Gemeinsam mit Akái machten sich Eáránë und ihr Gefährte Wolf auf den Weg vom Schattenschleicher-Viertel, in dem der Spion lebte, zu Méntaras Anwesen. Dieses befand sich im nordwestlichen Teil der unterirdischen Höhlenwelt, die das Reich der Nachtelfen bildete. Sie waren spät dran und deshalb war Eile geboten. Akái marschierte mit ausholenden Schritten, so dass Wolf ihn ein paar Mal überholte und sich ihm in den Weg stellte. Ja, die Zeit war knapp, aber wenn sie zu abgehetzt vor die Stadtherrin traten, würde dies auch nicht sonderlich viel helfen. Denn dann fehlte ihnen vermutlich die Puste, um einen Rapport abzugeben.
Es ging durch die von leuchtenden Purpurmantel-Pilzen erhellten Straßen des Reiches. Andere Nachtelfen waren unterwegs und so sehr unterschied sich das Leben hier unten nicht von dem der anderen celcianischen Städte. Es war eben unterirdisch, aber auch hier spielten Kinder in den Gassen, spazierten gerüstete Krieger das Pflaster entlang oder verkauften Händler ihre Ware am Straßenrand. Eine nachtelfische Priesterin rezitierte gerade für eine Gruppe Gläubige die heiligen Worte Manthalas, der Mondgöttin und Herrin über die sichere Nacht. An anderer Stelle wechselte Geld den Besitzer und wiederum andernorts ritt ein Nachtelf auf etwas, das wie eine gewaltige Schabe aussah. Pferde gab es hier unten nicht.
Endlich erreichte man das Anwesen der Stadtherrin. Es war ein beeindruckender Gebäudekomplex, eine gewaltige Villa mit gotischen Fenstern und vielen Verzierungen. Wasserpeier, deren Zweck in einer unterirdischen Welt absolut nicht notwendig war, dienten mehr der Zierde. Sie streckten steinerne Klauen in die Höhe und guckten mit ihren fratzenartigen Gesichtern von Zinnen, Mauervorsprüngen oder unterhalb des Daches zum Zugangstor herunter. Dort, links und rechts des Tores saß jeweils eine Büste der Göttin Manthala aus dunklem Onyx-Gestein auf einem Mauerpfosten. Über das Tor selbst spann sich ein Bogen aus schwarzem Eisen, in dessen Mitte ein sichelförmiger Mond desselben Materials eingearbeitet war. Allein das Tor wirkte beeindruckend. Ebenso der Krieger, der davor Wache stand. Er trug über dem schwarzen Stoff der Nachtelfen einen Harnisch aus schwarzem Leder, der um mehrere silberne Nieten verstärkt worden war. Arme und Knie wurden durch Metallplatten geschützt. Der Helm erinnerte an das Federkleid einer Eule, was seinen leuchtenden Augen zusätzlichen Ausdruck verlieh. Der Krieger war mit zwei Krummsäbeln bewaffnet, die beide in ihren Scheiden am Gürtelhalfter hingen. Er schaute grimmig zu den Ankömmlingen, ließ sie aber passieren, nachdem Akái sich vorgestellt hatte. "Méntara Tronás erwartet Euch bereits."
"Oh-oh, das ist nicht gut. Es bedeutet, sie ist bereits unzufrieden, weil wir zu spät sind", wisperte Akái seiner Begleiterin zu, während sie von einem nachtelfischen Diener in schwarzem Samt empfangen und zum Audienzsaal der Stadtherrin geführt wurden. Es ging zahlreiche Treppen hinauf und an vielen Zierbrunnen und Statuen von Manthala, Fledermäusen, dem Mond und wichtigen Persönlichkeiten dieses Reiches vorbei. Der Audienzsaal war vollkommen in Silber gehalten. Vorhänge, Teppiche und Banner, alles war silbern. Säulen aus schwarzem Onyx hielten die gewölbte Decke, die mehrere Meter über den Köpfen aufragte und in einer Kuppel endete. In ihrem Zentrum befand sich ein Thron aus schwarzem Ebenholz auf einem kleinen Podest. Hierauf saß eine Nachtelfe in engen, silbernen Gewändern, die ihrer Figur schmeichelten. Sie trug ein Diadem aus Onyx, in das ein Rubin eingefasst worden war. Die Lippen hatte sie sich schwarz geschminkt, was ihre dunklen Augen und den grauen Teint zusätzlich betonte. Sie verzog eine Miene, als Akái und Eáránë den Saal betraten. "Es wird auch Zeit. Mich erst um eine Audienz bitten und dann so spät erscheinen. Akái Samtnacht, ich sollte dich der puren Sonne aussetzen lassen!"
"Verzeiht, Stadtherrin. Ein Versehen, das sich nicht wiederholen wird. Bitte, hört mich und meine Begleiterin an." Er trat vor Méntara und verneigte sich tief. "Das hier ist Eáránë Féfalas, eine Nachtelfe, die nicht aus diesem Reich stammt, aber für Celcia bereits viel getan hat. Außerdem war sie an der Kristallqueste beteiligt und einst Trägerin des Schattenkristalls. Sie ist eine Heldin, Herrin."
Méntara beäugte Eáránë. Sie musterte sie eine Weile schweigend. Schließlich legte sie einen Finger an die schwarzen Lippen und fragte die Nachtelfe direkt: "Und warum befindet sich der Schattenkristall nicht mehr in Eurem Besitz, Frau Féfalas? Warum seid Ihr in Begleitung meines Spions und was wollt ihr beiden mir mitteilen? Ich bin auf Antworten gespannt, die meine Ungeduld hoffentlich vertreiben und meine Laune heben werden. Andernfalls sieht es trüb für eure Zukunft aus."