Handels- und Handwerkerviertel lagen nah beieinander. Trotzdem mussten Agnes und Azura eine ganze Weile gehen, bis sie die vielen Häuser mit ihren Vorgatten-Ständen und Warenfenstern hinter sich ließen. Sie tauschten den Lärm belebter Straßen durch den großer Handwerkerstätten ein. Alles, was sich aus Stein und Erz herstellen ließ, schien hier seine eigene Fertigungsstelle zu haben. Überall hämmerte und klapperte es. Da gab es Rüstungsbauer, die Beulen aus alten Zwergenbrustpanzern schlugen und ihre neuesten Produkte auf Puppenständern vor ihren Fertigungshallen ausstellten. Azura kannte diese Form der Präsentation nur von Schneidereien und dort hatte man den Schaufensterpuppen die schönsten Ballkleider oder Anzüge für die gehobene Gesellschaft angezogen. Nogrot machte hier eher den Eindruck, dass der Drachentöter und Krieger von Welt seine Ersparnisse loswerden konnte. Für ihren Geschmack fand sich hier nichts. Und nicht nur, dass ihre Ohren arg in Mitleidenschaft gezogen wurden, auch ihre Nase stellte das Viertel hart auf die Probe.
Der Geruch verbrannter Kohle mischte sich mit dem Gestank von Schwefel. In manchen Ecken roch es derart stark nach faulen Eiern, dass man diese Gegend sicher nicht mit vollem Magen besuchen wollte. Agnes half ihr aus, denn sie kannte ihre Heimat natürlich besser. So reichte sie Azura ein mit einem Extrakt beträufeltes Tuch, das sie sich vor Nase und Mund halten konnte. Es duftete nicht gerade nach Rosen, aber das Gemisch aus frischer Minze, Salbei und einem Hauch Baldrian für die Nerven beruhigte. So ließ es sich zwischen all den schwitzenden Zwergen und ihren Handwerkskünsten aushalten.
Über dem Viertel ragte hinaus, was man wohl die größte Schmiede Celcias nennen konnte. Dabei handelte sich eigentlich um einen Tempel, in dem der vor allem von Zwergen verehrte Gott Brocknar angebetet wurde. Säulen, die breit genug waren, um kleine Wohnungen beherbergen zu können, trugen die Gewölbedecke der Zwergenstadt, über der sich das Drachengebirge in den Himmel erhob. Brocknars Tempel stützte eine Bergkette! Und jede einzelne Säule war ein Staunen wert. Die Zwerge hatten sich große Mühe gegeben, ihre Kultur und Geschichte in den Stein zu hauen. Man erkannte Fresken und steinerne Wandbilder als gigantische Tafeln, welche die Außenwände des Tempels zusätzlich schmückten. Dort sah man diverse Szenen von Zwergen im Kampf mit allerlei Gezücht der Berghöhlen oder aber beim Aufbau Nogrots selbst. Einige Köpfe männlicher als auch weiblicher Zwerge zeigten sich nicht nur als Büsten vergangener Persönlichkeiten, sondern bildeten weitere, kleinere Säulen, die gewisse Außenbereiche des Tempels absteckten. Zwischen ihnen fanden sich Lager- und Produktionsstätten, vor allem aber Schmieden. Zu einer von ihnen waren Azura und Agnes nun unterwegs.
Sie unterschied sich äußerlich kaum von denen der anderen. Auch hier fanden sich gewaltige Schmelzöfen, aus denen beißender Qualm bis unter die Decke stieg. Zwerge fuhren mit Karren das Erz heran, um nahe der Öfen abzuladen. Sternförmig standen einige Ambosse in der Schmiede, an denen viele Zwerge Waffen verfeinerten oder zunächst grob aus dem geschmolzenen Metall schlugen. Sie alle arbeiteten Oberkörperfrei, selbst die Frauen, die ihre Weiblichkeit mit schweren Lederschürzen verdeckten. Das Schlagen ihrer Hämmer bildete eine metallische Hintergrundmelodie zur allgemeinen Klangkulisse. Es krachte, es hämmerte, es zischte und es dampfte.
Inmitten all dessen stampfte Xaon Ambossbart umher und gab Ratschläge, Anweisungen oder den einen oder anderen verärgerten Fluch von sich. Anhand seines feurigen Haars und Bartes war er unverkennbar. Agnes winkte dem Schmied zu, um seine Aufmerksamkeit zu erhalten. Ein wenig verwirrt betrachtete er die beiden Frauen. Dann sprach er kurz mit einer Zwergin, überreichte ihr eine Liste und wischte sich die Hände an seiner eigenen Schürze ab. Schließlich kam er auf Agnes und Azura zu.
Die Heilerin zupfte an Azuras Tunika. "Ich lasse dich nun allein und kehre in mein Heim zurück. Du findest den Weg ja nun. Bleib nicht zu lang, dein Freund vermisst dich bestimmt sehr schnell." Sie schätzte Corax gut ein. "Lass dich von einem von Xaons Leuten nach dem Gespräch einfach zu Grimbardts Schenke bringen. Méllyn sollte noch dort sein. Also dann ... wir sehen uns!"