Überhaupt fachte sich auf beiden Seiten die Missmutigkeit durch gegenseitiges Gebaren weiter an. Dabei sollten die Zwerge doch gar kein Feindbild darstellen. Im Gegenteil! Die Wachen hatten ihr doch helfen wollen und auch bei der Attacke auf Corax war das allein ihr Motiv gewesen. Azuras mangelnde Dankbarkeit und - schlimmer wie gleichermaßen verwirrender noch - ihre aufrichtige Sorge um den Gefährten, der sie zuvor so unwirsch angegangen war, machte das kleine Volk ganz konfus.
Unter ihrem geschmälerten Blick verhärteten sich auch die Zwergenmienen. Nun erkannte man, warum dieses Volk unter der Erde lebte. Wären sie grau, ihre Gesichter hätten wie in Stein gemeißelt sein können. Kantig und mit dünnen Runzelschluchten, dazu die Bärte über den Wölbungen ihres Körpers, dass es wie Moos ausschaute, welches einen Berghang hinab wuchs. Sie präsentierten sich im typischen Bild, das man von einem Zwerg haben konnte. Azura stand ihnen indessen in Nichts nach. Sofern man den menschlichen Adel kannte, hätte man mit ihrem Blick und der teils provokanten Haltung durchaus etwas anfangen können. Die Nogroter jedoch, welche vor ihr standen, konnten froh sein, wenn sie mit Adel allgemein schon einmal zu tun gehabt hatten. So sahen die meisten in Azura auf einmal nichts weiter als ein großspuriges, arrogantes Gör, das glaubte, sie nach ihrem Willen tanzen lassen zu können. Und dann zeigte sich bei einem Zwerg die klischeehafte Eigenschaft, die man ihm nur zu gern zuschrieb: Blanke Sturheit.
"Dieser ... Faustdienst, wie Ihr es nennt, sollte Euch davor bewahren, dass der Kerl sich gegen Euren Willen über Euch hermacht!", brummelte Wilbur grimmig. Ugder und die anderen Zwerge nickten unter Zustimmung. "Habt Ihr's denn nicht gehört, Fräulein? Wie er geschrien und Euch gepackt hat? Seid Ihr blind und taub?!"
Erneutes, intensiveres Nicken aus den hinteren Reihen. Doch keine von beiden Seiten wollte dieses Mal nachgeben. Die Stimmung heizte sich weiter auf, scheinbar auch die Quelle. In den hintersten Reihen der Zwergenwachen bemerkte zumindest einer, wie das Wasser hinter ihm im Becken unnatürlich zu brodeln begann.
Doch auch vorn brodelte es. Azura und Wilbur boten sich ein Duell des gegenseiten Anstarrens. Der Zwerg runzelte nur einmal die Stirn, als er die pelgarischen Worte vernahm, aber offensichtlich nicht deuten konnte. Dafür meldete sich jemand aus dem Hintergrund.
"Hey, Wilbur! Sie hat dich eben einen kleinen Wicht genannt und ... und ...Fußabtreter!"
Wilbur blickte über die Schulter zurück, um zu antworten: "Woher willst du das wissen, Brockden?"
"Mein Bruder ist fahrender Händler und war die letzten Jahre immer wieder in Pelgar. Da schnappt man so einiges auf. Vor allem Flüche und Schimpfworte der Großlinge, die glauben, wir verstünden sie nicht."
"Ist das so...?" Wilbur schaute wieder nach vorn. Seine kleinen Augen funkelten wie schwarze Käfer in der Mittagssonne. Seine Baarthaare zuckten unter dem Zähneknirschen, das in der üblichen Atmosphäre einen seltsamen Klang annahm. Als würde jemand Steine mahlen. Azuras Drohungen hatte er bislang noch schweigend in Kauf genommen, wo seine Zwerge im Hintergrund unter Corax' Gewicht eifrig raunten und tuschelten - teils in Nogret, teils auf Celcianisch. Sie murmelten über die Zwergenschiffe und fragten sich gegenseitig, wie viel Einfluss diese Frau vor ihnen haben mochte oder ob es nicht doch nur eine leere Drohung sei.
"Was will sie machen? Unsere gepanzerten Schiffe mit bloßer Hand auseinander schlagen? Ha!"
"Vielleicht hat sie einflussreiche Freunde in Andunie..."
"Andunie ist gefallen, habt ihr die eingereisten Kumpels nicht gehört? Die Dunkelelfen haben die Stadt eingenommen."
"Und sie klebt an einem wie der Furunkel am Arsch meiner Frau!"
"Dann wird sie ihn niemals loswerden..."
"Sei still, Dombart!"
"Ruhe, ihr zwei! Ich sage, das Weib kann uns überhaupt nix. Seht sie euch doch an. Gefesselt an diesen dunklen Störenfried. Die ist garantiert selbst seine Gefangene."
"Und warum verteidigt sie ihn nun?"
"Durchgedreht, eindeutig verrückt, das Gör, sage ich."
"RUHE!", sprach Wilbur an vorderster Front mit einem Mal ein Machtwort. Es blieb unklar, ob es Azura oder seinen eigenen Männern galt. Der folgende Befehl war allerdings eindeutig an die Zwerge gerichtet: "Absetzen!"
Die Zwerge zeigten sich mehr als folgsam. Corax wurde einfach fallen gelassen und der arme Packesel von Zwerg unter ihm, kroch an der Seite hervor. Wenigstens war der Bewusstlose so nicht unsanft gelandet. Doch nun lag er da und Wilbur winkte seinen Kameraden knapp zu. Diese nickten, stapften daraufhin in Zweierreihen Richtung Tunnel, der aus den Quellen herausführte. Nur Ugder blieb noch an Wilburs Seite. Beide Zwerge sahen zu Azura auf.
"Aye. Wir haben es eilig. Wenn wir mitkriegen, dass du oder dein ... Freund, Feind, Liebesspiel-Lustmolch-Was-auch-immer Ärger in der Stadt macht, schmeiß ich dich persönlich mit einem Tritt in deinen kleinen, flachen Hintern hinaus." Wilbur berührte den Rand seines Helms als sei es eine Hutkrempe und marschierte dann selbst los, ohne noch ein weiteres Wort an Anzura zu verschwenden. Ugder begleitete ihn. Er warf der Menschenfrau einen finsteren Blick zum Abschied zu. Und da stand sie nun. Ohne Wissen, wie es zu Xaon Ambossbart gehen sollte. Ohne medizinische Hilfe für sich oder Corax und ohne Träger, die den schweren Kerl für sie schleppen würden.