Mit gesenktem Blick

Aus dem Innenring des Adels heraus ragt es mit Türmchen, Zinnen und wehenden Fahnen in den Himmel. Prachtvoll und aus weißem Stein, der manchmal die Sonnenstrahlen reflektiert. Hier wohnt König Hendrik der II.
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Mit gesenktem Blick

Beitrag von Caleb » Donnerstag 5. Januar 2012, 17:36

Ein gewöhnlicher Tagesanfang:

Mondlicht viel durch ein kleines, hochgelegenes Fenster und beleuchtete die veralteten Holzdielen. Die kalten, hellblaue Strahlen zogen sich in regelmäßigen Abschnitten durch den langen, rechteckigen Raum - immer genau zwischen den Doppelstockbetten in denen sich vereinzelt Körper regten. Es war kalt hier, kein Kamin zu sehen und die Fenster waren nicht mit Glas, sondern mit Gitterstäben versetzt. Caleb schlug die Augen auf und wusste, was in den nächsten Augenblicken geschehen würde.
Schnell und leise schlug er die Decke zur Seite und huschte zum Badezuber ab anderen Ende des Raum, um sich zu waschen. Er hatte mit seiner Kleidung geschlafen, da es sonst zu kalt in den Betten war, zog sich jetzt hastig aus und nahm einen halbwegs sauber wirkenden Lappen von der Wand. Das Wasser war ebenso bitterkalt wie die Luft um ihn herum und Caleb fröstelte, bevor er eine Gänsehaut bekam. Er mochte es nicht, sich mit den anderen Diener zu waschen. Ihre Blicke waren merkwürdig und er fühlte sich dabei äußerst unwohl. Dennoch wusch er sich gründlich, trocknete sich ab und schlüpfte wieder in seine Kleidung.
Eine tiefe Glocke schlug Mitternacht. Wie erwartet. Caleb wachte immer früher auf, der Ablauf des Tages hatte sich schon in seinen natürlichen Rhythmus eingebrannt.
Allgemeines Knurren und Brummen war zu hören, als sich die anderen aus ihren Betten schälten. Nicht jeder hier hatte nachts Putzdienst. Manchmal wechselten die Schichten und wieder Andere waren gar nicht für diese Aufgabe eingeteilt, waren reine Küchenhilfen oder in der Wäschekammer beschäftigt. Caleb war immer dabei, auch weil er somit früh genug aufstand, um seine anderen Angelegenheiten pünktlich erledigen zu können.
Eine Kerze, die einzige Lichtquelle für die Dienerschaft, welche sich allein in diesem Raum aus etwa vier Dutzend Männern zusammensetzte, wurde von Caleb mit einem Anzündhölzchen aus einer abgegriffenen Schachtel angezündet und damit bahnte er sich seinen Weg durch den schmalen Gang zwischen den Betten vom Zuber zur gegenüber liegenden Seite, wo sich die Tür befand. Er ging mit geschlossenen Augen, da ihn das Licht sonst geblendet hätte, aber selbst durch die Lider konnte er den Schein ausmachen und den Weg hätte er selbst im Dunkeln gefunden.
"Calen, du räudige Katze, mach das verdammte Licht aus!", rief Jero, ein älterer Diener, der schon hier gedient hatte, als Caleb zum König gebracht worden war und hielt sich den Arm vor die Augen, während er mit dem Anderen in seine Richtung fuchtelte. Im Gegensatz zu Imella hatte dieser ihn nie leiden können, aber außer ihr nannte ihn auch kaum einer Caleb. Calen war die weibliche Form seines Namens und eine äußerst beliebte Alltagsbeleidigung für ihn geworden.
"Du solltest aufstehen. Der Aufseher wird auf niemanden warten.", antwortete Caleb ruhig und ausdruckslos, jedes der feindseligen Worte ignorierend. Bei der Tür angekommen stellte er die Kerze auf eine dafür vorgesehene Ablage. Dieser Vorgang war so Brauch. Der Erste musste immer das Licht anzünden und damit durch die Reihen gehen um ihnen klar zu machen, dass es nicht elf Uhr, sondern 12 geschlagen hatte. Falls es jemand nicht auch so mitbekam - gerade die Neuen.
Der Nachtdienst, der nun begann, war zum Putzen der Korridore und Gesellschaftszimmer, in denen niemand schlief und sich somit um diese Zeit eigentlich niemand aufhielt, gedacht. Wie immer traten sie im Eingangsbereich des Schlosses an, wo meist schon der Aufseher wartete, um von ihm den Bereich gesagt zu bekommen, den sie heute Nacht zu reinigen hatten. Aufseher waren für gewöhnlich ältere und erfahrenere Diener, die in separaten Räumen mit anderen von ihrem Stand schliefen. Angehörige der höheren Schicht, und seien es nur die Söhne reicher Bürger, fand man in solchen Stellungen genauso wenig vor wie Adlige - mit anderen Worten nichts, was im Inneren Kreis der Hauptstadt wohnte.
"Heute sind die Korridore des Westflügels dran. Nur diese, aber dafür alles. Ich teile euch in Abschnitte ein, wenn wir dort sind."
Stöhnen kam nur leise und vereinzelt. Die Korridore waren weitläufig, aber wenn es hieß 'alles' dann mussten auch die riesigen, hohen Fenster geputzt werden, Teppiche und Vorhänge ausgetauscht und in Waschzimmer gebracht werden. Bohnern des Bodens, Polieren des Goldes an der Wänden. Caleb bekam seinen Abschnitt und machte sich wortlos an die Arbeit. Er mochte es, denn seine Hände bewegten sich für gewöhnlich ohne, das er darüber nachdachte und so konnte er bei dieser Tätigkeit seine Gedanken schweifen lassen und bekam meist nicht mit, wie schnell er voran kam.
Hierbei kam ihm das Arbeitssystem im Schloss sehr gelegen. Man Arbeitete immer einige Stunden und konnte dann für einige Weitere schlafen bis zur nächsten Etappe. Mit anderen Worten, für die Nachtdienst waren drei bis vier Stunden eingeplant. Dann durfte man schlafen, bis die Frühstücksvorbereitungen anfingen. Wer also schneller arbeitete, konnte sich länger hinlegen. Und so zog sich das System durch den ganzen Tag. Mehr als zwei bis drei Stunden schlief Caleb also nie am Stück, wenn er auch am Ende auf seine sechs bis sieben kam.
Wie immer war er zeitig fertig und konnte sich wieder in die Räume zurück begeben. Etwas zu Essen würde er erst bekommen, wenn die Schlossbewohner ihr Frühstück bekommen hatten, also schlief er bis es zur fünften Stunde schellte. Erneut war er früher wach und fühlte sich kein bisschen müde.
Doch bevor ihn sein Weg in die Küche führte, musste er in der Wäscherei vorbeischauen, und die Kleider des Prinzen hohlen. Leise wurde sich danach in das Zimmer des Thronerben geschlichen. Nicht durch die Haupttür, sondern über einen Seiteneingang. Ein anderer Diener würde später kommen und einen Zuber heißen Wasser aussetzen, während Caleb in der Küche arbeiten würde.
Der Prinz schlief in seinem riesigen Bett und Caleb legte die Kleider auf einen großen, ausladenden Sessel daneben. Nur kurz erlaubte er sich einen Blick auf den Schlafenden, der mit nackten Oberkörper im Bett lag. Größer als sein Vater war er, breitschultrig und massiger, denn während König Hendrik dem II. ein ausgelasseneres Herrscherleben führte, hatte er seinen Sohn ins Militär geschickt. Jahrelang hatte dieser mit anderen Soldaten trainiert und Caleb meinte, dass dies seinem Charakter gut getan hätte. Dafür sah er auch entsprechend aus, die schwarzen Haare dagegen hatte er sich inzwischen wieder kinnlang wachsen lassen. Man hätte ihn getrost als gut aussehend bezeichnen können.
Das seine Verlobte nicht hier war, überraschte Caleb dagegen nicht. Wie fast alle von Stand war auch der Prinz schon früh versprochen worden, an die Tochter eines Herzogs der gute Verbindungen zum König pflegte, aber wie es der Brauch war, würden sie erst heiraten, wenn sie ein Kind erwartete. Eine sinnvolle Regel um das Aussterben adliger Blutlinien durch Unfruchtbarkeit oder Impotenz zu verhindern. Denn war einmal verheiratet war entkam dieser Bindung nicht mehr so leicht. Realistisch gesehen beendete die Ehe nur der Tod eines Beteiligten.
Kopfschüttelnd riss sich Caleb aus seinen Gedanken und ging in die Küche. Das Frühstück des Prinzen bereitete er seit einiger Zeit schon alleine zu, natürlich unter den wachen Augen eines Küchenchefs. Auch dies war eine Aufgabe, die Caleb beim Tagträumen hätte erledigen können, aber bei so etwas Wichtigem, wie das Essen für den Prinzen, konzentrierte er sich besonders.
Nach Vollendung wurde das Ganze in einem Wagen zum Prinzen gebracht, was Caleb ebenfalls übernahm, gefolgt vom Vorkoster. Sie ignorierten einander gekonnt, während sie durch die hohen Flure gingen. Ein wenig aufgeregt war Caleb schon. Nicht, weil er vor den Prinzen trat, sondern eher, weil morgens immer der Tagesplaner des Prinzen eintraf und diesen über die zu erledigen Punkte und Aufgaben unterrichtete. Darunter fielen Empfänge, Einladungen von Adligen zum Schmaus, Feste, Aufmärsche und all solche Sachen. Unterricht erhielt er Prinz zwar immer noch im geregelten Wochentakt - Reiten, Schwertkampf, Rhetorik - aber beging diese inzwischen eher wie einen Zeitvertreib. Mit 22 war er schon auf einem Stand, er ihm dies erlaubte.
Als das Wägelchen klirrend durch die Seitentür geschoben wurde, die ihm der Vorkoster freundlicherweise aufhielt, trat auch der eben erwähnte Tagesplaner ein und Caleb senkte automatisch den Blick, denn der Prinz erwartete sie alle bereits.

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Re: Mit gesenktem Blick

Beitrag von Erzähler » Montag 9. Januar 2012, 17:05

Eigentlich lief es so ab wie immer. Die Dienerschaft des Schlosses Grandea, respektive ein Teil von ihnen, wurde in der Nacht geweckt, um die Korridore zu putzen und alles reinlich zu halten. So sahen die Herrschaften die störenden Diener nicht und fanden ihr Heim dennoch stets ordentlich vor. Auch Caleb zählte in jener Nacht wieder zu den Arbeitern mit Dienst im Dunkeln. So nannten es einige gern, die sich zwar über das mangelnde Tageslicht beschwerten, letztendlich aber doch froh waren, relativ ungestört arbeiten zu können. Das war eben der Vorteil daran, nachts die Gänge zu putzen oder die Vorhänge zu bürsten. Tagsüber musste man immer darauf vorbereitet sein, dass sich einer der Königsfamilie einen üblen Spaß mit den Dienern erlaubte. Vor allem die Geliebte des Königs, Jezebel Samira, zeigte sich in letzter Zeit häufiger dazu bereit. Sie wirkte irgendwie gereizt, was man von ihr zwar gewohnt war, aber nicht in dieser hohen Dosis. Etwas störte sie, vielleicht das Desinteresse König Hendriks. Man konnte Grandessas Herrscher jedoch nichts vorwerfen. Er steckte bis zum Hals in Bündnis- und Eroberungsplänen mit dem dunklen Volk. Seit die rechte Hand des dunklen Herrschers von Morgeria - Myra Zhai - in seinen Audienzsaal getreten war und ihm das Bündnisangebot gemacht hatte, sah man König Hendrik II. viel zu oft umgeben von dunkelelfischen Taktikern oder sogar orkischen Kriegern. Er beriet sich, sagte ihnen Unterstützung durch seine Armeen zu und hatte bereits Truppen ausgesandt, um bei der Belagerung Andunies zu unterstützen. Kürzlich hatte ein Kurier vor ihm das Knie gebeugt und die Nachricht überbracht, dass die Handelsstadt am Kad Harat gefallen sei.
An diesem Tag hatte sich König Hendrik II. äußerst zufrieden gezeigt. Die Dienerschaft durfte sich den Abend frei nehmen. Es war das erste Mal seit Herrschaft dieses Mannes, dass ein solches Ereignis eintraf. Die Wenigsten hatten es jedoch wahrgenommen, da sie mit dem Umstand von Freizeit nicht umzugehen wussten. Sie waren einfach ihrer üblichen Arbeit nachgegangen.
Übliche Arbeit wie heute Nacht, an der auch Caleb teilnahm. Es lief ab wie immer. Er galt mal wieder als einer der ersten, die das Bett verließen und weckte die anderen. Er ließ sich zusammen mit der Gruppe von einem Aufseher die nächtlichen Aufgaben zuteilen und suchte sich dann seinen Platz im harmonischen Zusammenspiel der Dienerschaft. Einzig eine Sache war heute Nacht anders. Caleb befand sich diese Nacht im Westflügel, der von vorn bis hinten auf Vordermann gebracht werden sollte. Er schrubbte den Boden. Ihm war einer der Erker zugeteilt worden, bei dem man Marmor anstatt einfachem Stein verwendet hatte. Alles glänzte bereits unter ihm im schwachen Schein der Kerze und im matten Mondlicht, das durch den offenen Fensterbogen fiel - zusammen mit einem Schatten. Caleb würde sich wohl noch an den blassen Haarschopf und diesen Hauch von Lilienduft erinnern, der im Raum lag. Aber wirklich gesehen hatte er niemanden.
Der Rest seiner Schicht verlief ereignislos wie immer. Die Glieder schmerzten ihm schon lange nicht mehr so wie damals, als er mit dieser Art von Arbeit erstmals konfrontiert worden war. Man gewöhnte sich eben an alles.

Ihm blieben noch einmal wenige Stunden, sich etwas Ruhe zu gönnen, dann krähten bereits diverse Hähne und kündigten den neuen Morgen an. Die Luft war frisch und noch erfüllt vom Wechsel der Jahreszeiten, aber wenigstens lugt hin und wieder die Sonne durch den ansonsten von Wolken verhangenen Himmel. Noch immer beherrschte ein trübes Grau die Tage, aber bald würde die Zeit des Erwachens ihrem Namen alle Ehre machen. Dann streckten Krokusse die Köpfe aus dem Boden, erblühten selbst auf jenen Teilen des Königreiches, wo sich grandessanische wie jorsanische Soldaten eine Schlacht boten und das Zwitschern der Vögel würde mit den Hahnenschreien in Konkurrenz treten. Celcia erwachte zu neuem Leben.
Caleb würde sich als Diener der grandessanischen Königsfamilie nur wenig daran erfreuen können. Die Arbeit nahm ihn zu sehr ein, schon an diesem frühen Morgen. Er hatte zwischen seiner Nachtschicht und den morgendlichen Pflichten vielleicht knappe vier Stunden Schlaf abbekommen und nun musste er dafür sorgen, dass der Morgen für seinen Prinzen ebenso erholt ablief wie dessen nächtliche Ruhe.
Nachdem auch das getan war, nämlich die Kleidung für seinen Herrn bereitzulegen, fand sich Caleb in der Küche ein, um das Frühstück für Prinz Vincent vorzubereiten. Dieser zeigte sich ausgeschlafen und munter, als ihm sein Diener erneut unter die inzwischen geöffneten Augen trat. Er trug die Kleidung, die ihm Caleb bereit gelegt hatte: seidene, weiße Beinkleider, die in goldenen Adligenschuhen enden und oberhalb unter einer Tunika aus purpurnem Samt verschwinden. Goldener Saum, über Kreuz gestochen, bildet einen schön gemusterten Kragen und glättet die Ärmel am Aufschlag ab. Um die Hüfte schlang sich ein schmaler Gürtel aus weißem Leder. Die Schnalle zierte die goldene Lilie, das Symbol grandessanischen Wohlstands. Den Gürtel trug Prinz Vincent allerdings ausschließlich, um sein Prunkschwert zu präsentieren. Niemand könnte sich mit dieser Klinge verteidigen. Ein Brotmesser richtete mehr Schaden an. Aber sie besaß mit dem reich verzierten goldenen Heft und dem violett glänzenden Amethyst im Knauf einen gewissen Stil. Sie diente ganz allein dem Status. Farblich passte sie in jedem Falls zum Gesamtbild, das der Prinz an diesem Morgen bot.
Er richtete gerade den goldenen Reif und sein schwarzes Haar darunter, als Caleb und der königliche Vorkoster in den Raum kamen. Sie betraten ihn durch den Seiteneingang, wie es sich für Dienstpersonal gehörte, wohingegen der Tagesplaner den Vordereingang nutzte.

Der Prinz rollte mit den Augen, als der Mann bereits ein kleines Klemmbrett zückte. Seine Rolle als Thronerbe gebot es, die Planungen dieses Angestellten in Kenntnis zu nehmen. Vincent von Grandessa mochte ihn jedoch nicht sonderlich. Der Tagesplaner, unter dem Gesinde als Johann bekannt, war ein hagerer Mann, der den Herbst des Lebens bereits hinter sich ließ. Das Haar wurde ihm kraus und wuchs nur noch licht auf seinem Haupt, weshalb er es unter einer blaugrauen Mütze zu verbergen versuchte. Erste Altersflecken zierten das lange Gesicht, über das sich die Haut spannte wie ein Fell über das Gerbergestell. Seine Finger waren feingliedrig, so filigran wie eine Schreibfeder und selbige hielt er mit einer Gewandtheit, als sei er ein Krieger der Feder.
Johann verbeugte sich tief, als er vor den Prinzen trat. "Euer Hoheit, lasst mich Euch den Morgen mit dem heutigen Tagesplan begrüßen."
"Wie immer, Johann, nicht wahr." Vincent von Grandessa winkte ab. Er ließ den Tagesplaner stehen, so viel durfte er sich als Prinz jederzeit herausnehmen. Schon widmete er sich dem Speisewagen. "Vorkoster! Probiere er von dem Haferbrei und den Früchten, aber lasse er die Finger vom Brot. Das ist Roggenbrot - der Koch weiß, dass ich es verschmähe!" Ein flüchtiger Blick fiel auf Caleb. "Serviere er mir das Mahl dort drüben an meinem Tisch. Ich möchte nun den Ausführungen des Tagesplaners lauschen."
"Sehr wohl, Euer Hoheit", setzte Johann wieder an. Dann ging er eine Liste durch, die gespickt war mit einschmeichelnden Besuchen adliger "Freunde", gefolgt von zwei Stunden Portraistehen für ein Familienbild und einer Partie Schach mit seiner Verlobten. "Danach gibt es eine leichte Mittagskost."
"Werft die Pläne über die Haufen, Johann! Nur das Spiel mit meiner Künftigen gedenke ich wahrzunehmen. Alles andere muss heute auf mich verzichten."
"Hoheit?"
"Ich gehe heute in die Ställe. Dies wird ein glorreicher Tag - und Caleb! Er wird mich begleiten. Melde er sich alsbald bei dem Küchenchef und seinen übrigen Vorgesetzten der Dienerschaft ab, damit er für meine Planung bereit ist. Ich dulde keine Absage." Mit diesen Worten ließ sich Prinz Vincent auf seinem mit Samt gepolsterten Stuhl nieder und erwartete, dass der Vorkoster ihm das Speisen gewährte.
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Re: Mit gesenktem Blick

Beitrag von Caleb » Montag 9. Januar 2012, 18:55

Innerlich verfluchte sich Caleb, als der Prinz seinen Unmut über das Roggenbrot aussprach. Natürlich hatte er gewusste, dass es ihm nicht mundete, aber der Bäcker hatte sich heute verspätet - wofür er sicher noch Ärger kriegen würde - und so war ihm selbst nichts anderes übrig geblieben als zu eben jenem zu greifen. Zu einem ausgewogenen Frühstück gehörte eben auch gutes Brot. Aber Caleb verschwendete keine Sekunde einen Gedanken daran, dass der Prinz nicht so wählerisch sein sollte; er schimpfte sich eher selbst einen Dummkopf. Warum hatte er das Brot nicht einfach weggelassen? Aber dann hätte der Prinz gefragt und dem Bäcker würde es jetzt wohl noch schlechter gehen. Doch war das besser, als nun selbst für unfähig gehalten zu werden? Machte er sich wegen eines Leib Brot und ein paar abwertenden Worten nicht zu viele Gedanken?!
Peinlich berührt zog er sich die Kapuze über den Kopf und senkte den Blick bis sein Kinn die Brust berührte.
Und obwohl er sich über all das Gedanken machte, hörte und merkte er sich jedes Wort, das der Tagesplaner sprach, als er seine Liste runterratterte. Fast alle Menschen hätten dies nur am Rand ihres Bewusstsein wahrgenommen und irgendwo tief in ihrem Gedächtnis begraben, aber Calebs Unterbewusstsein war für ihn wie ein offenes Buch, das auf seinen Befehl hin die gewünschte Seite aufschlug und ihm diese sogar noch vorlas. Da machte es keinen Unterschied, wie sehr er sich darauf konzentrierte, das Frühstück herzurichten. Das Besteck genau einen Daumen breit von der Tischkante entfernt in gleicher Linie mit dem untersten Tellerrand. Schnittfläche der Messer nach innen, fingerbreite Entfernung zum Löffel, die Gläser für Saft und Milch symetrisch links und rechts, Früchte hier, Honig da...
Die Prozedur dauerte keinesfalls so lange, wie es den Anschein hat. Für das, was Andere akribisch abmaßen, hatte Caleb bereits ein Augenmaß entwickelt. Schon bald konnte er dem Vorkoster den Vortritt lassen, wobei er sehr genau darauf achtete, dass dieser nichts verrückte, aber dieser war ebenso wenig ein Anfänger - und er hasste es, wenn Caleb ihm dazwischen fuhr, nur um eine Schüssel, ein Glas oder einen Löffel wieder zurecht zu rücken.

Während er sich nun gehorsam mindestens zwei Meter vom Tisch entfernt hinstellte und aus den Augenwinkeln den Vorkoster beobachtete, begann sein Verstand über das eben Gehörte ohne sein zutun nachzudenken. Viele der Namen auf der Liste hatte er bereits einmal gehört; und das nicht weil sie alle schon einmal hier gewesen waren, sondern weil sie wahrscheinlich zum dutzendsten Mal einen Antrag stellten. Jedoch waren die Meisten zu unwichtig, um vom Prinzen empfangen zu werden und wieder Andere hatten schlicht Pech wie heute, wo es die Gemütslage des Prinzen einfach nicht gestattete. Innerlich musste Caleb lachen, denn viele dieser sogenannten Adligen hielt er für ziemlich schlechte Einflüsse oder konnte sie schlichtweg wegen ihrer Trink- oder Fresssucht nicht leiden, aber wer war er schon über Adlige zu urteilen? Vielleicht würde er ja auch so viel essen und trinken, wenn er nur das Geld hätte. Was wusste er schon von so einem Leben. Innerlich scholt er sich für solch abfällige Gedanken.
Das Schachspiel gegen Herrin Danjiella erregte dagegen seine Aufmerksamkeit, wenn sie auch nicht auf seinem Gesicht zu lesen war. Caleb selbst hatte die Beiden einmal bedient, als sie in ein eben solches Spiel vertieft waren und es hatte mehr an eine Schlacht erinnert als an ein munteres Beisammensein. Während der Prinz ganz in diesem strategischen Vergnügen aufging und mit allen Mitteln versuchte, zu gewinnen, führte der Trotz und die Sturheit der Verlobten meist zu einem entsprechenden Rivalitätsverhalten, in dessen Zuge sie sich immer weiter in eine Art realen Krieg hineinsteigerten. Es gab daher keinen Zweifel daran, dass der Prinz es nur deshalb annahm, um seine Zukünftige erneut zu schlagen. Caleb meinte, dass Majestät Vincent die aufschäumende Wut Herrin Dajiellas bei einer Niederlage äußerst amüsant fand. Dagegen konnte er sich nicht vorstellen, wer die Einladung zum Schachspiel überhaupt verfasst hatte. Herrin Danjiella - selbst in Gedanken sprach Caleb jeden mit Titel an - wohl kaum. Wahrscheinlicher war, dass Königin Augusta die Verabredung eingefädelt hatte, um die beiden zu verkuppeln, unwissend, dass sie alles damit wohl eher schlimmer machte. Oder aber König Hendrick der II, wissend, dass er es damit schlimmer machen würde...
Caleb ohrfeigte sich innerlich. Was für Gedanken. Er versuchte dringlichst in die Realität zurückzukehren und bekam einen jähen Schock.

"-und Caleb!", sagte eine wohlbekannte Stimme und der zur Statue erstarrte, angesprochene Diener fuhr unmerklich zusammen. Für gewöhnlich war es nicht gut, wenn der eigene Name laut ausgesprochen wurde. Das ein Adliger diesen überhaupt kannte, konnte meist nur bedeuten, dass eine Bestrafung im Anmarsch war. Was darauf gesagt wurde, beruhigte ihn einerseits, und machte ihn andererseits unglaublich nervös und bestürzte ihn fast. Die Ställe? Ein glorreicher Tag? Er sollte den Prinzen begleiten?
"Sehr wohl, Euer Hoheit. Wie es euch beliebt. Mit Eurer Erlaubnis wird Eurem Willen auf der Stelle Folge geleistet werden.", antwortete Caleb vollkommen abwesend. Er war noch im Begriff zu realisieren, was dies bedeuten konnte.
Der Vorkoster bestätigte, dass der Prinz gefahrlos essen konnte, woran Caleb natürlich keinen Zweifel gehabt hatte, und mit einer Handbewegung wurden sie beide entlassen. Ihrer beider Wege führte in die Küche, doch auf halben Weg hatte der Vorkosten ihn bereits hinter sich gelassen und als Caleb schließlich selbst ankam, war der dieser bereits verschwunden. Immer noch abwesend, rief Caleb einen etwas jüngeren Küchenjungen zu sich, um ihn darüber in Kenntnis zu setzen, dass der Prinz sein Frühstück zu sich nahm und bald jemand auf sein Zimmer gehen musste, um das Geschirr und die Reste zu holen, denn er selbst würde dies wohl nicht tun - genauso wenig wie er bis zum Nachmittagsdienst würde schlafen können.
"Du siehst aus als hättest du König Wilhelms Geist gesehen!" Eine große Pranke legte sich auf Calebs Schulter und schüttelte ihn wach. Borans bärtiges Gesicht starrte in das Seine und der dicke Küchenchef grinste, als er sah wie der Nebel in den Augen des Jungen sich langsam auflöste. "Na, wieder wach?"
"Geht schon, danke." Aber natürlich würde Boran nicht locker lassen, hatte er doch bereits den Teller mit dem Früstück für Caleb in der Hand und drückte den Jungen mit sanfter Gewalt auf einen Stuhl. "Will der Prinz dich hängen lassen? Hast du seinen Haferbrei vergiftet? Unser Hansi sah dafür aber noch ganz gesund aus!"
Kurz sah Caleb erschrocken von seiner Roggenbrotscheibe auf. Fleisch gab es für ihn nicht, nur alten Käse und Wasser.
"Natürlich nicht, sowas würde ich nie tun! Der Prinz hat nur befohlen, dass ich ihn auf einen Ausflug oder sowas begleiten soll. Zu Pferd, wenn ich alles richtig verstanden habe."
Noch nie in seinem Leben hatte Caleb ein Pferd bestiegen. Sicher, den Stall hatte er schon hunderte Mal ausgemistet und diese großen, prächtigen Tiere mochte er zudem ganz gerne, aber sich vorzustellen, wie der Prinz von ihm verlangte auf eines davon zu steigen, grenzte an einen Alptraum.
"Du wirst das schon schaukeln, wahrscheinlich brauch er nur jemanden, der ihm bei seinen Ausritt den Sonnenschirm über das edle Haupt hält.", feixte Boran.
"Sag sowas nicht!", beschwerte sich Caleb, wenn auch halbherzig. Er kam sich schlecht dabei vor, dass er gegrinst hatte.
"Iss lieber, dass wird sicher ein anstrengender Tag für dich. Hier!", aus seiner Schürze kramte Boran einen kleinen Traubenast hervor, an dem ein gutes halbes Dutzend roter Früchte hing. Der Küchenchef zwinkerte, legte sie auf das hölzerne Brett, dass Caleb als Teller diente und ging von dannen, um sich wieder dem tummelnden Geschehen der Küche zu widmen.
Wieder geistesabwesend füllte Caleb ein Schälchen mit Milch, steckte sich eine Traube in die Backe und ging durch eine Tür, die in einen kleinen Hof führte. Das Klacken der grob gearbeiteten Schüssel auf den Steinstufen lockte sie hervor, die grauen und braunen Streuner des Palasts. Die weißen und schwarzen Schnurrer und Maunzer, nach denen man Stiefel und Steine warf. Caleb begrüßte sie mit einer streichelnden Hand und leisem Miauen.
"Und ihr? Habt ihr noch mehr überraschende Nachrichten für mich?"

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Re: Mit gesenktem Blick

Beitrag von Erzähler » Donnerstag 12. Januar 2012, 23:35

Sobald der Prinz sich an sein Frühstück setzte, durfte auch Caleb gehen. Der Vorkoster marschierte voraus. Er hatte es eilig. Zwar zählte Prinz Vincent oft zu den Letzten, die ihr morgendliches Mahl einnahmen, aber heute hatte der König veranlasst mit einer Reihe dunkelelfischer Kriegsberater zu speisen und da musste der Vorkoster natürlich zugegen sein. So trennte er sich alsbald von dem jungen Diener, der seinerseits endlich seine Mahlzeit einnehmen konnte. So üppig wie jene, die er auf kleinen Wägelchen an die Königsfamilie heran kutschierte, fiel sie natürlich nicht aus, aber sie würde den Magen füllen. Außerdem leistete Boran ihm Gesellschaft. Er war kein Zwerg, sah aber aus wie einer, wenn man von seiner Größe absah. Boran war irgendwie kompakt gebaut, selbst wenn er viele in der Küche auch ohne seine Kochmütze überragte. Er besaß einen beachtlichen Bauch, der größtenteils jedoch von seinem noch beachtlicheren Bart bedeckt wurde. Diesen warf er sich beim Kochen wie einen Schal über die Schulter, damit auch ja kein Haar in die köstliche Suppe des Königs geraten konnte. Nun, eigentlich kochte Boran selten selbst. Er besaß ein ganzes Dutzend Küchenjungen, zu denen er auch Caleb oftmals abkommandierte. Des Weiteren halfen ihm Imella, seine Koch-Assistentin Gertrud und seit neuestem auch eine der Mägde, die sich so ein paar Füchse mehr verdienen wollte. Boran gab ihnen nur die Basiszutaten seiner Rezepte durch, ließ sie kochen und fügte seine "speziellen Geheimstücke" dann zwischendurch selbst bei. Er verbrachte tatsächlich nur noch wenig Zeit direkt vor dem Herdfeuer. Das kam Burschen wie Caleb zugute, um die er sich stattdessen kümmerte.
"Hab dir heute ein extra dickes Stück Brot geschnitten. Dachte mir, bevor es wegkommt, weil es unserem Prinzchen nicht gut genug ist..." Boran grinste. Natürlich meinte er es nie so, wusste er doch, dass Caleb dann gleich ein wenig gereizt reagierte. In seiner Gegenwart sollte man über keinen der Königsfamilie scherzen, warum auch immer. Gut behandelt wurde er von ihnen nicht, wie niemand der Dienerschaft. Aber man war es gewohnt. So war es eben schon immer gewesen, also beschwerte man sich nicht. Jedenfalls nicht öffentlich.
Neben dem Brot gab es noch eine Leckerei in Form kleiner roter Trauben. Boran musste sie aus den Gärten stibitzt haben. Schließlich erhob er sich, da nun doch seine Anwesenheit vonnöten war. So ganz konnte er sich eben doch nicht aus der Küche zurückziehen. Man erwartete ihn. Ebenso ging es Caleb, der stets seine Milch für die im Schloss heimischen Katzen bereitstellte. Sie kamen auch gleich angeflitzt, kaum dass er die Schale auf der Treppe platziert hatte. Allen voran huschte eine besonders flinke Katze herbei. Ihr Fell glänzte silbern im Licht des neuen Tages, auch wenn es an manchen Stellen ziemlich dreckig war. Wo sie sich wohl herum getrieben haben mochte? Ihr folgten weitere Streuner. Sie alle versammelten sich um die kleine Schale, schoben einander mit den samtigen Pfoten beiseite und maunzten teilweise sogar bedrohlich. Jeder wollte den Löwenanteil der Milch erhalten. Jeder, ausgenommen eines winzigen Kätzchens, das nicht einmal die Stufen herauf kam. Es maunzte kläglich, nahm immer wieder Anlauf, schaffte es aber nicht, den pelzigen weißen Hintern nachzuziehen. Dazu waren die Vorderpfötchen einfach zu schwach.
"Hilf mir doch!", miaute es Caleb entgegen. "Ich bin hungrig. Die Mäuse sind immer schneller als ich. Bitte, hilf mir. Ich hab sogar Neuigkeiten für dich, die die anderen dir nicht erzählen können!"
"Sprichst du von der Fremden in der Nacht? Wir haben sie gesehen, kleiner Weißer, aber sie ist für Caleb sicher uninteressant."

Das Kätzchen schaute den Jungen direkt an. Dann nieste es, dass die Schnurrhaare wackelten. "Aber ihr habt nicht gesehen, was ich gesehen habe! Ich weiß, was das Menschenmädchen im Schloss will. Jawohl! Hilfst du mir jetzt?" Erneut ein bettelnder Blick. Die Schale war bereits zu zwei Dritteln leer geschlabbert.
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Re: Mit gesenktem Blick

Beitrag von Caleb » Freitag 13. Januar 2012, 00:21

Es war eine automatische Handbewegung, an deren Ausführung Caleb gar nicht dachte, als er die Kapuze zurück zog. Vielleicht lag es an daran, dass er sich unter den Katzen geborgener fühlte als unter den anderen Dienern, die ihn wohl größtenteils nicht leiden konnten. Leicht legte er noch den Kopf schräg, als das Kleine versuchte ihn zu bestechen. Nachdenklich streichelte er über den Rücken eines Grauen. Dem Kätzchen hätte er auch ohne solches Betteln geholfen, für gewöhnlich kam bei ihm keiner zu kurz, aber interessiert war er schon. Ein Menschenmädchen im Schloss? Eine Spionin oder eine närrische Diebin? Jedenfalls schien sie nicht öfter hier zu sein, oder vielleicht war sie sogar eingebrochen? Wenn es wirklich so jemanden gab, der sich am Tor vorbeischleichen konnte, musste Caleb das wissen.
Er würde es Boran erzählen und der konnte dann die Wache warnen.
Den wütenden Mienen zog er die Mundwinkel nach oben und fauchte. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, gaben ihm einen noch aggressiveren Ausdruck und seine Pupillen schienen sich ein klein wenig mehr in die Länge zu ziehen. Der Zischlaut verscheuchte die Gierigen und Ungestümen, die Platz für den kleinen Weißen machten. Erst hatte Caleb daran gedacht, die Katze vielleicht mit rein zu nehmen und dort auszufragen, aber Tiere waren in der Küche verboten und außerdem wollte er auch hören, was die andere Streuner zu sagen hatten, vielleicht hatte noch einer etwas besonderes bemerkt. Eine Sicherheitslücke im königlichen Schloss konnte er nicht akzeptieren. Innerlich scwoll seine Brust ein wenig an, weil er als einziger hier mit Katzen sprechen konnte. Aber das innere Stimmchen, dass ihm immer wieder erklärte, dass an ihm nichts Besonderes war, meldete sich auch dieses mal.
Wahrscheinlich haben sie nur einer neuen Magd hinterher gejagt. Wie sollte ein Mädchen hier reingeschlichen kommen? Ist wahrscheinlich alles ganz harmlos.
Ihm sackten bereits die Schultern runter, bevor der Kleine auch nur getrunken hatte, oder etwas hatte sagen können. Die innere Stimme hatte natürlich recht. Enttäuscht zog Caleb die Beine rann und schlag die Arme darum. Es war kalt draußen, zu früh war es. Der Himmel war vollkommen von weißen Wolken verhangen und es roch nass, als hätte es in der Nacht geregnet, aber wenn Caleb so nach oben sah, würde es bald aufklaren - gut für den Prinzen und seinen Ausritt. Seine Ohren zuckten erschrocken bei dem Gedanken daran. Hätte er einen Schweif besessen, er hätte sich erschrocken zusammengerollt oder beschützend um die Füße gekringelt.
"Willst du mir jetzt erzählen, was du weißt? Und Ihr Anderen, könntet Ihr bitte ruhig sein, bis er fertig ist. Das wäre sehr nett von Euch." Selbst zu Katzen war er höflich, aber Caleb hatte sein Leben so kennen gelernt, dass selbst der verkrüppelste Streuner noch über ihm stehen musste. Außerdem gebot es schlichtweg das gute Benehmen. Immerhin war er kein Rudelführer oder so etwas. Dazu wäre er nebenbei gesagt nicht mal ansatzweise in der Lage. Befehle erteilen lag ihm ganz und gar nicht und wenn er auf dem Schlossplatz Soldaten exerzieren sah, bekam Caleb für gewöhnlich Angst vor den Männern, die dabei immer rumschrien. Es war ihm viel zu laut und klang zudem bedrohlich und böswillig, als würde man ihm Schläge verpassen wenn er nicht auf Pfiff gehorchte; was nur zu sehr der Realität entsprach.
Unbewusst fasste sich Caleb mit der Linken auf den Rücken, während er dem Kleinen zuhörte. An dieser einen Stelle am Schulterblatt war er einmal böse geschlagen worden, das blaue Fleck war so groß wie ein Topfboden gewesen und er hatte zwei Wochen nur auf dem Bauch schlafen können. Der Knüppel hatte einem Offizier gehört, dem er im Weg gestanden hatte, im Stall, als dieser sich sein Pferd holen wollte. Beim Ausmisten genau der Stallung hatte er ihm Pferdemist auf den blank polierten Schuh gefegt. Es war natürlich keine Absicht gewesen, aber Unvorsicht war noch lang keine Entschuldigung für Unfähigkeit. Er hatte es verdient. Viel schlimmer hatte Caleb gefunden, dass sich viele Diener einen Spass daraus gemacht hatten, ihre freundschaftlich gemimten Schulterklopfer genau auf diese Stelle zu konzentrieren. Im Mondlich hatte er damals geweint...
Schrecklich, dass ihm genau jetzt diese Erinnerung kam. Beinahe empfand er nun Angst, nachher in die Stallunge zu gehen. Sollte er auf den Prinzen dort warten, oder ihn in seinem Zimmer aufsuchen? Oder würde er dann nicht das Schachspiel unterbrechen?
All das würde jetzt erst einmal warten müssen. Trübe Gedanken machten ihn immer melancholisch, also schüttelte er sie ab und konzentrierte sich ganz auf die Katze vor ihm.

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Re: Mit gesenktem Blick

Beitrag von Erzähler » Freitag 13. Januar 2012, 13:14

Es erschien seltsam, dass wohl niemand, abgesehen von den Katzen, die fremde Herumschleicherin bemerkt hatte. Sie musste sehr gut sein, wenn sie nachts unterwegs gewesen war. Schließlich putzten dann die Diener und das Gesinde im Schloss. Oder sie hatte sich nicht im Westflügel aufgehalten. Caleb sollte mehr über diese dreiste Streunerin heraus finden und es dann entweder Boran oder gleich selbst der Wache melden. Aber wer war sie? Das weiße Kätzchen hatte hoffentlich mehr zu berichten. Es würde jedoch keinen Maunz von sich geben, solange es nicht ebenfalls hatte fressen dürfen. Also vertrieb der Hybrid einige der älteren Katzen durch ein rasches Fauchen. Sie sahen in ihm eine Art Herr über die Milch, immerhin stellte er die Schale bereit. So gaben sie nach und zogen sich zurück, die Barthaare noch immer von der köstlichen Mahlzeit tropfend.
Das kleine Kätzchen schaffte es endlich an die Schüssel heran und beugte sich voller Übermut vor. Beinahe wäre es in den Rest der Milch gefallen oder hätte die Schale umgestoßen. Im letzten Moment konnte es sich noch fangen. Eifrig schlabberte es. Eine andere Katze, die sich noch einmal näherte, um eine Extraportion abzubekommen, wurde heftig angefaucht. Ja, der Kleine wusste sich zu wehren, wenn er erst einmal hatte, was er wollte. Vermutlich würde er die Milch mit seinem jungen Leben verteidigen. Die andere Katze wackelte mit dem Schnäuzchen, ließ das Kleine aber gewähren. Dann eben keine Extraportion. Schnurrend wandte sie sich an Caleb, streifte um seine Beine herum. Wenn sie sich mit ihm gut stellte, würde er ihr vielleicht später einen Vorteil verschaffen.
Die Katzen saßen nun um den jungen Burschen herum - auf den Treppenstufen, Mauervorsprüngen und eine räkelte sich sogar auf der steinernen Fensterbank. Ihr Schwanz schlängelte sich um einen verstaubten Blumentopf, in den man bald neue Samen pflanzen würde, sobald das Wetter sich besserte. Sie schienen alle zufrieden, besonders die kleine Weiße, die sich jetzt genüsslich aus der leer geschleckten Schale zurückzog. "Das war gut", maunzte sie. Schon kam sie auf Caleb zugewatschelt, das kurze Schwänzchen aufrecht in die Höhe gereckt, ebenso wie den Kopf. Es fuhr die kleinen Krallen aus, hakte sich so in die Kleidung des Jungen und erklomm seinen Rumpf. Auf dem Bauch machte sie es sich bequem, rollte sich erst zusammen. Schließlich drehte sie sich aber auf den Rücken. Der kleine Katzenbauch war kugelrund geworden von der vielen Milch, die nun im Inneren herum schwabbte. "Du darfst mich massieren, während ich dir alles erzähle, was ich weiß."
Kätzchen fühlte sich bei Caleb sehr wohl. Es streckte die Pfoten nach oben, spreizte die winzigen Krallen und gähnte. Nach einer so köstlichen Mahlzeit war ein Nickerchen das Beste, was man tun konnte. Aber noch durfte der junge Kater nicht schlafen. Er hatte sein Wort zu halten und Caleb von der Fremden zu erzählen. Noch einmal gähnend sagte er: "Mich hat letzte Nacht eine Ratte gejagt." Katzenhaft schelmisches Kichern ringsum. Das Kleine fauchte leise. "Es war eine sehr große und bissige Ratte mit riesigen Zähnen, einer hässlichen langen Schnauze und roten Augen! Da kriegt so ein kleiner Kater wie ich eben Muffensausen, jawohl! Jedenfalls hat mich dieses Monstrum durch den halben Hof gejagt und hätte mich auch beinahe gekriegt, wenn das Mädchen nicht gewesen wäre. Als ich schon dicht an eine Wand gedrängt auf mein Ende wartete, trat sie einfach dazwischen und hob mich hoch. Zuerst sah ich nur ihren Schuh - billiges Leder, aber sehr gut verarbeitet. Weich und schwarz, genauso wie die Handschuhe, die sie trug. Hat mich hochgehalten und nach der Ratte getreten, die fiepend das Weite suchte. Dann haben mich zwei große, blaue Augen angeschaut. Ich hab aber lieber die vielen, kleinen Punkte auf ihrer Nase und den Wangenknochen gezählt."
"Die nennt man Sommersprossen"
, schnurrte eine dicke Katze mit zerrupftem, roten Pelz.
"Ruhig! Ich erzähle! Gut, also Sommersprossen. Sie hat viele davon und ihr Haar hat die Farbe von ganz weichem Stroh. Ich erinnere mich so gut daran, weil ich mit diesem kleinen, geflochtenen Zopf gespielt habe. Da hat das Mädchen gelacht und mich auf einer Mauer abgesetzt. 'Tut mir leid, Kätzchen, ich kann jetzt nicht spielen', hat sie gesagt und dann ist sie durch das Fenster ins Schloss geklettert. Du weißt schon, manchmal wird nachts gelüftet und sie ist einfach hindurch ins Innere!" Das Kätzchen gähnte wiederholt. So langsam fielen ihm die Augen zu. Es murmelte noch einige unverständliche Worte, dann rollte es sich zum Schlafen endgültig zusammen.
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Re: Mit gesenktem Blick

Beitrag von Caleb » Freitag 13. Januar 2012, 18:08

Unglaublich; was der Kleine da erzählte. Inzwischen schnurrte der Kater, einem tierischen Schnarchen nicht unähnlich, während Caleb ihn nachdenklich hinter den Ohren kraulte. Die Anderen hatten von diesem mysteriösen Mädchen wohl nichts mitbekommen, zumindest schien niemand an der Geschichte des Jungen irgend eine Verbesserung anbringen zu wollen, oder gar zu behaupten, der Kleine würde lügen. Aber wie konnte ein, offensichtlich junges, Mädchen ins Schloss schleichen ohne entdeckt zu werden? Und viel interessanter wäre vor allem gewesen, durch welches Fenster sie sich zutritt verschafft hatte. In welchem Flügel war sie? Und lag ihr Ziel auch dort?
Eine herumstreunernde Adlige war sie wohl kaum, Caleb kannte alle Gesichter der hochwohlgeborenen, die im Schloss gastierten und keiner davon hatte eine sommersprossige Tochter die mittelmäßig verarbeitete Kleidung trug. Sie musste also von außerhalb kommen, vielleicht sogar vom äußeren Kreis? Doch eine Diebin, oder? Jedenfalls musste Caleb Boran Bescheid sagen, er selbst traute sich nicht zu den Wachen, wenn es nicht unbedingt notwendig war. Aber was für einen Beweiß hatte er für das alles? Eine kleiner, weißer Kater hat mir einzählt das eine Jugendliche sich ins Schloss gestohlen hatte, obwohl sie eigentlich einen ganz freundlichen Eindruck machte? Klang nicht sonderlich glaubenswürdig. Wahrscheinlich würde niemand auf seine Worte hören, und selbst Boran würde sich keine einleuchtende Ausrede einfallen lassen können, ohne dass igendjemand - nämlich der, der es beobachtet haben sollte - für seine Untätigkeit bestraft werden würde, weil er nicht sofort Alarm geschlagen hatte. Wenn sie eine Attentäterin war, könnte schon heute jemand tot sein... aber alle hatten ihr Frühstück ohne Zwischenfall eingenommen.
Caleb fasste einen Entschluss.
"Könntet Ihr vielleicht für mich nach ihr Ausschau halten? Ich weiß, es ist viel verlangt, Ihr habt es schon hart genug und ich verlange auch nicht, dass ihr euch ins Schloss schleicht. Es wrde schon reichen, wenn ihr durch das ein oder andere Fenster späht oder wenigstens im Kopf behaltet, wie sie aussah und mir sagt wenn ihr sie zufällig wieder seht. Ihr müsst es nicht, aber ich fände es schön.", kurz überlegte er, dann stahl sich ein Lächeln auf sein Gesicht: "Ich gebe euch nächstes Mal extra viel Milch, egal, ob Ihr etwas entdeckt, allein für die Mühe, okay?"
Dass Caleb nicht entschied jedem, der etwas zu berichten haben würde, zusätzliche Milch zu geben, lag daran, dass er keine ausgedachten Berichten haben wollte, nur weil ein besonders gerissener Kater eine schnelle, doppelte Portion abstauben wollte. So würde sich hoffentlich jeder auf ein Festmahl freuen und aus Dankbarkeit wenigstens etwas aufmerksamer sein. Das traf vielleicht nicht auf alle Katzen zu, dass erahnte Caleb schon, aber es gab so viele Streuner hier, dass es unter Umständen doch etwas brachte.
Die Antwort nahm er ohne weiteren Kommentar hin, welche es auch war, denn er wollte doch noch einmal mit Boran reden. Vorsichtig legte er den Weißen auf das Fensterbrett neben der Tür, wo sich oft Katzen zusammenrollten, um vielleicht doch etwas Wärme von drinnen zu erhaschen.
Die leere Schüssel in der Hand und sich nach einem freundlichen Miauen umdrehend, ging Caleb wieder in die Küche, in der nun das Abwaschen und Aufräumen der Überreste des Frühstücks in vollem Gange war. Boran beteilte sich natürlich nicht daran, er hatte immerhin genug Küchenjungen dafür, und das Caleb ebenfalls nicht mit anpackte, und stattdessen direkt auf den Küchenchef zusteuerte, brachte ihm den ein oder anderen ziemlich feindseligen Blick ein. Niemand von ihnen wusste, dass der Prinz selbst ihn von dieser Arbeit freigesprochen hatte, also nahm er es ihnen nicht übel.
"Boran, du kennst nicht zufällig eine blonde, sommersprossige Magd oder allgemein ein solches Mädchen mit geflochtenen Zöpfen und teilweise schwarzer Lederkleidung?", fragte Caleb gedämpft und mit Absicht geheimnistuerisch. Boran wusste, dass er mit Katzen sprechen konnte, und würde sicher auch verstehen, was es hieß wenn er sich nach so jemandem erkundigte. Immerhin besaß er ein fotografisches Gedächtnis und arbeitete ihr schon sein ganzes Leben - wenn er also dieses Mädchen nicht kannte, konnte sich Boran sicher einen Reim darauf machen, was Caleb ihm damit sagen wollte. Aber hier in der Küche mit zwei Dutzend neugieriger Ohren wollte er nicht ins Detail gehen.
Sicher war, dass von dem herzhaften Mann ein Kommentar wie 'Hat sich unser Kleiner doch in eine verguckt?' kommen würde, bevor er Caleb verständlich machen würde, ob er den Wink verstanden hatte. eiter würde sie keine Worte wechseln brauchen. Caleb selbst hatte sich inzwischen dazu entschlossen, direkt zum Prinzen zu gehen und an seiner Seite darauf zu warten, dass der Ausflug begann. Jeder Adlige hatte immer einen oder mehrere Diener um sich rum, die ihnen das Leben erleichterten und besonders ein Thronerbe hatte da so einiges auf Lager, also würde es nicht sonderlich auffallen, wenn Caleb sich dazu gesellte, obwohl er nicht dafür eingeteilt war.
Sein Weg führte ihn also wieder zurück zum Zimmer von Prinz Vincent dem IV, auch wenn er noch keine Ahnung hatte, ob er ihn auch dort antreffen würde.

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Re: Mit gesenktem Blick

Beitrag von Erzähler » Montag 16. Januar 2012, 00:44

Das Kätzchen streckte sich. Ach, es war so schön, die volle Aufmerksamkeit zu bekommen und noch dazu angenehm gekrault zu werden. So ließ es sich leben. Jetzt fehlte nur noch ein Samtkissen, aber diesen Luxus nicht zu besitzen, störte das Tier dann auch nicht mehr. Auf Calebs Schoß war es ebenfalls sehr gemütlich und gleich würde er restlos weg dösen. Schnurrend glitt er ins Reich der Träume über. Er hörte schon gar nicht mehr die Bitte an sämtliche anwesenden Katzen, Augen und Ohren offen zu halten. Sanft schnurrend drehte sich Kätzchen auf die Seite, nur um mit den winzigen Krallen seiner linken Pranke durch Calebs Beinkleidung zu pieken. Es schmerzte nicht sonderlich, aber der Stich würde auch nicht unbemerkt bleiben.
Die anderen Katzen spitzten unterdessen schon jetzt die Ohren. Die Aussicht auf eine Extraportion Milch lockte sie alle. Einige schleckten sich allein beim Gedanken schon über die Schnauzen. "Wir werden alles Katzenmögliche tun, um dir Informationen zu beschaffen", gelobte ein besonders dicker Kater, dem das rechte Auge fehlte. Er kratzte sich mit der eigenen Pfote über den Wanst. Offenbar konnte er kaum erwarten, dass der Küchenjunge sein Versprechen in die Tat umsetzte. Aber er würde warten müssen. Caleb war schon viel zu lange hier draußen. Selbst der Umstand, dass ihn der Prinz von jeglicher Arbeit freigestellt hatte, entzog ihm nicht der Pflicht, sich bei Vincent dem IV. alsbald zu melden. Oder sollte er nicht? Sicherlich spielte der Prinz gerade mit seiner Verlobten eine Partie Schach. Welcher König wohl fallen würde? Schwarz oder weiß und welche Seite hatte sich der Prinz erwählt?
Caleb fände es nicht heraus, wenn er noch länger auf der Treppe herum lungerte. Das erkannte der Diener auch allein, also entledigte er sich des schlafenden, weißen Katers und kehrte in die Küche zurück. Dort ging es inzwischen heiß her. Viele Jungen und Mädchen hetzten herum, um zum einen das Geschirr vom Frühstück zu reinigen, zum anderen um das bevorstehende Mittagsmahl vorzubereiten. König Hendrik aß niemals weniger als fünf Gänge und da er sicherlich dunkelelfische Gäste hinzuziehen würde, stieg der Arbeitsaufwand für sein Personal gewaltig. Die dunklen Völker hatten zwar eine Reihe Sklaven mitgebracht - meist handelte es sich dabei um Goblins -, aber diese arbeiteten nur für ihre Herren und Herrinnen aus Morgeria. Für Hendriks Hoftstaat machten sie keinen Finger krumm.

Boran beaufsichtigte alles. Gerade, als sich Caleb an ihn wandte, hatte er einen Kochlöffel nach einer faulen Magd werfen wollen. Ihr Glück, dass Boran durch den Jungen abgelenkt wurde. So verfehlte das Geschoss sein Ziel um Haaresbreite. "Was gibt's denn?", erkundigte sich der dickbauchige Küchenchef. Er lauschte Calebs Worten, schüttelte aber schon nach den ersten Sätzen bestimmt den Kopf. "Die Mägde des Schlosses tragen Hauben, da wären Zöpfe eher hinderlich. Nein, ich kenne niemanden, auf den die Beschreibung passen könnte. Warum?" Auf Borans Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. Dann klopfte er seinem Küchensprössling gegen die Schulter. "Ist es nun soweit, dass du endlich auch mal Ausschau hältst? Na, bist ja erwachsen genug, dir auch ein Mädchen zu fangen. Schön. Um ehrlich zu sein, ich hätte nicht gedacht das ... ach, papperlapapp, ist eine tolle Sache. Trotzdem hab ich deine Angebetete nicht gesehen. Tut mir leid, Junge. Vielleicht findest du sie, wenn du heute mit dem Prinzen in die Ställe gehst. Ja, die Nachricht ist schon durchgesickert. Genieße diesen arbeitsarmen Tag."
Somit schickte er Caleb seiner Wege und diese führten letztendlich doch zurück in die Gemächer des Prinzen. Genauer gesagt, in einen seiner Salons, in dem das große Schachbrett stand. Er pflegte nur, auf diesem Brett zu spielen, weil die Bauern keine Bauern, sondern kleine Soldaten waren und sich die gesamte Gestaltung der Figuren einer militärischen Basis annahm. Selbst die Damen waren zu wahrhaftigen Kriegsheldinnen geschmückt worden. Valkyrienhaft wurden sie vom Prinzen über das schwarzweiße Muster des Bretts geschoben und er kämpfte beinahe enger um sie als um seinen König, der einem alten Kriegsveteran ähnlich sah.
Heute jedoch lief es alles andere als friedlich ab, denn heute wurde nicht gespielt.

"Zu den Ställen? ZU DEN STÄLLEN?!" Die Stimme seiner Verlobten, Danjiella Cyrclin, war schon auf den nahen Korridoren zu hören und obwohl sie garmisch sprach, konnte man am Klang erkennen, dass sie sich über etwas heftig aufregte. Sie würde Caleb also beinahe automatisch in den richtigen Salon locken, unabhängig davon, ob er wusste, wo das Schachbrett des Prinzen aufbewahrt wurde. Ihr Schimpfen und Zetern ließ nicht nur die Diener die Hälse recken. In der Nähe wandelte gerade ihre Majestät, die Königin. Sie seufzte bedauernd: "Dabei hatte ich es mir so schön ausgemalt. Ihre Kinder werden reich an Temperament gesegnet sein."
Die Kammerzofe der Königin führte sie in Richtung der Bibliothek. Gerade rechtzeitig, sonst wäre Königin Augusta Zeugin einer Szene geworden, die sie vor Scham hätte erröten lassen. Der Prinz schlug die Flügeltür auf, dass sie zu beiden Seiten gegen die Wand prallte. "JA! Ich werde zu den Ställen gehen und mir ein Pferd suchen."
"Und dann?!", keifte es noch aus dem Salon heraus, von Danjiella. "Reitest du wie ein Raubritter über Wiese und Feld? Du ziehst ein Pferd meiner Anwesenheit vor?!" Eine Vase flog nach draußen. Nicht sehr damenhaft, aber die junge Herrin regte sich mal wieder über alle Maßen auf. Da konnte ihr heute nicht einmal Jezebel, die Geliebte des Königs, das Wasser reichen. Der Prinz warf die Hände über den Kopf. Als er Caleb erblickte, kam er eiligen Schrittes auf ihn zu. Seine Miene erheiterte sich. "Diener! Auf ihn habe ich gewartet. Genug der Spielerei mit Figuren, es wird Zeit für meinen Ausritt. Das Ziel verrate ich angesichts dieser Furie in meinem Salon nicht. Sie könnte uns folgen. Rasch, folge er mir ... zu meiner Kriegskammer. Ich brauche jemanden, der mir die Rüstung anzieht." Es würde also nicht bei einem einfachen Ausritt bleiben. Prinz Vincent pflegte sonst nämlich eine feine Reitertunika und Stiefel oder seine Jagdkleidung zu tragen. Weshalb die Rüstung? Caleb sollte es noch früh genug erfahren.
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Re: Mit gesenktem Blick

Beitrag von Caleb » Montag 16. Januar 2012, 02:02

Die Katzenohren zuckten aufgeregt in die Richtung, aus der sie die Stimme der Verlobten des Prinzen vernahmen. Kaum wurde Caleb sicher dieser ungewollten Bewegung bewusst, riss er sich die Kapuze über den Kopf. Er hasste es, wenn seine Ohren das taten. Sein verbessertes Gehör erlaubte es ihm, das ein oder andere zu vernehmen, dem er eigentlich nicht lauschen sollte, aber dass sich seine Katzenöhrchen immer in die jeweilige Stellung brachten um besser hören zu können war einfach zu verräterisch und so kam sich Caleb dabei unglaublich ertappt vor. Kontrollieren konnte er es dennoch nicht. Eifrig starrte er die Marmorfliesen an, während er nun weitus vorsichtiger zum Salon marschierte, in dem sich das Soldatenschachspiel befand, mit dem der Prinz am liebsten spielte. Wie ein kleiner General kommentierte er die Figuren und ebenso geschickt.
Hatte Danjiella Cyrclin etwa schon verloren?
Sie war eine gerissene Frau, also konnte sich Caleb das nicht vorstellen. Schon war er in Hörreichweite und erkannte den Grund für ihren Ausbruch. Gerade beschimpfte sie Prinz Vincent als einen Raubritter und Caleb fuhr unwillkürlich zusammen. Sie musste wirklich außer sich sein, um so etwas zu sagen, aber hatte der Prinz denn überhaupt nicht mit ihr gespielt? Hatte er ihre Einladung - oder von wem sie nun auch gekommen war - nur angenommen, um ihr unter die Nase zu reiben, dass er lieber ausritt als sich mit ihr zu beschäftigen? Heute schien ein Tag für unerwartete Dreistigkeit zu sein. Aber die Herrschaften waren sicher nur mit dem falschen Bein aufgestanden, obwohl der Prinz doch ganz ausgeruht gewirkte hatte. Apropos Prinz:
Vorsichtig hatte Caleb den Blick gehoben, um zu sehen wessen hallende Fußschritte ihm gerade entgegenliefen und auch so erkannte er die Gestalt nicht sofort, da sie noch einige Dutzend Schritt entfernt war, aber die Stimme, die plötzlich nach ihm rief, kannte er dafür nur zu gut. "Majestät, entschuldigt meine Unverschämtheit!", stotterte Caleb und verbeugte sich eilig und tief, aber da lief der Prinz auch schon an ihm vorbei, während er eilig seine Pläne erklärte. "Sehr wohl, wie Ihr wünscht, Euer Hoheit!" Immer noch vollkommen perplex drehte sich Caleb kurz um, Richtung Salon und sah jemanden, den er nur als verwaschenen Fleck wahrnahm, aber es war sicher, dass dort Danjiella Cyrclin stand. Und ebenso sicherer war, dass sie ihm einen so giftigen Blick zuwarf, dass Caleb wohl zu Stein erstarrte wäre, hätte er direkt hineinsehen können.
Hastig senkte er unterwürfig den Blick und machte auf dem Absatz kehrt, um dem Prinzen zur Waffenkammer zu folgen, die sich natürlich ganz in der Nähe der Ställe befand. Immerhin war die schwere Kavallerie des Königs ganzer Stolz. Zwar enthielt das Schloss keine Kaserne, da diese separat im Innenring stand, aber eine gewisse Anzahl teilweise stets unter Waffen stehender Soldaten befand sich dennoch immer im und um auf dem Gelände des Schlosses. Sie waren es, vor denen Caleb am meisten Angst hatte. Nicht die anderen Diener, die ihn Tag ein Tag aus piesackten, das hatte er ertragen gelernt, eher waren es jene, die nur einen Wimpernschlag brauchen würden, um ihn zu töten. Jene, die scharfe Waffen trugen, nicht solche Zier- und Symbolschwerter wie der Prinz gerade. Ausgebildete Soldaten in deren Blick man nach grandessanischer Manier nur Kälte und Tod fand.

Auf dem Weg zu den Kasernen begann Caleb den Kratzer doch etwas deutlicher zu spüren, den er von dem kleinen Kätzchen abbekommen hatte. Sicher, mehr als ein leichtes Ziepen im Oberschenkel war es nicht, aber verlangsamen tat es ihn dennoch ein wenig. Da Caleb als Diener jedoch immer ein bis zwei Schritte hinter dem Prinzen zu gehen pflegte, war dies nicht sonderlich beeinträchtigend. Die Marmorplatten verschwanden, als sie den verzierten, hohen Korridoren des adligen Alltagslebens den Rücken kehrten. Doch Caleb nahm dies alles kaum wahr, denn er war in Gedanken versunken - erneut. Warum die Rüstkammer? Was würde heute geschehen und warum sollte er selbst dabei sein? Viel mulmiger wurde ihm aber bei dem Gedanken, dass Danjiella Cyrclin etwas von Wiesen und Wäldern gesagt hatte. Würden sie etwa Grandea verlassen? Das hatte Caleb in seinem ganzen Leben noch nicht getan, weder zu Fuß noch zu Pferd. Wenn der Prinz in Urlaubsresidenzen eine Auszeit nahm, wurde für gewöhnlich nur dafür ausgebildetes Reisepersonal benutzt, das sich im Notfall auch mit den Soldaten wehren konnte und die Residenzen selbst besaßen eigene Diener.
Aber ein Ausflug? Mit Rüstung? Gab es die Gefahr auf einen Kampf?
Für gewöhnlich sagte Caleb in der Nähe der Adligen nie ungefragt etwas, aber in ihm meldete sich ein gewisser Trotz, der ihm wohl von Feylin selbst eingepflanzt worden war. Der Drang, etwas zu erfahren und die Unruhe darüber, etwas nicht zu wissen obwohl die Antwort auf all diese Fragen keine zwei Meter von ihm entfernt gemütlich zur Rüstkammer schlenderte.
"Ho-... Hoheit?", setzte Caleb an, wobei er ungewollt noch ein Stück weiter zurückfiel, anstatt zum Prinzen aufzuschließen. Aber was sollte er eigentlich fragen? Er konnte nicht reiten, das musste der Prinz wissen, also wäre es unverschämt ihn darauf hinzuweisen und wenn Prinz Vincent gewollt hätte, dass er etwas über ihr Ausflugsziel wusste, hätte er es ihm dann nicht schon vorhin beim Frühstück gesagt? Aber der Prinz war ihm gegenüber auch zu keinen Erklärungen verpflichtet. Was bildete er sich überhaupt ein zu fragen?
Sein offener Mund klappte wieder zu, der halb gehobene Blick fiel wieder nach unten, vielleicht sogar etwas tiefer und Caleb murmelte nur ein leises:
"Verzeiht, Majestät."
Aber was würde passieren? Stumm folgte Caleb seinem Prinzen.

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Re: Mit gesenktem Blick

Beitrag von Erzähler » Freitag 20. Januar 2012, 01:03

Prinz Vincent blieb nicht stehen, als er an Caleb vorbei kam. Er würdigte ihn auch kaum eines Blickes. Er schaute ihn nur lange genug an, um zu erkennen, dass es sich um den Burschen handelte, der ihn begleiten sollte. Das erkannte er recht schnell, denn Caleb war einer der wenigen Diener, die sich mit Kapuze zeigten. Im Grunde hatte der Prinz das Gesicht des Jungen sehr selten einmal gesehen. Aber es kümmerte ihn auch nicht. Caleb war ein Diener von vielen, nicht mehr und nicht weniger. Dass er sich den Namen des Burschen überhaupt gemerkt hatte, lag an seinen Katzenohren. Die waren dem Prinzen nämlich einmal aufgefallen und er hatte seine Frau Mutter danach gefragt. Sie hatte von einer leidlichen Missbildung gesprochen, wusste jedoch auch nicht mehr. Sowas passierte eben, wenn sich Menschen des Außenringes miteinander paarten, denn die Königin vermutete, Caleb stammte von dort. Genau wusste es wohl nur der König, aber der sprach sich nicht über die Dienerschaft aus. Er hatte Besseres zu tun! So blieb die Herkunft des Jungen sowie der Grund für seine seltsamen Ohren unaufgelöst, aber den Namen hatte sich der Prinz in Erinnerung behalten.
Und auch das unvollendete Schachspiel mit seiner Verlobten würde nur eine Erinnerung bleiben, denn Vincent von Grandessa wollte sich nicht länger damit befassen. Nicht, dass ihn die Herrin Danjiella nicht ansprach - er hielt sie rein optisch für sehr attraktiv - aber es gab etwas, das ihn deutlich mehr reizte. Außerdem war es interessanter als ein Schachspiel. Die Augen des Prinzen blitzten verräterisch auf. Zudem stahl sich ein Lächeln auf seine Lippen, dem eine gewisse Schalkhaftigkeit, gepaart mit Vorfreude, innewohnte. Das sah man sonst selten an ihm. Was heckte der Thronerbe nur aus?

Er machte sich zur Waffenkammer auf, was einen längeren Weg durch allerlei Korridore, über Treppen und durch große Hallen bedeutete. Das Schloss erstreckte sich weit. Diener waren kaum zu sehen und je näher man dem äußeren Schlosshof kam, wo sie die Ställe befanden, desto häufiger begegnete man einem Wächter der Königsfamilie. Sie patrouillierten nicht nur, sondern hielten in diesem Bereich des Schlosses auch Trainingsphasen ab. Die höheren Offiziere lehrten einander verschiedene Taktiken oder sie berieten sich bezüglich Nachrichten von den Grenzposten. Noch immer herrschte die Fehde zwischen Grandessa und Jorsan. Die Haupstadt des Königreiches wollte natürlich stets aktuell informiert sein. Vor allem jetzt, da ein Großteil der Streitmacht mit der dunklen Armee gen Pelgar und Andunie gezogen war.
Soldaten grüßten den Prinzen und beäugten den folgenden Caleb mit kritischen Blicken, als sie an beiden vorbei zogen. Sie alle verneigten sich oder senkten ergeben das Haupt vor seiner Hoheit. Der Prinz beachtete sie kaum. Er schien nach etwas oder jemandem Ausschau zu halten, fand das Gesuchte jedoch nicht vor. Endlich erreichte er die Rüstkammer. Von hier aus war es nur noch ein Katzensprung über den Hof bis zu den Ställen herüber. Natürlich besaß der Prinz hier eigene Nebenräume, in denen seine persönlichen Waffen und Rüstungen aufbewahrt wurden. Gerade schloss er die Tür zu diesen Räumlichkeiten auf, als ein gestammeltes Hoheit hinter ihm zu hören war.
Überrascht wandte sich Vincent der IV. um. Da war niemand. Niemand von Bedeutung. Er schaute den Gang entlang. Mit gesenktem Haupt stand da nur ... "Was will er, der kleine Dienstbursche?", erkundigte sich der Prinz. Als aber nichts weiter als eine Entschuldigung kam, schnaubte er. Dann legte er seine adlige Sprachgebung beiseite: "Sag schon, Junge! Dir lag etwas auf dem Herzen, also raus damit! Ich mag es nicht, wenn man mir Dinge verschweigt." Und während er dies befahl, betrat Vincent die Rüstkammer.
Hier fehlte all der Prunk der höfischen Flügel des Schlosses. Man bezog sich auf das Praktische. Lediglich die Paraderüstung des Prinzen schimmerte von einem Gestell herab, hinter dem ein dicker, roter Samtvorhang und zwei Kerzenständer für die nötige Erhabenheit sorgten. Ansonsten reihten sich hier weitere Rüstungs- und Waffenständer aneinander. In einer Ecke fanden sich zwei Schränke, in denen vermutlich die weicheren Unterröcke und Hauben aufbewahrt wurden, die man unter den Helmen trug, um sich nicht selbst zu verletzen. Auch ein Jagdboden aus kostbarem Holz des Urwaldes hing dort bereit, zusammen mit einem passenden Lederköcher. Auf ihm war das Wappen Grandessas wiederzufinden. Unterhalb dieser Zierde stand ein Stuhl. Daneben gab es eine aufklappbare Wand, einen Raumteiler. Der Prinz konnte sich dahinter umkleiden. Auf diesen hielt er nun auch zu und verschwand hinter den miteinander verbundenen Holzplatten, über die sich bunt bemaltes Leinen spannte. "Ich warte immer noch auf eine Antwort, Diener."
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Re: Mit gesenktem Blick

Beitrag von Caleb » Freitag 20. Januar 2012, 18:39

Unter dem Blick des Prinzen schrumpfte Caleb zu einem Häufchen elend zusammen. Obwohl man nicht einmal sein Gesicht sehen konnte, stand ihm das Unwohlsein auf dem Leib geschrieben. Selbst wenn er gewollt hätte, wäre kein Wort aus ihm heraus gekommen. Aber der Prinz hatte es ihm doch befohlen! Als dieser sich recht schnell umdrehte und die Rüstkammer betrat, meinte Caleb von seiner Last befreit zu sein. Das anfängliche Interesse an seinem Diener schien verschwunden und er widmete sich wieder seinen glorreichen Plänen, die er wohl noch niemandem erzählt hatte, denn es wartete kein Ankleider auf sie.
Diese Räumlichkeiten hatte Caleb selbst nur zwei Mal betreten. Für gewöhnlich durften hier nur das Putzpersonal mit einem Aufseher rein, der Rest musste auf Befehl oder in Begleitung des Prinzen unterwegs sein, um an den Wachen vorbei zu kommen. Hier lagerten Waffen und Rüstungen so erlesen, dass ihr Diebstahl eine Katastrophe gewesen wäre. Das sie eine beträchtliche Summe wert waren konnte Caleb auch ohne besonderes Wissen darüber erkennen. Der Prinz verschwand direkt hinter der Trennwand, aber wie wollte er sich einkleider? Eine volle Rüstung konnte man nicht ohne Hilfe anlegen und Caleb traute sich das Gewicht beispielsweise der Brustplatte nicht zu. Dahingegen kannte er selbst den Aufbewahrungsort und die Bezeichnung der einzelnen Rüstungsteile, obwohl er erst ein paar mal bei so einer Prozedur zugesehen hatte.
Dann drangen hinter dem Sichtschutz Worte hervor, die ihn auf der Stelle vereisen ließen.
Sein Kopf suchte sofort nach einer Ausrede. Nach dem Ziel dieser Reise konnte er kaum fragen, das stand ihm in keinem Fall zu. Das ihm genau in diesem Augenblick so dumme Fragen einfielen wie: Hatten der Prinz und er überhaupt einmal ein richtiges Gespräch geführt? Dies war ihm eingefallen, als der Adlige ihn nicht mehr in der dritten Person beschrieben hatte, sondern das vertraute 'du' verwendete. Wenn er Worte an den Prinzen richtete, dann nur auf Befehl, so hatte er es gelernt. Aus eigener Initiative war ein Wortwechsel nie entstanden, und wenn, dann hatte er nur eine Minute gedauert. Aber war ihm das wichtig?
Es musste immer noch eine Ausrede her. Auf dem Weg hier her war Caleb so einiges aufgefallen, was ihn stutzig gemacht hatte. Niemand hatte sich dem Prinzen angeschlossen, um ihn zu begleiten. Normalerweise gab es doch immer eine Leibgarde. Niemand schien von seinem Vorhaben zu wissen, es gab keine Abschiedsgrüße oder Glückwünsche für die Jagd oder so etwas, und dabei hieß es doch, es sollte etwas Großes geschehen.
Caleb machte sich nun ernsthaft Sorgen, obwohl ihn dieser Raum voller Waffen und Kriegswerkzeug einschüchterte.
"Hoher Herr, das Anliegen war lediglich jenes, ob der Ankleider gesucht werden muss, oder Eure Leibgarde in Bereitsschaft gesetzt werden sollte, um Eure Majestät auf Ihrem Ausritt zu begleiten."
Auch wenn Caleb dies kaum wahrnahm, sagte es doch viel über ihn aus, dass er kaum das Wort 'ich' in seinen Sätzen verwendete.
Eingeschüchtert hatte er nicht einmal den Raum betreten und stand im Türrahmen, sich seiner sehr unsicher. Die Rechte hatte er hinter dem Rücken versteckt, die Linke fuhr ihm bei reden ungewollt unter die Kaputte durch dass Haar und strich über sein linkes Ohr. Caleb mochte das kurze, weiche Fell dort und es beruhigte ihn irgendwie ein bisschen, wenn er darüber streichelte und bis zur Spitze fuhr, die am elastischten war und unter dem leichten Druck einknickte.
Schleunigst verstränkte er auch die linke Hand hinter seinem Rücken und sah vorsichtig nach oben. Der Prinz war immer noch hinter der Ankleide und das es hier nur wenig Licht von Feuerschalen gab, erleichterte ihm die Sicht, also hob er den Kopf ganz, bevor er beim Anblick von Schwertern und Speeren wieder etwas tiefer rutschte.
Inzwischen hoffte Caleb inständig, dass es irgendeinen harmloser Grund für all das gab.

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Re: Mit gesenktem Blick

Beitrag von Erzähler » Sonntag 22. Januar 2012, 12:31

Prinz Vincent ragte aus dem Haufen der Königsfamilie heraus wie kein anderer. Nicht nur, dass er sich direkt mit einem seiner Dienerschaft unterhielt, er hielt auch noch seine Pläne geheim. Zumindest vor Caleb. Wussten König und Gemahlin von dem, was er vor hatte. Seine Verlobte Danijella hatte offensichtlich erst vor wenigen Augenblicken davon erfahren, aber sie war nicht befugt ihn aufzuhalten. Sie war nur eine Frau und noch zählte sie nicht zur Königsfamilie dieses Reiches. Die Ehe würde erst dann vollzogen, wenn ihr Bauch kugelrund wäre, so dass kurz nach einer Trauung auch gleich der nächste Thronerbe das Licht der Welt erblicken könnte. Bislang war nichts dergleichen passiert. Das ließ sich allerdings auf den Prinzen selbst zurückführen. Er teilte mit seiner Angetrauten zwar ein Bett, aber welchen Aktivitäten er neben Schlafen darin noch nachging, war nicht bekannt. Mit dem Zeugen eines Nachkommens schienen sie jedoch wenig gemein zu haben. Das Gesinde tuschelte jedenfalls bereits darüber. Andere behaupteten, Danjiella sei der Prinz zuwider und sie nähme Empfängnis verhütende Kräuter, um sich ja kein "Balg in den Ofen schieben zu lassen". Das waren jedoch sehr verpönte Themen. Jeder, der dabei erwischt wurde, wie er Gerüchte verbreitete, wurde vom König sofort in Schimpf und Schande entlassen. Solche Dienerschaft landete im Außenring und führte fortan ein Leben in Armut und zwischen Unrat.
Caleb war also angeraten, derart Gespräche zu meiden, wenn er dieses Schicksal nicht teilen wollte. Aber er würde heute ohnehin nicht mehr dazu kommen, sich vom Gesinde piesacken zu lassen. Der Prinz hatte Anderes vor. Vorher erkundigte er sich aber - deutlich ungeduldiger - nach Calebs Worten. Er mocht keine Heimlichkeiten, außerdem trieb ihn eine innere Neugier dazu. Was könnte sich ein Diener schon Gedanken machen, dass er es wagte, den Prinzen anzusprechen? Entweder war dieser Junge mit den seltsamen, roten Augen überaus mutig oder allenfalls sehr dumm.
Hinter dem Raumteiler begann Vincent, seine Kleidung abzulegen. Ein weiterer Skandal. Dafür hatte er doch Personal! Er musste im Grunde keinen Finger rühren, lediglich die Stimme erheben. Aber Vincent gehörte, vor allem seit seiner militärischen Ausbildung, nicht zu jener Sorte Thronfolger, die auch dann noch Hilfe brauchten, wenn sie das Abort aufsuchten. Er war durchaus in der Lage, Dinge auch selbstständig zu erledigen. Die Rüstung würde er sich jedoch trotz dieser Unabhängigkeit nicht eigens anziehen können. Und genau dieser Umstand war Calebs Rettung, denn rasch stotterte er sich dies als Ausrede ab. Der Kopf des Prinzen tauchte an der Seite des Raumteilers auf. "Was brauche ich einen Ankleider? Du bist doch hier ... komm her und ich zeige dir, wie man mir die Rüstung richtig am Körper anbringt." Er verschwand erneut hinter der Abtrennung. "Eine Leibgarde werde ich genauso wenig brauchen. Es wird nur ein kurzer Ritt - ein paar Stunden. Dann dürften wir den ersten Militärposten Grandessas erreichen. Ich kann es kaum erwarten, jene Männer wiederzusehen, mit denen ich Seite an Seite mein Schwerttraining vollführt habe."
Die Kleidung des Prinzen schwang sich über den Wandtrenner. Er griff nach einem der Unterröcke, die ihn vor den scharfen Kanten der eigenen Rüstung schützen würde. Dann hob er die Kettenhaube an. Erst die Rüstung. Caleb sollte endlich seiner Aufgabe nachkommen. Er würde das schon hinkriegen. Der Prinz brauchte ja lediglich Hilfe bei den Armschienen. Das Kettenhemd streifte er gekonnt selbst über, dann den grandessarischen Wappenrock und der Schwertgurt. "Reich mir das Schwert aus dem Waffenständer!" Er würde das zierende Prunkstück an seiner Hüfte also gegen ein richtiges, scharfes Schwert eintauschen. Er würde mit Caleb zu einer Militärbasis reiten. Vincents Pläne mussten mehr beinhalten, als nur seine alten Waffenbrüder zu besuchen.
Plötzlich fragte er frei heraus: "Kannst du eigentlich reiten, Caleb? Das war doch dein Name - Caleb, oder nicht?"
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Re: Mit gesenktem Blick

Beitrag von Caleb » Sonntag 22. Januar 2012, 21:51

Der forschende Blick, der sich auf die Ankleide gerichtet hatte, schnellte aprupt gen Boden, als der Kopf des Prinzen zum Vorschein kam. Bei den Worten schluckte Caleb und langte mit der Hand hinter sich. "Wie ihr befehlt, Euer Hoheit." Die Tür knallte vernehmlich, obwohl Caleb sie versucht sacht hinter sich geschlossen hatte. Ein mulmiges Gefühl beschlich ihn, nachdem Prinz Vincent zumindest teilweise seine Pläne offenbart hatte. Ein Ritt von mehreren Stunden und ein Soldatennest. Viel schlimmer konnte es kaum noch werden. Zumindest dachte das Caleb, als er sich vorsichtig der Abtrennwand näherte, die er wegen seinem penetrant gesenkten Kopf nicht sehen konnte, und hineinrennen wollte er nun auch nicht. Das Geräusch raschelnden Stoffs ließ ihn dann doch aufblicken und die achtlos hingeschmissenen Sachen des Prinzen ließen zwei Gefühle in ihm aufflackern, doch während sich das Erste fast augenblicklich in Luft auflöste, wurde das Zweite stärker, je näher er der Stellwand kam.
Es waren Unmut und Scham.
Der Prinz konnte natürlich nicht wissen, dass es unglaublich aufwendig war, diese edlen Stoffe zu reinigen und zu bügeln. Das war auch gar nicht seine Aufgabe und dem war sich Caleb sehr wohl bewusst, weswegen dies auch weiter keine Rolle spielte. Das andere Gefühl hatte er schon oft gehabt und wusste es zu verbergen, immer hin half er verhältnismäßig häufig bei der Ankleide, aber ganz hatte Caleb es nie erwürgen können. Wo es ihm doch schon peinlich war den anderen Dienern beim waschen zuzusehen, wie sollte er sich da dem Prinzen gegenüber verhalten? Da Niemandem Bescheid gesagt wurde, gab es auch keine bereit gelegten Sachen und so musste Caleb dem Prinzen auf Zuruf das benötigte ranschaffen. So wurde natürlich erst nach dem schützenden Unterrock gefragt.
Caleb fand dieses schnell und recht zielsicher, blieb aber auf der anderen Seite der Trennwand und reichte es jediglich herum, das Gesicht gesenkt und die andere Richtung verreckt, was keine gute Mischung war, was das unangenehme Ziehen am Hals verdeutlichte - obwohl es eher daran lag, dass er es damit eindeutig übertrieb. Erst als sich Caleb wirklich sicher sein konnte, dass der Prinz etwas mehr an hatte, traute er sich ihm den Wappenrock zu reichen, ohne sich dabei zu schenieren. Die Armschienen hielt er dem Prinzen so hin, dass er bequem hinein schlüpfen konnte, die Augen dabei fest auf dessen Hand gerichtet. Sein Blick war beabsichtigt starr, obwohl sich Caleb nicht so ganz sicher war, warum eigentlich.
Zum Glück wollte der Prinz keine volle Plattenrüstung oder ähnliches tragen, sondern begnügte sich mit einer leichteren Variante, die ihm dafür Schnelligkeit mit der Waffe und die nötige Bewegungsfreiheit garantieren würde, wie Caleb feststellte. Nun, da die Prozedur beendet war und der Prinz ihm keine direkten Anweisungen mer geben musste, damit er auch alles richtig machte, kam die Frage, deren Antwort Caleb schon vorhin hatte zu Wort bringen wollen.
Nun lief er wirklich rot an, hielt aber natürlich das Haupt so gesenkt, dass man es nicht sehen konnte.
"Nein, Majestät, des Reitens ist nur ein Bruchteil der Dienerschaft fähig, nämlich jener, der es zum Erledigen seiner Arbeit benötigt.", erklärte Caleb wahrheitsgemäß, während er sich hastig umdrehte, und das verlangte Schwert holte. Es lag schwer in seinen Händen und ihn beschlich eine Mischung aus Angst und Ehrfurcht, als er es in jenen hilt. Beides würde man wohl der Art und Weise entnehmen können, wie er es dem Prinzen überreichte. Als würde er es gar nicht schnell genug loswerden können, oder als wäre es besonders heiß gewesen. Innerlich atmete er doppel auf. Nicht nur, dass er dieses tödliche Ding los war, der Prinz würde nun sicher einen anderen Diener rufen lassen, der reiten konnte, um seine kleine Reise anzutreten. Dann könnte er zurück in die Schlafräume, hätte vielleicht noch eine Stunden und wäre wieder bereit für die Küche um bei den letzten Vorbereitungen zum Mittagsmahl zu helfen.

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Re: Mit gesenktem Blick

Beitrag von Erzähler » Donnerstag 26. Januar 2012, 01:14

Prinz Vincent schämte sich nicht, sich seiner Dienerschaft nackt zu präsentieren. Er ließ sich schließlich nicht von jungen Hofdamen und Mägden einkleiden und alle anderen besaßen zumindest in den Grundzügen die gleichen Gliedmaßen, die auch an ihm hingen. Zugegeben, der Prinz besaß in dieser Hinsicht enormes Selbstbewusstsein. Natürlich sah er seine Diener nicht nackt, aber er vermutete, dass ihm in bestimmten Körperregionen niemand das Wasser reichen konnte. Typisch männliches Konkurrenzdenken. Bei Tieren war es ähnlich, nur dass diese kleine Wettkämpfe ausfochten, wer den Stamm eines Baumes an höchster Stelle markieren konnte. Sich den Thronfolger vorzustellen, wie er neben einem Baum sein Bein hob war allerdings dann doch zu absurd. Zumal er wusste, dass der Baum vor ihm in die Knie gehen würde, nur damit er die erste Asgabelung ohne Schwierigkeiten träfe! Dieses Denken war ebenfalls typisch, allerdings nur für Männer in der Position wie Vincent sie bekleidete.
Doch zurück zu den wirklich wichtigen Ereignissen. Immerhin wünschte, nein verlangte Prinz Vincent von Caleb zu wissen, ob dieser Reitfähigkeiten besaß. Damit schien der Katzenhybrid aus dem Schneider zu sein. Vincent würde wohl kaum einen Burschen mitnehmen, der sich keine Stunde im Sattel halten konnte. Das hielt ihn doch nur unnötig auf... falsch gedacht! "Dann wirst du es wohl entweder schnell lernen oder neben meinem Ross herlaufen müssen. Ich möchte dieses Mal niemanden meiner üblichen Reitbegleiter mitnehmen." Dafür gab es natürlich einen guten Grund. Der Prinz kannte seinen Falkner, die Ritter und alle anderen, die ihn auf Ausritten Gesellschaft leisteten, natürlich sehr gut. So gut, dass er wusste, dass sie schnurstraks zu seinem Vater eilen und ihm alles berichten würden, was der junge Prinz so vehement versuchte, vor jedem zu verheimlichen. Er brauchte jemanden an seiner Seite, der sich selbst fürchtete, vor ihm den Kopf auch nur ansatzweise zu heben. Caleb war der geeignete Kandidat. Seltsam, empfand der Prinz plötzlich, während er das Schwert entgegen nahm. Ich habe sofort an den Jungen gedacht, obwohl mir sein Charakter vollkommen fremd ist. Ich werde sehen, ob mein Bauchgefühl mich täuschte.
Er wog das Schwert in der Hand. Es war gut ausbalanciert, könnte allerdings einen Schleifstein vertragen. Nun, der würde sich finden. Schon wanderte die Waffe zurück in die reich verzierte Scheide und dann an den Gürtel des Prinzen. Es folgte der Helm, der eigentlich nichts Anderes als eine Kettenhaube mit daran befestigtem Kronreif war. Ein deutliches Zeichen, dass sich einer des Königshauses Grandessas näherte. Man erkannte es aber auch sofort am Wappen der königlichen Familie, das auf dem Wappenrock und dem Schild des Prinzen prangte. Er sah formell und dennoch wie zum Krieg gerüstet aus. Flüchtig musterte er nun seinen Diener. So konnte dieser nicht aus dem Schloss heraus. "Geh ins Arsenal am Ende des Flures. Verlange dort nach einem grandessarischen Wappenrock. Man soll dir auch einen Dolch mitgeben, ob du damit umgehen kannst oder nicht. Dann bist du nicht ganz unbewaffnet. Eil dich! Ich erwarte ihn bei den Ställen - er hat den Vierten Teil einer vollen Stunde Zeit", wechselte Prinz Vincent wieder in die übliche Anrede, die einem Diener gebührte.
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Re: Mit gesenktem Blick

Beitrag von Caleb » Freitag 27. Januar 2012, 02:01

"Sehr wohl, Eure Hoheit.", antwortete Caleb gepresst auf die wunderbare Nachricht, dass sein erster Ritt auf einem Pferd weder auf dem Reitplatz, noch sicher an einem Strich im Kreis geführt sein würde, so wie man es für gewöhnlich angehen ließ. Nein, es musste ein drei Stunden Ritt über die Straßen und Feldwege des Königsreichs sein. Natürlich gäbe es da noch die angenehmere Variante zu laufen, aber der Prinz würde sich wohl kaum seinem Tempo anpassen, was selbst Caleb peinlich vorkommen würde, wenn sich ein Adliger auf sein Niveau herabließe. Also blieb nur das Schnelllernen. Caleb musste einen tiefen Seufzer unterdrücken und schloss dabei kurz resignierend die Augen.
Das Schlittern von Stahl dagegen hatte eine andere Wirkung auf ihn. Sein Blick schnellte nach oben und sah direkt auf den Schaft des Schwertes, der zum Glück gerade keine grelle Lichtquelle zum reflektieren hatte, aber selbst ohne diese trat Caleb sofort einen Schritt zurück. So verharrte er kurz, fast schon starr und wurde sich erst dann bewusst, wie merkwürdig das aussehen musste, so halb zurückweichend, also stellte er sich wieder gerade und aufrecht hin. In seinen Kopf redete er sich ein, dass es so gewirkt haben musste, als wäre er einen Schritt zurückgetreten um dem Prinzen Platz für eventuelle Übungsschwünge zu lassen. Zum Glück verschwand das scharfe Metall schnell wieder.
Vor dem musternden Blick, der darauf folgte, wäre Caleb auch beinahe geflohen, aber den Teppich anzustarren war eine weitaus galantere Lösung als vor dem Prinzen wegzulaufen, nur weil er ihn ansah. Das Urteil viel Recht schnell. Wappenrock und Dolch. Wahrscheinlich würde Caleb damit aussehen wie die abgespeckte Version eines grandessanischen Soldaten. Drahtig schlank, kraftlos und nur mit einem halben Schwert bewaffnet. Hätte er nicht einfach so- nein, der Prinz hatte einen Befehl erteilt.
"Natürlich, Eure Majestät."
Ohne Umschweife machte Caleb auf dem Absatz kehrt und lief beinahe hastig zur Tür, um dann allmählich langsamer zu werden. Seine Gedanken kreisten um die Vorhaben des Prinzen. Das er trotzdem einen Diener, der ihn offensichtlich aufhalten würde, mitnahm und keinen der erfahrenen und älteren Soldaten oder sonst jemanden, kam ihm suspekt vor. Wollte er wirklich speziell mit Caleb dorthin? Was für besondere Eigenschaften hatte er denn, die ihn für diese Aufgabe geeigneter machten als die die Anderen? Keine. Caleb hatte das unangenehme Gefühl seinem eigenen Denken im Weg zu stehen, gefolgt von einem merkwürdigen Gefühl im Nackenbereich, so als wäre da etwas hinter seinem Rücken im Gange, und er müsste sich nur umdrehen um es heraus zu finden. Hatte aber zu viel Angst.
Ohne es zu merken, war Caleb mit der Hand auf dem Türgriff stehen geblieben. Wie lange er dort stehen geblieben war, konnte er nicht sagen, aber sofort als er sich dessen gewahr wurde, raste er aus dem Zimmer. Die Eichentür aber war zu schwer und hielt ihn auf. Für einen Augenblick kam sich Caleb so vor, als würde er nicht gegen Holz, sondern gegen irgendetwas anderes anrennen - dann war die Tür offen und er atmete erleichtert auf.
Was war eigentlich los mit ihm? Nichts war anderes als sonst. Er bekam Befehle und führte sie so aus, wie es verlangt worden war. Zumindest versuchte Caleb sich das auf dem Weg zum Arsenal einzureden. Die Entfernung entpuppte sich bei seinem hastigen Marsch als recht kurz. Kaum hatte er sich wieder in verwirrenden Gedanken verstricken wollen, da musste er auch schon gegen die nächste Tür bestehen.
Erst jetzt viel Caleb auf, dass er nichts hatte um zu beweisen, dass der Prinz ihm erlaubt hatte, eine Waffe und einen Wappenrock zu tragen. Der Verwalter des Arsenals würde ihm nichts glauben und erst recht keine tödliche Waffe in die Hand eines jungen Dieners legen. Natürlich konnte er fragen, aber was wenn die Antwort die eben Erwartete war...
Wie peinlich wäre es, nun den Prinzen zu suchen, der sicher nicht mehr in seinen Gemächern war, nur um ihn zu bitten einen Ring oder ein ähnliches Symbol seiner Gewalt zu erübrigen. Aber genauso schlimm wäre es, wenn Caleb lügen würde und am Ende nicht damit durchkam. Der Moment, wenn er dann vom Prinzen mit beispielsweise einem Ring zurückkehrte um dem Verwalter die Wahrheit zu sagen wäre doppelte Schmach.
Was in Calebs Kopf letzten Endes gewann, war das Bemühen die erhaltenen Befehle so schnell wie möglich zu erfüllen, und da ihm keiner glauben würde, dass er allein Prinz Vincent auf einem Ritt zum militärischen Außenstützpunkt begleitete, versuchte er es zuerst mit der Lüge, obwohl sich Caleb bereits jetzt schlecht vorkam. Dienern war so etwas eigentlich strengsten verboten und wenn man erwischt wurde erwarteten einen Schläge.
Mit gesenkten Kopf trat er an jenen heran, der im Arsenal für die Verteilung von Waffen und Ausrüstungsgegenständen zuständig war, und sagte in dem unterwürfigen, hohlen Tonfall den er schon seit Jahren benutzte:
"Herr, verzeiht die Störung, aber einer der Kuriere des grandessanischen Heers bereitet sich gerade darauf vor eine Botschaft zu überbringen, aber in seiner Ausrüstung fehlt der Dolch und sein Wappenrock riss beim letzten Ritt ein, wie er soeben bemerkte. Er befahl Ersatz zu besorgen, solange er ein Bad nehme."
Die Worte kamen ihm immer fließender heraus. Nicht, dass er anfangs gestottert hätte, aber die innere Spannung löste sich, auch wenn ein bitterer Geschmack zurück blieb. Glaubhaft war die Geschichte jedenfalls. Kurieren waren ebenfalls Diener, hatten also keine Möglichkeit ihm irgendwelche Insignien mitzugeben und was ein Kurier bei sich haben musste wusste Caleb auch auswendig.
Auch die Größe des Wappenrocks, die Caleb angab war sowohl die Seine als auch realistisch, denn schnelle Reiter waren bekanntermaßen klein und schlank. Dennoch -
Innerlich bibbernd wartete Caleb die Antwort ab. Wenn man ihm diese Geschichte abkaufte, würde er schnurstracks in die Ställe eilen, sich auf dem Weg die Sachen überwerfen beziehungsweise umlegen und nach dem Prinzen suchen. Andersfalls möge Feylin ihm beistehen.

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Re: Mit gesenktem Blick

Beitrag von Erzähler » Samstag 28. Januar 2012, 01:54

Der Prinz hatte Caleb weder ein Schreiben noch ein deutliches Symbol mitgegeben, das ihn sofort sichtlich dazu befugte, sich aus dem Arsenal bedienen zu dürfen. Normalerweise war das dem einfachen Gesinde nämlich nicht erlaubt. Lediglich Soldaten und andere Gardisten des Schlosses konnten sich frei darin bewegen. Nur sie durften sich Nachschub an Munition, eine scharf geschliffene Klinge oder ersatzweise neue Wappenröcke holen. Selbst dann zeigte sich der Zeugwart - Verwalter jedes einzelnen Stückes im Arsenal - eher grimmig. Er hielt alles in seinen Aufzeichnungen fest, so weit es ihm möglich war. In dieser Hinsicht war er doch sehr penibel. Es gefiel ihm nicht, dass man sich einfach so an "seinen" Sachen bediente. So musterte er auch Caleb überaus mürrisch, als dieser seine heiligen Räumlichkeiten betrat. Er saß hinter einem breiten Tisch, den er sich direkt neben der Tür aufgestellt hatte. So kam niemand heimlich an ihm vorbei - abgesehen von den Zeiten, zu denen er seine Mahlzeiten einnahm, den Abort aufsuchte oder wie jeder andere Mensch schlief. Manchmal ließ er seinen Sohn dann an der Tür Position beziehen, aber dies leider auch nur sehr selten. Der Bengel hatte nämlich nichts als Flausen im Kopf und spielte lieber mit den scharfen Schwertern als sie vor unbefugten Händen - wie seinen eigenen - zu schützen!
Der Zeugwart winkte Caleb sofort heran. "Was treibst du hier?", blaffte er ihn mehr als unfreundlich an. Seine Stimmung glich einem trüben Morgen zur Zeit der dunklen Tage, wenn alles grau und irgendwie düster erschien. Doch die Jahreszeiten hatten bereits einen Wechsel erlebt. Das Land erwachte langsam zu neuem Leben. Nur an diesem Mann schien es spurlos vorüber zu ziehen. Er hörte sich an, was Caleb zu sagen hatte. Gleichzeitig ließ er den Blick über eine handgeschriebene Notiz schweifen. Er hob sie zweimal an und las sie beim dritten Mal noch einmal Zeile für Zeile genau durch. Caleb konnte erkennen, dass sich am unteren Ende der Notiz ein Siegel aus Wachs befand. Solche Schreiben kamen von oberster Stelle, mindestens also vom Prinzen. Vielleicht aber auch vom König, doch weshalb sollte sich der Zeugwart eine Nachricht seiner Majestät durchlesen, wenn Caleb ihm gerade eine Ausrede auftischte? War der Diener denn wirklich derart unbedeutend? Nahm man ihn so wenig ernst?
Endlich ruhten die Augen des anderen wieder auf ihm. Endlich? Wohl eher leidlich, denn der Blick blieb düster und kritisch. Caleb musste ihn über sich ergehen lassen, wenngleich er sich in seine Kleidung einbrennen zu wollen schien. "Kurier, wie?" Der Kerl erhob sich. Sofort zeigte sein ausgestreckter Finger auf den Jungen. "Ich kenn dich. Du bist dieser mickrige Katzenbengel aus der Küche. Hab dich schon ein paar Mal im Hof gesehen. Haben sie dich zum Überbringer schlechter Neuigkeiten befördert, hä? Bleib genau da stehen!" Er stapfte murrend zu den Schränken mit den Wappenröcken des Königreiches. Unterwegs beklagte er sich brummend über die Inkompetenz von Kurieren und dass diese niemals Rücksicht auf ihre Ausrüstung nahmen. Er holte auch einen Dolch - geschärft, in einer einfachen hellen Lederscheide, die man an Gürtel befestigen konnte. Mit beiden kehrte er zu Caleb zurück, legte die Sachen auf den Tisch. Doch ehe der Junge sie mitnehmen konnte, schob der Zeugwart auch schon sein Büchlein und einen Kohlestift über den Tisch. "Unterschreiben. Ich füge Uhrzeit und Tag an. Ohne deine Unterschrift kriegst du hier nicht mal einen Furz von mir vor die Nase gesetzt, kapiert?! Und dann beeil dich! Laut diesem Schreiben von seiner Hoheit, dem Prinzen, kommt heute jemand vorbei, um sich ebenfalls mit Klinge und Wappenrock einzudecken." Der Mann runzelte die Stirn, blickte dann fragend zu Caleb. "Was veranstaltet ihr da mit all der Ausrüstung? Verlässt der Prinz das Schloss für einen Jagdausflug oder Ähnliches?"
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Re: Mit gesenktem Blick

Beitrag von Caleb » Samstag 28. Januar 2012, 15:59

Die Stimme des Zeugwarts kam Caleb so mürrisch und düster vor, dass er beinahe jedes mal, wenn dieser das Wort ergriff, zusammen zuckte. Sich dabei noch schuldig zu fühlen wegen einer notgedrungenen Lüge, half keineswegs. Aber es schien zu funktionieren, denn ihm wurde das Gewünschte vorgelegt, doch ab da an wurde alles schlimmer. Zuerst sollte er etwas unterschreiben, obwohl er doch offiziell gar nicht dazu in der Lage war, und dann war das Schriftstück, dass der Zeugwart schon vorher so nachdenklich studiert hatte, auch noch ein Brief, der ihm all das hier erspart hätte. Caleb schalt sich einen Dummkopf. Er hätte die Weitsicht des Prinzen nicht unterschätzen dürfen. Der Thronerbe hatte natürlich gewusst, dass egal, welchen Diener er mitnahm, dieser nicht über Wappenrock und Dolch verfügen würde und so bereits vorgesorgt. Wie hatte er glauben können, dem Prinzen wäre dieser Gedanke erst vorhin gekommen, als er ihn gemustert hatte?
Caleb schwor sich, nie wieder zu lügen. Obwohl, was war, wenn ihn der Prinz fragen würde, ob er lesen konnte? Nein. So kam man doch nicht weiter!
Er hatte den Prinzen enttäuscht und dafür musste er die Konsequenzen tragen. Auch wenn er Angst hatte.
Gerade als der Zeugwart mit einen Anflug von Misstrauen fragte, warum sie all diese Ausrüstungsgegenstände brauchten, hob Caleb den Blick und sah ihm direkt in die Augen.
"Es tut mir Leid, Herr, ich habe gelogen.", er schluckte, aber sprach weiter, "Das Schreiben des Prinzen gilt mir, die Geschichte mit dem Kurier ist erfunden. Der hochwohlgeborene Thronerbe gab mir den Auftrag, mich hier ausrüsten zu lassen erst vor wenigen Minuten und gab mir keine Insignie um mich dafür zu bemächtigen. Ich war dumm genug zu glauben, dass er keine Vorbereitungen getroffen hat."
Caleb atmete auf, fühlte sich irgendwie leichter, dann drückte wieder etwas auf sein Gemüt.
"Bitte wählt eine angebrachte Strafe für mich, Herr."
Damit senkte sich sein Haupt wieder. Caleb's Hände zitterten leicht und er musste sie hinter seinem Rücken verschrenken, nur um den Angstschweiß auf den Innerflächen zu spüren. Schon lange hatte er keinen Ärger mehr bekommen, immer hin arbeitete er ohne sich zu Beschweren und tat nie etwas anderes, als sich so gut es ging anzustrengen allen Anforderungen zu entsprechen. Heute war kein guter Tag. Warum musste es auch ausgerechnet der Zeugwart sein, der aussah und sich benahm, als würde er einem ungehorsamen Diener am nächten Kerzenständer aufspießen.

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Re: Mit gesenktem Blick

Beitrag von Erzähler » Dienstag 31. Januar 2012, 22:39

Ganz offensichtlich hatte der Prinz jeden seiner Schritte im voraus genau geplant. Hatte er damit auch fest eingeplant, Caleb mitzunehmen oder war dies ein Faktor, der durch jeden Diener des Schlosses hätte ersetzt werden können? In jedem Fall wäre es leichter gewesen, wäre der Hybrid bei der Wahrheit geblieben. Nun würde er entweder die Sachen für den mutmaßlichen Kurier mitnehmen und dann selbst verwenden können oder er löste alles auf. Da in ersterem Fall vermutlich sein Prinz in ein peinliches Licht gerückt würde - erst schickte er Botschaft über das Eintreffen eines Dieners und dann tauchte besagter Mann nicht auf - entschied sich Caleb vielleicht genau aus diesem Grund dafür, reinen Tisch zu machen. Er gab die Lüge auf, entschuldigte sich und erwartete eine angemessene Strafe. Der Zeugwart wäre berechtigt dazu, immerhin war er der Angeflunkerte und außerdem älter als der dreiste Diener. Wie schwer würde die Strafe wohl ausfallen? Der Mann fand alles Mögliche zur Vollstreckung in den Räumlichkeiten hinter sich. Er konnte zum harten Stock greifen, eine Peitsche holen ... er musste nur kreativ genug sein.
Tatsächlich kam der Zeugwart der Aufforderung des Jungen sogar nach. Er holte aus. Rot und wahrscheinlich sehr schmerzhaft glühte der Handabdruck des Mannes auf Calebs Wange. Farblich passte er zu dessen Augen, aber darauf achtete der Zeugwart im Moment ganz und gar nicht. "Mich so zu belügen!", keifte er, dann folgte ein weiterer Schlag. Dieses Mal musste die andere Wange dran glauben. "Pack das Zeug und mach, dass du raus kommst, ehe ich mir einen Lederstrang schnappe!" Er war eindeutig wütend. Nicht, weil man ihn belogen hatte, sondern weil es Caleb gewesen war. Die anderen Soldaten würden gehörig kichern, wenn heraus käme, dass er sich von einem Grünschnabel hatte austricksen lassen. Vielleicht verlöre er sogar seinen Posten. Immerhin konnte offenbar jeder zu ihm kommen und um Waffen und Ausrüstung verlangen! Ja, für diesen Mann stand wirklich seine Karriere auf dem Spiel. "Kein Wort zu niemandem!", brüllte er Caleb daher lauthals hinterher. Er selbst würde ganz sicher nichts sagen. Das war zum einen zu peinlich, zum anderen zu gefährlich für seine Karriere als Soldat im Schloss. Man könnte ihn degradieren. Dann würde er Pferdeställe säubern müssen.

Bei jenen befand sich derzeit auch Prinz Vincent. Er wartete schon ungeduldig auf seinen Diener, lenkte sich allerdings ab, indem er sich vom Stallmeister dessen Tiere präsentieren ließ. Gerade brachte der dickbäuchige Mann, dessen Arme nur so von Narben bedeckt waren, einen stolzen Schwarzen heran. Vincent schüttelte den Kopf. Das Tier sah ja beinahe edler aus als der Schimmel, den er zu reiten pflegte. "Nein, nein, nein", seufzte der Prinz.
"Aber Euer Hoheit, unser Nostril ist der friedfertigste Hengst im Stall!"
"Dann bringe er den Zweitfriedfertigsten. Etwas Kleineres, vielleicht eine Stute. Mein Begleiter soll auf das Tier auch herauf kommen. Aber schnell sollte es sein. Und eile er sich, ehe ich mich entschließe, einen besseren Mann für diese Aufgabe zu finden."
Der Stallmeister nahm sich die Worte zu Herzen. Er brachte Nostril zurück in seine Pferdebox und schritt dann die anderen ab. Prinz Vincent rollte mit den Augen. Er klopfte seinem Ross die Seite, prüfte dann persönlich die Verschlüsse und warf einen Blick zum Himmel. Das Wetter würde sie wohl begleiten. Ein kurzer Blick auf die Satteltasche. Sie war mit Proviant und Wasser gefüllt. Die Reise würde zwar nur ein paar Stunden in Anspruch nehmen, aber noch war nicht klar, wann sie zum Hof zurückkehrten. Vincent lächelte. Er freute sich auf diesen Ausflug, vor allem aber erwartete er voller Begeisterung die Reaktion seines Vaters, wenn der Bote bei ihm einträfe. "Dann bin ich längst unterwegs mit ..."
"Euer Hoheit, wie gefiele Euch dieses Tier für Euren Diener?" Der Stallmeister brachte einen Apfelschimmel herbei. Er war kleiner als das Ross des Prinzen, wirkte aber rüstig und zäh. Sicherlich hielt das Tier einiges aus. Freundlich schnaubte es, die Ohren nach vorn gerichtet. "Er dürfte auch für Anfänger leicht zu handhaben sein. Er ist sehr zahm. Sein Name ist Felix, das bedeutet Glück, Euer Hoheit."
Felix wieherte wie zur Bestätigung.
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Re: Mit gesenktem Blick

Beitrag von Caleb » Dienstag 31. Januar 2012, 23:54

Der Knall hallte zwischen den Steinwänden des Arsenals wieder. Die Kapuze rutschte dämpfte den ersten Schlag kaum merklich, rutschte aber bei der ruckartigen Bewegung nach hinten und servierte der zweiten, schwieligen Hand des Zeugwarts ein freies Feld. Das überlaute Geräusch und die Wucht, mit der sein Kopf herum gerissen wurde, ließen Calebs Ohren rauschen, bis er seine Umgebung nur noch wie durch einen dicken Vorhang hören konnte. Tränen quollen aus seinen Augen und die Sicht verschwamm noch mehr. Die ganze Existenz des Zeugswarts kam ihm nur noch wie ein schlechtes Schauspiel vor, als dieser den Mund öffnete und die Worte fluchte, die von Erlösung sprachen.
Caleb starrte ihn nur an. Bis er wieder einen klaren Gedanken fassen konnte vergingen zwei Augenblicke, in denen er nicht aufhören konnte in die hasserfüllten Augen seines Gegenübers zu starren. Dann kam er urplötzlich in die Realität zurück, krallte sich den Wappenrock und den Dolch und rannte hinaus. Zwei Wachen wichen ihm überrascht aus, als er sie im Türrahmen fast überrannt hätte - wobei Caleb wohl eher von ihnen abgeprallt wäre - und erst eine Ecke weiter blieb er hechelnd stehen.
Geräuschvoll zog er die laufende Nase hoch und rieb sich mit dem Ärmel über die Augen. Sein ganzes Gesicht musste rot wie eine Erdbeere sein, zumindest hörte das gribbelige Gefühl nicht auf, aber ohne einen Spiegel konnte Caleb kaum Gewissheit erlangen. Sicher war trotzdem, dass er dem Prinzen von der Sache erzählen musste, denn verbergen konnte er die Spuren des Zeugswarts nicht. Richtig so, dass seine Dummheit bestraft wurde. Wenigstens hatte der Zeugwart nur die flache Hand benutzt und nicht die Faust...
Immer noch leicht schluchzend vor allem des Schocks wegen, entledigte sich Caleb des Helleren seiner beiden Gürtel, zog sich den Wappenrock über und legte den Gürtel wieder um die Hüfte. Den Dolch befestigte er an der Rechten, bemerkte, dass er ihn so schlecht ziehen konnte, schalt sich erneut einen Dummkopf und beförderte ihn auf die linke Seite, wo ja auch normalerweise das Schwert hing. Wahrscheinlich hatte er es verwechselt, da Caleb für gewöhnlich nur Menschen mit Waffen nur vor sich sah und somit spiegelverkehrt gedacht.
Darauf, die Klinge probehalber aus der Scheide zu ziehen, verzichtete er dagegen gezielt. Hoffte Caleb doch sowieso, erst gar nicht in eine Situation zu geraten, in der er dieses verfluchte Ding wirklich gebrauchen konnte.
Seufzend sah Caleb an sich hinunter. Ihm stand dieses Kriegszeug eindeutig nicht, aber das war auch seine eigene Meinung zu Dingen, die er sowieso nicht leiden konnte, also war dieses Urteil kaum ehrlich. Jedenfalls hatte er jetzt was er zu holen bedurft hatte, und so orientierte sich Caleb kurz, da er nicht wirklich zielgerichtet aus dem Arsenal gerannt war, wurde sich dann der Tatsache bewusst, dass er dennoch die richtige Richtung eingeschlagen hatte und lief erst eilig, dann langsam voran.
Der Gedanke, dem Prinzen gegenüber zu treten war mit von Ohrfeigen geröteten Wangen nicht so wünschenswert, aber vielleicht konnte er es einfach überspielen. Im Schloss war es immer hin keine Seltenheit, dass einer wegen irgend einer Dummheit bestraft wurde.
Im Stall angekommen, waren die ersten Worte, die Caleb hörte: "... ist sehr zahm. Sein Name ist Felix, das bedeutet Glück, Euer Hoheit."
Zu diesem Zeitpunkt war er noch nicht in Sichtweite, sein gutes Gehör hatte ihm das zugetragen. Caleb wusste schon worum es ging und als er den Stall betrat, in dem sich auch der Prinz befand, musste er aufpassen, dass er nicht einfach zu dem Pferd hinging und es streichelte. Stattdessen zog er sich die Kapuze wieder über die Ohren und senkte den Blick tief. Dem Prinzen musste seine roten Wangen nicht sofort auffallen.
Am Ende würde zwar der Prinz entscheiden, aber Caleb mochte den Schimmel bereits. Allgemein mochte er die ähnlich erkrankten weißen Pferde - Felix speziell war erst halb ausgeschimmelt -, auch wenn das nicht wirklich vergleichbar war. Außerdem war Felix ein Name, den sich sicher sein Gott Feylin ausgedacht hatte. Ob er dem Thronerben irgendwie sagen sollte, dass er zu diesem Tier sofort eine Art Sympathie spürte, selbst wenn es nur auf dem Namen und der Fellfarbe beruhte?
Das er mal ein Pferdebuch gelesen hatte, und den Prinzen alles über Felix' Rasse - Holsteiner auf Garmisch - sagen konnte, wäre wohl zu auffällig.
Letzten Endes trat Caleb etwas näher an den Prinzen und seinen Stallwart heran, um zurückhalten anzumerken: "Zu Euren Diensten, Majestät. Meine Unfähigkeit bereitet Euch hoffentlich keine Schwierigkeiten bei der Auswahl. Wenn doch, verzeiht."
Dabei ging Caleb, obwohl er es selbst gar ncht so wahrnahm, sehr berechnend vor. Die erwartete Reaktion wäre, dass der Prinz schlicht Felix nehmen würde, um nicht in Verlegenheit gebracht zu werden, weil ihn die Auswahl eines Pferdes für einen unbedeutenden Diener aufhielt.

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Re: Mit gesenktem Blick

Beitrag von Erzähler » Mittwoch 1. Februar 2012, 23:54

Es war nicht oft vorgekommen, dass man Caleb geschlagen hatte. Ja, er wurde wegen seiner Ohren gehänselt, einige sprachen die weibliche Version seines Namens aus, wenn sie mit ihm redeten, aber kaum einem war jemals in seiner Gegenwart die Hand ausgerutscht. Dafür hatte er sich all die Jahre stets zu fleißig gezeigt und seine Arbeit ordnungsgemäß verrichtet. Natürlich war auch er nicht vor gewissen, "nötigen" Strafen davongekommen, doch hielten sie sich dermaßen in Grenzen, dass sie einen der letzten Plätze in einer Reihe aus Erinnerungen bildeten.
Wenigstens hatte der Zeugwart nicht mit der Faust zugeschlagen. Dann wäre Caleb wohl um ein oder zwei Zähne ärmer gewesen. Aber seine Wangen glühten immer noch, außerdem brannten sie stark. Das hielt den gesamten Weg bis zu den Ställen an, verblasste aber langsam, vor allem, als sich der Blick des Jungen mit dem des Pferdes kreuzte. Felix hieß es, so viel hatte er von der laufenden Unterhaltung mitbekommen. Das Tier richtete die Ohren nach vorn aus. Die Nüstern blähten sich, dann schnaubte es. Der Schweif schlug ein wenig hin und her. Seidiges Haar, strahlend weiß. Weder am Schweif noch an den Hufen ließen sich Rückstände von Mist finden. Jemand hegte und pflegte dieses Tier mit großer Sorgfalt. Es war im Grunde für wesentlich wichtigere Personen geeignet als für einen einfachen Diener. Trotzdem winkte der Prinz Caleb heran, ohne den Befehl zu erteilen, Felix fortbringen zu lassen. "Ah, da kommt ja de tapfere Recke, der sich im Reiten erst noch beweisen muss!" Er grinste. "Und engagiert ist er, das muss man ihm lassen. Wappenrock und Dolch befinden sich bereits am richtigen Platz." War das etwa ein anderkennendes Nicken?
Der Stallmeister gab seine Zustimmung. Einem Thronerben widersprach man nicht. Jedenfalls nicht, wenn man sich in einer so niederen Position befand. Nur Narren und enge Vertraute wagten dies, ohne den Verlust ihres Kopfes befürchten zu müssen. "Seine Unfähigkeit muss ich mir erst noch vor Augen führen lassen. Meine Wahl ist allerdings getroffen. Felix wird sich eignen. Besteige er das Tier, damit er mich nicht noch länger aufhalte." Die Worte waren natürlich an Caleb gerichtet, aber der Stallmeister war es, der vor ihm antwortete: "Euer Hoheit, ist mit Eurer heutigen Rückkehr zu rechnen? Dann bereite ich die Pferdeboxen vor und gebe Soldaten wie Gesinde Bescheid."
"Das wird nicht nötig sein. Ich gedenke, zum ersten Außenposten zu reiten und dann weiter nach Troman. Wir werden die Reise nicht an einem Tag schaffen." Der Prinz warf einen Blick auf Caleb. Er hatte gesagt, dass er nicht reiten könne. Er würde es jetzt lernen müssen, aber dennoch würde es das Fortkommen verzögern. Möglicherweise wären auch Rasten unterwegs nötig, aber der Außenposten sollte sich binnen weniger Stunden erreichen lassen. Dort konnte man dann eine Mahlzeit einnehmen, vielleicht einige Stunden oder die ganze Nacht mit Ruhen verbringen und anschließend den Weg gen Troman antreten. "Wenn alles reibungslos verläuft, werden mein Diener und ich in zwei bis drei Tagen zurück sein - oder auch nicht."
"Hoheit?", erkundigte sich der Stallmeister, doch Prinz Vincent schwieg. Er gab Befehl, das Tor zu öffnen, damit man ins Gelände hinab reiten konnte. Außerdem hieß er dem Stallmeister, Calebs Abwesenheit beim Küchenchef zu verkünden. Dieser würde es schon an die entsprechenden Stellen weiterleiten. Offenbar kehrte der Junge heute nicht mehr zu seinen Katzen, Ibella oder dem alten Boran zurück.
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Re: Mit gesenktem Blick

Beitrag von Caleb » Donnerstag 2. Februar 2012, 20:34

Das eigentlich Ziel war also Troman. Caleb vergaß in diesem Moment alle Rangunterschiede - sowieso seine roten Wangen - und sah den Prinzen fragend an. Was sich da in seinem Hinterkopf zusammen braute, war alles andere als beruhigend. Anfangs hatte er ja vermutete, der Prinz würde sich nur gerne mit seinen alten Kamderaden treffen wollen, aber nun offenbarte sich die ganze Tragweite des Ganzen. Ohne sein Zutun kam Caleb der schlimmste Gedanke: Prinz Vincent wollte die Soldaten des ersten Außenposten unter seiner Flagge versammeln und mit ihnen den Grenzposten Troman bereichern, um einen überraschenden Vorstoß gegen Jorsan einzuleiten.
Calebs Augen hatten sich geweitet, also diese Gedanken in seinem Kopf wie Geier Kreise zogen. Das konnte nicht wahr sein, oder? Wenn sie in zwei bis drei Tagen wieder hier sein wollten, wäre kein Angriff auf das verfeindete Königreich möglich, aber das "-oder auch nicht." des Prinzen ließ es Caleb kalt den Rücken runter laufen.
Der Prinz wandte ihm zu, als er ihm befahl aufzusteigend, und so wanderte sein Blick wieder zu Boden, und dann vorsichtig zum Stallmeister, der ihn seinerseits abmaßend musterte. Felix brauchte noch einen der Sättel, die an einer Wand auf senkrechten Eisenstangen aufbewahrt wurden. Das Zaumzeug hing auf Hacken daneben. Zu Caleb Erleichterung steuerte der Stallwart direkt die Herrensättel an. Mit Wappenrock und Dolch wirkte er wohl männlicher als sonst. Frauen waren im grandessarischen Heer selten, selbst in Lazaretten.
Interessiert beobachtete Caleb den Stallmeister bei seiner Arbeit, die er mit geübten Fingergriffen erledgte. Zum Schluss stellte er ihm noch einen Schemel hin.
"Komm her, Bursche.", brummte er auffordernd, aber nicht wirklich unfreundlich. Kurz erklärte er ihm, mit welchem Fuß er in den Steigbügel sollte, und wo am Sattel er die Hände platzieren musste, um sich hoch zu ziehen. Caleb wollte nicht unhöflich sein, aber er wusste das alles schon. Allein den Prinzen hatte er schon öfter zu Jagdgesellschaft aufbrechen und jedes mal sicher ein Dutzend Männer diese Prozedur abhalten gesehen.
Mit gehorsamem Kopfnicken nach jedem Satz bestätigte Caleb, dass er alles verstanden hatte. Obwohl Felix kleiner war als das Pferd des Prinzen, war er doch mit dem Rücken so hoch wie Caleb selbst mit Ohren gemessen. Ohne den Schemel hätte er sich das aufsteigen nicht zugetraut, aber mit schien es schon gar nicht mehr so schwer. Auch jetzt, wo Caleb den Fuß den Bügel steckte, blieb Felix ganz ruhig und hatte sich kein Stück bewegt, sondern nun neugierig geschnuppert und mit dem Schweiß gewedelt. Anscheinend freute er sich auf die Chance, aus dem Stall zu kommen und wieder zu rennen. Caleb bedauerte, dass er das Pferd dabei enttäuschen musste. Mit ihm auf dem Rücken würde kein Pferd gallopieren.
Zwei Mal nahm Caleb Schwung, in dem er prüfend am Sattel zog und sich mit dem auf dem Schemel stehenden Fuß hochdrückte. Auf Drei schwang er sich auf den Rücken von Feli und machte dabei eine amateurhafte, aber keine schlechte Figur. Caleb war zwar schmächtig, aber flink und wenn schon nicht muskelbepackt dann doch sportlich. Wahrhaftig, so sehr unterschied sich seine Statur nicht von der eines Kuriers, also könnte er theoretisch einen pasablen Reiter abgeben. Unwohl fühlte sich Caleb jedenfalls nicht auf dem Rücken von Felix, dem er dankbar über den Hals streichelte dafür, dass er schön still gehalten hatte.
Dann drückte ihm der Stallwart die Zügel in die Hand und schon wurde er nervös. Felix schien sofort zu merken, dass er sich einen Anfänger trug und regte die Ohren nach hinten. Caleb kam ich irgendwie ertappt vor, als würde das Tier merken, wenn er sich unwohl fühlte.
Der Stallmeister gab ihm eine Art Schnellkurs, mit Standart Tips wie, versuch dich den Bewegungen des Pferdes anzugleich, zieh niemals hastig und zu stark - also panisch - an den Zügeln, bleib gerade Sitzen und so weiter. Caleb hörte aufmerksam zu, denn er hatte nicht vor den Prinzen noch weiter aufzuhalten - oder sollte er das nicht lieber tun?
Der Gedanke erschreckte ihn. Du hast keine Beweise, dass der Prinz so etwas plant!, schalt sich Caleb, aber der Gedanke nistete sich ein.
Ob er den Prinzen bitten sollte einen Umweg zum Tempel Grandessas zu machen? Caleb hatte das Gefühl ein Gebet an Feylin zu senden, aber er hatte den Thronfolger schon fiel zu lange aufgehalten, um sich nun so etwas heraus zu nehmen.
"Versuch erstmal ein Gefühl fürs Reiten zu bekommen.", schlug der Stallmeister vor, packte Felix am Zaumzeug und führte ihn aus dem Stall hinaus, während Caleb die Zügel hielt, die ihm der Stallmeister vorhin auf die richtige Länge gesurrt hatte, ebenso wie die Steigbügel. Reiten war eine eigenwillige Fortbewegungsart, aber Caleb fand es nicht schlecht. Trotzdem konnte er sich bereits vorstellen, wie ihm in einer halben Stunde der Hinter wehtat vom auf und ab auf dem harten Leder des Sattels. Ob es angenehmer war ohne diesen zu reiten?
"Felix wird nicht ausbrechen, wenn ich ihn loslasse, also keine Panik. Versuch einfach, ihn anlaufen zu lassen."
Der Stallmeister hate einen typischen Lehrertonfall, aber keinen so herrischen wie jene, die den Diener ihre Aufgaben erklärten. Was wohl auch daran lag, dass er nicht mit niederem Volk arbeitete, sondern mit Soldaten des Königs sowieso dessen Hofstaat. Caleb jedenfalls tat wie geheißen, und drückte Felix vorsichtig die Fersen in die Seite. Der mit Anfängern erfahrene Hengst gehorchte und blieb auch sofort stehen, als Caleb kurz darauf ebenso vorsichtig an den Zügeln zog. So schwer war es gar nicht.
"Gut, damit wirst du schonmal voran kommen, nur nicht so schnell. Aber Felix hat noch nie jemanden abgeworfen. Springen und galoppieren wirst du ja nicht. Recht und Links wird nicht so schwer sein und wenn Felix das Pferd des Prinzen vor den Nüstern hat, wird er sich an ihm orientieren."
So gut der Stallmeister ihm auch zusprach, Caleb war trotzdem noch etwas nervös. Der Prinz würde kaum im Laufschritt zum Außenposten wollen.
"Schnellere Laufschritt könnt ihr dann auf freier Strecke anschlagen. Gerade aus zu reiten ist nicht so schwer."
Damit überließ der Stallmeister Caleb dem Prinzen.
"Vielen Dank, Herr!", rief er hintendrei, aber der wuchtige Mann mit den vielen Narben hob nur abwehrend den Arm und machte sich auf die Küche, um die Nachricht über die Abwesenheit des Jungen zu überbringen.

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Re: Mit gesenktem Blick

Beitrag von Erzähler » Sonntag 5. Februar 2012, 02:36

Was wusste Caleb alles über Troman? Es handelte sich um ein Dorf an der Grenze - ein weiterer Außenposten. Die Bauern, die dort lebten, versorgten mit ihrer Ernte fast ausschließlich jene Soldate, die in dem Ort stationiert waren. Es gab häufig Überfälle von jenseits der Grenze. Jorsanische Banditen oder sogar kleine Armee-Truppen, de es wieder einmal versuchten. Oft kehrten Soldaten von Troman aus nach Grandea zurück. Sie waren während eines Gefechts verletzt worden und nicht mehr kampftauglich. Einige nur für wenige Monate, andere waren zu Krüppeln gemacht worden und würden niemals wieder eine Klinge führen können. Dieses allgemeine Bild hatte man am Hofe von dem Dorf. Dass dort tatsächlich auch Kinder lebten, schien man dabei vollkommen zu vergessen, aber irgendwo mussten die Nachkommen der Bauern ja hin. Meistens waren diese zu arm, um ihre Familie an einen sicheren Ort wie die Hauptstadt des Königreichs zu schicken. Sie konnten sich dort kein neues Leben aufbauen. Troman war ihr Schicksal.
Calebs Schicksal schien es zu sein, dorthin zu reiten, zusammen mit seinem Prinzen. Warum wollte dieser ihn unbedingt dabei haben? Ausgerechnet ihn! Er konnte ja nicht einmal richtig reiten. Prinz Vincent ließ sein Pferd ein wenig im Kreis herum trotten, während er darauf wartete, dass Felix einen Sattel verpasst bekam und Caleb in eben jenem saß. Mit einem leichten Schmunzeln auf den Lippen schaute er dem Jungen bei seinen ersten Reitversuchen zu. Nein, im Grunde war das nicht einmal Reiten, sondern nur sicheres Sitzen im Sattel. Der Prinz zog eine Grimasse. Caleb würde ihn während der Reise entweder zur Weißglut treiben oder aber sehr amüsieren. Er war gespannt, heraus zu finden, welche der beiden Möglichkeiten eintraf.
Bisher gab es jedoch keinen Grund zu überhaupt einer von beiden Varianten. Felix hielt besonders still und Caleb zeigte sich - zumindest auf dem Rücken des Apfelschimmels - nicht schlecht. Er hielt sich passabel, obgleich er noch lange nicht als Reiter bezeichnet werden konnte. Mehr als eine Stunde auf dem Rücken des Tieres und ihm würden die Schenkel brennen vor Anspannung. Der Hintern würde schmerzen, ebenso der Rücken. Die Haltung war man als Nicht-Reiter nun einmal nicht gewohnt. Auch das musste erst antrainiert werden. Der Prinz gäbe mit seinem Vorhaben aber genug Gelegenheit für den Jungen, sich schon einmal daran zu gewöhnen.
"Können wir?", erkundigte sich der Prinz, wobei er nicht einmal hätte fragen brauchen. Er war der grandessarische Thronerbe. Er musste niemanden fragen. Ein Befehl genügte und jeder, der ihn vernahm, hatte auf der Stelle zu gehorchen!
"Gönnt dem Jungen Pausen, Euer Hoheit", riet der Stallmeister. Seine Erfahrung, vor allem mit jungen Reitern, ließ ihn erkennen, dass Caleb Pausen nötig haben würde. Andernfalls wäre er nicht mehr zu gebrauchen, sobald er den Pferderücken verließ.
"Gebe er mir keine Ratschläge, sondern öffne er das Tor!" Die Ungeduld war dem Prinzen von den Lippen abzulesen. So machte sich der Stallmeister daran, eilig das Hoftor zu öffnen. Prinz Vincent und Gefolge konnten Grandea verlassen, während der Mann sich auf den Weg in die Küche machte. Boran und Ibella würden mit der Nachricht nicht zufrieden sein. Dem Küchenmeister fehlte nun eine Arbeitskraft und seine Ziehmutter würde sich sorgen, aber keiner von beiden konnte etwas gegen Calebs Schicksal unternehmen.


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