Das Haus des Turmrick

Handwerker, einfache Bürger und der Adel wohnen in kleinen Bezirken und doch teilweise Tür an Tür. Von der windschiefen Hütte bis hin zum schön verzierten Fachwerkhaus oder kleinem Anwesen mit Wasserspeiern aus Marmor ist hier alles zu finden.
Benutzeravatar
Erzähler
Gast
Gast

Re: Das Haus des Turmrick

Beitrag von Erzähler » Donnerstag 28. Dezember 2006, 15:14

Mit dem Betreten der Bibliothek, betrat Nihal zugleich eine eigene kleine Welt für sich. Er entdeckte kaum eine Wand, denn vollgestopfte Regale schienen die Wände selbst zu bilden. Lediglich an den Stellen, an denen einige Sitzmöglichkeiten platziert waren, sah man den Beweis, dass hinter jedem Regal eine Wand sein musste. Denn über Ohrensesseln, Diwanen und kleinen Sofas erkannte man doch noch ein Stück der mit großen Portraits und Landschaftsbildern verhangenen Holzvertäfelung.

Die Bibliothek besaß ein kuppelförmiges Dach. In dessen Mitte hing ein gewaltiger Kronleuchter. Die Kerzen waren nur Dekoration. Niemals würde der Herzog es wagen, ein offenes Flämmchen in seiner kostbaren Bibliothek brennen zu lassen. Würde der Kronleuchter aus irgendwelchen Gründen einmal herunterfallen, wäre dieser Raum ohnehin schon weitgehendst zerstört.

Überall an den Regalen gab es kleine Haken, an denen Laternen mit Buntglas hingen. Grünes, rotes und blaues Licht erhellte den Raum und tauchte die einzelnen Regale in verschiedene Lichtspiele. Jeder dieser massiven Bücherschränke reichte bis knapp unter das Kuppeldach und große Leitern mit Rollen waren angebracht, mit denen man sich durch die Menge an Geschriebenem navigieren konnte.

Mitten im Raum, direkt unterhalb des Kronleuchters, stand ein breiter Tisch aus massivem Eichenholz, um den sich gut zwei Dutzend ebenso schwer anmaßende Stühle mit Samtpolstern reihten. Einige Plätze wurden von Männern und Frauen belegt. Das mussten die Gelehrten sein, die der Herzog in sein Haus einlud, damit diese sich an seiner Wissenssammlung ergötzen konnten.

Auch Nihal ließ es sich nicht nehmen, an einigen Regalen vorbei zu schlendern und das eine oder andere Buch genauer in Augenschein zu nehmen. Ihm fiel schnell auf, dass sich die meisten Bücher um die Jagd, geheimnisvolle Geschöpfe Celcias, aber auch den Kontinent an sich drehten. In einem Regal fand Nihal goldumrandete Einbände. Dieses gewaltig hohe Regal mit all seinen Schätzen hütete einzig und allein die Familiengeschichte derer zu Turmrick. Vor dem Regal befand sich ein Podest, auf dem das dicke Stammbuch der Turmricks lag. Nihal ging darauf zu und hob neugierig den Buchdeckel an. Da hörte er ein leises Kichern hinter sich.

Die Gelehrte Celeste stand mit einem Stapel Bücher hinter ihm und richtete sich ihre Brille. "So sieht man sich wieder. Ich wusste nicht, dass sich Heiler und Adler-Retter auch für die Familiengeschichte von Herzögen interessieren."

Benutzeravatar
fremde Frau
Gast
Gast

Re: Das Haus des Turmrick

Beitrag von fremde Frau » Donnerstag 28. Dezember 2006, 19:11

Celeste legte ihren Bücherstapel auf den Boden und lächelte Nihal freundlich an. Dann begann sie kühn zu sprechen: "Greifenfeder, vermutlich aus dem östlichen Drachengebirge, aber das habe ich durch die feinen Staubanteile zwischen den einzelnen Federanteilen entdeckt. Ich bin nicht nur Gelehrte, sondern auch Alchemistin und habe die Feder bereits mit Lupe und diversen Mittelchen untersucht. Greifen sind die Herren der Lüfte, halb Raubvogel, halb Löwe. In einigen Büchern stehen Geschichten, in denen Menschen versuchten, diese Wesen zu reiten. In jeder Legende fanden die Reiter einen gnadenlosen Tod. Aber sie sollen sehr klug sein, diese Greifen. Und neugierig wie kleine Kinder."

Nihal hätte all die Aufzeichnungen bestätigten können, die Celeste von sich gab. Nun ja, alle bis auf die, dass Greifen sich nicht reiten ließen. Hätte er dazu mehr herausgefunden wäre er womöglich selbst bereits ein toter Mann.

"Und was sucht Ihr hier, Fremder? Die Familiengeschichte kann Euch nicht wirklich interessieren. Die steht hier nur, damit der Herzog ein wenig über seinen lang anhaltenden Stammbaum sprechen und damit anderen imponieren kann. Ich bezweifle sogar, dass außer ihm jemals jemand einen Blick hinein geworfen hat. Wenn Ihr etwas über Herzog Turmrick erfahren wollt, solltet Ihr das Personal fragen ... oder mich", fügte sie mit einem Zwinkern hinzu.

Benutzeravatar
fremde Frau
Gast
Gast

Re: Das Haus des Turmrick

Beitrag von fremde Frau » Donnerstag 28. Dezember 2006, 19:52

"Ihr habt nach mir gesucht?" Verwundert und leicht errötend rückte sich Celeste die Brille erneut zurecht. Doch ehe sie nachhaken konnte, meinte Nihal, dass es im Haus des Herzogs dann wohl viele Kinder geben müsse, wenn er eine Gelehrte hier anstellte. Diese Bemerkung bekam die Dame aber offenbar in den falschen Hals.

"Was erlaubt Ihr Euch", schnarrte sie Nihal an und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige. Verwirrt drehten einige der Bibliotheksbesucher sich um. Ein paar andere zischten ein gestörtes "Pssst!" durch den Raum.

Celeste war puterrot angelaufen und ihre Augen funkelten Nihal zornig an. Sie nahm ihn beiseite und zerrte ihn in eine dunklere Ecke der Bibliothek, in der sie von den Blicken der anderen geschützt waren. Dann fuhr sie Nihal böse, wenn auch leise an. "Wer hat Euch in dem Irrglauben erzogen, Gelehrte mit Geliebten gleichzusetzen!? Ich bin nicht die Bettgefährtin des Herzogs und setze ihm keine unehelichen Kinder in die Welt, damit das klar ist!"

Warum nur reagierte Celeste so aufbrausend und ungehalten? Niemand verstand eine solche Bemerkung normalerweise für so falsch. Nihal hatte sich doch pässlich ausgedrückt. Die Sache war ziemlich verwirrend.

Benutzeravatar
fremde Frau
Gast
Gast

Re: Das Haus des Turmrick

Beitrag von fremde Frau » Donnerstag 28. Dezember 2006, 22:48

Celeste sah Nihal mit Entsetzen in den Augen an. Sofort trat sie einen Schritt auf ihn zu, den Blick jedoch rasch senkend. "Es tut mir leid. Es ist nur ... ach, schon gut. Die Ohrfeige müsst Ihr mir verzeihen, ich reagiere immer etwas schnippig, wenn ich fürchten muss, keinen Respekt von einem Mann zu erhalten."

Ihre Worte klangen nach der Wahrheit und in ihrer Stimme lag wirkliche Betroffenheit. Den Schmerz in Nihals Wange konnte sie vielleicht nicht vertreiben, aber sie bat aufrichtig um Entschuldigung.
Dann begann sie zu erklären.

"Ich diene dem Herzog eher als Beraterin, ich bin wohl eine seiner engsten Vertrauten. Außerdem arbeite ich nebenbei noch als Alchemistin und mische ihm Tränke und kleine Pulver, wenn er beispielsweise Magenbeschwerden hat. Das kommt oft vor. Eigentlich habe ich immer nur das Küchenmädchen Sybille und den jungen Falkner Marius unterrichtet. Aber der Junge ist ja ..."

Celeste versank in Schweigen. Sie versuchte, das Thema zu wechseln, indem sie fragte: "Gibt es ein Fach, das Euch besonders interessiert? Ich kenne mich ziemlich gut in der Bibliothek aus und wüsste vielleicht, wo Ihr passende Bücher finden könnt."

Benutzeravatar
fremde Frau
Gast
Gast

Re: Das Haus des Turmrick

Beitrag von fremde Frau » Donnerstag 28. Dezember 2006, 23:14

Celeste nickte. Sie war froh, dass Nihal ihr die ausrutschende Hand verzieh und im Gegenzug wollte sie ihm sehr gern behilflich sein.

"Natürlich haben wir eine Menge Bücher über Pflanzen. Ich muss die kleine Sybille darin unterrichten, damit sie dem Herzog keine ungenießbaren Pilze in den Eintopf wirft. Er leidet oft genug an Magenschmerzen, aber das erwähnte ich bereits.
Gewiss dürften wir auch das ein oder andere Buch über Kräuter und Pflanzen der Berge haben. Immerhin wohnen wir hier in Pelgar."

Sie schlich die Regale entlang und wies Nihal mit einer winkenden Hand, ihr zu folgen. Nach einer Weile blieb sie schließlich vor einem breiten Regal stehen, das von Laternen in mattgrünes Licht getaucht wurde.
Sie stieg eine kleine Trittleiter hinauf und suchte mit dem Zeigefinger die viertletzte Reihe von unten ab. Schließlich zog sie einen dicken Wälzer aus dem Regal. Er war etwas stauig und in rostrotes Leder gebunden.

"Hier, bitte sehr. Der Almanach der Bergpflanzen. Dieser dürfte wohl hilfreich sein. Setzt Euch nur irgendwo hin und lest. Ich bin noch eine Weile in der Bibliothek. Wenn Ihr also Fragen habt, kommt einfach zu mir."

Benutzeravatar
fremder Mann
Gast
Gast

Re: Das Haus des Turmrick

Beitrag von fremder Mann » Donnerstag 28. Dezember 2006, 23:55

Eine Königskerze war es also, die Nihal da im Gebirge gepflückt hatte. Für ihn war sie verhältnismäßig leicht zu beschaffen gewesen, jedenfalls lebte er noch. Aber vermutlich belief es sich auf reine Glückssache, dass er nicht in die Schluchten unter ihm gestürzt war.

Er schlug das Buch zu, denn er hatte seine Antwort erhalten. Da erst bemerkte er, dass ein alter Herr an der Tür stand. Er hatte die Augen zusammen gekniffen, machte aber einen neutralen und ruhigen Eindruck. Weder schien er von Ungeduld gepackt, aber auch sonst zeigte sich bei ihm keine Gefühlsregung.

Erst, als Nihal den Wälzer zurück ins Regal stellte, hüstelte der grauhaarige Mann, der in gepflegte Gewandung gehüllt war. "Entschuldigt, mein Herr. Ihr müsst der Gast sein, von dem der Herzog sprach. Ich bin heute Euer Diener und Helfer im Hause. Wenn Ihr mir bitte folgen würdet, der Herzog wünscht, dass Ihr Euer Zimmer in Augenschein nehmt. Nennt mich einfach Johann."

Johann öffnete die Tür und wartete, bis Nihal hindurchgetreten war. Erst dann schritt er selbst aus der Bibliothek. Leise schloss er die Tür hinter sich und übernahm dann die Führung. Er brachte Nihal durch eine große Halle zu den Gästezimmern des Herzog-Anwesens. Vor einem blieb er stehen und öffnete dort die Türe.

"Wenn Ihr wollt, könnt Ihr abschließen. Hinter der Trennwand wartet ein Zuber mit heißem Wasser. Außerdem hat der Herzog Euch frische Kleidung bringen lassen. Scheut Euch nicht, diese Angebote anzunehmen. Sie sollen die Dankbarkeit unseres Herren zum Ausdruck bringen, dafür, dass Ihr seinen Adler Snirsch gerettet habt."

Der Adler hieß zwar nicht Snirsch, aber Nihal konnte nicht sagen, ob der Diener Johann oder der Herzog diesen Namensfehler begangen hatte. Wenn es jedoch Turmrick gewesen wäre, so wunderte es den jungen Mann, dass dieser sich nicht einmal den Namen eines Tieres merken konnte, welches er so über alle Maßen zu lieben schien.

Benutzeravatar
Erzähler
Gast
Gast

Re: Das Haus des Turmrick

Beitrag von Erzähler » Freitag 29. Dezember 2006, 12:06

Das Bad war wirklich ein angenehmer Empfang. Das heiße Wasser lockerte die Verspannungen im Körper und die Kräuter, die in den Zuber gegeben worden waren, verbreiteten einen betörenden Duft. Sie luden zu einem Schläfchen ein, zugleich belebten sie und regten die Sinne an.
Während Nihal sich wusch und die Wärme des Bades genoss, schloss Johann die Tür hinter sich und legte frische Kleidung für Nihal zurecht. Auch schaute er noch einmal, ob das Bett anständig gemacht war.

"Nach dem Bad habt Ihr noch einige Stunden für Euch selbst, mein Herr. Zögert nicht, Euch umzusehen. Der Herzog gibt Euch dieses Privileg, als Retter seines kostbaren Adlers. Ich werde Euch schon finden und zum Essen geleiten, sobald es serviert ist."

Dann verließ Johann der Diener den Raum. Nihal blieb allein zurück. Das Badewasser kühlte inzwischen ab und seine Finger wurden schon schrumpelig. Daher entstieg Nihal dem Zuber. Ein kurzer Blick vor die Trennwand verriet ihm, dass auf dem Bett neue Kleidung für ihn bereit lag. Nach pelgarischer Mode war sie aus Samt mit vielen Rüschen, aber immer noch besser als seine zerschlissenen Lumpen.

Benutzeravatar
Erzähler
Gast
Gast

Re: Das Haus des Turmrick

Beitrag von Erzähler » Sonntag 31. Dezember 2006, 02:49

Obwohl Nihal schon etwas müde war, entschloss er sich, das gemütlich aussehende Bett noch zu meiden. Immerhin würde er bald mit dem Herzog speisen und diese Einladung sollte er nicht ablehnen. Turmrick hatte ihm ein Zimmer zur Verfügung gestellt und ihn höflich behandelt. Es wäre mehr als unverschämt, seinem Abendessen aus Müdigkeit fern zu bleiben.

Da Nihal aber noch etwas Zeit bis zum Essen blieb, vertrieb er sich selbige, indem er ein wenig durch das Haus des Herzogs spazierte. Immerhn gab es eine ganz Menge interessanter Dinge zu sehen.
Als sich der Wüstensohn gerade eine Vase mit eindeutigen Musterkennungen aus Sarma betrachtete, hörte er Schritte im Gang hallen, in dem er sich befand. Er drehte den Kopf und entdeckte die Gelehrte Celeste mit eiligen Schritten auf ihn zu kommen. Gehetzt und vollkommen außer Atem blieb sie bei ihm stehen.
"Gut, dass ich Euch noch gefunden habe", sagte sie und drückte Nihal sofort eine kleine Phiole in die Hand. "Trinkt das vor dem Essen, wenn Ihr Euer Leben nicht frühzeitig beenden wollt."

Doch noch ehe sie sich erklären konnte, tauchte auf einmal der Diener Johann auf. "Ah, die Dame Celeste und der junge Gast des Herzogs. Welch interessantes Zusammentreffen. Sagt, Dame Celeste, was führt Euch aus Eurer Alchemistenstube?"

"Ich muss noch zum Grab der Stallmeisterin ... die Blumen auswechseln." Johann nickte und bot sich selbst sofort für diese Arbeit an. "Nein!", rief die Gelehrte. "Ich muss es tun! Ich habe mich von Anfang an dazu bereit erklärt. Außerdem musst du den jungen Herren hier nun zum Essen geleiten."

Johann nickte. "In der Tat, das muss ich. Wenn Ihr mir folgen würdet, hoher Gast. Das Abendessen ist fast angerichtet und Ihr wollt den Herzog doch sicherlich mit Eurer Pünktlichkeit erfreuen. Folgt mir nur."

Während Nihal dem hoch gewachsenen Diener auf dem Fuße folgte, warf er noch einmal einen Blick auf die kleine Phiole in seiner Hand und dann einen Blick zurück zu Celeste, die mit eiligen Schritten zum Hinterausgang in den Hof lief.

Benutzeravatar
Erzähler
Gast
Gast

Re: Das Haus des Turmrick

Beitrag von Erzähler » Sonntag 31. Dezember 2006, 13:10

Johann führte Nihal in den großen Speiseraum des Anwesens. Ein schöner, elegant gehaltener Raum, auch wieder mit Holz vertäfelt. Eine lange Tafel für mindestens 12 Personen stand mitten im Zimmer. Auf ihr erstreckten sich bereits die köstlich duftenden Speisen. Ein ganzes Schwein, mehrere Schalen und Schüsseln mit Obst, Fisch, Gemüse und reichlichen Beilagen. An jedem Platz standen ein Silberteller, Besteck und ein silberner Weinbecher, auch wenn Nihal bezweifelte, dass es ein großes Essen mit der ganzen Familie des Herzogs würde.

Das einzig Unheimlich im Raum waren die vielen ausgestopften Tiere, die auf kleinen Holzbalken an den Wänden angebracht waren. Allesamt waren es Vögel. Raben, Elstern, Eulen und sogar einen kleinen Turmfalken erkannte Nihal. Aus schwarzen Knopfaugen starrten sie beinahe bedrohlich auf die Tafel herab. Wie Wächter ... oder waren es warnende Blicke? Noch immer wusste der Heiler nicht, was es mit der Phiole auf sich hatte. Würde ihm die seltsam nach Kräutern schmeckende Flüssigkeit darin, die er soeben getrunken hatte, das Leben retten? Hatte der Herzog etwa vor, ihn auch umzubringen? Unbehagen beschlich ihn, doch im Augenblick war es Nihal nicht möglich einfach zu gehen.

Johann geleitete Nihal zu einem Platz am nahe dem Kopfende. Vermutlich würde der Hausherr am Kopfende selbst sitzen, wie es üblich war. Nihal, als Gast, sollte direkt neben ihm an der Seite sitzen, damit man sich während des Essens nett unterhalten konnte.
"Bitte, nehmt hier Platz, hoher Herr", sagte der Diener und verbeugte sich. Nachdem Nihal sich hingesetzt hatte, klatschte er in die Hände und sofort kam ein Page herbei, der eine Flasche Wein brachte. Als er Nihal gerade einschenkte, tauchte auch der Herzog auf.

"Es tut mir aufs Äußerste ein, dass ich mich verspäte. Es gab leider noch eine sehr wichtige Angelegenheit zu besprechen, die ich nicht länger aufschieben konnte. Aber jetzt bin ich hier. Nun, lasst uns speisen." Er lächelte, doch in seinen Augen lag ein seltsames Funkeln. Für einen Moment musterte Herzog Turmrick seinen Gast, dann setzte er sich wie Nihal es erwartet hatte ans Kopfende des Tisches. Erneut klatschte Johann und wieder tauchte ein Page auf, der eine neue Flasche Wein brachte. Warum nur trank der Herzog nicht denselben Wein wie Nihal? Ihm wurde mulmig, als Johann die erste Vorspeise servierte.

Benutzeravatar
fremder Mann
Gast
Gast

Re: Das Haus des Turmrick

Beitrag von fremder Mann » Donnerstag 4. Januar 2007, 00:45

Nachdem Nihal sich für das Privileg, die Bibliothek zu besuchen, bedankt hatte, stellte Johann einen Teller mit einer cremefarbenen Suppe vor ihm ab. "Ich danke Euch für das Kompliment", erwiderte der Herzog. "Ich muss zugeben, meine Bibliothek ist nur ein Schmutzfleck auf einer Seite im Gegensatz zur großen Bibliothek von Pelgar – die im übrigen öffentlich ist – aber ja, ich bin schon im Besitz einiger interessanter Bücher. Das kann ich wohl von mir behaupten." Er lachte gekünstelt und nun servierte Johann auch ihm von der Suppe. Allerdings aus einer anderen Suppenschüssel als die, aus der Nihal bedient wurde. War denn alles hier auf dem Tisch vergiftet?

Der Herzog bemerkte Nihals Zurückhaltung und seinen misstrauischen Blick. "Stimmt etwas nicht? Esst nur, Ihr braucht keine Scheu zu haben. Ihr habt Euch diese Mahlzeit wahrlich verdient."
Glück gehabt. Der Herzog interpretierte Nihals Unbehagen wohl als höfliche Geste, dem Gastgeber keine Umstände bereiten zu wollen. Solange sich Nihal hinter diesem falschen Schleier der Bescheidenheit verbergen konnte, würde er nicht gezwungen sein, allzu viel zu essen. Vielleicht waren sämtliche Speisen vergiftet und das Gegenmittel in der Phiole reichte nicht aus?
War es überhaupt ein Gegenmittel? Wenn nun Celeste mit dem Herzog unter einer Decke steckte und die vermeintliche Flüssigkeit in der Phiole das eigentliche Gift war ... Nihal trat der Schweiß auf die Stirn. Er fühlte sich immer unwohler.

"Esst die Suppe, solange sie heiß ist. Kalt kann man sie nur noch den Schweinen zum Fraß vorwerfen." Der Herzog begann mit seinem Mahl und ließ sich nicht stören. Hin und wieder hob er jedoch den Kopf und beobachtete Nihal aus den Augenwinkeln.

Benutzeravatar
Erzähler
Gast
Gast

Re: Das Haus des Turmrick

Beitrag von Erzähler » Montag 15. Januar 2007, 18:22

Nihal sah sich gezwungen, noch etwas mehr von der Suppe hinunter zu schlürfen. Der Herzog beobachtete ihn und das machte ihn nervös. Niemand beobachtete seine Gäste beim Essen. Wartete Turmrick etwa darauf, dass Nihal vom Stuhl fiel?

Er versuchte, so wenig wie möglich mit dem Löffel aufzunehmen und es dennoch so aussehen zu lassen, als genoss er die Speise.
Kein Wunder, dass sich Herzog Turmricks Teller deutlich schneller leerte als Nihals.

Dem Wüstensohn wurde zunehmend unbehaglicher. Hitze stieg in ihm auf, war ein zusätzliches Feuer in einem Kamin entzündet worden, den Nihal übersehen hatte? Oder war es seine Aufregung? Warum schwitzte er immer mehr?
Jetzt kam auch noch ein Schwindelgefühl hinzu. Nihals Hand verkframpfte sich, dann ließ er schlaff den Löffel in die Suppe fallen. Der Herzog hob den Kopf, schaute ihn an, schwieg aber.
Nihal starrte auf seine Hand, er zitterte wie Espenlaub und dennoch war ihm furchtbar heiß. Er erinnerte sich an die Wüstensonne. Auf dem Festland war es niemals so warm gewesen wie jetzt und er befand sich in einer Stadt, die sich in einen Teil des Gebirges schmiegte.

Der Herzog beobachtete Nihal noch immer, als dieser plötzlich aufstand. Ihm war speiübel und schwindelig. Seine Sicht verschwamm, Konturen wurden wässrig und verschmolzen miteinander zu einem Verlauf. Alles sah aus wie durch Buntglas betrachtet. Nihal schwankte. Hatte das Gegenmittel doch nicht gewirkt? Oder hatte er Celeste zu Unrecht vertraut?

Das letzte, was Nihal mitbekam, war ein dumpfer Schmerz, als er umfiel und sein Kopf auf dem Boden aufschlug. Er hörte noch gedämpfte Stimmen. Er hörte Turmrick und ... ja, Celeste. Ihre Schritte, ihre Stimme, das war sie. Dann wurde alles schwarz.

Nihal hatte eine trockene Zunge und einen metallartigen Geschmack wie von Kupfer im Mund: Blut.
Dann wurde ihm bewusst, dass er noch lebte. Rasch riss er die Augen auf und sah ... nichts. Er bewegte sich und stieß sofort auf Widerstand. Es fühlte sich holzig an. Hatte man ihn für tot erklärt, wo er noch lebte und ihn in einem Sarg begraben?!

Benutzeravatar
Erzähler
Gast
Gast

Re: Das Haus des Turmrick

Beitrag von Erzähler » Dienstag 16. Januar 2007, 00:22

Nihal wusste nicht, wieviel Zeit vergangen war. Er wusste ja nicht einmal, <i>wo</i> er genau war. Mittlerweile bestand für ihn kaum noch ein Zweifel, dass er in einem sperrigen, hölzernen Sarg lag.

Langsam und schleichend drang ein Gedanke aus seinem Unterbewusstsein hervor, der all seine anderen wirren Bedenken wie einen Schwarm Wildgänse vertrieb.

<i>Wenn der Sarg bereits unter der Erde verscharrt ist, wird dir bald die Luft ausgehen, mein Lieber, und dann ist es wirklich aus mit dir.</i>

Erneut wurde Nihal von aufkeimender Panik ergriffen. Doch er musste ruhig bleiben. Wer Angst hatte, atmete schneller. Und wer schneller atmete, verbrauchte mehr Luft. Er zwang sich zur Ruhe.
Dann ... bildete er es sich nur ein oder kam ihm der Sarg immer kleiner vor? Die Wände schienen auf ihn hernieder zu drücken, er streckte beide Arme so weit es ging aus. Nein, nur Einbildung, sein Gefängnis verkleinerte sich nicht. Er musste sich schnell etwas einfallen lassen, bevor er hier drin noch verrückt wurde.

Benutzeravatar
Erzähler
Gast
Gast

Re: Das Haus des Turmrick

Beitrag von Erzähler » Samstag 27. Januar 2007, 17:36

Nihal setzte das Messer an und kratzte vorsichtig in einer Ritze im Holz. Da bewegte sich ein Schatten außerhalb des Sarges und plötzlich drang Licht durch viele kleine Ritzen im Holz. Jemand machte sich am Sarg selbst zu schaffen. Nihal hatte gerade noch genug Zeit, den Dolch zu verstecken, als sich der Deckel unter leisem Quietschen öffnete.

Nihal versuchte, ruhig zu liegen, hielt die Augen beinahe ganz geschlossen. Immerhin konnte er nicht wissen, wer da seine Leiche überprüfen wollte. Hoffentlich hatte man nicht vor, ihn auszunehmen. Grabräuber? Vielleicht würden sie ihm helfen? Er musste einen Blick riskieren.

Vorsichtig hob er die Augenlider, aber nur gerade so weit, dass er verschwommene Konturen erkannte. Jemand beugte sich über ihn. Dann hörte er eine Stimme, die ihm inzwischen vertraut war.

"Lebt der Junge noch?" Das war doch der Stallmeister!
Jemand antwortete und Nihal erkannte auch diese Person. Es handelte sich um Celeste, die Gelehrte des Herzogs. "Er liegt ganz still da. Aber ich habe doch ein Klopfen gehört. Das Gift, es müsste längst ..."

Jemand stupste Nihal zaghaft an.

Antworten

Zurück zu „Wohnviertel Pelgars“