Was für ein Kampf! Das Publikum auf den Bänken hatte geschrien und gejubelt. Die besser betuchten Zuschauer in ihren Logen, verziert gemäß dem jeweiligen Adelshaus, hatten aufmerksam zugesehen und als der Kombattant endlich leblos im Staub landete, war das gesamte Schwarze Kolosseum außer sich gewesen. Noch immer rauschten Synnover die Ohren vom Gegröle aus der Menge. Wieder einmal hatte das weiße Kaninchen auf wundersame Weise einen Feind überwunden. Er wusste, dass nach wie vor viele gegen seinen Sieg wetteten. Vereinzelt kam es ja auch vor, dass er eine Niederlage einstecken musste. Umso ehrgeiziger war er dabei gewesen, den viel größeren Ork heute bluten zu lassen. Oh und wie groß dieses Ungeheuer gewesen war. Synnover hatte schon als Kind bei seinen ersten Besitzern aufgeschnappt, dass man die Hünen unter ihnen als Oger bezeichnete. Wenn dieses rare Gulasch, dieser Raz'ulak oder Rotz'ulak oder wie auch immer er hieß nicht zu den Ogern gehörte, dann wusste Synnover auch nicht weiter. Er war gewaltig gewesen, Muskel bepackt und ein erfolgreicher Schlag hätte ihm garantiert den letzten Funken Leben aus den Rippen gebrochen. Aber er war es, auf dessen Namen es nun nicht mehr ankam. Er war es, den man reglos und mit mehreren Mann aus der Arena hatte schleifen müssen, während er eine feine Blutspur im Sand hinterließ. Er hatte verloren, dier Rotz'ulak! Oder wie auch immer er hieß. Es spielte keine Rolle. Er würde vergessen werden wie sein letzter Kampf. Aus Syns Sicht war die Auseinandersetzung mit dem Ork nämlich nicht einmal etwas, das ihm lange im Gedächtnis bleiben würde. Vielmehr, der Kampf war langweilig gewesen und kaum eine Herausforderung.
Aber das ist das Los eines unschlagbaren Siegers.
Nicht weniger war er und nicht weniger verdiente er! Syn, das weiße Kaninchen. Sein Name würde noch Tage später Inhalt vieler Gespräche der einfachen Bürger sein. Sie waren ja so leicht zu beeindrucken. Nur weil er besonders gut ausweichen konnte und folglich von einem plumpen Berg aus Muskeln und Dummheit nicht getroffen wurde, vergötterten sie ihn. Er lehnte sich nicht auf. Vergötterung war etwas Gutes und seinem Stand gerade so angemessen. Leider machte es einst herausfordernde Begegnungen zum Alltag. Wenn niemand ansatzweise an die eigenen Fähigkeiten heran reichte, saß man eben einsam auf dem Thron an der Spitze. Langeweile war der Preis, aber auch unermessliche Anerkennung.
Synnover hatte nie danach gestrebt, sein Sklavendasein zu verlassen. Nie war ihm in den Sinn gekommen, sich von seinen Herrschaften, den Dunkelelfen des Nachtklingen-Hauses, loszusagen. Warum auch? Sie sahen in ihm eine mehr als perfekte Investition und verziehen ihm sogar die kleinen Niederlagen. Mit Peitschenhieben oder Amputation wie es anderen Verlierern zum Schicksal wurde, musste er sich nicht auseinandersetzen. Denn er war schön, so unsagbar schön. Er hörte diese Tatsachen hinter vorgehaltener Hand fast ebenso häufig wie er Siege für seine Herren einfuhr. Beides genoss er, beides erwartete er. Immerhin hatte er sich im Laufe seines Lebens endlich einen Namen gemacht.
Das einzige, was begann ihm bitter aufzustoßen, war sein persönliches, kleines Reich. Dabei sollte man meinen, dass er demütig und dankbar sein sollte, dass man ihm als Sklaven überhaupt ein Zimmer im Anwesen der Nachtklingen zugestand. Er hielt sich jedoch nur sehr selten darin auf und meistens zum Nachdenken oder zum Schlafen. Die kahlen Wände, das schlichte Bett und der wenngleich bequeme, aber doch prunklose Sessel vor einem ebenso schlichten Kamin entsprachen seinen Ansprüchen einfach nicht. Viel lieber wanderte er durch die Abschnitte des Hauses, die ihm erlaubt waren zu betreten. Inzwischen zog es ihn auch immer öfter in die Bibliothek, selbst wenn er dort nur sporadisch in den Büchern blätterte. Gern verbrachte er auch Zeit im großen Salon der Nachtklingen. Der mit den schwarzen Vorhängen und den Wandteppichen, welche das Wappen des Hauses aufwiesen. Das gleiche, was man ihm in den Nacken tätowiert hatte: der von einer dornigen Rose umschlungene, gewellte Dolch. Gern hätte er dieses Bild einmal selbst betrachtet, aber mit dem Wandspiegel in seinem Zimmer war es unmöglich. Er musste darauf hoffen, dass das Hautbild zentral saß und ordentlich gestochen worden war.
Heute aber schaute Synnover sich andere Teile seines Körpers an. Nach dem Kampf und dem damit verbundenen Ende dieses Ogers ... Raz'lag? Rotzlappen? Wie auch immer ... nach dem Sieg des weißen Kaninchens hatte man ihn wie üblich erst in einen der Aufenthaltsräume unter dem Schwarzen Kolosseum geführt. Dort hatte er auf einer Bank ausgeharrt, sich ausgezogen, sich untersuchen lassen und waschen können. Danach hatte er gewartet, bis einer der Nachtklingenboten ihn für den Rückweg abholte. Man gewährte dem großen, kelinen Gladiator mit der hellen Haut und den silbrig schimmernden Haaren zwar viele Freiheiten und er durfte sich auf Nachfrage auch manchmal in der Stadt bewegen, aber er schätzte es, mit einer Kohorte nach Hause zurückzukehren und war sie auch noch so klein. Oft genug war er schon bei einem Alleingang auf offener Straße von irgendwelchen Morgerianern belästigt worden, die selbst einmal einen Kampf gegen ihn wagen wollten. Oder von den zahlreichen, aber viel zu hässlichen Frauen des einfachen Volkes, welche erhofften, er würde ihnen eine Kinderschar errammeln wie es für ein Kaninchen angemessen wäre. Ha! Als gäbe er sich mit jeder beliebigen Gelegeheit zufrieden. Von den meisten würde er sich nur unliebsame Krankheiten holen! Er kannte auch die schlechteren Wohnbezirke der Stadt. Das Orkviertel, in dem sein Besitzer Sodth gelebt und ihn an die Nachtklingen verkauft hatte. Sein Haustierchen...
Synnover weinte ihm keine Träne nach. Bei den stinkenden Orks wäre er nur früher oder später gefressen worden oder in einer ihrer Pissepfützen krepiert! Und sie luden sich manchmal auf die bloße Pestilenz ins Haus. Sodth und die Reißer nicht, aber irgendeiner ihrer Nachbarn hatte diese ... diese Pestbeule von Goblin-Großmutter schon mehr als einmal in seine Baracke gelassen. Diese stinkende Kuralla, welche man schon am Rande des goblinischen Wohnviertels riechen konnte, ob man wollte oder nicht!
Synnover war froh, in den Nachtklingen neue Herren und Herrinnen gefunden zu haben. Natürlich würde er da niemals offen zugeben, solange es nicht dabei half, einem von ihnen Honig um's Maul zu schmieren. Trotzdem schätzte er seine veränderte Lebenssituation. Wenn nur sein eigenes Zimmer etwas komfortabler wäre. Er musste dringend an einigen Schnüren ziehen, damit man ihm wenigstens einen Teil des Prunkes zugestand, den er auch im restlichen Anwesen ständig zu Gesicht bekam. Er würde dadurch nur mehr erstrahlen und könnte sich folglich noch besser auf seine Kämpfe vorbereiten.
Gerade stand er erneut vor dem einzigen Spiegel seiner unzumutbaren Kammer. Den Boten der Nachtklingen hatte er direkt in der Eingangshalle entlassen, sich aus der Gesindeküche ungefragt noch eine Hammelkeule mitgenommen und diese in eine der kostbaren Porzellanvasen fallen lassen, nachdem er den Knochen größtenteils abgenagt hatte. In seinem Zimmer musste er sich dann das triefende Fett von den Fingern waschen und betrachtete jetzt sein Antlitz im Spiegel. Er war den Schlägen des Orks jedes Mal wunderbar ausgewichen, aber der durch seine Waffen aufgewirbelte Staub hatte Syns Haut stark beansprucht. Er zupfte an seinen Wangen herum, spannte sie am Kiefer und hob zufrieden einen Mundwinkel, weil alles noch angenehm glatt und seidig war. Irgendwie hatte ihn nie das Schicksal ereilt, besonders ausgeprägten Haarwuchs zu entwickeln.
Das nackte Kaninchen...
Er schmunzelte dünn. So ganz stimmte es nicht. Er legte nur keinen Wert auf einen kratzigen Rauschebart, aber glücklicherweise hatte sich bis heute bei ihm im Gesicht nicht einmal Flaum gezeigt. Andernorts sah es anders aus und er pflegte seine Körperbeharrung mit großer Sorgfalt, damit sie seine anderen ... Talente besonders betonte. Das gefiel jenen, die ihn auch außerhalb eines Kampfes in ihrer Nähe wünschten. Und ihm gefiel es eigentlich auch. Sauberkeit war wichtig, denn ohne sie wäre er nur noch halbgöttlich schön. Selbstzufrieden betrachtete er sich, verfiel beinahe dem eigenen grasgrünen Blick und beugte sich dann sogar vor, um sein eigenes Spiegelbild zu küssen. Oh, er wäre sein bester Liebhaber und würde sich niemals enttäuschen!
Das einzig Enttäuschende heute war der Kampf gegen diesen ... wie hieß er noch? Diesen Ork. Diesen kraftvollen Hünen, der durchaus beeindruckt hatte, aber viel zu schnell in den Staub gefallen war und durch seinen Atemnot-Zauber das Leben weitaus früher ausgehaucht hatte als manch anderer. Wie tragisch, dass Syn sich in ihm Hoffnungen auf einen spannenden Kampf gemacht hatte. Welche Verschwendung seiner Lebenszeit und wohl trainierten Fähigkeiten! Er brauchte Zerstreuung, irgendetwas, das sein Gemüt wieder erhellte, damit seine Gedanken wieder so schön wie sein Äußeres wären.