Re: Wölfe im Schafspelz
Verfasst: Samstag 19. Juli 2014, 15:51
Stundenlang hatte Caleb Zeit gehabt, sich die Farce für den Hauptmann auszudenken. Zu überlegen, welche Mimik, Gestik und welcher Tonfall es am glaubwürdigsten erscheinen lassen würden. Nun, da sein Plan ausgeführt und zudem erfolgreich gewesen war, wurde ihm schnell und merklich bewusst, dass er über das danach weniger, eigentlich gar nicht nachgedacht hatte. Der Katzenjunge war trotz seiner animalischen Erscheinung nicht wirklich gut im improvisieren. Er hatte seine Reflexe, ja, aber was er sagte und tat folgte oft einem überlangen Prozess an Denkvorgängen. Und wenn er dann einmal ohne groß zu überlegen handelte, macht er Fehler.
Einem echten Spion wäre das nicht passiert. Caleb jedoch war ein Küchenjunge; und er selbst war der letzte, der diese Tatsache je vergessen würde.
Im Kopf ging er noch einmal durch, was er sich zu merken hatte. Der Prinz war nun Vince Grande, ein einfacher Soldat, vor dem er nicht den Kopf senken durfte, dessen Befehl er nicht zu befolgen hatte. Er musste sein ganze Leben vergessen lernen, um sich diesem Umstand zu stellen.
Theben war nun Nebenth, ebenfalls Soldat der 8. Kompanie. Jedes Mal wenn Caleb an ihn dachte, spielte sein Kopf mit der Frage, wie viele Jorsaner er wohl töten würde, bevor man ihn schnappte. Wenn die Zahl hoch genug ausfiel, war es dem Hitzkopf das Risiko vielleicht sogar wert. Hoffentlich hielten Rist und Vincent ihn fern von den anderen Soldaten.
Und Rist war nun Richard Rost. Ein Mann, den Caleb erst auf dem Weg nach Jersa zum ersten Mal getroffen haben sollte. All die netten Berührungen und Gesten musste er hinter sich lassen, so tun als wären sie sich fremd. Wenn sie sich wieder sahen, würde er ihn nicht anlächeln dürfen.
Caleb mochte das alles nicht.
Gerade jetzt musste Hektor ihm sagen, dass er weniger nachdenken sollte. Die Ironie hätte Caleb beinahe ein Lächeln abverlangt, aber er wurde gerade von seinem Hauptmann geschult, also schluckte er es hinunter. Es war ein bittersüßer Geschmack.
Sein neuer Lehrer hatte eine Menge zu kritisieren, aber das war Caleb gewohnt. Immerhin hatte er praktisch kein Training gehabt. Allerdings hätte er wohl wirklich schneller in die Grundhaltung fallen können. Es war logisch, dass sie nicht so geschult wie bei Theben aussehen würde, aber das klare Bild des anzustrebenden Standards vor sich zu sehen machte Caleb unzufrieden, wenn er ihm nicht gerecht wurde. Er schalt sich selbst, den Rat von Hektor anzunehmen und weniger auf die Perfektion zu achten. So wie es jetzt stand würde er eh sterben bevor er sie erreichen konnte.
Als Hektor nach dem Schwanz und den Ohren fragte, musste er dann doch schmunzeln. Darüber hatte er nie nachgedacht. Er hatte sie schon so lange, sie waren Bestandteil seines Körpers, er betrachtete sie nicht als Fremdkörper, so wie sie für Außenstehende an einem Menschen vielleicht aussahen. Ihm war nicht bewusst, wie er da auf Probleme stoßen sollte. Antworten tat er jedoch:
"Ich hab sie ja erst seit kurzem, also fühlt es sich ungewohnt an, aber ich versuchte es zu ignorieren."
Hektor musste die Lüge heraus gehört haben, selbst wenn er bereits wusste, dass Caleb schon lange so war. Der Katzenjunge jedoch musste sich an das Lügen weiter gewöhnen. Er hatte schon auf den wenigen Metern zum Übungsplatz so viele Fehler begangen, die sich kaum weiterhin leisten konnte.
Der Pfiff dagegen ließ Caleb zusammenfahren. Es war einer von diesen Lauten, die Leute taten wenn sie ihren Daumen und Zeigefinger zum Kreis geformt in den Mund nahmen. Caleb hatte diesen schrillen Ton schon immer gehasst. Er dröhnte in seinen empfindlichen Ohren und diese legten sich nah an den Kopf an, in einem Versuch vor dem Ton zu flüchten.
Der fremde Soldat kam zu ihnen herüber und Caleb erstarrte beinahe vollständig. Er hatte nicht erwartet, so früh wieder auf die Probe gestellt zu werden. Amon Schneider war sein Name. Nicht Caleb, nicht Diener des Prinzen von Grandessa. Er spürte, wie ihn die Nervosität ergriff. Er würde sich schnell etwas ausdenken müssen. Aber was würde der Soldat ihn fragen? Wer ihn bisher gelehrt hatte? Caleb kannte keine Lehrmeister in Jersa. Vielleicht sollte er wirklich sagen, dass er keine Erfahrung hatte. Sicher kannte ein Soldat nicht die Lehrmeister für Feldärzte, als dessen Lehrling er sich wohl ausgeben sollte.
Sein Kopf raste. Er merkte nicht einmal, wie er gemustert wurde und salutierte eher steif zurück. War er als Knappe im Rang unter oder über einem Fußsoldaten? War der Mann vor ihm überhaupt Fußsoldat? Woran erkannte er das? Vielleicht war er auch Kavallerie oder ebenfalls ein Knappe!?
"Alles klar.", antwortete er nur und folgte dem Fremden in das Rund.
'Wie auf dem Präsentierteller.', dachte er sich.
Und da, als er hinter dem Soldaten her lief, die Dolche noch in der Hand, kam ihn der merkwürdigste Gedanke. Etwas, dass ihm mit den Holzwaffen oder der Strohpuppe nie aufgefallen wäre.
Wenn er nur ein wenig schneller ging, um aufzuholen, konnte er ihm mit voller Wucht seinen Dolch in den Nacken rammen. Dann wäre er tot. Einfach so. Caleb war ein paar Schritte davon entfernt einem Menschen das Leben wegzunehmen. Wenn der Soldat sich erst einmal umgedreht und seine Grundhaltung eingenommen hatte, wäre der Moment vorbei. Doch genau hier, genau jetzt. Wenn er nur ein bisschen schneller ging.
Die Dolche in seiner Hand kribbelten.
'Du musst weniger denken und mehr handeln.'
So hatte Hektor das sicher nicht gemeint; und doch. Weil er gehandelt hatte, waren sie alle unentdeckt mit der Lüge um die 8. Kompanie ins feindliche Lager gelangt. Es war eben solch ein Impuls gewesen. Genauso, wie er Hektor zur Prinzessin gebracht hatte, als sie in ihrem Schmerzenswahn Gefahr gelaufen war, sich gegen ihre Behandlung zu wehren.
ER hatte diese Dinge getan und etwas verändert. Wenn er doch jetzt nur drei flotte Schritte machen würde, könnte er wieder etwas verändern.
Natürlich würde er es nicht tun. Es sprach zu viel dagegen. Aber irgendwo in Caleb gab es diesen kindlichen Ehrgeiz danach Veränderungen in seiner Umwelt zu bewirken und die Erkenntnis, dass er tatsächlich die Macht dazu hatte, war auf die eine Weise beflügelnd und auf eine andere, viel schlimmere Art beängstigend.
"Wenn ich dich treffe, musst du hundert Liegestütze machen.", forderte er. Caleb versuchte nicht anzugeben. Wenn er, als kompletter Anfänger, den geübteren Soldaten traf, hatte dieser die Hundert verdient; und außerdem stand dem Diener der Sinn plötzlich nach einem Spaß. Wenn er schon nicht den Todesstoß vollzogen hatte, würde er anders sein Zeichen setzen.
Es war ein Ansporn und so viel er ohne weiter nachzudenken in seine Grundhaltung.
Einem echten Spion wäre das nicht passiert. Caleb jedoch war ein Küchenjunge; und er selbst war der letzte, der diese Tatsache je vergessen würde.
Im Kopf ging er noch einmal durch, was er sich zu merken hatte. Der Prinz war nun Vince Grande, ein einfacher Soldat, vor dem er nicht den Kopf senken durfte, dessen Befehl er nicht zu befolgen hatte. Er musste sein ganze Leben vergessen lernen, um sich diesem Umstand zu stellen.
Theben war nun Nebenth, ebenfalls Soldat der 8. Kompanie. Jedes Mal wenn Caleb an ihn dachte, spielte sein Kopf mit der Frage, wie viele Jorsaner er wohl töten würde, bevor man ihn schnappte. Wenn die Zahl hoch genug ausfiel, war es dem Hitzkopf das Risiko vielleicht sogar wert. Hoffentlich hielten Rist und Vincent ihn fern von den anderen Soldaten.
Und Rist war nun Richard Rost. Ein Mann, den Caleb erst auf dem Weg nach Jersa zum ersten Mal getroffen haben sollte. All die netten Berührungen und Gesten musste er hinter sich lassen, so tun als wären sie sich fremd. Wenn sie sich wieder sahen, würde er ihn nicht anlächeln dürfen.
Caleb mochte das alles nicht.
Gerade jetzt musste Hektor ihm sagen, dass er weniger nachdenken sollte. Die Ironie hätte Caleb beinahe ein Lächeln abverlangt, aber er wurde gerade von seinem Hauptmann geschult, also schluckte er es hinunter. Es war ein bittersüßer Geschmack.
Sein neuer Lehrer hatte eine Menge zu kritisieren, aber das war Caleb gewohnt. Immerhin hatte er praktisch kein Training gehabt. Allerdings hätte er wohl wirklich schneller in die Grundhaltung fallen können. Es war logisch, dass sie nicht so geschult wie bei Theben aussehen würde, aber das klare Bild des anzustrebenden Standards vor sich zu sehen machte Caleb unzufrieden, wenn er ihm nicht gerecht wurde. Er schalt sich selbst, den Rat von Hektor anzunehmen und weniger auf die Perfektion zu achten. So wie es jetzt stand würde er eh sterben bevor er sie erreichen konnte.
Als Hektor nach dem Schwanz und den Ohren fragte, musste er dann doch schmunzeln. Darüber hatte er nie nachgedacht. Er hatte sie schon so lange, sie waren Bestandteil seines Körpers, er betrachtete sie nicht als Fremdkörper, so wie sie für Außenstehende an einem Menschen vielleicht aussahen. Ihm war nicht bewusst, wie er da auf Probleme stoßen sollte. Antworten tat er jedoch:
"Ich hab sie ja erst seit kurzem, also fühlt es sich ungewohnt an, aber ich versuchte es zu ignorieren."
Hektor musste die Lüge heraus gehört haben, selbst wenn er bereits wusste, dass Caleb schon lange so war. Der Katzenjunge jedoch musste sich an das Lügen weiter gewöhnen. Er hatte schon auf den wenigen Metern zum Übungsplatz so viele Fehler begangen, die sich kaum weiterhin leisten konnte.
Der Pfiff dagegen ließ Caleb zusammenfahren. Es war einer von diesen Lauten, die Leute taten wenn sie ihren Daumen und Zeigefinger zum Kreis geformt in den Mund nahmen. Caleb hatte diesen schrillen Ton schon immer gehasst. Er dröhnte in seinen empfindlichen Ohren und diese legten sich nah an den Kopf an, in einem Versuch vor dem Ton zu flüchten.
Der fremde Soldat kam zu ihnen herüber und Caleb erstarrte beinahe vollständig. Er hatte nicht erwartet, so früh wieder auf die Probe gestellt zu werden. Amon Schneider war sein Name. Nicht Caleb, nicht Diener des Prinzen von Grandessa. Er spürte, wie ihn die Nervosität ergriff. Er würde sich schnell etwas ausdenken müssen. Aber was würde der Soldat ihn fragen? Wer ihn bisher gelehrt hatte? Caleb kannte keine Lehrmeister in Jersa. Vielleicht sollte er wirklich sagen, dass er keine Erfahrung hatte. Sicher kannte ein Soldat nicht die Lehrmeister für Feldärzte, als dessen Lehrling er sich wohl ausgeben sollte.
Sein Kopf raste. Er merkte nicht einmal, wie er gemustert wurde und salutierte eher steif zurück. War er als Knappe im Rang unter oder über einem Fußsoldaten? War der Mann vor ihm überhaupt Fußsoldat? Woran erkannte er das? Vielleicht war er auch Kavallerie oder ebenfalls ein Knappe!?
"Alles klar.", antwortete er nur und folgte dem Fremden in das Rund.
'Wie auf dem Präsentierteller.', dachte er sich.
Und da, als er hinter dem Soldaten her lief, die Dolche noch in der Hand, kam ihn der merkwürdigste Gedanke. Etwas, dass ihm mit den Holzwaffen oder der Strohpuppe nie aufgefallen wäre.
Wenn er nur ein wenig schneller ging, um aufzuholen, konnte er ihm mit voller Wucht seinen Dolch in den Nacken rammen. Dann wäre er tot. Einfach so. Caleb war ein paar Schritte davon entfernt einem Menschen das Leben wegzunehmen. Wenn der Soldat sich erst einmal umgedreht und seine Grundhaltung eingenommen hatte, wäre der Moment vorbei. Doch genau hier, genau jetzt. Wenn er nur ein bisschen schneller ging.
Die Dolche in seiner Hand kribbelten.
'Du musst weniger denken und mehr handeln.'
So hatte Hektor das sicher nicht gemeint; und doch. Weil er gehandelt hatte, waren sie alle unentdeckt mit der Lüge um die 8. Kompanie ins feindliche Lager gelangt. Es war eben solch ein Impuls gewesen. Genauso, wie er Hektor zur Prinzessin gebracht hatte, als sie in ihrem Schmerzenswahn Gefahr gelaufen war, sich gegen ihre Behandlung zu wehren.
ER hatte diese Dinge getan und etwas verändert. Wenn er doch jetzt nur drei flotte Schritte machen würde, könnte er wieder etwas verändern.
Natürlich würde er es nicht tun. Es sprach zu viel dagegen. Aber irgendwo in Caleb gab es diesen kindlichen Ehrgeiz danach Veränderungen in seiner Umwelt zu bewirken und die Erkenntnis, dass er tatsächlich die Macht dazu hatte, war auf die eine Weise beflügelnd und auf eine andere, viel schlimmere Art beängstigend.
"Wenn ich dich treffe, musst du hundert Liegestütze machen.", forderte er. Caleb versuchte nicht anzugeben. Wenn er, als kompletter Anfänger, den geübteren Soldaten traf, hatte dieser die Hundert verdient; und außerdem stand dem Diener der Sinn plötzlich nach einem Spaß. Wenn er schon nicht den Todesstoß vollzogen hatte, würde er anders sein Zeichen setzen.
Es war ein Ansporn und so viel er ohne weiter nachzudenken in seine Grundhaltung.