Celcianer sagten, die größte Macht ihrer Welt sei die Liebe. Wenn das stimmte, dürfte Naamah eine der mächtigsten Dämoninnen des Harax sein. Sie konnte mit der Liebe spielen, sie fälschlicherweise erzeugen und sich daran laben. An einer einseitigen, verzehrenden Liebe, die die Opfer all ihre Lebensenergie kosteten. Naamah würde gestärkt daraus hervor gehen - noch mächtiger. Auch den Wirt, in dem sich Asmodi immer noch eingenistet hatte wie eine nicht enden wollende Krankheit, verfiel der Haraxbraut. Der große Fehler hierbei war, dass Asmodi es offen zeigte, wie sehr Naamah seinen Wirt in der Hand hatte und wie stark er sich darüber ärgerte. Er biss sich selbst - das machten viele Dämonen. Naamah nicht. Sie liebte es, dann einen ihrer Diener auszupeitschen oder mit Fesselspielchen derart anzuregen, dass er sich ihr freiwillig hingab. Doch statt sich an seinem Körper zu laben, brachte sie diesen um. Sie war ein bizarres Wesen, konnte sich derartige Verhaltensweisen allerdings leisten. Und sie genoss es, dass sich Asmodi derart aufregte. Was ihr nicht gefiel, war, dass Asmodi drastische Versuche wagte, seinen Wirt von ihrem Zauber zu lösen. Sie holte ihre Dienerdämonen herbei, die den ungebetenen Gast nach und nach einkreisten. Immer enger rückten sie, gebärdeten sich dabei, wie man es von Succubi gewohnt war, die ihre Opfer um den kleinen Finger wickelten. Über ihnen ragte Naamah heraus als Herrin aller fleischlischen Gelüste. Längst musste Asmodi ihre Macht erkannt haben. Das machte sich auch in seinem Verhalten bemerkbar. Eben noch sehr darauf erpicht, seinen Wirt mitsamt seiner menschlichen Triebe - Schwächen! - vor sich selbst zu bewahren, duckte er sich nun und wagte kaum, lauter als ein junger Welpe zu knurren. Er stand kurz davor, sich ihr ganz zu unterwerfen. Es konnte nicht mehr lang dauern, doch zielte Naamah darauf ab? Was kümmerten sie ein rebellischer Dämon, der einfach so in ihre Sphäre getappt kam, oder dessen Wirtskörper. Dieser war alt, das spürte sie instinktiv. Manche Dämonen besaßen einen sechsten Sinn diesbezüglich und Naamah gehörte zu ihnen. Als Verführungskünstlerin und vor allem eine, die ihren Opfern Lebenskraft aussaugte, um sich selbst zu stärken, musste sie diese Gabe besitzen. Schließlich würde sie sich nicht mit ranzigem Käse abgeben, wenn sie eine Fleischplatte haben konnte und so bemühte sie sich selten um einen halb ausgelaugten Körper, welcher der Verwesung näher stand als einem gesunden und kräftigen Leben. Aurelius zählte zu dieser Sorte. Nur die haraxischen Mächte ließen ihn stark bleiben. Würde Asmodi seinen Körper hinter sich lassen, bliebe doch nur eine fast aufgebrauchte Hüllte. Die Seele aber - sie war stark. Er besaß offensichtlich ein hohes Maß an Willenskraft oder konnte mit dem Wahnsinn umgehen, der bei einer Besessenheit von einem Dämon mit einherging. Was auch immer es war, vielleicht faszinierte dieser kleine Umstand Naamah genug, um das Wesen in ihrer Mitte nicht sofort vernichten zu lassen. Vielleicht aber auch nicht.
Naamahs Gefolge umzingelte Asmodi. Lediglich auf einer Seite ließen sie genug Raum - dort befand sich der Abgrund. Als Fluchtmöglichkeit war er eigentlich keine Option. Er führte in eine nicht enden wollende Tiefe. Der Grund war nicht auszumachen. Hier und dort erkannte man weitere, winzige Inseln, die von pinken Kristallen überbesiedelt schienen. Sie boten keinen wirklichen Platz, nicht einmal für einen Dämon. Umhüllt wurden sie von orangenen Rauchschwaden und wabernden Wolken, die eine violett-graue Mischung boten. Gewissermaßen war Naamahs Ebene eine hübsche, kleine Traumwelt für jene, die vergaßen, welchen Preis sie zu zahlen hatten. Asmodi vergaß dies nicht. Er wusste, dass ihm hier eine vernichtende Gefahr blühen konnte, wenn er sich weiterhin gegen die Herrscherin dieser Sphäre auflehnte. Also tat er das wohl einzig Richtige in seiner Position: er unterwarf sich.
Als Naamah sah, wie er sich winselnd auf den Rücken rollte, grinste sie zuerst. Dann jedoch rollte sie mit den Augen, verschränkte die Arme vor der nackten Brust und scheuchte einige ihrer Succubi beiseite. Sie trat an den Dämon heran. "Ich muss gestehen, dass auch ich Fehler mache", sagte sie mit einem Seufzen auf ihren vollen Lippen. "Wie konnte ich mir anmaßen zu glauben, dass aus einem schwachen Wesen wie Ashmodai etwas Stärkeres hervorgehen könnte? Ach, welche Närrin ich doch war und der Beweis für meine Torheit liegt nun winselnd zu meinen Füßen!" Sie trat nach Asmodi. Da sie Hufe besaß, wurde diese bei Menschen nicht ganz so schmerzvolle Geste zu einem waschechten Pferdetritt von Seiten der Dämonin. Sie schnippte mit den Fingern, keifte einen Befehl und plötzlich brachten zwei Succubi einen großen Spiegel heran. Den Rahmen bildeten ineinander verschlungene Menschen, Elfen und Zwerge. Sie berührten sich, vereinten und streichelten sich. Ein leises Sirren ging vom Spiegel selbst aus. Naamah veränderte dessen Winkel, so dass sich der Gegenstand halb über Asmodi lehnte. Der goldene Rahmen funkelte im Schein der Kristalle. "Schau dich an, Schöpfung eines Seelendämons, geboren aus meiner Idee! Erbärmlich, jämmerlich! Du bist eine Schande für den Harax und du weißt, was mit Wesen wie dir geschieht. Dämonen dulden keine Schwächen, die auf unsere gesamte Welt abfallen könnten. Bist du deshalb nach Celcia geflohen und glaubst, diese andere Welt beherrschen zu können? Weil sie sich sogar von minderwertigen Dämonen beherrschen lässt? Deine Naivität ist eine weitere Schwäche deiner selbst." Sie fuhr ihre Krallen aus, kratzte über den Spiegel. Ein kreischender Ton scheuchte selbst ihre Untergebenen auf. Einige wichen zurück, die Hände auf die Ohren gelegt. Sie fauchten. Naamahs Miene blieb unberührt.
"Du bist es nicht länger wert, dass ich mich mit dir befasse. Aber für deine Dreistigkeit, meine kostbare Zeit in Anspruch zu nehmen, wirst du zahlen. Ich lasse mich durch solches Verhalten nicht beleidigen. Du wirst meine Ebene nicht mehr verlassen, aber ich werde es nicht sein, die noch mehr Zeit für deine Vernichtung opfert. Dafür habe ich ... Spielzeuge." Ein Grinsen breitete sich nun auf ihren Zügen aus und ihre Augen funkelten sadistisch. Sie hatte einen Plan, vielleicht von Anfang an schon gehabt. Nun setzte sie ihn um.
Ein Klatschen in ihre Hände genügte. Erneut lösten sich zwei Succubi aus ihren Reihen. Sie liefen eilig fort, brauchten für ihre Rückkehr aber weniger als ein Dutzend Sekunden. Sie führten jemanden an goldenen Ketten heran. Ein magischer Kreis aus haraxischen Zeichen umgab die Gestalt. Sünde, Erotik, Verführung, Lust ... jedes Zeichen fand sich auch auf Naamahs Körper wieder. Sie leuchteten, kreisten um die heran tretende Person in einem Abstand von jeweils knapp dreißig Zentimetern und in diesem Umkreis befand sich kein lebendes Wesen. Keines außer der Gestalt selbst. Man hatte sie für diese Ebene entsprechend ausgestattet. Es war eine Frau und sie trug kaum mehr etwas am Leib, das selbigen geeignet hätte bedecken können. Tatsächlich war ihre "Kleidung" - sofern man es so nennen konnte - auf einige Ketten reduziert, an deren goldenen Gliedern hier und da rosa Kristalle herab baumelten. Jeweils einer davon hing an runden Abdeckkappen von ihren wohlgeformten Brüsten. Ihr Schoß wurde nur von einer quer liegenden Fessel bedeckt, die sich um ihre Hüften legte. Lange goldene Bänder hingen davon herab, formten zusammen mit kleinen Kristalltropfen einen leise klirrenden Schleier. Um ihre nackten Füße schimmerten goldene Fußkettchen. Reife gleichen Materials lagen um ihre Handgelenke und auf ihrer bloßen Stirn prangte ein einziger, tränenförmiger violetter Kristall. Er war dort fixiert, als hätte man ihn mit einem Hammer direkt in ihren Kopf geschlagen. Nichts hielt ihn, aber er fiel nicht herab.
Ihr goldenes Haar bewegte sich wie ein Schleier bei jedem Schritt. Es hob sich, als sei es ein eigenes, lebendes Wesen. Strähnen tanzten in alle Richtungen, bewegten sich wie nackte Körper, die jede noch so kleine Achtsamkeit auf sich zogen. Sie umrahmten ein Gesicht mit saphirblauen Augen. Sie hätten so schön sein können, trotz des immer leicht strengen Blicks, der sowohl Asmodi als auch Aurelius nur allzu vertraut war. Jetzt waren sie leer, nahezu farblos. Weiß, umrahmt von Saphirblau, umrahmt von Weiß. Sie leuchteten und winzige Rauchschwaden stiegen von ihnen auf. Sie waren ein Gemisch aus Violett und dem Blau ihrer Augen.
Hatte sie sich schon in einen Dämon verwandelt, in ein niederes Geschöpf, das im Harax einem Sklaven gleich kam? Konnte man sie noch retten? Was hatte Naamah aus Mallahall gemacht?!
"Kümmere dich um ihn", sagte die Dämonin zu der Magierin, durchschritt dabei ihren Kreis aus Haraxzeichen und küsste ihre nackte Schulter. "Vernichte diesen Schandfleck meiner Ebene und zögere nicht, einzusetzen, was ich dir gegeben habe. Beweise mir, dass du würdig bist." Sie verließ den Kreis wieder, als Mallahall nickte und sich Asmodi näherte. Sie streckte ihre Hand nach ihm aus, die innere Handfläche wie einen Schild zwischen sich und ihn gerichtet. Ihre Lippen bewegten sich leicht. Sie sprach - sie machte irgendetwas, aber mit ihren leeren Augen schaute sie trotzdem durch den hindurch, der vieles auf sich nahm, um sie hier heraus zu holen.