In gemäßigtem Tempo ging es durch die Straßen Nogrots und es waren breite Straßen aus gewaltigen Pflastersteinen, die man eher Quader nennen konnte. Die Zwerge liebten es, mit Stein zu arbeiten. So besaßen die Quaderstraßen sogar zu beiden Seiten Bürgersteige aus kleineren Pflastersteinen. Geschäfte aller Art reihten sich zwischen Wohnbauten auf, die nicht direkt in den Fels gehauen worden waren. Zwerge besaßen auch Häuser, lediglich ihre Dächer bauten sie flach und lagerten dort private Habseligkeiten oder legten sich eine Art steinerne Dachterrasse an. Irgendwo in den Höhlen musste es große Abzugsschächte geben, denn das kleine Volk liebte es auch zu heizen. Aus diversen Schornsteinen stieg Rauch in die Höhle auf, ohne sie zu füllen. Die Luft blieb frisch, roch nur ein wenig nach dem Qualm, je nachdem in welchem Bezirk Nogrots man sich bewegte.
Viele der Häuser besaßen große offene Verkaufsfenster direkt in der Fassade. Markisen hingen auf die Bordsteine und hüllten sie etwas in Schatten. Azura und Corax wurden an zahlreichen solche Läden vorbeigeführt. Dafür, dass die Zwerge so tief im Berg lebten, boten sie viele verschiedene Waren an. So kam das Trio an Geschäften mit Hopfendolden vorbei, deren hohe Qualität lauthals angepriesen wurde. Einige Bierbrauer reihten sich dort auf und beschauten die Waren. An einem anderen Verkaufsfenster wurden Helme und kleine Hämmer angeboten, Irgendwo in der Nähe musste es aber auch eine Bäckerei geben. Der köstliche Duft von Süßwaren mischte sich unter die Zwerge. Und es gab viele von ihnen. Sie schlenderten durch die Straßen, blieben aber allesamt stehen, sobald sie den Wächter mit den beiden Großlingen im Schlepptau sahen. Einige Zwerge zeigten sogar ungeniert auf die Fremden.
Das führte nicht nur einmal dazu, dass Corax ihnen irgendwelche Worte auf Lerium entgegen keifte. Freundlich klangen sie nicht. Er schritt plötzlich dichter neben Azura, als wolle er ihr Äußeres mit seinem Körper abschirmen. Mit ihr selbst sprach er allerdings kein einziges Wort.
"Wir sind fast da", ließ der Wächter sie wissen. Sie mussten vorher aber wieder einige Stufen in die Tiefe und in einen Tunnel hinein. Laternen hingen von der felsigen Decke und warme Luft strömte ihnen bereits wie Drachenatem entgegen. Sie stank nur nicht, im Gegenteil. Der Duft gesunder Kräuter mischte sich darunter. Azuras kannte diesen Duft. Ihr Mutter hatte manchmal Kräuterpäckchen bei einer Heilkundigen erstanden, die sie dann in kleinen Portionen ins Badewasser gab, wenn sie oder ihre Tochter sich in den kälteren Jahreszeit verkühlt hatten. Manchmal bekam Azura sie sogar als Tee oder Paste angeboten, die sie auf die Brust schmieren konnte. Es linderte den Hustenreiz und ließ den Erkälteten des Nachts durchschlafen.
Schließlich endete der Tunnel in einer gewaltigen Höhle, die zahlreiche natürliche Felsenbecken aufwies. Aus ihren stieg heißer Dampf auf, denn jedes dieser Becken beherbergte vom celcianischen Erdkern erhitztes Quellwasser. Einige der Quellen schienen besetzt, denn Vorhänge, die an kerzenlosen Kronleuchtern an der Decke angebracht waren, umhüllten sie. Man erkannte lediglich die verwaschenen Schatten derer, die hinter dem Stoff badeten. Hier und da drangen auch die Geräusche gedämpfter Gespräche oder ein Kichern durch die Höhle.
Der Zwergenwächter hielt an und wandte sich um. "Das sind ... hm, wie heißt das auf Celcianisch? Heiße Badezuber? Genau! Heiße Badezuber. Darin könnt ihr euch ein wenig entspannen und vor allem: waschen. So dreckig schmeißt Ambossbart euch nur hinaus und ich riskiere meinen Ruf. Sucht euch einfach ein Becken, das frei ist. Ich finde euch schon wieder, werde nun aber mit dem Betreiber abklären, dass man euch in Frieden lässt. Bei den Felsen liegen immer Handtücher und Kernseife bereit, außerdem Kräuter für das Becken. Nutzt alles, ich bitte euch." Dabei sah er vor allem Corax an, der den Zwerg stoisch ignorierte. Der kleine Mann seufzte aus. "Fräulein, lasst euch Zeit. Mein Kamerad sucht bereits nach Kleidung für euch beide. Rechnet aber damit, dass es hier nichts umsonst gibt. Notfalls arbeitet ihr es irgendwo ab, verstanden? Und nun viel Spaß."
Sofern die beiden keine Fragen mehr an ihn hatten, wandte der Wächter sich ab, um den Betreiber der heißen Quellen zu suchen. Und erst als er weg war, erhob Corax wieder die Stimme: "Heiße Quellen, ja? Pha, als würdest du dich nochmal vor mir ausziehen!"