer getragen worden war. Er passte sich Daraks Herzschlag an. Halluzinierte der Mann bereits wieder? Wenn ja, so waren es die besten im Wahn entstandenen Wachträume seit langem. Denn die läutende Musik in seinen Ohren erfüllte ihn, gab ihm das innere Bedürfnis, weiterhin für Sarma kämpfen zu wollen. Für jeden einzelnen, der auf seiner Seite stand. Und nicht nur Darak schien dieses Gefühl zu befallen.
Ein Heiler, der sein Blickfeld durchquerte, beugte sich nieder, um einen verlorenen Lappen aufzuheben. Sogleich knotete er ihn zusammen, bis er einem knorpeligen Männchen ähnlich sah. Unter einem Lächeln reichte er die Lappenpuppe an ein verletztes Kind auf einem der anderen Lager. Der Bursche bekam feuchte Augen, drückte die Puppe an sich und lachte. Hell und fröhlich, dass es das Herz erwärmte.
Rhiven kehrte zurück. Dieses Mal fehlte die Übertreibung in seiner militanten Verbeugung, dafür suchte er gezielt Daraks Blick. Seine Worte erreichten auch deutlich milder das fast taube Ohr, sowie dessen Bruder: "Alma lässt dir eine Sänfte bringen. Ich ... draußen regnet es Asche. Weiße, kalte Asche." Er blickte über die Schulter zurück zum Zelteingang. "Fauch mag zwar ein Feuer speiender Drache sein, doch deine Gefolgsleute und Soldaten behaupten, es sei sein Werk. Feuer und Asche ... du weißt schon. Angeblich soll er Rauch in den Himmel gespuckt haben, der sich über den Wolken abkühlte, dort reinweiß wurde und nun als Flocken auf Sarma rieselt. Er fühlt sich erfrischend kühl an. Einige beginnen damit, ihn in Eimern zu sammeln. Es ist wie ... wie ein Segen." So ehrfurchtsvoll hatte Darak seinen Sklaven noch nicht sprechen hören. Tatsächlich wirkte Rhiven beeindruckt von dem seltsamen Wunder, das sich draußen ereignete. Darak sollte selbst noch Zeuge davon werden und erkennen, dass es simpler Schnee war. Dennoch ... in Sarma schneite es nicht. Es war ein Wunder!
Alma brüllte etwas von draußen. Rhivens Ohren zuckten kurz, dann neigte er sich vor und schob Darak unverwandt seinen Arm unter den Rücken, um ihn in eine sitzende Lage zu helfen. "Die Sänfte ist angekommen." Es dauerte, bis der Luthrokar zu jener gebracht worden war. Sein zertrümmertes Knie machte das Gehen nicht unmöglich, aber zu einer schmerzhaften Prüfung. Der Dunkelelf an seiner Seite bot da eine überragende Stütze, durch die er das angeknackste Bein entlasten konnte, aber auch Rhiven ächzte unter dem Gewicht des Befreiers. Soviel zur Schonung. Der Elf besaß eine ähnliche Sturheit wie sein Gebieter.
Schließlich aber hatte man Darak nach draußen geschafft. Und da durfte er neben dem herab rieselnden Schnee seine Sänfte begutachten. Eine zu hoch gegriffene Bezeichnung für das jämmerliche Plankenholz, das von zwei Sarmaern getragen wurde und auf dem man zu Daraks Komfort etwas Stroh ausgelegt hatte. Alma half dabei, ihn auf das Transportmittel zu heben. Sie tätschelte Daraks Arm. "Ich such dich im Palast auf, sobald ich kann", meinte sie. Dann gab sie Anweisung, den Befreier und seinen Kriegsgefangenen zum Palast zu bringen. Rhiven spazierte neben der Sänfte einher. Darak hatte es da deutlich bequemer auf dem Stroh. Ein frecher Halm wagte es sogar, ihn an der Nase zu kitzeln. Irgendwie erfüllte ihn das mit neuer Zuversicht. Jeder einzelne in der Stadt machte das Beste aus einer schier aussichtslosen Situation, doch niemand von ihnen gab auf. Der Befreier brauchte eine Sänfte? Dann bekam er eine, auch wenn sie wie eine aus den Angeln gehobene Tür aussah! Man behandelte ihn voller Respekt, kämpfte noch immer in seinem Namen und die Stimmen derer, die auf der Straße stehenblieben, um ihn zu beobachten, unterschieden sich von jenen, die einst in seinem Geist gelebt hatten. Niemand machte ihn für den Tod all der Soldaten vor den Toren verantwortlich. Im Gegenteil, man bejubelte ihn, schenkte ihm Kraft spendete Blicke oder Gesten bedingungsloser Loyalität. Darak wurde gefeiert, wie es seinem Titel gebührte. Sein Anblick und sei er noch so jämmerlich als halber Krüppel auf einer billigen Holzsänfte erfüllte jeden einzelnen Sarmaer mit neuer Hoffnung, stärkte dessen Moral. Sie lächelten ihm entgegen!
Darak genoss eine unglaubliche Aussicht. Wenn er sich zurücklehnte, konnte er in den Nachthimmel schauen. Schwarz war er mit rötlichem Schimmer in der Ferne. Hieß das, dass Fauch wieder kämpfte und Feuer spie? Oder brannten die Mauern der Stadt? An letzteres musste er nicht glauben. Nicht angesichts all der Gesichter, die seinen Weg bis zum Palast streiften. Sie waren voller Zuversicht, hell und klar wie der Stern, der allein und doch so leuchtend von Manthalas Nachtgewand auf die Welt herab funkelte.
Und dann blitzte er einmal auf. Im nächsten Moment spürte Darak Gewicht auf seiner Brust. War der Stern zu ihm herabgefallen?
Am Boden rappelte sich Wichtel Trisst Na'Werdenn auf. Er klopfte sich Blut, Staub und Sand von der Kleidung. Dann fluchte er mit erhobener Faust der Katze hinterher. Dieser verlauste Flohsack hatte sein Reittier auf dem Gewissen. Die Pranke war einfach aus dem Nichts gekommen, hatte sich die Ratte gepackt und den Wichtel von ihrem Rücken geschleudert. Noch jetzt schmerzte Trissts Hintern. Er rieb ihn sich, hielt nach dem kleinen Amulett Ausschau, das er gegen bare Münze verkaufen wollte. "Das darf nicht wahr sein!" Es war fort, ihm einfach aus den Händen geglitten. Es konnte nun überall sein! So ein Pech! Da half alles nichts. Bevor es schlimmer wurde, ging Wichtel Na'Werdenn lieber seiner Wege. Er wollte nicht noch das Unglück erleben, plötzlich aktiv am Krieg teilnehme zu müssen.
Hätte er geahnt, dass das Amulett sein geplantes Ziel nicht verfehlt hatte, wäre er Daraks Sänfte vermutlich nachgelaufen, ihm auf den Bauch gesprungen und hätte nach einer Bezahlung verlangt. So aber fand sich ein neuer Besitzer für das kostbare Schmuckstück, das silbern glitzerte und die Form eines Sichelmondes besaß. In der Fassung befand sich ein perlmuttfarbener Stein, der die Nacht beinahe ebenbürtig erhellte wie der Stern über dem stoppeligen Schädel des Befreiers.
"Ein Zeichen Manthalas", raunte Rhiven, dem das Amulett aufgefallen war. Er schwitzte bereits wieder. Die Strecke machte auch ihm zu schaffen. Immerhin war auch er leicht verletzt. Dann erfolgte ein Stocken. "Mädchen? Ich ... nein ... ich hab keines. Nicht in dem Sinn. Ich ..." Er räusperte sich, ausnahmsweise um einen zynischen Spruch verlegen. "Dunkelelfische Soldaten haben während ihrer Ausbildung kaum Zeit, sich um Weiber zu kümmern", ergänzte er schließlich etwas schroff.
- Feylins Strohhalm der Hoffnung
- Es schneit in Sarma! (noch zwei Posting lang)
- Brocknars Glockengeläut der Nächstenliebe
- Lysanthors Stern der Zuversicht
- Ein sichelmondförmiges Perlmutt-Amueltt, das im Dunkeln leuchten kann (Wichtelgeschenk von Roac)