Licht drang durch ihre Lider. Es brannte unangenehm, nachdem sie so viel Zeit in der Schwärze zugebracht hatte. Es trieb ihr die Tränen in die Augenwinkel und sorgte dafür, dass sie ihre Lider nur noch mehr zusammenkniff. Auch ihr übriger Körper reagierte, obgleich ihre Glieder sich allesamt schwer wie Blei anfühlten. Aber sie schienen noch vorhanden, machten sich durch steife, holzige Bewegungen bemerkbar. Leise klimperte etwas, aber sie hörte auf das sanfte Rascheln von Stoff. Außerdem spürte sie, dass irgendetwas sie gegen den weichen Komfort eines Kissens drückte, auf den ihr Kopf gebettet war. Langsam arbeiteten Azura Sinne wieder. Sie spürte auch eine halbwegs bequeme Matratze unter sich, vermutlich gefüllt mit Stroh. In Andunie schlief sie auf feinsten Daunen und doch dankte ihr Körper dem Untergrund irgendwie. Kuschlig warm war es, nur die Helligkeit störte sie.
Dann gesellte sich eine Stimme als zusätzliches Ärgernis hinzu. "Ah, da regt sich jemand!"
Konnte sie nicht einfach weiter schlafen? Wollte sie? Der Traum hing noch nach und vielleicht ließ er sie endlich aufwachen, als die Erinnerung an seine letzten Bilder sich in Azuras Bewusstsein breit machten.
So erkannte sie die Trägerin der Stimme als erstes. Eine große Knollennase mit schon mehr als klischeehafter dicker Warze streckte sich ihr entgegen. Sie - die Nase, nicht die Warze! - war so groß, dass man das rundliche Gesicht daran beinahe ausblendete. Schaute man aber an den bogenartigen Nasenflügeln vorbei, blickte man in das runzlige Gesicht einer älteren Zwergenfrau. Krähenfüße tanzten bei jedem Blinzeln um ihre Augen, als seien sie lebendig. Doch die Alte besaß warme, herzliche Augen, die an ein Paar gerösteter Haselnüsse erinnerten. Sie verbargen sich hinter einem Drahtgestellt, welches runde Gläser wie einen Schutz vor den Augen hielt. Azura kannte ein solches Konstrukt. Einige andunische Gelehrte mussten im Laufe ihres Lebens auf diese Form von Augengläsern zurückgreifen, damit sie nach Sonnenuntergang und bei Kerzenschein weiterhin die Buchstaben in all ihren lehrreichen Schmökern erkennen konnten. Auch der Vater einer adligen Freundin war auf eine Brille angewiesen, aber sein Gestell hatte schön ausgesehen. Golden und die Griffe der Brille hatten in verschlungenen Apfelblüten aus reinem Blattgold geendet. Das Gestell der alten Zwergin war schmucklos und teils etwas angelaufen. Es schimmerte fast so bronzefarben wie Azuras Haar, welches ihr in der Stirn klebte. Eine Hand so runzlig wie das Gesicht wischte ihr die Strähne beiseite.
"Verstehst du Nogret? Na, ich bleib mal bei Celcianisch. Endlich ist wenigstens einer von euch wach. Ich hab schon das Schlimmste befürchtet. Wie fühlst du dich? Kannst du sprechen? Kannst du mir deinen Namen sagen?" Sie durchbohrte Azura nicht mit den Fragen, sondern stellte sie langsam und ruhig. Ihre behutsame, warme Stimme trug dazu bei, dass man sich nicht gleich vollkommen überfahren fühlte. Die Alte lehnte sich etwas zurück, so dass Azura nun neben ihrer großen Warzennase und den freundlichen Augen auch die etwas zerzauste Frisur der Zwergin erkennen konnte. Aus den gflochtenen, dicken Zöpfen aus ergrautem Haar standen viele kleine Strähnchen ab, was ihr gleichermaßen wie die weiße Haube auf dem Kopf etwas Mütterliches verlieh. Sie trug eine weiße Schürze über ihrer ansonsten schlichten, braunen Tunika. Oder war es Kleid aus dickem Stoff? Von ihrer Position aus konnte Azura nicht mehr erkennen. Sie wusste nun lediglich, dass sie in einem Bett lag. Ihre Füße hinten etwas über den Rand hinaus, aber die Alte hatte offenbar versucht, das mit aufgestapelten Kissen am Bett-Ende auszugleichen. Das Bett war unnatürlich breit, doch so bot es wenigstens auch Corax genug Platz. Er lag dicht neben Azura. Sein Körper strahlte Hitze aus. Auf seiner Stirn lag ein feuchter Lappen. Er hatte die Augen geschlossen und nur seine flache Atmung verriet, dass er lebte. Schweiß perlte auf seinem Gesicht. Er wirkte fiebrig, das Rabenhaar klebte an seiner Haut. Bis zum Kinn lag er eingepackt unter der Decke, unter der auch Azura sich befand. Jemand hatte ihr ein Hemd angezogen, das aber nur bis zum Bauch reichte.
"Bitte, versuch zu antworten", sagte die Zwergin und lenkte wieder Aufmerksamkeit auf sich. "Sobald die alte Agnes nämlich weiß, dass du bei Sinnen bist, kann sie dir auch eine warme Suppe bringen. Das wird dir gut tun. Oh! Ich bin die alte Agnes. Agnes Moospelz. Aber ich will dich nicht mit zu vielen Informationen überfordern. Komm erst einmal richtig zu dir, ja?"