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von Caleb » Montag 5. März 2012, 02:44
Alles um ihn herum bekam Caleb nur wie durch einen dicken Vorhang mit. Vereinzeltes Stöhnen drang noch hindurch, aber er konnte nicht einmal ausmachen, aus welcher Richtung es kam, oder wie weit entfernt es war. Genau neben ihm hätte ein Schwerverletzter auf der Pritsche liegen können, Caleb hätte es kaum wahrgenommen. Riesige Wollballen schienen in seinen Ohren zu stecken und ohne groß darüber nach zu denken, hielt er die Augen geschlossen. Sich jetzt im Lazarett umzusehen, war sicher keine gute Idee. Wollte er diese Bilder überhaupt sehen? Sie für immer sehen?
Dem Gespräch zwischen dem Hauptmann und der Heilerin konnte er kaum folgen, ließ sich kommentarlos von ihm tragen und von ihr zurecht rücken. Lediglich ein leichtes Pochen an seinem Arm war neu. Sein Verstand sagte ihm, dass er dort das Beruhigungsmittel verabreicht bekommen hatte, aber der klar überwiegende Teil seines Kopfes sagte: Wen interessierte es? Sein Körper wollte sich nur ausruhen, hatte bereits aufgehört sich zu bewegen und würde keinen weiteren Befehlen mehr gehorchen, bis die nötige Energie wieder vorhanden war.
Aber Caleb verweigerte sich dem Schlaf, obwohl er bereits spürte, wie das Beruhigungsmittel ihn in eine innere Schwärze zog. Er war doch hier her gekommen um den Prinzen zu sehen. Nur deshalb hatte er sich durch Troman geschleppt, anstatt einfach mit Felix in einem Stall unterzukommen und auf die Rückkehr des Herrn zu warten. Jetzt, wo Caleb ankommen war, musste er sich dagegen fragen: Was sollte er schon sagen? Den Prinzen würde er kaum trösten können. Und ihm zu sagen, dass nicht die Jorsaner, sondern die Fehde und der wachsende Hass zwischen den Ländern daran Schuld hatte, würde ebenso wenig helfen. Ließ man einen Menschen denn für gewöhnlich in so einem Moment allein? Wo waren Theben und Rist, seine anderen beiden Kameraden? Müssten sie nicht schon längst davon gehört haben, dass Prinz Vincent hier war, oder kamen sie eben aus dem Grund nicht, um dem Thronfolger für diesen Moment allein trauern zu lassen?
Caleb wusste nun, dass er selbst nichts tun konnte. Sie waren gegen Abend in Troman angekommen, und all die Strapazen und Ausfälle, die Caleb noch in der Stadt hatte, waren Grund dafür, dass nun bereits die Sonne unterging. Das Mittel der Heilerin lullte ihn weiter ein, sodass er kaum das Wasser spürte, dass seine Lippen benetzte. Sie musste seinen Kopf anheben, um ihm das Trinken zu erleichtern. Ihre sanften Worte verstand Caleb schon nicht mehr. Das Nass fühlte sich kühl und gut in der Kehle an, und er atmete entspannter. Die Grenze war erreicht, und die Erschöpfung tat zusammen mit allem anderen den Rest, um ihn endgültig in den Schlaf zu zerren.
Sein Traum führte ihn den ganze Tag zurück, als würde alles noch einmal rückwärts geschehen. Jedes Detail, dass er sich eingeprägt hatte, verarbeitete er aufs Neue und fügte alle Bilder zusammen, bis zum Anfang seiner Reise durch Neuland. So stand Caleb vor den Toren Grandeas, und sah zu, wie er selbst auf dem Rücken von Felix dem Prinzen nachritt. Verwirrt sah er an sich herunter, bemerkte, dass er durchsichtig war und die Wachen ihn nicht sehen konnten. Ohne lange darüber nach zu denken, machte er auf dem Absatz kehrt, und schlenderte den Königspfad hinauf. Ihm war vollkommen klar, dass er nicht wirklich zurück ging, aber Caleb wusste nicht, dass er sich in einem Traum befand. Ehrlich gesagt machte er sich darüber in diesem Moment keine Gedanken. Sein Kopf war wie leer geblasen und es fühlte sich unglaublich gut an.
Sein Weg führte ihn nicht wie gedacht zum Schloss, nein, wozu auch, sein Herr war nicht mehr dort. Stattdessen stand er bald vor dem Tempel Grandeas, den er so oft besucht hatte. Im nächsten Moment stand er bereits innerhalb der mächtigen Mauer. War er einfach durch das Holz der Tür gelaufen, oder hatte er es geöffnet? Er wusste es nicht, sein denken richtete sich nur nach vorn. Während er lief, wurde er kleiner, ohne es zu merken, denn der Tempel war im Vergleich zu ihm so gewaltig, dass es kaum einen Unterschied machte. Erst, als er vor dem Schrein Feylins angekommen war, bemerkte er seine veränderte Größe, denn er konnte nur knapp über die Kante des Altars sehen.
Hier waren überall Betnischen eingerichtet, mit kleinen Feylin Statuetten und Opferschalen für die Gaben, welche die Gläubigen den Gott mitbrachten. Caleb ging selbstverständlich auf seine Nische zu. Er war immer zu der Zweiten von links gegangen. Ohne zu überlegen warf er das Gedicht hinein. Er fragte sich nicht, woher er den Fetzen Papier hatte, aber die Schrift darauf kannte er gut. Es war seine Eigene, mit Versen, die er vor drei Jahren geschrieben hatte. Fast automatisch, als wäre dies die zu erwartetende Reaktion auf dieses Fund, hob Caleb den Blick und sah nach rechts, wo eine Prozession von Priestern aus einem Portal trat. Anscheinend hatte sie gerade eine Zeremonie beendet, einen Willkommensritus, wie er aus irgend einem Grund wusste. Eine Feier für den jungen Priester in ihrer Mitte.
Darius war sein Name, der Bruder des Thronfolgers.
Im nächsten Moment beteten sie nebeneinander, und Caleb wusste, dass er eine Erinnerung durchlebte. Sie murmelten leise vor sich hin, Caleb wusste jedes der Worte auswendig, die er damals von sich gegeben hatte. Auffordern sah er daraufhin zu Darius hinüber, als würde er auf Worte warten, die er zu sprechen hatten, gerade so wie ein Schauspieler darauf wartete, dass sein Spielpartner den Text zitierte, der an diese Stelle gehörte.
"Feylin muss dich wirklich gern haben."
Die Erinnerung erstarb und in Caleb blieb ein seeliges Gefühl zurück, auch wenn er diesen Worten nie geglaubt hatte.
Mitten in der Nacht erwachte er, und wusste sofort, dass er eine halbe Stunde vor Mitternacht war. Das Lazarett lag im Dunkeln, was Caleb aber kaum störte, tatsächlich war er erleichtert. So musste er noch nicht sehen, was sich alles um ihn herum befand. Ein leises Stöhnen schien dieses Ort ununterbrochen gegenwärtig zu sein und als Caleb den Kopf zur Seite drehte, sah er eine der Heilerinnen durch die Reihen gehen, mit einer Kerze, vor dessen Licht er die Augen zusammenkniff. Sie war wohl dafür zuständig, dass jeder Patient die Nacht auch überlebte. Caleb hatte keine Lust von ihr gefragt zu werden, ob ihm etwas fehlte.
Er wusste es selbst gut genug. Seine Beine fühlten sich steif an, und als er sich bewegte, wurde ihm klar, dass er in beiden einen Muskelkater hatte, was ihn nicht weiter verwunderte. Sein Kopf war dafür wieder klar, so klar wie zu Beginn der Reise nicht mehr. Ein innerer Drang befahl ihm aufzustehen und sich zu waschen, aber er wusste, dass dies nicht möglich und auch nicht nötig war. Es war eine Erleichterung zu wissen, dass heute Nacht keine Arbeit auf ihn wartete.
Stattdessen knurrte sein Magen. Aber er war oft genug hungrig zu Bett gegangen, als sich davon nun ärgern zu lassen.
Feylin muss dich wirklich gern haben!
Ihm gingen die Worte nicht mehr aus dem Kopf. Darius hatte geglaubt, dass es ein Segen gewesen sein musste, dass ein Tier des Kindgottes ihn zu seines Gleichen gemacht hatte. Damit war er ziemlich allein, selbst von Calebs Seite aus. Wenn ihn sein Gott mochte, hätte er ihm die Jahre der Schikane ersparrt, die ihm das alles eingebrockt hatte. Auch wenn seine Augen dadurch besser geworden waren, konnte man die Katzenohren noch lange nicht als Geschenk ansehen.
Caleb wusch die Gedanken aus seinem Kopf. Er war nichts besonderes. Darius hatte immer, wenn er zum beten gekommen war, versucht ihm so etwas einzureden. Ihm klar zu mahen, dass er Talente hatte, die entdecken sollte, die nichts mit Abwaschen und Putzen zu tun hatten, aber er hatte immer schüchtern den Kopf geschüttelt und war ausgewichen. Darius war der Einzige, der wusste, dass er schreiben konnte, weil er ihn gleich am ersten Tag zurück in Grandea mit einem Gedicht als Opfergabe erwischt hatte. Aber er hatte ihn nie verraten.
Calebs Gedanken wanderten wieder umher, zurck zum Prinzen, aber er wusste nicht, wo Aleksanders Matraze war, und sein Körper verlangte nach dem Schlaf. Er hatte weder die Lust noch die Kraft, sich umzusehen und so driftete er wieder ab in die wohlige Schwärze...