Wieland kommt von "Die Waffenschmiede"
Die Sonne tauchte die Kasernen des Grenzdorfes in morgendliches Licht. Am Rande der schützenden Mauer hatte man einige Höfe eingerissen und ihre Bewohner auf die andere Seite Jersas umgesiedelt. Es hatte seinen Vorteil: sie wohnten nun näher an ihren Äckern. Dafür mussten die Feldarbeiter deutlich länger schuften, weil sie früher am Ziel ihres Tagwerks eintrafen. Der Großteil der Ernte ging immer noch an die Soldaten, aber Jersas Bauern gaben es gern. Das Militär beschützte sie hier dicht an der Grenze. Für sein eigenes Überleben gab man, so viel wie nun einmal möglich war und manch wenige lieferten sogar noch mehr.
Wieland zählte nicht zu jenen Menschen, die auf Nahrung oder Wasser verzichten mussten, um dem Königreich zu dienen. Er produzierte die Klingen,welche sich ins Fleisch des Feindes bohren sollten, geführt von jorsanischer Hand. Gewissermaßen befand sich Wieland in einem steten Wettrüsten um die bessere Fertigung, ohne seine Kontrahenten jemals zu Gesicht zu bekommen. Und dazwischen ging es um Leben und Tod.
Nicht ganz so dramatisch, doch dadurch nicht minder wichtig ging es heute zu einem gewissen Teil auch um Johannes Leben. Die Frage war nur nicht, ob ihn der Gevatter holen würde, um seine Seele auf Lysanthors Waage der guten und bösen Taten zu werten, sondern ob sein Leben in der Welt der Sterblichen ein weiteres Veilchen bedeuten könnte.
Gemeinsam mit dem Burschen erreichte Wieland die Kasernen. Sie schmiegten sich direkt an die sterinerne Dorfmauer, wohingegen ihre eigene Abgrenzung lediglich aus Holzpalisaden bestand. Stein war kostbar, vor allem hier draußen, wo es wenige Berge und Hügel gab, von denen man sie hätte abbauen können. Die Kasernen beschränkten sich daher bei ihren Steinbauten auf das Nötigste. Wichtige Gebäude wie das Haupthaus, das Büro der Offiziere und das Arsenal sollten symbolisch den unüberwindbaren Stein vorweisen. Die einfachen Barracken der Soldaten hingegen waren aus Holz gezimmert und reihten sich selbst wie ihre Einwohner stets auf der Südseite einer Kaserne auf. Die Struktur war bei allen gleich.
Johannes schwenkte seinen Gang Richtung Kaserne IV ein. Der Junge konnte die Symbole nicht lesen, die die Einrchtung als vierte von vielen Militärbasen bezeichnete. Er sah sie allerdings als Bild an, das Wiedererkennungswert besaß. Auf einem Messingschild neben dem bewachten Eingang kündeten die beiden Lettern davon, dass Wieland und der Zeugwartssohn hier richtig waren. Vielleicht erinnerte sich Ersterer daran, dass es sein Mentor und Meister Alberich war, der diese Schilder für alle Kasernen selbst angefertigt hatte. Das war nun schon eine ganze Weile her. Damals fiel es dem Mann nicht schwer, die filigranen Lettern in das Metall zu arbeiten. Gelegentlich hatte er solche Kunstwerke geschaffen. Sie hatten Abwechslung und Herausforderung zugleich bedeutet, denn selten wagte sich ein Grobschmied an derart feine Handwerkskunst. Doch Alberich war befähigt gewesen, auch Filigranarbeiten herzustellen. Damals. Heute hatten seine Augen eine Trübung angenommen, die es ihm unmöglich machte, überhaupt die fein gearbeiteten Linien der Lettern IV klar zu erkennen. Gelegentlich klagte er über "verschwommene Tage", an denen seine Sicht irgendwie erschwert schien und er sich häufiger die Augen rieb als Wieland es herabspielen könnte. Die Erkenntnis, ein hohes Alter erreicht zu haben und mit dessen Problemen zu kämpfen, war nicht nur für den Alten selbst eine bittere Pille. Angehörige sahen Freunde und Familienmitglieder altern, vergesslicher aber vor allem kränklicher werden. Das Leben war nicht leicht. Für niemanden.
Auch für Johannes nicht, doch heute zeigte er sich zuversichtlich. Er hatte seinen Auftrag erfüllt. Wieland geleitete ihn durch die Tore in den Hof der Kaserne hinein. Mit einem seichten Salut grüßte der Burschen die postierten Wachen, passierte sie und hielt auf das Zeughaus zu, das sich am anderen Ende des Hofes an den Palisadenzaun schmiegte. Soldaten drehten ihre Runden, wobei sie in militantem Rhythmus immer wieder anspornende Parolen riefen. Obgleich laut, wandelten sich die forschen Anpreisungen an Jorsans Königreich und die loyalen Rufe für das eigene Vaterland zu einem Beiwerk der allgemeinen Geräuschkulisse. Dumpf nur drangen sie an die Ohren. Der Fokus lag andernorts; nämlich bei Johannes' Vater. Der Zeugwart saß vor dem Gebäude wie üblich an einem dort aufgestellten Holztisch. Darauf fanden sich nebst einigen Papieren, die von einem dicken Stein vor dem fortfliegen festgehalten wurden, auch eine große Kasse und ein Teller. Er war leer. Der Zeugwart hatte sein Frühstück bereits beendet und genoss nun eine Tasse dampfenden Kaffees. Man konnte das Aroma der Bohnen über den halben Kasernenhof riechen.
Als Johannes mit einem freundlichen "Hier bin ich wieder, Vater!" vor dem Tisch hielt, setzte der Zeugwart seine Tasse ab und erhob sich schwerfällig von seinem Stuhl. Sogleich wippte der speckige Wanst über den Gürtel seiner Rüstung hinweg. Er trug keine Platte, sondern lediglich einen Waffenrock, unter dem der Stoff seiner Tunika an Bauch und Oberarmen straff saß. Der Mann mochte auf den ersten Blick ob seines massigen Körpers niemals als Teil des Militärs durchgehen, aber wer die Augen von seiner breiten Erscheinung zum Gesicht wenden konnte, sah, dass auch er Teil der Armeen war. Das blonde Haar militärisch kurz gehalten und an den Seiten sogar bis auf wenige Milimeter getrimmt, der blonde Bart so weit gestutzt, dass die Härchen keine gekräuselten Locken bilden konnten und ein Blick so hart und kalt wie das Eisen, das Wieland aus der Esse in den dafür vorgesehenen Wassereimer gab: grau und bar jeder Emotion, denn zum Töten schienen sie geschaffen.
Unter den streng zusammengezogenen Brauen funkelte der Blick böse auf den eigenen Sohn hinab. Johannes zog sofort den Kopf etwas zwischen die Schultern. Bei seinem Vater war selbst der trotzige Widerstand klein gehalten.
"Das Vater will ich überhört haben, aber den unangemessen Gruß nicht übersehen. Zeugwartssohn, auch Ihr seid Soldat. Benehmt Euch entsprechend", bellte der Vater, ohne wirklich laut zu werden. Seine bauchige Stimme unterbrach den allgemeinen Ablauf der Kaserne nicht. Im Hintergrund drehten die Soldaten weiterhin ihre Runden.
"Entschulige, Vater..."
"Was habe ich eben gesagt?!"
Johannes erstarrte, bis seine Haltung kerzengerade war. Dann riss er die Hand empor, um sie mit zackiger Bewegung an seine Stirn donnern zu lassen für den militanten Salutgruß. Er gelang ihm um so vieles besser als dem Zeugwart, dessen plumpe Pranke nicht einmal die eigene verschwitzte Stirn berührte. Dann winkte der Zeugwart ab.
"Weggetreten. Mach dich im Zeughaus nützlich. Da gibt's immer noch einiges zu Sortieren."
"Jawohl, Herr!" Johannes verabschiedete sich mit einem flüchtigen Blick gen Wieland, ehe er an ihm vorbei und in das Gebäude hinter dem Tisch eilte. Schon war er verschwunden und Wieland mit dem Vater des Jungen allein. Wie war doch gleich noch sein Name?
"Franz-Josef Brunnerling, Zeugwart der Kaserne IV der Zweiten Kompanie Jorsans Stahl heißt Euch, Schmied, Willkommen." Auch Wieland wurde salutiert. Dann ließ sich der Mann zurück auf seinen Stuhl sinken, welcher unter dem Gewicht aufächzte. "Wollt Ihr einen Kaffee oder kann ich gleich zum Wesentlichen übergehen?"
Die Sonne tauchte die Kasernen des Grenzdorfes in morgendliches Licht. Am Rande der schützenden Mauer hatte man einige Höfe eingerissen und ihre Bewohner auf die andere Seite Jersas umgesiedelt. Es hatte seinen Vorteil: sie wohnten nun näher an ihren Äckern. Dafür mussten die Feldarbeiter deutlich länger schuften, weil sie früher am Ziel ihres Tagwerks eintrafen. Der Großteil der Ernte ging immer noch an die Soldaten, aber Jersas Bauern gaben es gern. Das Militär beschützte sie hier dicht an der Grenze. Für sein eigenes Überleben gab man, so viel wie nun einmal möglich war und manch wenige lieferten sogar noch mehr.
Wieland zählte nicht zu jenen Menschen, die auf Nahrung oder Wasser verzichten mussten, um dem Königreich zu dienen. Er produzierte die Klingen,welche sich ins Fleisch des Feindes bohren sollten, geführt von jorsanischer Hand. Gewissermaßen befand sich Wieland in einem steten Wettrüsten um die bessere Fertigung, ohne seine Kontrahenten jemals zu Gesicht zu bekommen. Und dazwischen ging es um Leben und Tod.
Nicht ganz so dramatisch, doch dadurch nicht minder wichtig ging es heute zu einem gewissen Teil auch um Johannes Leben. Die Frage war nur nicht, ob ihn der Gevatter holen würde, um seine Seele auf Lysanthors Waage der guten und bösen Taten zu werten, sondern ob sein Leben in der Welt der Sterblichen ein weiteres Veilchen bedeuten könnte.
Gemeinsam mit dem Burschen erreichte Wieland die Kasernen. Sie schmiegten sich direkt an die sterinerne Dorfmauer, wohingegen ihre eigene Abgrenzung lediglich aus Holzpalisaden bestand. Stein war kostbar, vor allem hier draußen, wo es wenige Berge und Hügel gab, von denen man sie hätte abbauen können. Die Kasernen beschränkten sich daher bei ihren Steinbauten auf das Nötigste. Wichtige Gebäude wie das Haupthaus, das Büro der Offiziere und das Arsenal sollten symbolisch den unüberwindbaren Stein vorweisen. Die einfachen Barracken der Soldaten hingegen waren aus Holz gezimmert und reihten sich selbst wie ihre Einwohner stets auf der Südseite einer Kaserne auf. Die Struktur war bei allen gleich.
Johannes schwenkte seinen Gang Richtung Kaserne IV ein. Der Junge konnte die Symbole nicht lesen, die die Einrchtung als vierte von vielen Militärbasen bezeichnete. Er sah sie allerdings als Bild an, das Wiedererkennungswert besaß. Auf einem Messingschild neben dem bewachten Eingang kündeten die beiden Lettern davon, dass Wieland und der Zeugwartssohn hier richtig waren. Vielleicht erinnerte sich Ersterer daran, dass es sein Mentor und Meister Alberich war, der diese Schilder für alle Kasernen selbst angefertigt hatte. Das war nun schon eine ganze Weile her. Damals fiel es dem Mann nicht schwer, die filigranen Lettern in das Metall zu arbeiten. Gelegentlich hatte er solche Kunstwerke geschaffen. Sie hatten Abwechslung und Herausforderung zugleich bedeutet, denn selten wagte sich ein Grobschmied an derart feine Handwerkskunst. Doch Alberich war befähigt gewesen, auch Filigranarbeiten herzustellen. Damals. Heute hatten seine Augen eine Trübung angenommen, die es ihm unmöglich machte, überhaupt die fein gearbeiteten Linien der Lettern IV klar zu erkennen. Gelegentlich klagte er über "verschwommene Tage", an denen seine Sicht irgendwie erschwert schien und er sich häufiger die Augen rieb als Wieland es herabspielen könnte. Die Erkenntnis, ein hohes Alter erreicht zu haben und mit dessen Problemen zu kämpfen, war nicht nur für den Alten selbst eine bittere Pille. Angehörige sahen Freunde und Familienmitglieder altern, vergesslicher aber vor allem kränklicher werden. Das Leben war nicht leicht. Für niemanden.
Auch für Johannes nicht, doch heute zeigte er sich zuversichtlich. Er hatte seinen Auftrag erfüllt. Wieland geleitete ihn durch die Tore in den Hof der Kaserne hinein. Mit einem seichten Salut grüßte der Burschen die postierten Wachen, passierte sie und hielt auf das Zeughaus zu, das sich am anderen Ende des Hofes an den Palisadenzaun schmiegte. Soldaten drehten ihre Runden, wobei sie in militantem Rhythmus immer wieder anspornende Parolen riefen. Obgleich laut, wandelten sich die forschen Anpreisungen an Jorsans Königreich und die loyalen Rufe für das eigene Vaterland zu einem Beiwerk der allgemeinen Geräuschkulisse. Dumpf nur drangen sie an die Ohren. Der Fokus lag andernorts; nämlich bei Johannes' Vater. Der Zeugwart saß vor dem Gebäude wie üblich an einem dort aufgestellten Holztisch. Darauf fanden sich nebst einigen Papieren, die von einem dicken Stein vor dem fortfliegen festgehalten wurden, auch eine große Kasse und ein Teller. Er war leer. Der Zeugwart hatte sein Frühstück bereits beendet und genoss nun eine Tasse dampfenden Kaffees. Man konnte das Aroma der Bohnen über den halben Kasernenhof riechen.
Als Johannes mit einem freundlichen "Hier bin ich wieder, Vater!" vor dem Tisch hielt, setzte der Zeugwart seine Tasse ab und erhob sich schwerfällig von seinem Stuhl. Sogleich wippte der speckige Wanst über den Gürtel seiner Rüstung hinweg. Er trug keine Platte, sondern lediglich einen Waffenrock, unter dem der Stoff seiner Tunika an Bauch und Oberarmen straff saß. Der Mann mochte auf den ersten Blick ob seines massigen Körpers niemals als Teil des Militärs durchgehen, aber wer die Augen von seiner breiten Erscheinung zum Gesicht wenden konnte, sah, dass auch er Teil der Armeen war. Das blonde Haar militärisch kurz gehalten und an den Seiten sogar bis auf wenige Milimeter getrimmt, der blonde Bart so weit gestutzt, dass die Härchen keine gekräuselten Locken bilden konnten und ein Blick so hart und kalt wie das Eisen, das Wieland aus der Esse in den dafür vorgesehenen Wassereimer gab: grau und bar jeder Emotion, denn zum Töten schienen sie geschaffen.
Unter den streng zusammengezogenen Brauen funkelte der Blick böse auf den eigenen Sohn hinab. Johannes zog sofort den Kopf etwas zwischen die Schultern. Bei seinem Vater war selbst der trotzige Widerstand klein gehalten.
"Das Vater will ich überhört haben, aber den unangemessen Gruß nicht übersehen. Zeugwartssohn, auch Ihr seid Soldat. Benehmt Euch entsprechend", bellte der Vater, ohne wirklich laut zu werden. Seine bauchige Stimme unterbrach den allgemeinen Ablauf der Kaserne nicht. Im Hintergrund drehten die Soldaten weiterhin ihre Runden.
"Entschulige, Vater..."
"Was habe ich eben gesagt?!"
Johannes erstarrte, bis seine Haltung kerzengerade war. Dann riss er die Hand empor, um sie mit zackiger Bewegung an seine Stirn donnern zu lassen für den militanten Salutgruß. Er gelang ihm um so vieles besser als dem Zeugwart, dessen plumpe Pranke nicht einmal die eigene verschwitzte Stirn berührte. Dann winkte der Zeugwart ab.
"Weggetreten. Mach dich im Zeughaus nützlich. Da gibt's immer noch einiges zu Sortieren."
"Jawohl, Herr!" Johannes verabschiedete sich mit einem flüchtigen Blick gen Wieland, ehe er an ihm vorbei und in das Gebäude hinter dem Tisch eilte. Schon war er verschwunden und Wieland mit dem Vater des Jungen allein. Wie war doch gleich noch sein Name?
"Franz-Josef Brunnerling, Zeugwart der Kaserne IV der Zweiten Kompanie Jorsans Stahl heißt Euch, Schmied, Willkommen." Auch Wieland wurde salutiert. Dann ließ sich der Mann zurück auf seinen Stuhl sinken, welcher unter dem Gewicht aufächzte. "Wollt Ihr einen Kaffee oder kann ich gleich zum Wesentlichen übergehen?"