Die Waffenschmiede

Das Grenzdorf, geschützt durch seinen Wall und die Spähtürme, steht an der Grenze zu Grandessa. Die Soldaten nächtigen in Gaststätten oder bei freundlichen Familien, die einen Platz frei haben.
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Die Waffenschmiede

Beitrag von Wieland » Sonntag 21. Juli 2019, 03:00

Wieland erwachte in vollkommener Finsternis. Es war die Art von Finsternis, bei der es keinen Unterschied machte, ob man die Augen geöffnet oder geschlossen hatte, da sie sich wie ein nasses Tuch über das Gesicht legte und alle Sinne erstickte. Eine Finsternis, die zugleich eine Leinwand für wilde imaginäre Trugbilder bot, wie sie nur ein benebelter Geist zustande bringen konnte. Hässliche Fratzen und Schemen, absurde Körper und Gestalten, die sich aus verzerrten Bildern der Vergangenheit nährten. Noch einen langen Moment hangen sie drohend über ihn, bis sie allmählich ihre Form verloren und im Nichts verflossen. Sie waren bereits zur Gänze verschwunden, als sich Wieland auf seinem Nachtlager aufrichtete und müde den verbliebenen Schlaf aus den Augen rieb. Der junge Mann streckte sich, stieß dabei in der Dunkelheit mit den Fingern an die rauen Wände seiner kleinen Kammer. Behutsam dehnte er den Nacken und die Schultern, verschränkte seine Hände und bog sie durch, sodass bald eine Kaskade von Knackgeräuschen den Raum erfüllte. Währendessen tastete er mit den nackten Füßen über die kalten Dielenbretter, bis er an seine Stiefel stieß. Er erhob sich, kleidete sich an und trat dann, die Hände wie ein Blinder nach vorne gestreckt, auf den schmalen Korridor vor seiner Schlafstätte.
Dort hielt er Inne und lauschte einen Moment in die Schwärze hinein, bis er zu seiner Linken gleichmäßig schnaufende Atemgeräusche vernehmen konnte. Beruhigt ging er weiter, mit dem Handrücken über das Mauerwerk fahrend, bis er an einen schweren Torrahmen ankam. Der Schlüssel steckte bereits im Schloss und war schnell gedreht, die Tür schwang auf und sofort strich ein kalter Lufthauch um seine Beine. Das Zirpen der Grillen begrüßte ihn, die fernen Geräusche des Waldes sowie das Plätschern eines kleinen Baches, der sich nur unweit entfernt durch die Erde schlängelte. Wieland fröstelte. Die vergangenen Nächte waren allesamt ungewöhnlich kalt gewesen und am frühen Morgen, wenn die Sonne noch schlief, war die Luft bar jeder Wärme. In einem Moment der Schwäche sehnte sich sein Körper unter die dicke Decke seines Bettes zurück, wurde jedoch sofort von einem pflichtbewussten Geist in seine Schranken gewiesen. Arbeit stand an, und zwar nicht wenig davon. Der dumpfe Klang seiner Stiefel auf dem gestampften Lehmboden hallte durch den Raum, der sich nach hinten in die undurchdringliche Nacht öffnete. Weder Mondschein noch Sternenlicht durchbrach die Finsternis und ließen Wieland zur Gänze im Stich, als er sich Stück für Stück an sein Ziel herantastete. Bald fand er wonach er gesucht hatte. Für einige Minuten raschelte und knisterte es nur, etwas wurde vorbereitet. Dann schlug Stein auf Eisen, einmal, zweimal, bis die Funken stoben. Wielands Atem war zu hören, als er sachte die Luft ausstieß. Und dann war es so weit.
Es begann wie immer ganz langsam. Gerade noch hatte die Dunkelheit die Welt in ihrem undurchdringlichen Schleier gefangen gehalten, sie der Wärme und Farbe beraubt. Doch schon musste sie einem schwachen Schimmern weichen, das schleichend, doch mit unaufhaltbarer Kraft zu einem satten Glühen heranwuchs. Es breitete sich aus, erkundete seine Umgebung und Rang der fliehenden Finsternis immer mehr und mehr Land ab. Von seinem Ursprung aus, einem Bett strahlenden Kohlen auf einer gemauerten Feuerstelle, erhellte ein nunmehr gleißender Lichtfleck den sich in die tiefschwarze Nacht öffnenden Raum. An den verrußten Wänden hang eine breite Auswahl an Zangen, Hämmer, Meißel, Zwingen, Klemmen und sonstiger Eisenwerkzeuge in den verschiedensten Größen und Formen, die im Schein des Feuers matt glänzten. Auf massiven Holzklötzen ruhten an zentraler Stelle zwei eherne Ambosse, die lange imposante Schatten warfen. Etwas abseits davon stand ein kniehoher Schemel vor einem Schleifrad, über dessen leuchtend hellem runden Kalkstein leicht wippend ein kleines Töpfchen mit Wasser angebracht war. In den Ecken drängelten sich schwere Kisten mit aufeinander geschichteten Barren, Fässer mit dicken Metallstäben und mehrere schmutzige Leinensäcke, die bis zum Rand mit Holzkohle gefüllt waren. Es war wahrlich eine besondere Art von Raum. Ein Raum, der vor Schaffenskraft förmlich brummte. Ein Raum, in dem Dinge ihren Anfang nahmen – eine Schmiede.
Wieland trat aus dem Schatten abseits der leuchtenden Esse und zurrte den Gurt seiner rindsledernen Schürze zurecht. Prüfend warf er einen Blick auf die glühenden Kohlen, eine Hand immer noch auf den Blasebalg gelegt, der dem Feuer gleich der Lunge eines Drachen seinen brennenden Lebensatem zuführte. Die züngelnden Flammen spiegelten sich in seinen Augen und erhellten sein Gesicht, auf dem ein Ausdruck der stillen Zufriedenheit ruhte. Für ihn war dies stets ein magischer Moment. Ein Ritual, das nicht nur den Beginn seines Tages einläutete, sondern ihn auch immer wieder aufs neue mit Ehrfurcht erfüllte. Auch heute noch war auf dieses Gefühl jedes Mal Verlass.
Während das Feuer herunterbrannte und die Kohlen die benötigte Temperatur erreichten, griff Wieland in eines der Fässer und beförderte einen etwa armlangen Schwertrohling hervor, den er noch einmal ausgiebig überprüfte, bevor er ihn auf die Esse legte. Er hatte ihn gestern hergestellt und als heutiges Schmiedestück auserkoren. Das Schwert – eine einfache Ausfertigung des jorsanischen Heeres, eine schmucklose Klinge mit kurzer Parierstange – war das letzte Stück eines längst ausständigen Auftrages, den er noch heute zu beenden gedachte. Das würde jedoch nicht leicht werden. War das Schwert einmal geformt, würde alleine das Polieren und Fegen der Klinge mehrere Stunden beanspruchen, dazu musste er auch noch den Griff fertigen und ansetzen. Die passende Scheide lag bereits auf der Werkbank, doch hatte sich das Holz über Nacht leicht verzogen, sodass sich das Leder an der Spitze unschön wölbte. Es war nichts, dass er nicht mit einigen Handgriffen korrigieren konnte, aber dafür benötigt er Zeit und die schien in diesen Tagen immer knapper bemessen zu sein. Es fiel ihm schwer es zuzugeben, doch er hatte sich in den vergangenen Wochen eindeutig mehr aufgehalst, als gut für ihn war. Die Lieferung Hellebardenköpfe mit überzogener Stückzahl. Die Offiziersdolche mit individuellen Gravuren. Selbst der Schärfung mehrerer Holzfälleräxte, die ein gewöhnlicher Zeugschmied problemlos hätte übernehmen können, hatte er großmütig zugestimmt. Ganz so, wie es früher gang und gäbe gewesen war, denn niemand sollte auf falsche Gedanken kommen. So hatte er sich das zumindest ausgemalt...
Als der Stahl bereit war zog ihn Wieland behände aus dem Feuer und legte ihn auf einen der zwei Ambosse zurecht. Mit der Linken fasste er ihn mit einer Zange, die Rechte ergriff locker den Hammer der auf der matten Eisenoberfläche ruhte. Dann begann er sein Werk. Schrill klirrte der Ambos in der Nacht, nur unterbrochen von Momenten der Stille, in denen der Rohling zurück auf die Esse ging. Die Stunden vergingen und der Schmied hatte nur Augen für seine Arbeit. Sämtliche Sorgen verschwanden aus seinem Kopf, wichen emsiger Produktivität. Die Feinheit der Kanten, die Ausgewogenheit des Gewichts – nur das zählte jetzt. Das Stück Metall vor ihm rückten in den Vordergrund seines Seins und blendeten alles andere aus. Bis es durch seinen Willen geformt genau so vor ihm lag, wie er es haben wollte.
Wieland trat einen Schritt zurück und wischte sich mit dem rußgeschwärzten Unterarm den Schweiß von der Stirn. Erst jetzt bemerkte er, dass der Tag hereingebrochen war und das Grenzdorf mittlerweile zum Leben erwacht war. Ein Trupp Soldaten lief die Palisaden entlang, geführt von ihrem Ausbildner, der sie wüst beschimpfte. Zwei Jungen mit Stöcken trieben eine schnatternde Gänsemeute den Hügel hinauf und machten sich einen Spaß daraus einander ein Bein zu stellen. Eine Gruppe junger Waschfrauen auf dem Weg zum Bach kam heiter plaudernd an der Schmiede vorbei. Eine von ihnen warf ihm einen neugierigen Blick zu, der sogleich von den anderen Mädchen bemerkt und mit lautem Kichern quittiert wurde. Wieland sah ihnen nach bis sie aus seinem Blickfeld verschwunden waren und dann noch ein wenig länger. Obwohl sie alle etwa in seinem Alter waren, kannte er keine von ihnen beim Namen.
Er strich sich die Haare aus dem Gesicht und richtete seine Aufmerksamkeit erneut auf das unfertige Klinge. Schon wollte er zum nächsten Arbeitsschritt übergehen, als er ein gedämpftes Geräusch aus dem Haus hörte. Ein keuchendes Husten, ein Würgelaut, dann ein dumpfer Aufprahl. Wieland legte rasch das Schwert aus den Händen, welches vom Amboss rutschte und polternd zu Boden fiel. Schnell war er an der Tür und hastete durch den Flur, vorbei an seiner Kammer, zum Zimmer am Ende des Korridors, aus dem erneut ein rasselnder Hustlaut ertönte. Alberichs Zimmer. Ohne zu Klopfen trat er ein und erfasste binnen Sekundenbruchteile die Lage als er das leere Bett mit der verrutschen Decke erblickte. Wortlos eilte er durch den Raum und bückte sich zu seinem Meister herab, der keuchend vor einer übelriechenden Pfütze am Boden kniete. Während er dem alten Mann stützte und vorsichtig wieder auf das Bett half, musterte er die Pfütze und stellte mit finsterem Blick fest, dass sie mit dunklen Blutsfäden durchzogen war. Schon wieder. Der angeschlagene Körper neben ihm erbebte ein letztes Mal im Hustanfall. Teile von Erbrochenem flogen in Wielands Richtung und trafen ihn an der Wange. Dann schien sich der Reiz langsam einzustellen und der Alte sackte an ihn gelehnt erschöpft in sich zusammen. Der junge Schmied verweilte für einen kurzen Moment so, dann beugte er sich behutsam nach vorne zum Nachttisch, griff nach dem Becher mit der Kräuterlösung seiner Mutter und reichte ihn an seinen Meister weiter. „Trink. Dann gehts dir besser.“ Der schnaubte nur, wie um seine Worte zu bezweifeln, nahm jedoch den Becher dankbar entgegen und trank ihn in wenigen Zügen aus. Wieland wartete bis Alberich sich wieder einigermaßen erholt hatte, dann zog er ein schmutziges Tuch aus seiner Schürzentasche und machte sich an den Boden trocken zu wischen. Doch sein Meister hielt ihn auf, bevor er damit anfangen konnte. „Nein. Lass mich das machen.“ Wieland wollte protestieren, doch da hatte der Alte ihm schon den Fetzen abgenommen. „Es geht schon wieder.“ Sein Lächeln war ein willkommener Anblick, doch konnte es nicht über seinen Zustand hinwegtäuschen. „Geh du schon einmal raus und wirf die Schmiede an. Ich mach hier sauber und komme dann nach.“ Wieland gab sich Mühe das Lächeln seines Meisters zu erwidern. Es wollte ihm nicht ganz gelingen. „Ich bin schon vor Morgengrauen aufgestanden. Wenn du willst, kannst du noch liegen bleiben.“ Alberichs Blick verfinsterte sich als er dies hörte. „Schon wieder so früh?“ Seine Stimme klang vorwurfsvoll. Doch er verkniff sich ein weiteres Kommentar und winkte stattdessen ab. „Gut, dann bin ich gleich bei dir.“ Wieland nickte, erhob sich und verließ zögernd den Raum. Bevor er die Tür hinter sich schloss warf er noch einen Blick über die Schulter und sah wie sich Alberich verstohlen an die Brust fasste. Er hatte wie so oft Schmerzen. Und wie so oft tat er in Wielands Anwesenheit so, als wäre alles in Ordnung.
Der Schmied lehnte die Stirn an die kühle Oberfläche der Tür und horchte in sich hinein. Fort waren Ruhe und innere Gefasstheit, die ihn während seiner Arbeit am Amboss erfüllt hatte. Sie wurden verdrängt von den Sorgen um die Schmiede, ihre Zukunft und um den Mann hinter der Tür, der ihm von all den Männern, die diesen Titel für sich beanspruchen konnten, der einzige wahre Vater war. Es schmerzte ihn, ihn vor seinen Augen so dahinsiechen zu sehen, ein ohnmächtiger Zeuge seiner schwindenden Kräfte zu werden. Er konnte nichts tun. Nichts, außer zu versuchen, die anfallende Last auf seine eigenen Schultern zu laden und zu hoffen, dass die Medizin seiner Mutter wirkte. Er seufzte, rappelte sich hoch. Dann ging er zurück in die Schmiede um sich in der Regentonne die Reste des Erbrochenen vom Gesicht zu waschen.

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Re: Die Waffenschmiede

Beitrag von Erzähler » Dienstag 23. Juli 2019, 08:46

Jersa war ein Dorf an der Grenze zum Königreich Grandessa, jenes Landstück, das mit Jorsan schon so lange in Fehde lag, dass wohl kaum ein Bewohner beider Königreiche noch den Grund kannte. Die Reibereien wurden durch die Generationen weitergetragen. Bestieg ein neuer König den Thron, so nahm er ihn, das Land und auch die vorherrschende Stimmung an. Manche behaupteten, es herrschte Krieg, doch nicht immer war er allgegenwärtig. Der einfache Bürger in der Hauptstadt Jorsa war sich lediglich des "bösen Nachbarn2 bewusst, so wie eine Maus wusste, dass irgendwo außerhalb des sicheren Mauselochs die Katze lauerte. Aber es gab dort auch leckeren Käse, der lockte.
Zwischen beiden Königreichen lockte nichts weiter. Sie rangen nicht mehr Land unter ihrem König. Sie kämpften nicht, weil der Feind ihnen immer mehr Lebensraum wegnahm. Tatsächlich hielten die Gebiete seit Jahrzehnten gutes Gleichgewicht. Niemand nahm dem anderen etwas weg und dennoch galten sie als die verfeindeten Königreiche. Dabei gab es nicht einmal wichtige Ressourcen an der Grenze, die einen Grund geboten hätten, für sie das Leben unzähliger Soldaten auf's Spiel zu setzen. Nein, es gab nur die Grenze an sich und das Wissen, dass auf der anderen Seite der Feind stand.
Und es gab Jersa.
Wieland war sich wie alle anderen Bewohner des Dorfes bewusst, wo er lebte. Ein Grenzdorf konnte man nicht mit einem Heim hinter den sicheren, dicken Mauern der Hauptstadt vergleichen; selbst dann nicht, wenn Jersa doch wirklich seine eigene Mauer besaß. Aber jene Mauer war klein und in den letzten Jahren zum Inland hin überschritten worden. Durch die Aufstockung der militärischen Einheiten zum Schutz der Grenzen hatte man immer mehr an Platz innerhalb der Dorfmauer einbüßen müssen. Irgendwann schliefen Bauern und Soldaten unter einem Dach. Jene, die keines fanden, legten sich zwischen den Häusern in die Gassen, wo rasch der Dreck anwuchs. Mit ihm kamen Ungeziefer und Ratten in die Häuser, auf die Felder. Sie verdarben die lebensnotwendigen Äcker der Bauern mit ihrem Kot. So sah man schnell ein, dass es sinnvoller war, die schützende Mauer hinter sich zu lassen. Barracken und einige wenige kleine Holzhäuser waren in den letzten Jahren aus dem Boden geschossen und schmiegten sich an die steinerne Dorfmauer. Soldaten waren abberufen worden, nun wenigstens eine Palisade zu bauen. Diese musste regelmäßig erneuert werden. Das Hämmern drang an Wielands Ohren, wo das Schlagen seines eigenen Werkzeugs auf den Amboss noch fehlte. Aber es holte ihn langsam aus der Hilflosigkeit heraus, der er sich wenige Minuten zuvor noch hingegeben hatte. Was war schon ein Krieg im Vergleich zu jenem, den der Mensch im Innern führte? Mit eindringenden Feinden, Spionen und Kriegsgefangenen konnte selbst ein einfacher Mann wie Wieland umgehen. Nicht, dass er es jemals so nahe mit einem Grandessaner zu tun gehabt hätte, aber er wüsste es wohl zu händeln. Mit dem Dahinsiechen seiner Vaterfigur in Form seines Meisters hingegen fand er nur schwer einen Weg zu beschreiten. Seine Sorge sollte nicht auch noch schwer auf den ohnehin belasteten Schultern Alberichs liegen. Aber wenn Wieland es sich eingestand, wurde der Husten nicht besser. Anfangs glaubten er und Alberich ja noch an eine Erkältung, die sich festgesetzt hatte, als sie auch nach zwei Wochen keine Besserung gezeigt hatte. Dann aber war das Blut gekommen. Zuerst nur winzige Tröpfchen, die sein Meister herunterspielte. Er suchte Ausreden, dass er sich beim Husten auf die Zunge gebissen habe oder dass es nur vom Essen käme. Als aus vereinzelten Tropfen aber teils klebrige Blutfäden geworden waren, hatte nicht einmal Alberich es weiter leugnen können. "Ich bin krank", hatte er irgendwann beim gemeinsamen Essen und aus dem Nichts heraus gesagt. Danach war geschwiegen worden und man hatte die Erkenntnis einfach in den Alltag aufgenommen. Nichts hielt Alberich davon ab, seine Arbeit zu machen. Nichts außer ihm selbst. In den letzten Tagen kam er nur schwer aus dem Bett heraus und heute? Heute war er gestürzt, hatte sich übergeben...
Die Wasseroberfläche zierten winzige Mücken und Fliegen. Die wenigsten stoben davon, als der Schmied seine Hände ins trübe Nass der Tonne versenkte, um sich anschließend die Wange zu reinigen. Es erfrischte wenigstens und vertrieb vielleicht sogar die düsteren Gedanken restlos. Wenn nicht das, dann die Rufe eines schlaksigen Burschen, die Wieland nur allzu vertraut waren.
"Meister Wieland, Meister Wieland!" Zumindest Johannes sah ihn schon als den neuen Schmiedemeister an. Er grüßte ihn immer auf diese Weise: mit einem Rufen und dem gehetzten Ton in der Stimme, dass er zu Hause Prügel kassieren würde, käme er mit keiner guten Nachricht aus der Schmiede zurück. Johannes war der Sohn des Zeugwarts aus Kaserne IV. Eigentlich sollte ein junger Bursche wie er langsam anfangen, eine Ausbildung in einem einfachen Beruf zu finden - als Feldbauer, Müller oder Bäcker. Und er sollte jungen Dingern nachjagen. Stattdessen ließ er sich von seinem Vater immer wieder abkommandieren, zu Wieland in die Schmiede zu kommen, um ihm Aufträge zu erteilen oder kleinere Lieferungen mit einem Handkarren abzuholen.
Heute kam der blonde Lockenkopf ohne einen Karren daher. Seine Füße trugen das Fliegengewicht spielend den Weg herunter und das Hemd schlackerte ihm nur so am Körper. Zum Glück herrschte kein allzu starker Wind, sonst wäre der nicht einmal dreizehn Sommer alte Freigeist hinfort getragen worden. Trotz des frischen Veilchens linkerseits erreichte er Wieland mit einem herzlichen Lächeln. Josannes bremste scharf, wischte sich die schweißnassen Locken aus der Stirn und grinste über beide sommersprossigen Wangen zu Wieland auf. "Meister Wieland! Ihr seid schon wach. Vater hat einen weiteren Auftrag für Euch und Ihr sollt doch bitte so schnell wie möglich in die Kaserne IV kommen, um Euch bei ihm zu melden."
Ja, das war der Zeugwart. Anstelle direkt zur Schmiede zu kommen, schickte er seinen Sohn los. Einen Jungen, der nicht kräftig genug war, um jemals als Soldat durchzugehen und ihm somit nur ein Dorn im Auge. Außerdem konnte sein Vater in der Zeit sicherlich ein gutes Frühstück genießen. Wieland würde ihn garantiert wie üblich dabei erwischen, wenn er jetzt mit Johannes mitkam. Der Bursche schaute ihn erwartungsvoll an. Man war schließlich nicht allzu oft die persönliche Ein-Mann-Kohorte eines Schmiedes, der mit seinem Hammer wohl mehr anrichten konnte, als Johannes mit einem ganzen Arsenal an Waffen.
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Re: Die Waffenschmiede

Beitrag von Wieland » Samstag 27. Juli 2019, 22:38

"Meister Wieland, Meister Wieland!" Der Gerufene hob den Kopf. Wasser rann seine Wangen herab zum Kinn, tränkte den ungepflegten Bart und tropfte als kleiner Regenschauer zurück in die Tonne. Es war ein kurzer Moment der Ruhe gewesen. Zu kurz. Wahrhaftig keine Seltenheit in den vergangenen Tagen. "Wie oft soll ich es dir noch sagen?“ Wieland fuhr sich mit dem Handrücken durchs Gesicht, wischte die letzten Wassertropfen von seinen Brauen und schnäuzte sich ungalant ins Regenfass. „Der Meister dieser Schmiede ist immer noch Alberich.“ Und der schrubbte gerade sein mit blutigem Auswurf durchzogenes Abendessen von den Dielenbrettern. Eine Sachlage, die Wieland natürlich für sich behielt. „Eine Schmiede, ein Meister.“ Als er hinter der Regentonne hervortrat dachte er mit einem Mal daran, was er gerade gesagt hatte. Die Rollenverteilung in seiner kleinen Welt schien so einfach, so selbsterklärend zu sein, dass er bisher nie in die Verlegenheit gekommen war, sie zu überdenken. Von seiner Zeit als einfacher Zuschläger, zum ersten vorzeigbaren Werkstück, bis hin zu heute – Alberich war immer dagewesen. Er gehörte zur Schmiede wie die gemauerte Esse oder die überladene Werkbank. Er war ein Teil Jersas und dazu kein geringfügiger. Doch mehr als das alles war er sein Mentor. Der Gedanke ihn eines Tages ersetzen zu müssen, an seine Stelle zu treten. Es fühlte sich einfach falsch an. Nein, dafür war er noch nicht bereit. Wenn es nach ihm ging, würde er auf ewig der Geselle bleiben. Doch das lag wohl kaum in seinen Händen.
Wieland trocknete sich dieselben am rauen Leder seiner Schürze und schritt schon zurück zum Amboss, während er mit einem Ohr auf Johannes Worten lauschte. Er mochte den Jungen. Ein aufgeweckter Kerl, dem das Schicksal jedoch leider ein verdammt schlechtes Blatt zugespielt hatte. Sie beide hatten grausame Väter vorgesetzt bekommen, doch waren die Götter in Wielands Fall zumindest so gnädig gewesen, ihn mit der Stärke zu versehen, sich aus eigenen Kräften wehren zu können. Ein Unterfangen, von dem Johannes nur träumen konnte, weshalb der Zeugwart weiterhin über jeden Aspekt seines Lebens bestimmte. Johannes war sein Laufbursche, sein Sprachrohr wann immer der Weg länger als unbedingt nötig war. Und aus diesem Grund war Wieland auch nicht gerade erfreut ihn heute Morgen zu sehen. Sein Erscheinen konnte nur eines bedeuten: mehr Arbeit. Der Schmied erwartete eine Korrektur der letzten Bestellung, etwa eine Anhebung der Stückzahl in letzter Minute. Dies wäre nicht zum ersten Mal passiert, kam ihm im Moment mit all den anstehenden Pflichten jedoch mehr als nur ein wenig ungelegen. Und mit seinem Glück kam es genau so, wie es kommen musste.
"So schnell wie möglich, hmm?" Die Hammerschläge wurden kräftiger, lauter, schneller. Dabei hätte der Stahl an sich schon längst wieder ins Feuer gehört. "Was bildet er sich eigentlich ein? Glaubt er wir verdienen unser Geld auch nur durchs rumsitzen?" Wieland war schon immer ein Mensch gewesen, der schnell wütend werden konnte, es war nicht ungewöhnlich. Wahrlich, es gab genug Gründe dafür. Es half nichts, dass seine Stimmung in den vergangenen Wochen durch Stress, Schlafmangel und der ständigen Sorge um die Gesundheit seines Meisters gelitten hatte. Die Geduld des Schmiedes war wie die Sehne einer unzuverlässigen Armbrust - bis zum Zerreißen gespannt. Und so klangen die Worte Johannes' - nein, vielmehr die Worte dessen Vaters - in seinen Ohren wie eine offene Herausforderung. "Ich sag dir was." Der Hammer sauste ein letztes Mal mit einer derartigen Wucht auf den Amboss, dass die die Werkzeuge an der Mauer sachte klirrten. Erstmals wandte sich Wieland seinem Besucher zu und streckte ihm vorwurfsvoll den Zeigefinger gegen die Brust. Seine Hand zitterte leicht. Die Taubheit durch die Erschütterungen der Hammerschläge war nur teils daran schuld. "Am besten gehst du zurück zu deinem Vater und richtest ihm aus, wenn er etwas von mir will dann soll er seinen Ar..."
Er verstummte mitten im Satz. So schnell wie sie gekommen war, war die Wut auch wieder verflogen. Auch das war nicht ungewöhnlich. Wortlos tat der Schmied einen Schritt auf Johannes zu, legte eine Hand unter sein Kinn und begutachtete das blaue Auge im Feuerschein der glühenden Esse. Er brauchte nicht zu fragen. Er wusste, dass er auf die selbe Frage wieder eine neue Antwort bekommen würde, hinter der sich die gleiche Bedeutung verbarg. Das Spiel brauchte er nicht zu spielen. Er nicht.
"Gut." Wielands Finger hinterließen einen kleinen schwarzen Strich im Gesicht des Jungen, der sich förmlich den Nacken verrenken musste, um zu ihm aufzusehen. "Warte einen Moment..." Im Umdrehen nestelte der Schmied an den Verschluss seiner Schürze und warf sie hinter sich auf die Werkbank. Dann streckte er einen Kopf in den Hausflur und gab Alberich in wenigen Worten Bescheid, dass er bald wieder zurück sein würde. Im Vorbeigehen griff er sich noch schnell den Hammer vom Amboss und schob ihn, Stiel voran, zwischen Gürtel und Hosenbund. Er mochte das Gewicht an seiner Hüfte, mochte wie es sich anfühlte. Aber noch viel mehr mochte er es, den Zeugwart ohne auch nur ein Wort zu verlieren daran zu erinnern, dass er es nicht mit seinem kleinen verängstigten Jungen zu tun hatte. Und dass er ihn, wenn es so wollte, mit einem einzigen Hieb den Kopf aufschlagen könnte, wie andere ein Frühstücksei. Wieder draußen angekommen nickte er Johannes zu und gab ihm unbedacht einen freundschaftlichen Klaps auf den Rücken, der ihn schleudernd in Bewegung setzte. "Gehen wir".

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Re: Die Waffenschmiede

Beitrag von Erzähler » Montag 5. August 2019, 14:27

Wieland lebte in einem Dorf und obgleich es an der Grenze zum verfeindeten Königreich Grandessa lag, war und blieb es doch nur eine kleine Ortschaft. Jersa konnte man nicht mit der Hauptstadt des Reiches vergleichen, in der der König seinen verlängerten Rücken auf einem Thronkissen platzierte, mit dem man die Heimat des Schmieds vermutlich dutzendfach hätte kaufen können. Jersa war verhältnismäßig klein. Hier fuhren keine Kutschen im Stundentakt von einem Ende des Ortes zum anderen. Hier flanierten keine adligen Damen mit ihren Reifröcken und aufgespannten Seidenschirmchen, um die gepuderten Nasen vor der Sonneneinstrahlung zu schützen. Kein verstärktes Schuhwerk klackerte mit den Absätzen über gepflasterte Wege. Ha! Jersa besaß Trampelpfade, fest eingefahren von den rustikalen Fuhrwagen der Bauern, die ihre Ernte von den Feldern bis in die sicheren Lagerhäuser und Silos hinter den Mauern und Palisaden Jersas brachten. Das Einzige, was ansatzweise vergleichbar war mit Jorsa selbst, mochte der Patrouillengang der Soldaten sein; und auch hier war das städtische Militär garantiert prunkvoller ausgestattet als im Grenzdorf. In Jersa musste keiner der Soldaten nobel und ehrbar aussehen, sondern nur gut das Eisen schwingen, das Wielands Hände zuvor bearbeitet hatten. Sein Tagwerk sollte erst noch beginnen, so dachte er. Der Schmiedehammer träfe noch früh genug den Amboss. Zunächst einmal eine erfrischende Wäsche an der Regentonne und die ruhige Idylle eines neuen Morgens genießen. So dachte er. Aber selbst in einem verschlafenen Grenzdorf wie Jersa brach der Tag früh an. Die Ruhe endete, durchbrochen von den Rufen des jungen Burschen, der den ganzen Weg von Kaserne IV bis zur Schmiede gesprintet sein musste, so außer Atem war der gute Johannes. Er rang noch immer um Luft, nachdem er Wieland den Grund seines Daseins mitgeteilt hatte. Vermutlich hätte auch er sich gern einmal an einer Regentonne erfrischt, wagte jedoch nicht, den viel größeren Schmied darum zu bitten. Nein, dazu war Johannes zu gut erzogen und auch, wenn seine mickrige Statur ihn niemals zu einem guten Soldaten machen würde, er kannte seine Pflichten.
Der Bursche fuhr sich unter erschöpftem Grinsen durch das lockige Haar. "Dieses Mal mindestens noch", erwiderte er - wie üblich. Seit Wochen rutschte Johannes die Betitelung des Meisterschmieds gegenüber Wieland heraus. Nein, das geschah schon nicht mehr im Versehen. Der Junge hatte entgegen Wielands Wunsch selbigen bereits als den neuen Dorfschmied anerkannt. Vermutlich war er da nicht der Einzige, aber eben jener, der es immer wieder in seiner Gegenwart aussprach. Sicherlich meinte Johannes es nicht respektlos gegenüber Alberich, aber der wahre Meister war alt. Aufträge nahm er nur noch innerhalb seiner heimischen vier Wände entgegen, einfach weil er die langen Strecken durch das Dorf an einem Nachmittag kaum noch selbst bewältigen konnte. Dann schickte er Wieland aus, redete sich selbst ein, es gäbe am Amboss ja noch genug zu tun und er könne nicht fort. Und heute früh hatte er das blutige Husten und Würgen bereits auch wieder heruntergespielt. Was Alberich selbst nicht einsehen wollte, lag dem guten Johannes viel zu locker auf der Zunge: Der alte Meister würde seine Schürze alsbald an den Nagel hängen und den Hammer in andere Hände geben. In Wielands gesunde und kräftige Hände. Die Übergabe des Titels mitsamt der ganzen Schmiede waren nur noch Formsache. Vielleicht wäre es so auch besser für Alberichs Gesundheit. Das Schmieden kostete Kraft, die dem Mann mit jedem Atemzug mehr aus dem Körper zu entweichen schien. Es konnte wahrlich nicht mehr lange dauern, da Johannes Wieland mit dem üblichen Meister grüßen würde und da der Angesprochene es ohne Erwiderung zu akzeptieren hätte.
Heute war dieser Tag noch nicht gekommen.
Johannes begleitet Wieland an dessen wichtigstes Werkstück: den Amboss. Die Hitze der Esse schlug dem Burschen sofort entgegen. Er blies mit einem seichten Pfeifen dagegen an und rieb sich über den Nasenrücken im Wissen, dass der neue Schweißfilm dort binnen Minuten entstehen würde. Etwas verlegen hüstelte er. Insgeheim stimmte der Sohn des Zeugwarts Wieland zu. Sein Vater war faul, wo er es nur sein konnte und genoss einen ruhigen Posten fernab des Feldes. Innerhalb von Jersas Mauern war er sicher und als Zeugwart teilte er nur die Klingen aus, die andere töten sollten. Er selbst würde niemals damit konfrontiert werden, sie auch zu benutzen. Stattdessen focht er einen Kampf gegen die Langeweile des Alltags und neu angesetzte Fettringe aus. Letztendlich blieb Johannes aber ihm unterstellt und vor allem sein Sohn. Ein guter Sohn, der niemals offen die Fehler des eigenen Erzeugers ansprechen würde. Weniger aus Respekt, so war es zu vermuten, denn vielmehr aus Furcht.
"Nun, äh ... er ... hat auch viel zu tun. Und deshalb ... schickt er ja mich! Auf mich kann er sich verlassen. Die Nachrichten kommen an und ich bringe, was gebracht werden muss. Ich ... kann mich doch glücklich schätzen, dass ... er mir so wichtige Aufgaben immer wider anvertraut." Wenig überzeugt, aber mit bestem Willen, die Ausrede des Vaters ehrbar zu halten, reckte Johannes das Kinn etwas empor. Auch die Schultern straffte er etwas, zuckte jedoch nur mit der Brust vor Wielands ausgestrecktem Finger zurück. Sein Blick blieb an dem des Schmiedes haften. Auch hier schickte sein Vater ihn vor. Es war nicht der Kampf des Jungen, aber hier und jetzt war er der tapferste kleine Soldat in Jersa. Er schaute Wieland dabei zu, wie dieser sich der Schürze entledigte. Erleichterung machte sich breit. "Danke", murmelte er leise, dadurch jedoch nicht minder aufrichtig.
Nur die Antwort des Meisters aus dessen Schlafkammer drang noch leiser in den Raum. Selbst das Knistern aus der Esse drohte, den gemächlichen Abschied in Form eines simplen "Ja, ja!" zu verschlucken. Dann fanden sich Wieland und Johannes auch schon außerhalb der Schmiede ein, um den Pfad zu den Kasernen zu nehmen. In Nummer IV wartete der Zeugwart.

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