Das Leben der Anderen

Diese Akademie wurde von der mächtigen Feuerhexe Cassandra gegründet. Hier werden hauptsächlich Feuermagier ausgebildet und geschult, Cassandra jedoch ist hier selten aufzufinden.
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Madiha Al'Sarma
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Donnerstag 20. Mai 2021, 19:56

Madiha lernte sich selber kennen zurzeit. Sie entwickelte Verhaltensweisen, die sie bis hierher nie gekannt hatte. Die Ungewissheit und die Angst, waren ihre Motoren, um zu handeln. Sie gehörte nicht zu den Menschen, die unter ihnen erstarrten und unfähig wurden, klar zu denken. In Madiha steckte ein bisher ungekannter Wille, ihr Schicksal selber zu formen. Wer hätte es gedacht, betrachtete man ihren Lebensweg? Sie war eine Sklavin, seit 10 Jahren, also ihr ganzes Leben. Davor lebte sie auf der Straße, bettelarm und von jedermann vergrault. Ihre Mutter zeigte ihr, wie sie an Geld kommen konnte und hatte dann das zweifelhafte Vergnügen gehabt, ganz alleine auf sich gestellt, Caleb über den Weg zu laufen, der für sie die Entscheidung traf, wie sie ihr Leben verbringen würde. Wie sie sich wohl selber entschieden hätte? Sicherlich hätte sie noch Jahre mit dem Bestehlen von reichen Händlern, Marktbesuchern und Damen verbracht. Hätte mal hier, mal dort geschlafen und sich irgendwie durchgeboxt. Ob sie überlebt hätte? Madiha wusste es wirklich nicht und es spielte auch keine Rolle. Sie lebte. Sie war hier. Und die Summe aller Entscheidungen, ob nun durch andere oder durch sie getroffen, ihres bisherigen Lebens, führten sie an diesen Ort. Madiha stand dem halbdunklen Gang gegenüber und ihr Herz klopfte vor Aufregung. Sie spürte das Gewicht der Wasserflasche, an ihrem Bein und ihre Hose rutschte etwas schräg, dadurch. Sofort dachte sie an Caleb. Sah ihn vor sich, wie er schelmisch unter seinen braunen Haaren hervorblitzte und seine Augen dieses Funkeln inne hatten. Madiha seufzte innerlich. War er wirklich nicht der, den sie sich vorstellte? Sollte er wirklich nur ein Dieb sein, der sich bereichern wollte? Sie schüttelte die Gedanken so gut es ging ab. Sie konzentrierte sich auf den Duft der Orangen und als sie ihn wahrgenommen hatte, setzten sich ihre Beine fast schon selbstständig in Bewegung. So oder so, konnte und wollte sie nicht hierbleiben. Als eine neue Brise zu ihr herüberwehte, spürte sie, wie die Kühle ihre feinen Härchen auf dem Arm kitzelte. Es muss tatsächlich schon spät sein – Nacht, um genau zu sein. Madiha war überrascht. Hatte sie so lange geschlafen? Wie war das möglich? Und wieso hat Caleb sie nicht geweckt, er wusste doch, dass Ilmy auf sie wartete? Madiha schluckte schwer. Schon Nacht. Während sie weiter ging, überschlugen sich ihre Gedanken. Ilmy würde erfrieren, wenn sie noch in den Höhlen war… und wie lange harrte sie schon aus? Madiha rekonstruierte die Zeitlinie, indem sie sich Eckpunkte ins Gedächtnis rief, die ihr Aufschluss über den zeitlichen Verlauf gaben. Ihre Prüfung war früh gewesen, Dunia hatte sie wecken müssen. Und der Angriff erfolgte während sie die Prüfung hatte. Ilmy fand sie vielleicht am frühem Vormittag in den Gärten…und dann? Dann ging der Tag so rasend schnell zu Ende und sie hat die Magierin warten lassen. Madiha’s Herz krampfte sich zusammen, als sie die Sorge übermannte. Was hatte sie getan? Die einstige Sklavin folgte dem Weg ins Ungewisse und fand sich kurz darauf an einer Weggabelung wieder. Der Mut verließ das Mädchen und sie ließ die Schultern hängen. Madiha schloss die hellen Augen, die so gar nicht nach Sarma passen wollten und versuchte die Hilflosigkeit weg zu atmen. Sie holte tief Luft, stieß diese dann hörbar aus und öffnete die Augen wieder. Innerlich rief sie sich selber zur Ordnung, hielt ihre Gedanken in Schach. Sie musterte jeden der Gänge und erkannte, dass zwei von ihnen beleuchtet waren, während der dritte, schon sehr bald dunkel wurde. Immer wieder musterte sie jeden Gang und versuchte herauszufinden, welcher der Richtige war. Ob sie raten sollte? Doch Madiha kam gar nicht mehr dazu, sich darüber näher Gedanken zu machen, sie horchte plötzlich auf und starrte auf die Gänge, als sie Geräusche vernahm. Ihr Herz schlug sofort schneller und für sie auch lauter. Sie hielt den Atem an, wie Kinder, wenn sie Verstecken spielten und gespannt, wie Flitzebogen, auf ihre Entdeckung warteten. Das Wüstenkind wusste jedoch nicht, ob der, der dort kam, zu ihren Freunden zählte. Hier war das kein Spiel. Madiha sondierte die Schritte aus der lauten Stille und erkannte, dass sie sich aus dem Gang schräg links von ihr näherten. Schnell bedachte sie jeden Gang erneut mit einem Blick, dann entschied sie sich, sich in den linken Gang zurück zu ziehen, um sich im Schatten zu verstecken, der hier lauerte. Madiha durchquerte schnell den letzten Schein, bis sie im Schatten war. Hier drückte sie sich gegen die Wand und rutschte an dieser hinunter, um so wenig Sichtfeld wie möglich zu bieten. Dann schaute sie zurück zur Gabelung und harrte, mit klopfendem Herzen, dem, der dort kommen sollte.
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Erzähler » Samstag 22. Mai 2021, 10:55

Sämtliche Gedanken über Calebs Verschwinden, sämtliche Sorgen um Ilmy waren für den Moment vergessen, da Madiha fremde Schritte aus einem der Gänge hörte. Sie kamen in ihre Richtung und das zügig. Ihr blieb kaum Zeit, zu handeln. Aber erneut entschied sie sich dafür, es trotzdem zu tun. Einfach auf dem Präsentierteller mitten auf der Tunnelkreuzung zu stehen und ihr Schicksal zu erwarten, wäre die schlechteste Option von allen. Also zog sie sich in den schmalen Gang zurück, der schon wenige Schritte ins Innere zu einem finsteren Schlund wurde. Dass hier noch Laternen hingen, bemerkte sie, als sie sich beinahe den Kopf an einer besonder tief hängenden von ihnen stieß. Hoffentlich hatte die fremde Gestalt, welche sich der Kreuzung näherte, nichts mitbekommen.
Hastig, aber dennoch darauf bedacht, keinen Laut mehr zu verursachen, glitt Madiha in die Schatten. Sie drückte ihren dürren Körper gegen die Wand, dass sie teilweise etwas kantige Steine im Rücken spüren konnte. Einer davon piekte unangenehm gegen ihren Steiß, aber den Schmerz würde sie schon aushalten. Lieber nahm sie einen blauen Fleck in Kauf als einen möglichen Tod. Denn noch immer wusste sie nicht, wer sich da näherte.
Madiha hielt den Atem an, als sie über den zielstrebigen Gang hinaus auch endlich andere Geräusche hören konnte. Sie waren menschlicher Natur. Die fremde Figur unterdrückte ein Räuspern, dann atmete sie einmal tiefer durch. Schließlich konnte das Mädchen den Schatten einer großen Gestalt entdecken. Das musste eindeutig ein Mann sein! Wenngleich schlank, wirkte er doch kräftig und drahtig. Er musste dunkle Kleidung tragen, denn bis auf seine Konturen konnte Madiha selbst im Licht nicht viel mehr als Facetten von Schwarze erkennen. Das und eine Spur am Boden. Der Fremde hinterließ irgendwelche Flecken. Im Licht der Laterne schimmerten sie rötlich. Blut?
Jetzt fiel Madiha auch auf, dass seine Atmung nicht ganz so leise war, wie er selbst sich wohl erhoffte. Außerdem lag etwas Vertrautes darin, auch in seiner Statur, seiner Art sich zu bewegen. Die Kleidung hatte sie auch schon einmal gesehen, sich vor Stunden sogar noch dazu entschieden, lieber auf dem Boden zu schlafen als sich daran zu schmiegen.
Caleb.
Das da vorn war Caleb! Sie hatte ihn nicht gleich erkannt, weil er sich die Kapuze übergezogen hatte, welche die ganze Zeit wie ein dicker Schal um seinen Hals gelegen hatte. Es war schwer, ihn auf diese Weise zu erkennen und so vertraut war sie mit dem Dieb auch noch nicht. Aber sie hatte ihn oft genug beobachtet, um seine Statur wiederzuerkennen. Sein Gang war nicht mehr so behände wie sie ihn gewohnt war. Es gab kleine Anzeichen, die sich von ihrem Bild des Mannes unterschieden. Dennoch bestand kein Zweifel. Das war Caleb.
Der Dieb schaute nicht in den Gang hinein, in dem sie sich versteckte. Er glitt daran vorbei und hinterließ ... einen blutigen Handabdruck an der Wand. Madiha konnte genau darauf starren! Nicht die gesamte Handfläche hatte einen Abdruck auf dem Stein hinterlassen, aber sie erkannte den Handballen und zwei Finger samt Daumen deutlich. Wie unvorsichtig! Das sah Caleb nicht ähnlich. Er war die ganze Zeit darauf bedacht gewesen, unentdeckt zu bleiben - sogar in seiner arglosen Art. Der Mann, welcher nun an ihrem Gang vorbei schritt, um jenen Tunnel zu betreten, aus dem sie gekommen war, wirkte unachtsam. Das war etwas befremdlich und schürte Unsicherheit. Aber nun schwand er aus dem Blickfeld, zog an Madiha vorbei. Sie konnte seine Schritte wieder ausmachen, die sich bald entfernen würden. War es wirklich Caleb? Doch! Sie hatte sich nicht geirrt. Er schien zu ihr zurückkehren zu wollen ... weil er verletzt war? Was war geschehen? Und wie weit traute Madiha dem Kerl, der sich einfach aus dem Staub gemacht hatte, noch? Weit genug, ihm zu folgen oder zog sie nun ihrerseits an ihm vorbei, dem Orangenduft und hoffentlich einem Ausgang entgegen?
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Samstag 22. Mai 2021, 12:31

Als Madiha sich entschied, den Gang zu ihrer Linken zu nehmen, um sich zu verstecken, pochte ihr Herz so wild, dass es wehtat. Sie keuchte, als sie endlich die Schatten erreichte und presste sich gegen die steinerne Wand. Schwärze umfing die Sarmaerin und fast glaubte sie, dass sich ihre Augen gar nicht daran gewöhnen konnten, bis sie dann doch feine Schatten hier ausmachen konnte. So fiel ihr auch im allerletzten Moment auf, dass hier eine Laterne hing, der sie nur knapp entkam, weil sie ihren Kopf einzog. Dieser Schreck, so klein er in Anbetracht der Situation, war, half ihr nicht weiter, im Bezug auf das Beruhigen ihres Herzschlages. Das dünne Mädchen presste sich noch etwas mehr an die Wand und spürte augenblicklich, wie sich etwas unschön in ihr Steiß bohrte. Sie sog zischend die Luft ein, doch die näherkommenden Schritte, lenkten sie ab, sodass sie sich in die Knie sinken ließ und ihre Hand vor den Mund presste, um das Atemgeräusch zu unterbinden. Groß waren ihre Augen, als sie auf die Weggabelung starrte und die Sekunden so quälend langsam vergingen, bis sich endlich etwas tat. Madiha hielt tatsächlich ihren Atem an, als sich die Gestalt, der die Schritte gehörten, an der Weggabelung zeigte. Sie konnte erkennen, dass es sich um einen Mann handeln musste, da seine Statur größer und breitschultriger war, als sie es bei einer Frau vermuten würde. Sie selber unterschied sich deutlich, war klein, dürr und hatte kaum so etwas, was man als Muskeln bezeichnen wollte. Die Entbehrungen hatten sie eher drahtig werden lassen, die harte Arbeit ihr zwar Muskeln geschenkt, aber nichts, was sich wohldefiniert zeigen würde. Zumal sie zuletzt ziemlich unterernährt gewesen war. Doch darum ging es jetzt nicht, sodass Madiha sich wieder konzentrierte und ihre Augen über die Gestalt wandern ließ. Sie runzelte die Stirn, als sie den keuchenden Atem bemerkte und erst jetzt stellte sie fest, dass die Gestalt irgendwie komisch gebeugt wirkte, als wäre sie schwer außer Atem oder krank. Ihr Herz klopfte immer noch. Dann räusperte sich die Person und verifizierte ihre Gedanken, dass es ein Mann sein musste. Doch damit nicht genug, Madiha schluckte, als sich eine vage Ahnung einschlich. Noch bevor sie sich anhand der Kleidung sicher sein konnte, dass es er war, der dort stand, erregte etwas am Rande ihres Blickes, ihre Aufmerksamkeit: Etwas tropfte zu Boden. Madiha verfolgte den Weg, den sie einsehen konnte, mit den Augen zurück und erkannte, dass sich diese Spur fortsetzte. Sofort heftete sich das Graublau wieder auf die Gestalt und eine kalte Ahnung wurde mit jedem Gedanken fester. Er war verletzt. Kam die Erkenntnis unheilvoll, doch was das schlimmste daran war, war die Sicherheit, die sie kurz darauf erhielt: Bei der Person handelte es sich um Caleb. Die Kleidung, die Stimme, auch wenn er nichts sagte, die Haltung… alles an ihm versicherte ihr, dass er es war. Ihr Herz krampfte sich zusammen. Er war verletzt. Caleb war verletzt. Madiha wollte auf sich aufmerksam machen, doch die Vorsicht hielt sie einen Moment auf. Caleb hinterließ einen verräterischen Abdruck am Mauerwerk. Es passte nicht zu ihm, er war stets vorsichtig und nun zog er eine Spur hinter sich her. Madiha ließ den Mann ziehen, ohne sich bemerkbar zu machen. Sie hatte einen Moment Zeit, bis er an ihrem Rastplatz angekommen war und erkannte, dass sie nicht gewartet hatte. Sie ließ ihn also einen Moment weiter gehen und lauschte, ob ihm jemand folgte. Sobald sie sicher wäre, dass niemand seiner Spur folgte, schälte sie sich aus den Schatten und trat in die Weggabelung. Madiha schaute kurz auf den blutigen Fleck und etwas in ihr drehte sich. Sie sorgte sich um Caleb. Egal was er sagte oder getan hatte. Er war ihr einziger Ankerpunkt im Leben. Ihre Beständigkeit. Sie musste sich beeilen. Madiha schabte eilig mit den Füßen etwas Sand auf den Boden zusammen und versuchte so die Spuren, die er hinterlassen hatte, zu verbergen, sodass niemand erkennen konnte, welchen Gang er genommen hatte. Dann zog sie, ohne zu überlegen, ihren Ärmel der Tunika etwas über ihre Hand, fingerte mit der anderen die Wasserflasche hervor und träufelte ein paar kostbare Tropfen auf den Stoff. Dann rieb sie die Wand sauber und betrachtete ihr Werk eilig. In ihren Augen war nicht ersichtlich, sollte jemand seiner Spur folgen, wohin er ging. Dann folgte sie selbst schnell dem Weg, sah zu, auch hier die Spuren zu beseitigen, und eilte ihm hinterher. Es war keine Frage, ob sie ihn im Stich ließ. Sie konnte es nicht, dafür schuldete sie ihm zu viel und sie war noch nie jemand gewesen, der sich aus Eigennutz bereicherte. Er war verletzt. Sie hatte es gesehen. Das war etwas, was sie ganz klar wusste. Wie es Ilmy ging, konnte sie nur vermuten und so konzentrierte sie sich auf das, was sie vor der Nase hatte. Madiha lief eilig den Gang, dem sie zuvor gefolgt war, zurück und wollte Caleb einholen. Als sie sich in der Nähe zu ihrem Platz wähnte, wagte sie es, leise nach ihm zu rufen. „Caleb! Caleb, ich bin hier.“, unterstellte sie ihm, dass er auch tatsächlich zu ihr wollte.
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Erzähler » Samstag 22. Mai 2021, 18:42

Es bestand kein Zweifel mehr. Das war Caleb gewesen und nun schleppte er sich den Gang weiter entlang zu - wie Madiha vermutete - ihrem Rastplatz. Das hieß, sie hatte noch etwas Zeit. Ihr Gefährte mochte unachtsam geworden sein, sie aber nicht. Sie war allerdings auch nicht verletzt, wie sie würde zugeben müssen. Er wollte offenbar schnell zu ihr oder oder brauchte dringend Hilfe. Sie musste sich beeilen.
Sobald Madiha sich sicher war, dass kein Verfolger plötzlich im Gang auftauchte, verteilte sie den Sand über dem Blutfleck am Boden. Es war tatsächlich Blut und so hell wie es schimmerte, war es frisch. Warum war Caleb immer mit Blut besudelt, wenn sie sich trafen?! Beim ersten Mal war es wenigstens nicht sein Blut gewesen, aber jetzt schien er wirklich in Schwierigkeiten zu stecken und das bereitete der einstigen Sklavin Sorge. Mehr noch als zu verdursten war die Furcht, entdeckt zu werden. Also verwischte sie Calebs Wandspuren ebenfalls und setzte die Säuberung auf den weiteren Gang entlang fort.
Er verlor Blut. Nicht viel, aber alle paar Schritte fand sie doch immer mal einen Fleck. Jetzt, da er seinem Ziel offenbar näher kam, schrie der Körper nach Ruhe. Die vielen Abdrücke seiner Finger oder des Handballens unterwegs zeugten davon, dass er mehr als einmal darum kämpfte, nicht zusammenzusacken. Madihas Sorge wuchs, trotzdem blieb sie sorgfältig dabei, die Spuren zu verwischen. Letztendlich durfte sie feststellen, dass sie sogar trotz all ihrer Arbeit schneller war als Caleb. Sie holte ihn rasch ein, kurz bevor er den Fleck erreichte, an dem sie hätte schlafend aufgefunden werden müssen. Sie sah, wie er stutzte und dann die letzten Schritte doch noch einmal unter einem Aufgebot seiner Kräfte zurücksetzte. Sie konnte ihn auch Brummen hören. Er ... klang enttäuscht, denn er seufzte. Warum traf es ihn so sehr, dass sie mutmaßlich fort war? Verhinderte das seine Pläne, mit ihr und ihrem Körper an Geld heranzukommen, um einige Gefallen zu tilgen, die er anderen schuldete? Er scharrte mit dem Stiefel über den Boden und gerade, als er sich erneut an der Wand abstützte, erhob Madiha hinter ihm die Stimme.
Caleb straffte die Schultern. Er wandte sich nicht sofort um, richtete sich lediglich gerade auf. Als könne er jetzt noch verbergen, dass es ihm nicht gut ging! Seine linke Hand schob er unter eine Lage seiner Kleidung. Es war jene Hand, mit der er sich auf dem Weg hierher mehrmals abgestützt hatte.
"Hast du dich versteckt oder geweigert, zu warten?" Er versuchte, keck zu klingen. Es gelang nur mäßig, weil er dabei schnaufte. Auch sein Blick war nicht so arglos und munter, als er über die Schulter zurück schaute. Er grinste zwar, doch es erreichte nicht seine Augen. Madiha sah zudem, dass auch sein Gesicht mit Blut besprenkelt war. Sie erkannte glücklicherweise keine Verletzung dort. Dann passierte es. Er erhob gerade die Stimme, um noch etwas zu antworten, doch sein Körper versagte ihm den Dienst. Mit einem dumpfen Geräusch prallte er gegen die Wand und sank daran herab, als sei er ein mit Weizen gefüllter Jutesack. Sofort ächzte er unter Schmerz auf. Die Hand kam unter dem Wams hervor. Er presste sie an die Seite und jetzt erkannte Madiha es: der Stoff, der unter dem schwarzen Leder hervor lugte, war dunkelrot gefärbt. Blut tropfte auf Calebs Hose und den Boden, als er sich umpositionierte, um die Hüfte zu entlasten.
"Arrrh... Scheiße, ich werde hier verrecken..." Er grinste mit zusammengebissenen Zähnen zu Madiha herüber. Es fiel ihm schwer, sich zu beherrschen. Die Kieferknochen standen sichtbar angespannt hervor, so sehr nahm er sich zusammen. "Sieht ziemlich übel aus, da oben. Sarma ist eingenommen und irgendein Kerl soll hingerichtet werden, der dem Anführer ziemlich ans ... urghh ... Bein gepisst hat." Unter schweren Atemzügen gönnte Caleb sich eine Pause. Selbst wenn er es noch immer versuchte, seine Verletzung ließ sich nicht mehr leugnen. "Ich hab deine Ilmy gefunden ... ist in Sicherheit." Er legte den Kopf in den Nacken und schloss kurz die Augen. Schweiß perlte auf seiner Stirn, dass ihm die Haare an der Haut klebten. Es war kein schöner Anblick. Nichts daran erinnerte an den verwegenen, spaßenden Halunken, den sie kannte. Er brauchte Hilfe und zwar schnell.
"Lass mich ... kurz ... kurz ausruhen. Dann ... rngh ... gehen wir zu ihnen. Ilmy ... ist bei ... Dunia ... in Sicherheit..." Hätte er mal mit der Magie-Elevin getauscht. Dunia könnte dem Dieb sicherlich helfen. Sie würde es auch tun, unentgeltlich! Die beiden verband etwas. Wie hatte sie zulassen können, dass er verletzt wurde oder war es auf seinem Weg hierher geschehen? Weil er Madiha hatte holen wollen? Eines stand nun fest: Sie hatte jetzt zur Abwechslung einmal die Chance, sein Leben zu retten.
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Samstag 22. Mai 2021, 23:09

Madiha gab sich große Mühe, die Spuren in dem Gang, aus dem sie erst kurz zuvor gekommen war, zu beseitigen. Sie hielt immer wieder inne, schabte mit den Füßen die Blutspuren fort oder träufelte etwas Wasser auf ihre Tunika, um die Wände zu reinigen. Dabei achtete sie gut darauf, nichts zu verschwenden, weil sie wusste, wie kostbar das Wasser war. Bei all der Sorgfalt, ließ sie jedoch die Sorge um den Dieb, schneller arbeiten und sich beeilen, damit sie ihn noch einholen konnte. Kurz bevor sie endlich den Platz erreichte, an dem er sie zurückgelassen hatte, flüsterte sie seinen Namen und machte auf sich aufmerksam. Wenige Sekunden später, stand sie hinter ihm und konnte sehen, wie er die Schultern hängen ließ und hörte, wie er seufzte. Madiha schluckte trocken. War er etwa enttäuscht? Warum? Weil er auch jetzt noch an seinen Profit dachte? Seine Worte wischten ihre Gedanken beiseite und sie lächelte flüchtig. „Ich habe mich geweigert.“, gab sie leise zu. Ihr Lächeln wurde augenblicklich von seinem müden Blick fortgewischt und die Sorge trat wieder in den Vordergrund. Madiha hatte ihre Augenbrauen zusammengezogen, während sie ihn musterte. Er wirkte angestrengt, schmerzgeplagt und die vermehrten Flecken an der Wand, kurz bevor sie auf ihn traf, verrieten ihr, dass er geschwächter war, als er gerade zugeben wollte. Madiha erwartete vereits ihre kleine Rüge dafür, dass sie nicht gewartet hatte, doch dazu kam es gar nicht mehr. Caleb verlor das Gleichgewicht, prallte gegen die Wand und rutschte unsanft an dieser hinunter. Madiha stob nach vorne, um ihn zu stützen, doch konnte sie lediglich mit ihm zusammen zu Boden gehen. Ihr Gesicht verriet, wie viel Angst sie hatte. Es war nicht das erste Mal, an diesem schicksalhaften Tag, doch dieses Mal ging es nicht um ihr eigenes Leben. Es ging um Calebs. Das Mädchen hörte die fremden Worte, verstand sie jedoch nicht. Ihr Blick glitt an ihm hinunter, als sie ihre Position so veränderte, sodass sie vor ihm kniete. Ihre Hände ruhten auf seiner Brust, während sie eben jene nach seiner Verletzung absuchte. Erst als er weitersprach, erkannte Madiha, dass die Wunde zumindest so stark blutete, dass der getränkte Stoff bereits tropfte. Ihr Herz verkrampfte sich erneut bei dieser Erkenntnis. Doch Caleb sprach weiter… er erzählte ihr von Sarma und von irgendwem der irgendwas getan hatte. Ihr Blick richtete sich in sein Gesicht dabei und sie wollte ihn abhalten, weiter zu sprechen. Doch dann erwähnte er Ilmy und Madiha schloss die Augen für den Bruchteil einer Sekunde. Das waren gute Nachrichten, doch gleichzeitig verfluchte sie ihn. Als er seinen Kopf in den Nacken legte, die Augen schloss, um durchzuatmen, bedachte sie ihn mit einem traurigen Blick. Sie wandte diesen zügig ab, als er wieder das Wort erhob. Tausende Fragen brannten ihr auf der Zunge und sie krallte kurz ihre Finger in seine Kleidung. Ihr Gesicht war vor Angst verzerrt. „Caleb…“, flüsterte sie, als könnte ein zu lauter Ton, ihm zusätzliche Schmerzen bereiten. „Wieso hast du mich nicht geweckt? Ich.. wir hätten…ich hätte helfen können… irgendwie", sprach sie zittrig und spürte, wie ihr die Augen brannten, als die Tränen kommen wollten. Die Gewissheit, dass er bei Dunia gewesen war und jetzt hier bei ihr saß, ließ Madiha verzweifeln. Ihre Hände zitterten, als sie sie aus seiner Kleidung löste, um damit zu beginnen, seine Kleidung auszuziehen. „Wir.. wir müssen die Blutung stillen.“, sie schniefte kurz und konnte die Tränen nicht zurück halten, die stumm über ihre Wangen rollten. Sie wirkte jetzt um einiges verbissener. „Wieso bist du nicht bei Dunia geblieben und hast sie dir helfen lassen? Wieso bist du hierher zurückgekommen du..“, sie wagte nicht ihn anzusehen. „Du… ich.. Caleb, ich kann dir nicht helfen wie sie, ich bin nicht …“, Verzweiflung sprach aus ihr. Sie war keine Heilerin. Ihre Kenntnisse, wenn man sie so nennen wollte, basierten lediglich auf kleinere Blessuren, wenn eines der Mädchen, oder sie selbst, mal wieder den Launen ihres Herrn ausgesetzt gewesen waren und das, was sie bei Dunia aufgeschnappt hatte. Sie wischte sich zitternd übers Gesicht, verschmierte sein Blut daran, atmete tief durch und machte dann weiter. Sie musste die Wunde sehen, musste genau wissen, mit was sie es zu tun hatte. „Was ist passiert?“, fragte sie ihn dann und traute sich immer noch nicht, ihn direkt anzusehen. Im Kopf ging sie ihre Optionen durch. Sie hatte kaum welche. Er würde es niemals schaffen, zurück zu gehen. Sie konnte ihn aber nicht alleine lassen, denn sie fand sich nicht zurecht. Und oberhalb, sagte Caleb, war der Kampf verloren, sodass niemand mehr sicher wäre. Sie war hier eingesperrt und es war ihre Schuld, dass er sich nun einer ausweglosen Situation gegenüber sah. Madiha hob den Blick in sein Gesicht, um zu prüfen, ob er noch da war. Erneut rollten die Tränen über ihre Wangen. „Wieso bist du nicht bei ihr geblieben?“, fragte sie abermals, fast flehend und tonlos, sie verstand es nicht. Alles verstand sie nicht. Wieso hatte er sie nicht geweckt? Wieso kam er zu ihr zurück, wieso schickte er nicht die Gilde, um sie zu holen? Wieso hatte Dunia ihn überhaupt gehen gelassen, in seinem Zustand? Oder war es auf dem Weg hierher passiert? Madiha brauchte Antworten. Dringend. Sie schniefte erneut, wischte ihre Tränen in ihrer ohnehin blutigen Tunika ab und nichts erinnerte noch daran, dass sie am frühen Morgen, Perfektion als ihre größte Sorge angesehen hatte. Ihre Ohren rauschten, während sie endlich einen Blick auf seine Wunde erhaschen konnte. Sie würde sie spülen mit dem Wasser, was sie noch zur Verfügung hatte, nachdem sie ihm noch einen Schluck überlassen hätte. Dann würde sie seine Habseligkeiten durchsuchen, nach etwas, was ihr helfen könnte. Bei allem beeilte sie sich so gut sie konnte und immer wieder rannen ihr vereinzelte Tränen über das verschmierte Gesicht, während sie versuchte, die zitternden Finger ruhig zu halten. Sie musste ihm helfen, das war sie ihm schuldig. Mehr als einmal.
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Erzähler » Donnerstag 27. Mai 2021, 09:35

Sorge mischte sich mit Fragen. So viele Fragen und keine davon konnte Madiha sich selbst beantworten. Sie versuchte Calebs Handeln zu verstehen, aber sie konnte es nicht. Sie begriff nicht, was ihn hatte veranlassen können, sie nicht zu wecken und sich lieber allein in Gefahr zu begeben. Zwar war sie innerlich beruhigt und auch dankbar, dass er Ilmy offenbar gefunden und sie sogar zu Dunia in Sicherheit gebracht hatte, aber sie konnte nicht nachvollziehen, warum er nicht auch bei der Schwester geblieben war? Sie hätte ihn behandeln können! Madiha war es in keinster Weise möglich. Sie besaß nicht die nötige Ausrüstung hier unten, in einem Labyrinth aus Stein und Staub, noch konnte sie von sich selbst behaupten, heilerisches Talent zu besitzen. Ihre Kenntnisse gingen nicht über das rasche Versorgen von Blutergüssen und Kratzern hinaus. Selbst in den Anwesen ihrer Herren war zumindest immer eine fachkundige Heilerin unter dem Huren-Harem gewesen, um die Frauen und Mädchen nach einer Nacht mit ihrem Besitzer versorgen zu können.
Hier unten ... es gab einfach nichts, womit sie ihm hätte Linderung verschaffen können. So sprach die Verzweiflung in Form von Tränen aus ihr, als sie sich über den Rand ihrer Augen Bahn brachen und nicht mehr aufhören wollten zu fließen. Während sie Caleb vorsichtig in Position rückte und begann, die Riemen seiner Lederrüstung zu lösen, hielt sie ihn mit den nun offen ausgesprochenen Fragen davon ab, das Bewusstsein zu verlieren. Nein, er würde sich nun nicht fallen lassen. Sie hatte Fragen! Sie brauchte Antworten. Vor allem aber benötigte sie dringend Ablenkung von dem viel zu dunkelroten Fleck an seiner Hüfte.
Sie kam zunächst nicht als Antwort über seine Lippen, sondern als Hand, welche sich auf ihren Oberschenkel legte. Die blutigen Fingerspitzen zitterten. Trotzdem rang der Dieb sich ein Lächeln für Madiha ab. Es war kläglich und kein bisschen glaubwürdig, aber nach wie vor versuchte er, die Situation damit herunterzuspielen. Als wäre es nur halb so schlimm, dass er hier vielleicht im Sterben lag!
"Ich wollte oben nachsehen ... kurz nur ... wollte nicht, dass du das siehst. Es ... erreicht dich noch früh genug ... schrecklich ... so viel zerstört. Viele ... Tote ... viel ... Folter ..." Sein Lächeln schwand, schon beim Sprechen. Ob es ihn zu viel Kraft kostete oder er es nun einfach nicht mehr für angebracht sah, weil sich derlei schlechte Nachrichten nicht herunterspielen ließen, blieb ungeklärt.
Unter einem Schub aus Schmerz krampfte Caleb sich zusammen, dass seine Finger blutige Abdrücke auf Madihas Kleidung hinterließen. Sie hatte es endlich geschafft, die Rüstungsteile zu lösen, welche sie daran hinderten, sein Hemd auszuziehen. Die untere Ecke war getränkt von seinem Blut und als Madiha den nassen Stoff anhob, sah sie die Verletzung. Jemand musste Caleb mit einer Klinge erwischt haben. Kein Messerchen, nicht einmal ein Dolch richtete so einen langen Schnitt an! Das musste ein Schwert gewesen sein und scharf, denn die Ränder waren glatt. Das Fleisch darunter glänzte rötlich, vom Blut umschwommen, das sich einen Weg aus der Wunde heraus suchte.
"Schau nicht hin ... Madiha ... da ist wohl nichts mehr zu machen..." Mit seinen Fingern streichelte er über ihr Bein. Eigentlich hätte er am liebsten ihr Kinn angehoben, damit sie ihn ansah und nicht die Verletzung, die ihn aus ihrer Welt reißen würde. "Ich hatte Angst ... Ilmy tot vorzufinden ... also bin ich suchen gegangen ... fand sie am Strand ... allein, aber lebendig ... Hab sie in die Tunnel mitgenommen und zum Lager gebracht, wo ich ... Dunia..." Er brach ab. Das Reden kostete Kraft und der Schmerz besserte es nicht. Caleb schloss erneut die Augen. Er schwieg, eine ganze Weile und allein nur dass sein Brustkorb sich weiterhin hob und senkte, zeigte an, dass er noch hier war.
Was in der Zeit zwischen Ilmys Rettung und seiner Übergabe an Dunia passiert war, würde Madiha vorerst nicht erfahren. Caleb fing sowohl mitten im Nichts als auch in seiner Geschichte wieder an zu sprechen. Die Augen blieben geschlossen, die Stimme war nur noch ein leises Krächzen. "Einer ... hat mich ... erwischt ... aber ich hab ... Gürtel ... seine Sachen ... für dich ... Du wirst ... brauchen ... und du musst .... raus hier ... ich erklär dir ... wie..." Er sammelte seine letzten Reserven, um Madiha mitzuteilen, wie man die Zeichen im Labyrinth laß. Wie man auf winzigste Kratzer bei den Aufhängungen der Laternen achtete, um zu wissen, wie viele von ihnen man noch passieren musste, ehe man entweder die Richtung wechseln musste oder auf ein Lager stieß. Er schaffte es, ihr zu vermitteln, dass sie auf bestimmte Stellungen von Mauergestein achten und nach Bodenplatten Ausschau halten sollte. Es gab mehr als ein System, die Orientierung hier unten zu behalten, nur für den Fall, dass eines unbrauchbar würde. Und Caleb kannte sie alle! Er verriet sie alle. Er verriet den Bund der Wüstendiebe, indem er die Geheimnisse dem einstigen Sklavenmädchen preisgab. Seine letzte Tat...
Nachdem Madiha das Wissen erlangt und hoffentlich in sich aufgenommen hatte, atmete Caleb noch einmal tief aus, dass es in einem erschöpften Röcheln endete. "Ich bin müde...", sagte er und seine Hand drohte, von Madihas Bein zu rutschen. "Nimm ... alles am Gürtel ... was dieser Bastard dabei hatte ... für dich ... überlebe. Versprich's mir..." Seine Schultern verloren an Spannung. Atem entwich seiner Kehle in einem langen Seufzen. Er rührte sich nicht mehr, aber er lebte noch. Die Frage, wie lange sein Körper das noch mit machen konnte. Er stand an der Schwelle zum Ende und er schien es zu wissen. Sonst hätte er Madiha nicht gerade alles vermacht, was er hatte erbeuten können. An seinem Gürtel hing das Erbe, verborgen in einer schwarzen Ledertasche, die keineswegs in Sarma gefertigt worden war. Sie besaß eine zackenhafte Musterung und das gehärtete Leder um den Verschluss hatte die Form einer Fledermaus. Ihr spitzzahniges Maul hielt die Tasche geschlossen. Es sah nicht so aus, als hätte Caleb sie überhaupt je untersucht. Er musste seinen Feind getötet oder zumindest so schwer verletzt haben, dass er ihm einfach sein Hab und Gut hatte entwenden können. Auf dem Weg zu Madiha stellte er dann fest, selbst schwer verletzt worden zu sein. Da blieb keine Zeit, sich die Beute genauer zu betrachten. Er hatte sie suchen und ihr noch alles Wichtige mitteilen wollen. Damit sie überleben konnte.
Wo war darin der Eigennnutz? Dieser Lügner...
Mit zitternden Fingern durchsuchte Madiha verzweifelt die Sachen. Es musste doch etwas Hilfreiches darunter sein! Caleb durfte nicht sterben. Nicht hier und nicht jetzt. Bei seinen eigenen Dingen fand sie lediglich Waffen. Dieser Mann war ein laufendes Arsenal und das Mädchen musste aufpassen, sich nicht selbst an einer verborgenen Klinge zu schneiden. Warum hatte er nichts mit, das ihm half? Doch halt! Hier war etwas! Am Gürtel trug Caleb ein aufgerolltes Stück Leinenverband, dazu Nadel und Faden in einem phiolenartigen Leder-Etui. Es sah gut aus, wie das einer Heilkundigen. Sicherlich hatte Dunia ihm diese Dinge mit auf den Weg gegeben. Warum nur hatte er sie nicht benutzt? Madiha würde die Wunde nur bedingt nähen können. Vielleicht halfen ihr Schneiderkenntnisse, falls sie sich je welche angeeignet hatte, aber es würde schon ein Unterschied sein, Stoff oder Hautschichten zusammenzuhalten. Der Leinenverband half da sicher mehr. Sie bräuchte lediglich etwas, das Druck gegen die Wunde ausüben würde, damit die Blutung gestillt wäre. Sie wusste nicht alles, aber das hatte sie bei Dunia aufgeschnappt. Ebenso wie...
In der fremdartigen Tasche fand sich allerlei. Eine Notration, sowohl Nahrung als auch Wasser. Hinzu kamen auch hier Verbände und sogar ein Fläschchen, dessen Aufmachung sie stark an den Wundalkohol in Dunias Medizinschrank erinnerte. Es gab jedoch weitere kleien Flaschen aus dickem Glas, damit sie nicht so leicht zerbrachen. Sie waren verkorkt und auf einem Etikett stand wohl ihr Nutzen. Zu dumm, dass Madiha die Sprache nicht verstand. Das Volk nutzte die gleichen Buchstaben, aber weder Trank der Stärkung noch Trank des unruhigen Geistes oder Trank des Leidens sagten ihr etwas. Die Flaschen besaßen unterschiedlich gefärbte Korken. Blau, Violett und Schwarz. Viel mehr fand sich in der Tasche nicht. Etwas Geld - Fuchsmünzen würden Calebs Überleben vorerst nicht sichern, aber vielleicht ihr eigenes. Die Frage blieb nun, ob sie versuchte, ihn mit den vorhandenen Mitteln - auch unbekannten - zu retten oder ob sie ihn jetzt zurückließ und sich sowohl mit Beute als auch dem Wissen, die Gänge nun sicherer durchstreifen zu können aus dem Staub machte.
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Madiha Al'Sarma
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Freitag 28. Mai 2021, 01:08

Madiha musste sich immer wieder selbst zur Ordnung rufen, während sie zittrig und mit verschmierten Fingern die Schnallen seiner Rüstung zu lösen versuchte. Es kam ihr unfassbar lange vor und die brennenden Augen, von Tränen getränkt, verhinderten, dass sie schneller machen konnte. Immer wieder musste sie innehalten, um ihre Augen in ihrer Tunika an der Schulter abzuwischen, damit sie überhaupt etwas sah. Ihre Fragen hielten ihren und gleichzeitig seinen Geist wach und sie lauschte darauf, wann er endlich antworten würde. Doch sie bekam keine Antwort. Alles was sie spürte war, dass sich seine Hand auf ihren Schenkel legte. Wäre die Situation eine völlig andere, wäre das Mädchen zurückgeschreckt und hätte erwartet, dass er sich ihr aufdrängen wollte. Doch nicht jetzt, nicht hier und… vielleicht nicht er. Sie hob ihren blaugrauen Blick und musterte ihn. Sein Lächeln war kläglich und wenig überzeugend, doch für einen flüchtigen Moment, erwiderte sie es. Danach konzentrierte sie sich wieder auf seine Rüstung. Sie musste endlich an seine Wunde kommen, bevor all sein Blut, mit Sand vermischt, auf dem Boden seltsame Muster bildete. Nachdem sie erneut die Tränen zu trocknen versuchte, kamen endlich einzelne Worte aus seinem Mund. Dass er sprach ließ ihren Puls ein wenig langsamer werden und die Tränen rollten in größeren Abständen. Madiha machte weiter, widmete sich den Schnallen auf der anderen Seite und zwang sich, ihm nicht nochmal ins Gesicht zu sehen.
Wenn sie gesehen hätte, wie er sich bemühte, wie viel Kraft es ihn kostete zu sprechen, sie hätte augenblicklich wieder den Mut verloren. Doch auch seine Worte trugen nicht zu ihrem Seelenheil bei: Das was er sagte, war derzeit nebensächlich, denn alles was sie hätte oben sehen können, wäre ihr tausendmal lieber, als jetzt zusehen zu müssen, wie er vor ihren Augen starb. Nur damit sie ein Bisschen länger in einer Traumblase leben konnte. Madiha schluckte trocken und schniefte nur, ohne das Wort an ihn zu richten. Danach schaffte sie es endlich, seine Rüstung zu lösen und ein kleiner Ruck entstand dabei. Sofort krampfte sich Caleb zusammen und übertrug den Schmerz auf ihr Bein, als er die Finger krümmte und sie zitternd sein Blut auf ihr verschmierten. Madiha riss die Augen erschrocken auf und flüsterte mehrfach eine Entschuldigung, bevor sie endlich sein Hemd anheben konnte. Sie schob es vorsichtig etwas höher und starrte kreidebleich auf das, was Caleb so sehr quälte. Sie hielt inne, während sie das was sie sehen konnte, verarbeiten musste. Der Schnitt war sehr viel größer, als sie erst geglaubt hatte und ihr wurde schlecht. Nicht der Anblick machte ihr so zu schaffen, sondern die dunkle Vorahnung, die das Bild mit sich brachte.

Seine Worte drangen in ihren gebannten Geist und ihre Finger krallten sich in den Stoff seines Hemdes, das sie noch oben hielt. Erst seine Finger ließen ihre Starre bröckeln und sie schloss die Augen, als ihr erneut Tränen, die Haut auf ihren Wangen verbrannten. Sie holte zitternd Luft und rang sich nun ihrerseits ein Lächeln ab, als sie ihn ansah. „Das.. das nennst du eine Wunde?“, sie schniefte und lächelte gleichzeitig, versuchte gute Miene zum bösen Spiel zu machen: „Daran stirbst du nicht..“, sagte sie brüchig und es klang viel mehr wie eine Warnung an ihn und eine Beruhigung für sich selber. Madiha’s Verzweiflung ließ sich nicht leugnen und auch wenn man ihr vielleicht den Versuch des Bagatellisierens anrechnen könnte, sie hatte einfach kein Talent dafür, ihn zu belügen. Das war sein Metier. Madiha richtete ihr Augenmerk zurück auf seine Verletzung, während sie sein Hemd so einrollte, dass sie es ihm nicht ausziehen musste, um an die Wunde zu kommen. Er sprach derweil von Ilmy und Madiha fischte seine Wasserflaschen hervor, um die Wunde etwas zu spülen, damit sie unter all dem Blut sehen konnte, wo sie genau begann und aufhörte. Sie war dankbar dafür, dass er Ilmy gerettet hatte und sie war froh, sie bei Dunia zu wissen. Doch das alles konnte nicht aufwiegen, dass sie einen Sterbenden vor sich hatte. Und dass es ausgerechnet er sein musste, der das durchmachte. Madiha zwang sich, die Gedanken zu verdrängen, um sich verbissen an seine Rettung zu machen. Sie wurde bei ihrem Plan gestört, als er plötzlich aufhörte zu sprechen. Sie hob augenblicklich den Kopf: „Caleb?!“, kam es ängstlich von ihr, fasste ihn beidseits am Hals, bis sie spürte, dass er noch atmete. Sie schloss die Augen und atmete tief durch. Sie musste sich endlich zusammennehmen und aufhören wie ein kleines Kind zu weinen. Das half ihm nicht. Die Sarmaerin schaffte es tatsächlich, sich etwas zu beruhigen und die Tränen versiegten für den Moment. Ihr Blick wurde wieder klarer, als sie sich von seinem Gesicht abwandte, um sich die Wunde erneut zu besehen. Ihr kam die Idee, sich in seinen Sachen umzusehen, zu ergründen, ob er etwas bei sich trug, das ihr helfen könnte, doch bevor sie sich an seiner Habe zu schaffen machen konnte, sprach er plötzlich wieder. Das Mädchen saß auf ihren Fersen, als sie zurück zu ihm sah und seine Schilderung ihr eiskalte Schauer bescherten. Verabschiedete er sich gerade?! Madiha spürte den Unwillen in sich aufsteigen. Ihr Gesicht wurde finster und als er ihr erklärte, wie sie sich im Labyrinth zurechtfand, presste sie die Lippen aufeinander, bis sie es nicht mehr aushielt und ihn unterbrach: „Stop! Ich will das nicht wissen, du wirst uns beide hier rausführen und…“, doch ihre Worte konnten Caleb nicht aufhalten. Er erklärte ihr hastig, was sie wissen musste und Madiha lauschte aufmerksam. Sie nahm in sich auf, was er ihr vermittelte, versuchte sich alles gut zu merken und spürte dennoch, wie seine Worte ihr kleine Nadelstiche versetzten. Sie wollte das alles nicht wissen. Er wollte ihr alles sagen, damit sie alleine aus diesen Tunneln fand. Damit sie es alleine schaffen konnte. Damit sie alleine überlebte. Madiha spürte die Wut und das Unverständnis und die Sorge in sich. Sie vermischten sich zu einem klebrigen Klumpen, der sich in ihrem Bauch nach oben schob. Wie war das noch vor so wenigen Augenblicken, die sich anfühlten, als wären sie Äonen her? Sie kannte das Alleine sein, sie kam damit besser zurecht? Waren das nicht ihre Gedanken, als sie geglaubt hatte, Caleb hätte sie zurückgelassen? Und jetzt, wo er drohte aufzugeben, da wollte sie ihn nicht gehen lassen. Madiha griff instinktiv nach seiner Hand, die langsam von ihrem Bein rutschte. Sie umfasste diese mit ihren beiden, viel zu kleinen Händen und drückte sie. „Ruh dich aus… ich … ich bin hier.“, flüsterte sie und schaute ihm ins Gesicht, während er noch mehr Kraft einbüßte. Madiha sah zu, wie seine Schultern erschlafften und seine Hand schwer wurde, in ihrem Griff. Sie zögerte bei seinem verlangtem Versprechen. Danach änderte sich etwas in ihr. Ihre Miene wurde ernst, aber klarer, nicht mehr so verzerrt.

„Nein, Caleb. Wir überleben beide.“, gab sie dann nach kurzen Sekunden zu verstehen und ließ seine Hand los. Madiha würde ihn nicht sterben lassen.
Sie setzte sich eine Maske auf, von der sie nicht mal wusste, dass sie sie besaß. Das Mädchen hatte am Morgen bereits gezeigt, dass sie sich auf die beängstigende Situation einstellen konnte, wenn die Motivation da war. Dunia hatte ihr den ersten Antrieb beschert, in das Gebäude zu laufen, statt davon weg. Caleb gab ihr nun den zweiten. Madiha setzte endlich ihren Plan in die Tat um, seine Sachen zu durchsuchen. Sie fand schnell den Beutel, den er eben erwähnte und löste diesen, von seinem Gürtel. Beim weiteren Durchsuchen, zuckte Madiha kurz zurück, als sie sich an einer versteckten Klinge schnitt, doch sie fühlte sich wie betäubt und nahm den Schmerz gar nicht wahr. Hastig glitten ihre Finger weiter, während sie immer wieder prüfte, ob er noch atmete. Dann fand sie endlich etwas: Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als sie das Verbandmaterial entdeckte. Eifrig löste sie auch dieses von dem Gürtel und dankte stumm Dunia, die sie dahinter vermutete. Das Mädchen hatte keine Ahnung, wie man eine Wunde nähte und es würde sicherlich, sollte er es überleben, keine schöne Narbe geben, doch sie war gewillt alles daran zu setzen, es zu versuchen. Sie erinnerte sich daran, dass Hila, die Sklavin bei Khasib die aufgrund ihrer Schwangerschaft, ihr Leben verlor, oft ihre Sachen geflickt hatte oder die der anderen Mädchen. Sie rief sich die Bilder ins Gedächtnis, die Hila zeigten, wie sie die Stoffe zusammennähte. Sie würde das hinkriegen. Sie musste, es gab keine Alternative, die sie in Betracht ziehen wollte oder konnte. Also öffnete Madiha schnell den Beutel, auf dem sie die Faldorische Fledermaus erkannte. Sie erinnerte sich, dass das der Junge erwähnt hatte und dunkle Schatten huschten über ihr Gesicht, bei dem Gedanken daran. Sie schob ihre Hand hinein und kramte zügig, um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, den Inhalt hervor. Das erste Fläschchen erinnerte sie stark an das, was Dunia zum desinfizieren benutzte. Sie atmete den angehaltenen Atem aus, bevor sie dieses Fläschchen neben den Verband stellte. Dann fingerte sie drei weitere hervor und runzelte die Stirn. Sie verstand nicht, was auf dem Etikett des einzelnen Fläschchens stand und sie hatte keine Zeit, sich damit jetzt zu beschäftigen. Madiha stellte diese erstmal beiseite und widmete sich jetzt der dringlichsten Aufgabe: Sie betrachtete Caleb noch mal argwöhnisch, doch er schien schon ganz woanders zu sein. Sie griff nach dem Etui und öffnete es zitternd. Sie hatte das noch nie gemacht, doch der Wille trieb sie weiter. Sie fädelte den Faden in die Öse, verknotete ihn und holte dann ein paar Mal tief Luft, bevor sie die Wundränder zusammendrücken wollte. Kurz vorher warnte sie den Dieb, nicht wissend, ob er sie überhaupt noch wahrnehmen konnte. „Das wird wehtun… du musst still halten". Und dann wollte sie die Nadel durch sein Fleisch ziehen, doch sie zögerte abermals. Ihre Angst brach sich Bahnen, ließ sie innehalten im denkbar schlechtesten Moment. Madiha biss die Zähne aufeinander und plötzlich wurde eine Stimme in ihr laut: Perfektion verlangte sie. Ihr war, als wäre Dunia neben ihr und schaute ihr über die Schulter.

Die Krankenschwester gab Madiha den nötigen Schub, damit sie sich endlich ans Werk machte. Er hatte nicht ewig Zeit und sie musste zeigen, aus welchem Holz sie geschnitzt war. Also nahm Madiha die Wundränder mit ihrer Linken zwischen Daumen und Finger, zog sie zusammen und setzte beherzt den ersten Stich. Sie brauchte viel mehr Kraft, als sie geglaubt hatte und es war schwierig, die Nadel durch das feste Fleisch zu ziehen. Caleb hatte kein Gramm Fett an sich, doch dadurch war die Haut auch auf Spannung und Madiha musste fest zupacken. Doch mit Dunia in ihrem Kopf, der Angst in ihrem Herzen, schaffte die kleine Sklavin aus der Gosse, jeden Stich zu setzen, bis sie unten angekommen war und die Wunde betrachtete. Die Abstände waren unregelmäßig, nicht immer waren die Wundränder exakt zusammengeführt, doch sie hoffte, dass das die Blutung ebenfalls etwas verminderte. Ihr Herz klopfte so sehr, doch sie gönnte sich keine Pause. Sofort knotete sie den Faden, wusste nicht, ob das ausreichen würde doch grundsätzlich musste er nur überleben, bis sie Hilfe geholt hatte. Jetzt aber goss sie etwas von dem Wundalkohol über die Wunde, um einer Infektion vorzubeugen und verband ihn schließlich mit dem Material, das sie bei ihm gefunden hatte. Madiha wickelte eine Lage, dann nahm sie das Etui, indem Nadel und Faden lag, und benutzte das als Druckmittel, damit die Blutung auch endlich versiegte. Danach wickelte sie so lange, bis sie kein Material mehr hätte und verknotete dieses über dem Etui, um es fest zu fixieren. Sie betrachtete ihr Werk und sah dann zu Caleb. Vorsichtig starrte sie auf seine Brust, ob er noch atmete. Sie fasste ihn am Hals, versuchte den Puls zu finden und stieß dabei eines der Fläschchen um, was ihre Aufmerksamkeit erregte. Sie besah sich die Etiketten, die Farben und versuchte anderweitig herauszufinden, was darin war. Doch nichts gab ihr Aufschluss. Die Flaschen waren dicker, was die Vermutung nahe legte, dass jemand vermeiden wollte, dass sie kaputt gingen. Doch was wusste Madiha schon? Das Wüstenkind fragte sich, ob diese Flüssigkeiten hilfreich sein konnten. Warum sonst, sollten sie in dem Beutel sein? Dass jemand vielleicht Gift dabei hatte, um im Falle des Falles jemanden zu foltern, schob sich nur flüchtig in ihre Gedanken. Sie kannte sich nicht aus mit Kriegslist und trotzdem zögerte sie, die Flaschen einfach Caleb zu geben. Madiha starrte noch einen Moment auf die Flaschen. Doch sie hatte auch den Wundalkohol gefunden und Essen, sowie Wasser. Vielleicht war dieser Beutel für das Überleben bestimmt. Madiha betrachtete die Flüssigkeit. Es war genug darin, damit sie probieren konnte und Caleb ebenso etwas davon haben konnte. Was sollte sie tun? Sie war alleine, niemand da der ihr helfen konnte. Ob Caleb die Sprache verstand? Sie prüfte, ob er ansprechbar wäre. Sie würde ihm die Flaschen zeigen, sollte er in der Lage sein. Doch wenn nicht, würde sie alle Fläschchen nacheinander, blau, violett und schwarz, entkorken und daran riechen. Sie war fest entschlossen, dem Dieb das Leben zu retten. Und wenn es etwas in diesen Flaschen gab, was ihr helfen könnte… dann würde sie es herausfinden wollen. Nachdem sie den Geruch überprüft hätte, würde sie anfangen, den Inhalt zu probieren. Sie würde das blaue zuerst ansetzen und knapp ihre Lippen damit benetzen, um zu prüfen, was passieren würde…
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Erzähler » Sonntag 30. Mai 2021, 12:41

Celcia war eine gigantische Welt voller Wunder und fantastischer Wesenheiten. Die Vielfalt der Geschöpfe wurde nur von ihrer bloßen Anzahl übertroffen und mit jedem Atemzug wurde irgendwo neues Leben geschaffen. Gleichzeitig verging es aber auch andernorts. Wer sich eines hohen Alters erfreuen durfte, hatte viel erlebt. Aufregendes, Erschütterndes, Romantisches. Die Liste schien endlos, aber dies war nur ein Trugbild, genauso wie das Leben selbst. Niemand lebte ewig. Manche gingen mit einem Lächeln auf den Lippen, weil sie viel hatten entdecken und erfahren dürfen. Ihr Körper machte nicht mehr vollends mit, sie hörten oder sahen schlecht oder vergaßen gar die Namen der freundlichen Geschöpfe in ihrem Kreis. Sie wussten, dass es das Beste war, zu gehen. Ihre Zeit kam. Manch anderer aber musste das Kostbarste, woran er hing, viel zu früh hinter sich lassen. Krankheit oder Verletzungen machten keine Ausnahme bei Alter, Geschlecht oder Gesinnung. Sie konnten jeden befallen und zu einem unnatürlich frühen Ende führen.
Für solche Momente wie auch jene, die einem hohen Alter beschieden waren, musste jemand her, der sich um die Gehenden kümmerte. Sie mussten in ihr Nachleben geleitet werden, um Celcia nicht als Geister heimzusuchen. Für solche Momente war die Gestalt des Sensenmannes geschaffen worden. Wer für seine Existenz verantwortlich war, wusste er selbst nicht zu sagen. Seine Erscheiung wandelte sich immer wieder. Am liebsten kleidete sich der Zeitlose jedoch in das schwarze Kuttengewand, das er über seinem skelettierten Körper trug. Bewaffnet mit einer magischen Sense, die unwillige Seelen aus ihren Körpern reißen konnte war er den meisten Celcianern in der Gestalt des Gevatters Tods bekannt. Er zeigte sich als der letzte Reisegefährte, der Wegweiser in die Ewigkeit und Führer verlorener Seelen.
Nur den wenigsten Celcianern erschien er außerhalb ihres zeitlichen Endes. Noch weniger konnten ihn sehen. Für Madiha war die Zeit noch nicht gekommen und so entdeckte sie den zeitlosen Kuttenträger neben sich auch gar nicht. Sie mochte lediglich ein Frösteln verspüren, denn seine Knochen strahlten die Totenkälte seines Gewerbes aus. Er blickte aus leeren Höhlen auf sie herab, richtete die tiefe Schwärze darin dann aber ein Lebewesen weiter. Sein Schädel schien ob der Beschaffenheit stets zu grinsen, doch tatsächlich ampsierten Madihas Worte ihn.
"Daran stirbst du nicht.."
Wenn sie sich da mal nicht täuschte, glitzerte es in den leeren Schädelhöhlen. Der Tod beobachtete die Szene. Noch war es nicht soweit, aber seine Pflicht beinhaltete nun einmal auch, einen Blick auf jene Seelen zu werfen, die an der Schwelle zu seinem Reich standen. Zu dumm, dass er nun hier sein musste. Es gab gerade so viele andere Orte auf Celcia, deren Geschehen er als gut gelaunter Zuschauer lieber beigewohnt hätte. Diese Welt hatte so viel Spannenderes zu erzählen als wieder einen Toten, den er würde mitnehmen müssen. Warum hatte der Gevatter sich noch gleich einen Lehrling gesucht? Sicher nicht, damit jener bei seinen Lehrpflichten so sehr trödelte, nur um die eigene Liebschaft oder plötzlich entdeckte Freunde zu retten. Aber sein Schüler war jung - vor allem im Vergleich zu ihm als Wesen der Ewigkeit! Er würde lernen. Hoffentlich schneller, damit Tod sich selbst etwas entlasten konnte. Er hatte viel zu großen Gefallen daran gefunden, mit im Feuer aufgepufftem Mais in seinem hölzernen Lehnstuhl zu sitzen und das alltägliche celcianische Drama zu betrachten. Er genoss es inzwischen mehr als die üblichen Formate, die man ihm zur Verfügung stellte. "Celcia sucht den Superhelden" oder "Welcher Adlige wird Millionär?" waren längst nicht mehr so spannend wie diese wunderbaren ... Realitätsmomente und Seifenopern. Er sehnte sich in seinen Lehnstuhl zurück, doch jetzt ging es noch nicht. Noch war nicht endgültig klar, ob es ... mit Caleb enden würde.
Der Dieb zeigte sich jedoch nicht mehr allzu lebendig. Auf Madihas verzweifelten Scherz hin reagierte er nämlich gar nicht mehr. Sie konnte ihn atmen hören - schwer, denn es wurde für ihn zunehmend anstrengender. Das Leben sickerte in einem roten Rinnsal aus ihm heraus. Mit zitternden Händen spülte Madiha die Wunde aus. Er zischte, als hätte sie ihm Säure hinein gegossen, aber dann seufzte Caleb geradezu erleichtert. Trotzdem stand ihm der Schweiß nur noch mehr auf der Stirn, rann über seine Haut wie das Blut aus seiner Wunde. Ihnen ging die Zeit aus und mit jedem Sandkorn, welches das Stundenglas der Eixstenz herab rieselte, wurde der Mann vor ihr stiller.
Madiha fragte mit düsterer Vorahnung nach ihm, nannte seinen Namen. Nichts. Atmete er noch? Rasch prüfte sie, ob sein Brustkorb sich noch bewegte. Sie fasste ihm sogar an den Hals, wie sie es oft genug bei Dunia gesehen hatte. Wie fühlte die Pflegerin dort nur, dass etwas lebte? Aber dann spürte Madiha das sanfte Pochen einer Ader unter Fingern und Calebs Haut. Er fühlte sich kalt an. Kalt ... in Sarma...
Plötzlich regte er sich nochmal. Offensichtlich nahm Caleb alle Kraftreserven zusammen, nur um Madiha die Geheimnisse des Wüstendiebbundes mitzuteilen. Nicht, um jene willentlich zu verraten, sondern um wenigstens dem Mädchen die Chance zu geben, heil aus dem Labyrinth zu gelangen. Etwas, das ihm nicht mehr vergönnt sein würde. Hinter den beiden beugte der Gevatter Tod sich etwas tiefer und strich die Klinge seiner Sense mit der Kutte sauber. Es rieselte einfach zu viel Staub in dem niedrigen Gang herunter. Er würde auch die Kutte waschen müssen. Später... sobald das hier vorbei wäre.
Noch zeigten sowohl Caleb als auch Madiha sich rebellisch. Sie wollte dne Dieb nicht gehen lassen und nichts von dem hören, was er ihr sagte. Caleb seufzte und verfiel wieder in Schweigen. Er ruhte, sparte Kräfte, nur wofür? Wenn das Mädchen nicht bald etwas unternahm, brauchte Caleb keine Kraft mehr. Diese Erkenntnis drang endlich zu ihr durch und ließ sie ihre Verzweiflung überwinden. Sie musste jetzt rational sein, einen klaren Kopf bewahren. Sie musste handeln. Also durchsuchte sie sowohl Calebs Sachen als auch jene, die er ergaunert hatte. Die Tränke könnten vielleicht helfen, wenn Madiha nur wüsste, welcher wozu diente. Sie wollte dem Sterbenden nicht auch noch Gift einflößen. Sie stellte die gefundenen Flaschen beiseite, widmete sich lieber ihrem Vorhaben, die Wunde zu vernähen. Das müsste doch funktionieren! Stoff nähte man so einfach, das konnte bei Haut nicht anders sein!
Innerlich sprach sie sich Mut zu, während sie alle Konzentration darauf verwenden musste, den Faden in die Öse zu bekommen. Wie es gelang, würde sie nicht mehr sagen können, aber irgendwann war alles vorbereitet. Hätte sie Dunia aufmerksamer bei ihrer Arbeit zugeschaut, hätte sie nicht nur das Nähen sehen können, sondern auch, dass die Schwester selbst Nadel und Faden stets in den Wundalkohol tränkte, um ihn zu desinfizieren. Doch Madiha hatte es nicht gesehen. Sie konnte von Glück sagen, wenn ihr das Vernähren der Wundränder gelang, denn die Aufgabe entpuppte sich als schwieriger als sie sich diese ausmalte.
Nicht nur musste sie ihre eigene Scheu überwinden, sondern mit der Nadel auch die diversen Hautschichten des Körpers. Das war, als würde man Leder nähen, demnach deutlich dicker als ein einfaches Stück Leinentuch, eine Seidenbluse oder ähnliches. Haut bot einen gehörigen Widerstand und man musste etwas Kraft aufbringen, die Nadel hindurch zu jagen. Kraft und den Willen, dem Patienten zu seinem eigenen Wohl und Überleben etwas Schmerz zuzufügen.
Normalerweise hätte Caleb das gar nicht mehr spüren dürfen. Er befand sich längst in einem geistig anderen Zustand. Aber der Gevatter beugte sich ganz weit über Madiha und ihren Versuch, die Nadel unter die Haut zu bekommen. Er wusste, er sollte nicht eingreifen. Als höheres Wesen musste er neutral bleiben, aber wer war das schon? Und er wusste, dass sie alles in ihrer Macht stehende gab, um diesen Sterblichen zu retten. Mit der Spitze seines Knochenfingers drückte er auf das Endstück der Nadel, dass sie endlich den Widerstand der Haut durchbrach. Ein Zucken glitt als silbernes Blitzen vom Finger des Gevatters über die Nadel und in Caleb hinein.
Er schrie. Er schrie, als hätte Madiha ihn mit einem Eimer heißesn Pechs überschüttet. Er krümmte sich, so dass die Wunde von Neuem schmerzte, blutete und ihre Nadel erst einmal darin hängen blieb. Er sackte zusammen, als die Kraft ihn zusammen mit seinem gequälten Laut verließ, der sich in den Weiten der Tunnel verirrte. Dann lag er da - bewusstlos, aber noch nicht tot. Madiha durfte sich des schrecklichen Anblicks nicht zu lange hingeben. Sie musste nähen. Jetzt noch mehr als zuvor, denn Calebs Bewegung hatte die Wunde erneut zum Bluten gebracht. Also noch einmal spülen, dann wieder die Nadel positionieren und schon konnte es losgehen. Sobald die erste Hürde der Furcht überwunden war, ging es eigentlich recht gut. Madiha war keine Meisterschneiderin. Haut war nicht das beste Material, um eine Naht zu setzen. Aber Trotz war ein guter Antrieb.
Sie verlor sich in ihrer Tätigkeit, bemerkte nicht, wie lange es dauerte. Sie konzentrierte sich so sehr darauf, dass sie auch Caleb immer weiter ausblendete, dessen Atmung mit der Zeit noch flacher ging. Wenigstens hielt er so still. Zu still, wie sie feststellen musste, als die Arbeit getan war und sie ihm die Fläschchen vorhielt, um sie vielleicht zu identifizieren, ehe sie sie probieren wollte. Das konnte er nicht. Weder das, noch antworten. Er lag da - reglos. Leblos. All ihre Mühen ... umsonst.
Hatte sie sich eben geirrt, als sie nochmal seinen Puls gesucht und die Brust beobachtet hatte? War er im Augenblick, da sie die Flasche umstieß, gegangen? Ohne sich zu verabschieden? Der Tunnel wirkte plötzlich noch dunkler, noch kälter. Hinter ihr schaute der Tod auf Madiha herab, während sein Gewand die Umgebung zu verschlucken drohte. Er neigte den Kopf, betrachtete die Szene. Hier war alles getan. Es gab für ihn keinen weiteren Grund mehr zu bleiben. Er packte die Sense weg und schaute zur Seite, wo eine einzelne Laterne in der Finsternis seiner Kutte flackerte. Der tote Schädel grinste auf.

"Die schönste Ablösung, die ich mir vorstellen kann." Tief verneigte sich der Tod vor der güldenen Gestalt, die das einzige Laternenlicht hielt, welches den Tunnel nicht erhellte. Es brannte, aber nicht in der Ebene der Sterblichen. Die Trägerin lächelte dem Gevatter zu und nickte freundlich.
"Du hast geschummelt", säuselte sie.
Tod zuckte mit den Schultern, dass man das Knacken seiner Knochen bis in die Realität hören konnte. "Vermutlich verbringe ich zu viel Zeit mit meiner Bekannten."
"Du magst diese celcianische Göttin..."
"Niemand kann meinen Respekt zu dir ersetzen."
Die Trägerin des geheimnisvollen Lichtes schmunzelte. Dann nickte sie und zog die Kutte des Gevatters beiseite, damit ihr Laternenlicht den Gang erhellte, ohne es wirklich zu tun. Das Licht strömte zu dem reglosen Körper des Diebes. "Lass mich nun meine Arbeit machen."
"Gewiss, meine Herrin." Tod zog sich zurück.

Etwas flackerte aus dem Gang bis zu Madiha herüber. Licht? Sie konnte auch Schritte hören, die langsam die trostlose Stille durchbrachen, welche sich über sie und Caleb gelegt hatte. Das Mauergestein gewann an Farbe zurück. In die verschiedenen Töne von Grau mischten sich mit jedem Schritt, der in ihre Richtung lauter wurde, auch erneut mehr Farben. Dann blendete sie eine Laterne, die an ausgestrecktem Arm in ihre Richtung gehalten wurde. Das Aufblitzen einer Klinge folgte.
"Wer ist das?", fragte eine von zwei Gestalten, die beide eng gedrängt im Gang standen. Hinter ihnen tummelten sich weitere. Das hier war eine ganze Gruppe an vermummten Personen. Der Kleidung nach zu urteilen ließen sie sich niemandem wirklich zuordnen. Der Feind aber waren sie nicht, es sei denn, jener trug ebenfalls Sarmaer Mode. Ihre Sprache klang jedoch so befremdlich. Madiha hatte sie nie zuvor gehört.
"Ein Mädchen. Sie hat nicht geschrien."
"Nein, aber vielleicht der arme Lump dort. Ist das einer von uns?"

Die Laterne wurde angehoben. Die Klinge ebenfalls. Ihre Spitze richtete sich auf Madiha. Eine Warnung, sich nicht zu rühren, während die Vermummten sie und den Reglosen musterten. Plötzlich zuckte der Fremde mit der Laterne. Er machte einen Schritt näher auf den Körper zu. "Ist das ... Caleb? Hat sie ihn umgebracht?"
"Göre, hast du ihn umgebracht? Antworte! Hast du ihn getötet, kleines Miststück?" Die Gestalt mit dem Messer stach in die Luft, so dass er Madihas Gesicht nur knapp verfehlte. Er wollte offenbar sichergehen, eine Antwort zu erhalten, wenn er die Frage sowohl in Sendli als auch auf Celcianisch stellte. Aller Augen ruhten auf Madiha ... und dann drang ein Krächzen zu jedem vorhandenen Augenpaar. Eines, das dem Mädchen inzwischen vertraut war wie die Hand, die zuvor noch an ihrem Schenkel gelegen hatte und nun suchend danach zuckte, ohne die Kraft zum Heben wirklich noch zu besitzen.
"Noch ... bin ich ... nicht ...", brachte Caleb so leise hervor, dass es dem Atemzug einer Maus glich und doch reichte es aus, um alles und jeden hier verstummen zu lassen. Selbst in den hintersten Reihen der Gruppe aus Vermummten hatte man ihn gehört.
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Sonntag 30. Mai 2021, 16:00

Wenn das Mädchen nur geahnt hätte, dass es den Tod in Persona gab, sie hätte ihn sicher wie einen alten Freund begrüßen dürfen. In ihren wenigen Jahren auf Celcia, hatte sie bereits oft die Bekanntschaft gemacht, ohne dass sie je gewusst hatte, dass er tatsächlich anwesend war. Erst starb ihr Vater, dann ihre Mutter. Dann sah sie eine Reihe Sklaven kommen und gehen, bis ihr erster Herr, Abbas, verstarb. Danach Hila und schlussendlich wäre sie beinahe selber mit ihm gegangen. Dass sie überlebte grenzte an ein Wunder und trotzdem folgte ihr der Tod weiterhin auf dem Fuße. Madiha hatte bei dem Angriff viele Eleven sterben sehen und nun fand sie sich erneut in seiner Gesellschaft wieder. Doch sie wollte ihm nicht schon wieder eine Seele überlassen. Nicht dieses Mal, denn es ging hier nicht um irgendwen. Für sie war Caleb nicht irgendwer und der Dieb begleitete sie beinahe ebenso durch das Leben, wie der Gevatter. Wenn sie gewusst hätte, dass es letzterer war, der ihr nun zur Seite stand und tatsächlich das Schicksal lenkte, sie wäre ihm vermutlich in die Arme gesunken und hätte bitterlich geschluchzt. Jetzt jedoch starrte Madiha auf die Nadel, die einfach nicht durch die Hautschicht gleiten wollte. In ihrem Gesicht konnte man ablesen, wie sehr sie sich damit mühte und wie die Verzweiflung einmal mehr von ihr Besitz ergriff. Sie flehte stumm zu der Nadel, rutschte jedoch auch wegen der blutigen Finger immer wieder ab und stach sich beinahe die eigenen Finger wund. Dann, ganz plötzlich, während ein eisiger Schauer über sie niederregnete, glitt die Nadel hindurch. Madiha schnappte nach Luft und das war auch gut so, denn als Caleb so urplötzlich aufschrie, vergaß das Mädchen zu atmen. Das Grauen stand ihr ins Gesicht geschrieben und sie hatte die Augen weit aufgerissen, während sein Schrei sie bis ins Mark erschütterte. Dann verließ ihn die kurze Stärke und sie starrte auf das fahle Gesicht, dem jedwede Verwegenheit fehlte. Sie starrte auf seine geschlossenen Augen und auf seine Brust die sich unregelmäßig und nur schwer bewegte. Madiha’s Herz hämmerte, als wäre sie Kilometer weit gelaufen. Sie war so erschrocken, dass sie die Nadel verloren hatte und sich erstmal sammeln musste, bevor sie endlich wieder klarer denken und vor allem handeln konnte.
Blinzelnd kam sie zu sich und erinnerte sich an das, was sie vorgehabt hatte. Schnell kam Leben in Madiha, während es aus Caleb von neuem wich. Sie spülte die Wunde abermals, griff nach der Nadel und spürte, dass es nun etwas leichter ging. Sie schaffte es, die Hautschichten Stück um Stück zusammenzufügen und konzentrierte sich so sehr darauf, so verbissen, als könnte sie damit alleine sein Leben retten. Erst nachdem sie fertig war, entließ sie ihren Atem und merkte, wie gierig sie nach neuem verlangte. Madiha hob den Blick und schon wieder stockte ihr Herz, schon wieder musste sie mit Entsetzen feststellen, dass Caleb sich nicht mehr rührte. Ihre Augen brannten, während sie sich bemühte ein Lebenszeichen zu erkennen. Während sie da saß und sich nicht zu rühren wagte, hatte sie das Gefühl, dass sie eine tiefe Schwärze umfing. War alles vergebens gewesen? Hatte sie zu lange gebraucht? Hatte es nicht ausgereicht, dass sie versucht hatte, über sich hinauszuwachsen? Für ihn? Das Mädchen wurde eigenartig ruhig, während sich die Dunkelheit auch in ihr selber ausbreitete. Keine Träne rollte über ihre Wange, ihr brannten nur die Augen. Sie hatte genug geweint und alles hatte nichts geholfen. Er… sie hatte es nicht geschafft. Sie hatte versagt. Madiha saß wie erstarrt auf ihren Waden und hatte die Hände auf ihren Oberschenkeln, während ihr Blick auf Caleb ruhte der so furchtbar blass aussah und eine Kälte ausstrahlte, die es in Sarma nicht geben sollte. Sie fühlte sich vollkommen leer und sie war sich sicher, dass sie sich schlicht geirrt hatte, als sie seine Lebenszeichen überprüfte. Es war Wunschdenken von ihr gewesen, so musste es sein. Sie hatte versagt. Die Zeit verging um sie herum, ohne dass sie davon Notiz genommen hätte. Es war nicht mehr wichtig, denn nichts hätte sie jetzt hier wegbewegt. Ihr Blick verschwamm langsam und trotzdem brannte sich sein Gesicht auf ihrer Netzhaut ein und würde nie wieder verschwinden. Ja, Madiha kannte den Tod gut und doch würde sie dieses Mal nicht so leicht vergessen können…
Es dauerte, bis die Sarmaerin überhaupt registrierte, dass hinter ihr ein Licht hüpfte, als es näher kam. Sie nahm die Umgebung kaum wahr und jeder Angreifer hatte es leicht, sie zu überrumpeln oder einfach zu töten. Sie war niemand der geschult war, seine Umgebung wachsam im Auge zu behalten und sie war immer noch völlig erstarrt. Erst als sie von einem Lichtkegel geblendet wurde und die Helligkeit unschön in ihren Augen brannte, blinzelte sie mechanisch und drehte den Kopf. Sie brauchte gedehnte Sekunden, bis sie endlich registrierte, dass ihr Fremde gegenüber standen. Madiha runzelte leicht die Stirn, als wäre sie schwer verständig, doch da zeigte schon eine Klinge auf sie und bedrohte sie. Sie verstand die seltsame Sprache nicht und wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, ob das an ihrem in Watte gepackten Geist lag oder daran, dass es eine fremde Sprache war. Sie registrierte kurz, dass die Männer ebenso vermummt aussahen, wie Caleb bevor sie ihn halb entkleidet hatte, doch darüber hinaus lief die Realität viel zu schnell ab, für ihren Geschmack. Sie war nach wie vor wie betäubt und erst, als die Klinge nur knapp an ihrem Gesicht vorbei glitt, hob sie Deckung suchend, ihre Arme vor das Gesicht. Die nächsten Worte verstand sie dann. Ihr Blick flackerte von den Fragenden zu Caleb. Sie nickte langsam.„In gewisser Weise…“, flüsterte sie und merkte, wie ihre Kehle kratzte. Langsam kehrte das Leben in sie zurück und ihr wurde wieder schmerzlich bewusst, wie sehr sie versagt hatte. Madiha war es egal, wie sie sie nannten. Der Ton, den man ihr gegenüber anschlug, unterschied sich nicht von dem, den sie gewohnt war. Sie ließ den Blick sinken und hatte sich, bis auf ihren Kopf, immer noch nicht gerührt. Sie konnte einfach nicht, sie war wie gelähmt. Sie musste ein schauriges Bild abgeben, wie sie da saß, blutverschmiert an Kleidung, Händen und Gesicht. Das Gesicht verweint, die Augen rot unterlaufen vom Weinen. Ihre Gesichtshaut blass. Es war nur verständlich, dass man dachte, sie hätte ihn getötet. Madiha dachte es auch. Immerhin war sie der Grund für all das. Dass er Ilmy finden wollte. Dass er zurückkehren musste. Alles wegen ihr. Er hatte gesagt er half ihr aus Eigennutz. Und jetzt war er für sie gestorben. Madiha schlug den Blick nieder auf ihre Hände. Dann durchzog ein Krächzen ihre Sinne und sie wagte es nicht, den Blick zu heben. Hatte sie sich verhört? Doch schon kamen einzelne, leise Worte. Bildete sie sich das ein? Die Stille die sich über sie alle legte, machte deutlich, dass die Anderen die Worte auch gehört hatten. Madiha hob den Blick langsam und sah die Hand, die sich zuckend bewegte. Ihr Herz krampfte sich zusammen und plötzlich war es, als hätte jemand ihre Taubheit durchbrochen. Es kam Leben in den jungen Körper und sie wollte aufspringen, um Platz zu machen, doch ihre Beine versagten, so lange hatte sie auf ihnen gekniet. Madiha rempelte gegen die Steinwand und ruckte mit dem Kopf zu den Männern mit den Waffen.„Bitte! Helft ihm! Er braucht Hilfe, einen Arzt. Bitte!“, sie flehte und flehte, dann zitterte sie am ganzen Körper und starrte Caleb an:„Ich tu alles, wenn ihr ihm nur helft.“, schob sie noch leise hinterher, um den Männern keinen Ausweg zu bieten, es nicht zu tun. Sie mussten ihm helfen, sie würde tatsächlich alles dafür tun und es war nicht mal wichtig für sie, ob oder was sie verlangten. Er lebte. Er lebte… für sie zählte alleine das.
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Erzähler » Montag 31. Mai 2021, 15:25

Nicht nur der Gevatter Tod freute sich darüber, dass Caleb noch lebte. Für ihn bedeutete es zum einen weniger Arbeit und zum anderen konnte er zu wichtigeren Dingen zurückkehren. Da war doch noch diese eine Sache mit seinem Lehrling. Ja, das hatte nun Vorrang. Der Dieb käme schon zurecht, schließlich war das einstige Sklavenmädchen noch an seiner Seite. Außerdem hatte sich eine Gruppe Vermummter hinzugesellt. Der Tod konnte sie alle allein lassen. Ihre Zeit war noch nicht gekommen. So verschwand er zusammen mit dem ängstlichen Frösteln, das Madiha nicht nur ob Calebs fälschlichem Dahinscheiden überkommen hatte, sondern auch, weil man eine Klinge auf sie richtete. Doch dass Caleb sich überhaupt noch rührte, ja sogar ein paar gewisperte Worte von sich gab, weckte auch in ihr neue Lebensgeister. Es hatte geholfen. Natürlich ging es ihm nicht blendend, aber er war dem Tod von der Schippe gesprungen. Madiha durfte nun nicht nachlassen. Er war noch nicht über den Berg, aber dass er lebte, erfüllte sie mit neuem Mut. Es reichte aus, den Fremden sogar ein Angebot zu machen.
Die Gestalten sahen noch einmal zu Caleb herüber, dann tauschten sie Blicke aus. Der mit dem Messer zuckte mit den Schultern. Der andere, vom Körperbau deutlich breiter schien zu grinsen. Madiha konnte es hinter Turban und Mundschutz nicht erkennen, aber sie wusste um die Mimik eines lüsternen Bastards, wenn sie in dessen Augen schaute. Darin blitzte es auf und der Fokus galt ihr. Sie konnte förmlich sehen, wie er ihre Gestalt genau analysierte udn anschließend tief Luft holte. Offenbar war es in seiner Hose etwas enger geworden.
Andere der Gruppe schoben den Messerträger nun beiseite, um selbst ebenfalls einen Blick auf das Mädchen und den Dieb zu werfen. Letzterer war bei weitem nicht so interessant für sie. Wie ausgehungrte Wüstenfüchse betrachteten die Personen ihre Beute und selbst wenn Madiha außer Tunika und bequemer Hose dazu nicht viel mehr am Leib trug, zogen sie das wenige an ihr doch schon mit ihren Blick aus. Oh, sie kannte diese Momente. Und trotzdem machte sie den Fremden das Angebot. Außerdem blieb nicht viel Zeit. Calebs Überleben war ihr nun wichtiger. Er brauchte dringend medizinische Versorgung - bessere als sie ihm durch den kläglichen Nähversuch hatte zukommen lassen können.
Noch einmal tauschten die Fremden untereinander Blick aus. Dann trat der breit gebaute Kerl nach vorn, winkte aber einen seiner Schergen mit sich. Diesen wies er sofort an, nach Caleb zu sehen. Madiha erkannte, dass der Geselle nicht viel größer war als sie. Nur der Turban ließ ihn noch etwas hochgewachsener erscheinen. Und ähnlich dürr wie sie musste er auch sein, zumindest sehr schlank gebaut. Man erkannt die umgehängte Ledertasche sofort, weil sie sich von ihm abhob wie die Wölbung am Rücken eines Buckligen. Er kniete sich zu Caleb hin und zog die Tasche nach vorn. Dann kramte er kurz darin herum, ehe er das Hemd des Diebes vorsichtig anhob und ihn untersuchte. In dieser Zeit näherte sich der Breite Madiha noch ein Stück, bis er dicht genug vor ihr stand, dass sie seinen Schweiß riechen konnte.
Er schaute über die Schulter zurück und erneut unterhielt er sich in dieser fremdartigen Sprache: "Was ist? Kriegst du ihn wieder hin?"
"Er hat viel Blut verloren und die Wunde ist mehr als dilettantisch vernäht. Das muss ich auftrennen, aber nicht hier. Er sollte schnell zurück ins Lager, damit er anschließend nicht mehr bewegt werden muss. Aber jetzt ... hm ... wir brauchen eine Trage für ihn, wenn er den Transport überleben soll."

Der Breite knurrte auf und zog dann den Schal vor dem Mund herab. Madiha konnte nun erkennen, dass er einen schwarzen Vollbart trug. Die Haut dahinter war auch ohne all die Schatten recht dunkel. Nicht schwarz, aber von klassischer sarmaer Bräune. Der Mann reckte den Hals, um sich dort am unteren Bartansatz zu kratzen. Madiha entdeckte eine Narbe. Jemand musste einst versucht haben, diesen Kerl zu hängen.
"Es wäre besser, wenn Caleb überlebt - für ihn wie für uns. Besonders für uns." Der Bärtige lachte auf. Seine Kumpane taten es ihm gleich. Es war fern eines freudigen Lachens, denn es steckte zu viel Gier darin. Schließlich winkte er seinen Leuten zu und bellte sie an: "Seht zu, ein Tragekonstrukt zu bauen! Benutzt eure Speere als Stangen!"
"Wir werden auch Stoff brauchen, um es zu einem Tragetuch zu spannen."
"Oh ... ja..."
Schon wandte der Bartträger den Kopf wieder zu Madiha. Nun konnte sie wirklich sein Grinsen sehen. Er besaß einen Goldzahn. Jener blitzte allerdings nicht so hell wie das Begehren in seinen Augen. "Zieh dich aus, Miststück! Dein Freund muss auf eine Trage gelegt werden und wir brauchen Stoff, um sie zu bauen. Außerdem ... sagtest du, dass du alles tun würdest, nicht wahr? Nun, mir fallen da einige Dinge ein. Allzu schön bist du nicht, aber wenn du kniest wie eine Hündin, sieht man sowieso nicht viel von deinem Gesicht."
Hinter seinen Worten lachten die Männer, ehe sie sich daran machten - wohl auf Anweisungen dieses einen mit der Tasche - eine Trage zu bauen. Es fehlte nur Stoff. Zwar könnten sie durchaus auch ihre Vermummung ablegen, doch sie hatten es eindeutig darauf abgesehen, Madiha zu demütigen ... und sich zu entkleiden wäre erst der Anfang.
"Was ist nun, Gör? Wird's bald oder sollen wir Caleb verbluten lassen, hrm?"
Caleb ahnte wohl ebenfalls, was die Kerle von Madiha verlangten. Sie konnte ihn hinter der breiten Gestalt des Bärtigen längst nicht mehr sehen, aber sein widerwilliges Stöhnen drang zu ihr durch. Ihm gefiel es anscheinend überhaupt nicht, welchen Preis das Mädchen für seine Genesung zu zahlen hätte. Doch er war nicht in der Lage, sie aufzuhalten. Vorausgesetzt, Madiha machte nun keinen Rückzieher.
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Montag 31. Mai 2021, 22:13

Caleb lebte. Diese Erkenntnis gab dem Mädchen Hoffnung und schaffte es sogar, dass Bewegung in sie kam. Sie wollte den Fremden Platz machen. Sie verstand zwar nicht, was sie sprachen und hatte diese seltsame Sprache nie gehört, doch sie ging in ihrer Naivität davon aus, dass sie sich um einen von ihnen kümmern würden. Und eben jene Naivität war es, die sie weiter sprechen ließ. Sie wollte um jeden Preis, dass sie dem Dieb halfen und stellte das sicher, wie sie glaubte, indem sie ihnen anbot, etwas für sie zu tun. Madiha dachte in diesem Moment nicht sehr weit und glaubte, dass man ihr Geld abknüpfen wollte, was sie vielleicht abarbeiten könnte, da sie keines besaß. Sie hatte nur Augen für Caleb, während sich die beiden Männer stumm verständigten und der Breitere von ihnen, ein Grinsen aufsetzte. Erst, als es einen Moment zu lange ruhig blieb, wandte das Mädchen den Kopf. Der Blick, der sie traf, versetzte ihr einen Stich. Sie erwiderte das Blitzen in den Augen des Mannes und spürte, wie die unheilvolle Vorahnung, in ihr altbekannte Gefühle wachrief. Ihr Herz setzte für einen Moment aus und ihr wurde schmerzlich bewusst, was sie soeben getan hatte. Sie schaffte es, sich langsam in den Stand zu heben, brauchte aber die kalte Steinwand hinter sich, um sich daran festzuhalten. Sie sah, wie der Breite sich mit seinem Blick einen Eindruck von der Ware verschaffte und schluckte. Wäre Madiha etwas stolzer gewesen, hätte sie verstanden, dass sie nun keine Sklavin mehr war und dass niemand Hand an sie legen durfte, wenn sie nicht einwilligte. Doch sie war weder stolz, noch kannte sie es anders. Sie war in erster Linie eine Frau in Sarma. Damit galt sie bereits seit ihrer Geburt, als wertlos. Und dann wurde ihr, in der wichtigsten Phase ihres Lebens, dem Erwachsenwerden, suggeriert, dass sie zu jeder Zeit und zu jeder Stunde bereit zu stehen hatte, wenn jemandem danach verlangte, sie sich zu nehmen. Dass ihr Angebot nun auf diese Weise ausgelegt wurde, wurde ihr erst jetzt schmerzlich bewusst. So senkte das Mädchen den Blick wieder und verfiel in eine devote Haltung, die ihren Stand deutlich machte. Sie blickte noch mal auf, als sich auch der Rest der Meute verschob, um sie zu begaffen und sie zu beglotzen, als wäre sie das saftigste Kamelfleisch auf dem Markt. Ihr lief es kalt den Rücken runter, doch ihr erneut gesenkter Blick fiel auf Caleb.
Der Dieb sah nach wie vor schlecht aus und er war noch lange nicht über dem Berg. Nein, sie würde alles tun. Und wenn es eben das war, dann zahlte sie den Preis. Mit einem Handel stellte sie wenigstens sicher, dass ihm geholfen wurde, als wenn sie sich einfach nahmen, was sie wollten. Madiha beobachtete, wie der Junge sich an allen vorbeischob und sich hinunter beugte. Sie verkrampfte sich, als er sich die Wunde besah und versuchte zu verstehen, was die Männer sprachen, doch der Sinn der Worte blieb ihr verborgen. Sie riss ihren Blick von dem Dieb am Boden, als sich ein Schatten an den Rand ihres Gesichtsfeldes schob. Der Breite kam näher und wenige Atemzüge später, roch sie den Schweiß. Er war nicht zu vergleichen, mit Caleb's Geruch wie sie feststellte und sie versuchte sich instinktiv wegzuducken. Unwillig kam ein Knurren aus der Kehle des Mannes, bevor er sich das Tuch vom Gesicht zog. Madiha erkannte den Vollbart und ließ ihren Blick einmal mehr über sein Gesicht wandern, jetzt, da es offen lag. Er war ganz eindeutig Sarmaer, das erkannte sie an der Hautfarbe und seiner selbstgefälligen Art, mit der er ihr begegnete. Er entblößt eine Narbe an seinem Hals und der Gedanke, dass sie ihn für seine Aufdringlichkeit ebenfalls hängen wollen würde, hinterließ ein seltsames, neues Gefühl der Aufmüpfigkeit. Kurz blitzten ihre Augen auf, als er grinste, während er sich noch mit dem Jungen unterhielt. Dann jedoch überkam sie erneut ein Schauer, von Ekel ausgelöst. Seine Worte waren wie Peitschenhiebe, erinnerten sie an die Folter, der sie die Narben zu verdanken hatte. Das Mädchen zuckte bei der tiefen Stimme und den herablassenden Worten. Auch wenn sie das durchaus kannte und Beleidigungen oder Übergriffe nichts neues für sie waren, so schmerzte beides jedes Mal. Zudem kam, dass sie bisher nicht auf diese Weise mit ihren Narben konfrontiert wurde und sein Vergleich mit einer Hündin ließ das Mädchen den Kopf senken. Sie ließ die Hände sinken und ballte sie zu Fäusten, während das Gelächter der Umstehenden tief in ihre Seele kroch und ihr das Herz zerdrückte. Madiha spürte die Wut in sich, spürte wie sie ihnen allen das Grinsen aus dem Gesicht wischen wollte. Seine Forderung war grotesk und überhaupt nicht zielführend. Das wusste selbst sie. Ihre Kleider reichten nicht mal ansatzweise aus. Den Bärtigen traf ein Blick, der vor Wut und Unwillen nur so blitzte. Sie hatte die Zähne aufeinander gebissen und ließ einige Sekunden verstreichen, bevor er sie erneut drängte. Sie hätte so vieles sagen können, sie hätte ihm verbal in den Hintern treten können, hätte Stärke beweisen und zeigen können, dass sie wenigstens etwas Stolz besaß. Doch Madiha spürte, wie ihre Vergangenheit sie lachend an die Hand nahm und ihre Wut sich auf und davon machte. An ihre Stelle trat die Sklavin, die sie war und immer sein würde. Sie träumte von einem Leben das besser war als das. Schon immer. Doch jetzt war nicht die Zeit eigennützig zu sein. „Natürlich…“, flüsterte sie fast tonlos und vor allem emotionslos. Madiha tat das aus gutem Grund und so hob sie zitternd die Hände, die keine Zeichen der Wut mehr trugen und hob die Tunika über ihren Kopf. Sie fühlte sich schmutzig und es dauerte länger, bis sie sie endlich ausgezogen hatte. Sie fror. Sie reichte dem Bärtigen das Grün und zog dann die Hose aus. Sie hörte Caleb, doch das war nichts, was er unterbinden konnte. Sie wollte das er die Hilfe bekam, die ihm zustand. Und sie würde alles dafür tun, das hatte sie gesagt. So stand Madiha klein, dürr und frierend in dem Labyrinth, umringt von Männern, ihre Hände vor ihrem Körper, um das Gefühl zu haben, etwas verdecken zu können und hatte den Blick gesenkt. Sie wusste, dass man sie demütigen wollte. Doch sie tat es trotzdem, damit Caleb die Hilfe bekam die er so dringend brauchte. Und wenn sie ihm schon nicht das Leben auf medizinische Weise retten konnte… dann doch damit, dass sie tat wozu sie in ihrem Leben offensichtlich bestimmt war.
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Erzähler » Donnerstag 3. Juni 2021, 01:05

Caleb lebte, aber zu welchem Preis? Er war dem Tod gerade so von der Schippe gesprungen. Viel länger hätte er es nicht mehr gemacht. Das lag nicht an Madihas Unfähigkeit! Sie hatte getan, was in ihrer Position und mit ihrem Wissen möglich gewesen war. Leider hätte es nicht gereicht. Jetzt aber kümmerte sich ein Heilkundiger um ihn, ein richtiger Arzt! Er mochte noch jung sein, kein eigenes Heilhaus haben oder in einem arbeiten, aber das hieß nicht, dass er ein Stümper war. In seiner kleinen Runde aus Wüstendieben besaß er hohes Ansehen und das war gut so. Andernfalls hätten diese gestandenen Kerle und abgerissenen Halunken wer wusste schon was mit ihm angestellt. Der junge Mittzwanziger konnte sich nicht gerade mit Muskeln oder eine lang antrainierten Kampftechnik rühmen. Vielmehr verstand er, Nadel und Faden zu schwingen. So öffnete er Madihas Naht noch während sie den Preis für Calebs Überleben aushandelte. Es war jedoch nicht die Nadelspitze, welche den Geretteten zurück aus seinem verschwommenen Dämmerzustand holte, sondern eine gehörige Portion Wundalkohol. Er wollte schon aufschreien, aber der Heilkundige war vom Fach. Schon stopfte er Calebs Mund mit einem Beißholz aus, in das der meiste Lärm seines Lauts verklang. Er biss ordentlich zu, stöhnte dann, als die Wunde erneut ausgewaschen und desinfiziert wurde.
Als der Schmerz sich in einen akzeptableren Zustand legte, gelang es ihm, den Kopf auf die andere Seite fallen zu lassen, um halb an der Schulter seines Helfers vorbei zu sehen. Er versuchte, etwas zu sagen, doch mit dem Holz zwischen den Zähnen bekam er kein vernünftiges Wort heraus. So konnte er weder den Heiler ansprechen noch einen seiner Begleiter. Erst Recht nicht deren Anführer. Caleb kannte ihn. Er brauchte weder die Narbe am Hals noch den Bart oder die skrupellosen, braunen Augen zu sehen, um zu wissen, wer da Madiha gegenüber stand. Er wusste, wer sie gerade dazu aufforderte, sich auszuziehen.
"Nnnhhggg!" Caleb wand sich. Es misslang. Er besaß kaum noch Kraft und konnte sich glücklich schätzen, überhaupt noch genug für irgendeine Form der Rebellion aufbringen zu können. Jene wurde sofort und mit erschütternder Leichtigkeit vom Heiler unterbunden, indem er seinen Unterarm gegen Calebs Brust presste.
"Es genügt", raunte er ihm zu. Caleb brauchte einen Moment, um das Rendinea in seinem Kopf zu übersetzen. Dann schüttelte er diesen in einer kaum merklichen Bewegung und gab erneut stöhnende Laute von sich. Von all dem bekamen sowohl Madiha als auch die Gruppe aus Vermummten nichts mit. Die Männer umringten das Mädchen nun, welches sich splitternackt ausgezogen hatte. Sie konnte die Blicke auf sich spüren, als würden diese Kerle bereits mit ihren großen, forschen Händen ihren Körper entlang fahren. Dann wurde sie von dem Rädelsführer am Handgelenk gepackt. Er besaß Kraft. Sicher stand Caleb ihm in nichts nach, doch der Bärtige hielt sich dabei nicht zurück. Caleb war immer höflich mit Madiha umgegangen, hatte ihre Gegenwehr respektiert und sie nicht gezwungen. Er hatte sie anerkannt, selbst als junge Frau. Hier im Kreis der Halunken war sie nicht einmal das. Hier war sie nichts weiter als ein Objekt. ein Preis für Calebs Überleben und es sah nicht danach aus, als würde sie diesen nur an den Bärtigen entrichten müssen. Andere in der Gruppe lösten bereits die Schnallen ihrer Gürtel, schoben Stoff beiseite und sie konnte bei mindestens zwei sehr Ungenierten unter ihnen sehen, wie bereit sie waren, den Tribut von ihr einzufordern. Einer davon rückte schon näher. Seine Pranke grabschte nach vorn und an ihren Schenkel um das Zentrum ihres Körpers zu finden. Der Mann wurde vom Bärtigen mit einem harschen Bellen aufgehalten.
"Zurück!", richtete er dann das Wort an die übrigen. Wieder benutzte er diese fremdartige Sprache. Es wirkte. Die anderen Männer wichen etwas zurück. Der Anführer schnaufte. "Die kleine Schlampe gehört erst einmal mir. Wenn sie gut genug ... geschmiert ist, könnt ihr euch an ihr austoben."
"Nehmen wir sie anschließend mit ins Lager?"
, fragte einer der beiden Überwilligen. Er massierte bereits eine Waffe, die keine Wunden schneiden, aber dennoch verletzen konnte. Sie zerriss Seelen. Er musste etwas gefragt haben, denn der Bärtige brummte, dass es nachdenklich klang. Handelte man hier gerade aus, wem Madiha zuerst gefallen musste?
"Wenn ihr sie nicht zu sehr ... kaputt macht wie die Letzte, nehmen wir sie mit. Bestimmt gibt's einen guten Preis für sie in einem der Bordelle. Ich bin sicher, dass selbst die verfluchten Dunkelelfen mit sich handeln lassen, wenn man ihnen nur genug Fleisch vorwirft. Bis dain halten wir uns aber bedeckt."
"Harhar und decken die Kleine hier. Sie wird uns dienlich sein, solange wir uns nicht zu unseren Huren an die Oberfläche wagen können."

Die Männer stimmten ein Gelächter an. Dann war es der Bärtige, der Madiha nun ohne Vorwarnung zwischen die Beine langte. Seine Finger waren grob, lösten düstere Erinnerungen in dem Mädchen aus. Erinnerungen an eine schwere Zeit, aus der sie beinahe erlöst worden wäre. Zunächst im Glauben daran, sterbe zu dürfen und dann von Caleb, der sie in die Feuerakademie Cassandras rettete. Leider ging es schief und nun sollte sie in ein ähnliches Schicksal zurückkehren wie sie es früher gelebt hatte. Grob drängten sich die großen Finger in ihren Leib, bewegten sich ohne jegliche Vorsicht und nur darauf aus, sie schnellstmöglich für mehr vorzubereiten. Die andere Pranke des Mannes hielt sie nach wie vor fest. Die übrigen Männer durften nicht so mit ihr umgehen. Es hinderte sie aber nicht daran, Madihas empfindliche Stellen zu berühren. Der Anführer ließ dies wohl zu und schon bald konnte sie kaum mehr eine Körperstelle benennen, die nicht angefasst wurde.
Im Hintergrund musste Caleb dies alles mit ansehen. Selbst sein schwacher Zustand konnte keinen Schleier über den Schrecken legen, der ihm sich dort bildich bot. Er rührte sich immer mehr, so dass der Heiler nicht dazu kam, die Wunde anständig neu zu vernähen. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, Caleb ruhig zu halten.
Plötzlich wurde Madiha emporgehoben. Mehrere Männer aus der Gruppe hielten sie in der Luft und zogen ihre Beine weit auseinander, damit sie sich dem Anführer vollends präsentieren konnte. Er leckte sich über die Lippen und schnürte nun endlich auch seine Hose auf. In diesem Moment gelang es Caleb im Rücken des Mannes das Beißholz auszuspucken und mit trockener Kehle zu krächzen: "Er soll ... meine Tochter ... sie ist meine Tochter!"
Niemand hörte ihn, außer der Heilkundige. Caleb warf ihm einen flehenden Blick zu. "Devin, bitte. Sie hat doch ... mit all meinen Taten ... nichts zu tun ... bitte ..."
Der Heilkundige - Devin - stockte. Er erwiderte Calebs Blick, spähte dann über die Schulter zu seiner Gruppe herüber. Was konnte er schon ausrichten? Genug offenbar, denn er rief laut: "Sie ist Calebs Tochter! Haraam, such dir eine andere. Er wehrt sich und das ist nicht gut für seinen Zustand. Wenn du jetzt deinen Spaß mit seinem Mündel hast, wird er sich zu Tode zappeln. Und dann ... zahlt niemand die Schuld zurück."
Niemand außer Madiha, doch selbst ihr Körper wog nicht so schwer, um alles zu begleichen. Welchen Berg an Gefallen trug Caleb mit sich herum, dass der Bärtige - Haraam - tatsächlich auf die Worte des Heilers hörte? Noch ehe er Madiha ein schlimmeres Leid antun konnte, zog er sich zurück. Und auch die anderen setzten sie unter missmutigem Geknurre ab. Dennoch, man hielt sie immer noch fest. Das dumme Dinge sollte keinen Schaden anrichten.
Haraam packte plötzlich aber nach ihrem Kinn, um das Gesicht anzuheben. Er musterte Madiha genau, allerdings ohne Begehren. Seine Augen fuhren an ihren Narben entlang, betrachteten ihr Gesicht, die Haare und auch nochmal ihren zur Frau reifenden Körper. "Du hast nicht wirklich Ähnlichkeit mit Caleb. Bist du wirklich seine Tochter, Miststück? Lüg mich an und du wirst für den Rest deines Lebens Schwänze lutschen, das verspreche ich dir!"
Im Kreis der Männer hoben einige aufmerksam die Köpfe. Es gab wohl auch Männer, die hofften, dass Madiha nicht von Caleb abstammte oder wenigstens eines äußerst schlechte Lügnerin war.
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Donnerstag 3. Juni 2021, 13:43

Madiha spürte, dass sich in ihr Rebellion regte. Oder zumindest Unwillen, nachdem sie auch die Hose ausgezogen hatte. Sie war völlig verkrampft und fühlte sich hundeelend. Die Augen der Männer, die näher rückten, lösten immer wieder kleine, eiskalte Schauer aus, die ihr über den Körper liefen. Ihre Kehle war so trocken, dass sie fürchtete wenn sie noch irgendetwas sagte, dass sie aufreißen und bluten könnte. Sie konnte Caleb längst nicht mehr sehen, als sich der Anführer vor sie schob und es war wohl auch besser so. Während sie nackt in der Höhle der Löwen stand, kroch ein unbändiges Schamgefühl in ihr auf, das sie bis dahin nicht gekannt hatte. Madiha war es zwar gewohnt, dass man sie begaffte und wie Vieh auf dem Markt begutachtete, ob sie die Wünsche desjenigen erfüllen könnte, der sie haben wollte. Kahsib hatte nicht selten Gäste bei sich und wie konnte man diese, neben Wein und süßen Früchten, besser bei Laune halten, als mit den Sklavinnen? Doch jetzt, hier mit ihrer neugwonnenen Freiheit, die sie seit einigen Wochen leben durfte, veränderte sich etwas in ihr. Sie wollte das nicht. Plötzlich schnellte die Hand des Anführers nach vorne und packte sie. Madiha zuckte zusammen und spürte die grobe Kraft hinter seiner Hand. Ihr Blick flackerte von ihrem Handgelenk, zu seinem Gesicht und weiter zu den Umstehenden. Sie erkannte die Gier ganz deutlich und sah, wie hinter der Vermummung die Männer geiferten. Nachdem Madiha ihren Blick schnell wieder senken wollte, sah und hörte sie, wie man sich bereit machte, sich ebenso an ihr zu vergehen. Erschrocken blickte sie den Anführer an, als ihr klar wurde, dass es nicht darum ging, ausschließlich ihm zu Willen zu sein, sondern den anderen ebenso. Wie konnte sie bloß so naiv sein? Ihr Magen rebellierte plötzlich und noch mehr Farbe wich ihr aus dem Gesicht. Konnte man sich noch schlechter fühlen? Madiha hätte wohl in diesem Moment mit nein geantwortet. Ihre Knie wurden weich und ihr drohte schwindelig zu werden, doch der Griff hielt sie davon ab, einfach zusammen zu sacken. Während sie doch noch mal hilfesuchend Caleb ansehen wollte, spürte sie augenblicklich eine Hand an ihrem Schenkel. Sie fuhr zusammen und zuckte instinktiv zurück, als der Anführer auch schon bellte und ihr einen erneuten Schreck einjagte. Sie starrte das bärtige Gesicht an, ihr Herz hämmerte wie wild und alles in ihr wollte weg von hier. Sie wollte sich losreißen, ja bewegte sogar ihre Hand, doch das merkte die große Pranke gar nicht. Nein, sie wollte das nicht, sie wollte fliehen, weit weglaufen, schnell weg und sich verkriechen. Die unbekannten Worte wirkten schaurig und dass sie nichts verstehen konnte, verbesserte ihre Lage einfach nicht. Was beredeten die Männer da? Madiha krampfte sich erneut zusammen, als ihr der Gedanke kam, dass sie die Reihenfolge bestimmten. Das was sie erlebte, kam täglich vor in Sarma. Frauen die gegen ihren Willen festgehalten und geschändet wurden. Frauen, die Prügel einstecken mussten, für nichts und wieder nichts. Es war eine grausame Welt in der das Mädchen sich nach einem anderen Leben sehnte. Madiha spürte, dass sie sich übergeben musste, als die Männer kollektiv lachten. Was auch immer besprochen wurde, nicht einer hatte Mitleid mit ihr. Sie waren sich alle einig in ihrem Tun. Hätte das Mädchen nicht vor Stunden das letzte Mal gegessen, sie hätte dem Bärtigen sicher auf die Füße gespuckt. Doch so würgte sie nur elendig und schlug ihre freie Hand vor den Mund, während sich ihr Körper nach vorne beugte. Noch bevor sie sich davon erholt hatte, spürte sie etwas, was sie vollkommen erstarren ließ. Grob war die Hand, die sich an ihrer Mitte verging und rau waren die Finger, die sich ungefragt Einlass gewährten. Madiha keuchte auf, nicht vor Lust, denn das empfand sie in keiner Weise, sondern vor Überraschung. Sie spürte wie er sich zu schaffen machte, wie es wehtat und sie nicht nur dort verletzte, wo die Finger so unwirsch ihren Dienst taten. Es dauerte so furchtbar lange… Madiha presste die Augen zusammen und die Lippen aufeinander, versuchte dem zu entgehen und konnte dennoch nichts ausrichten. Ihr Kopf verlor jegliche Gedanken, als sie die Hände der anderen auf sich spürte. Das Mädchen öffnete die Augen nach einer halben Ewigkeit wieder und jegliche Emotion glitt ihr aus dem Gesicht. Ihre Augen bekamen einen trüben Ausdruck, ihr Körper rebellierte nicht mehr. Sie zog sich zurück, versuchte es einfach nicht zu spüren… hoffte, dass es schnell gehen würde, dass sie es überleben könnte. Caleb hatte sie gewarnt. Jetzt zahlte sie den schlimmsten Preis für ihren Ungehorsam. Madiha nahm nur noch am Rande wahr, dass ihre Füße plötzlich den Boden nicht mehr berührten, spürte die Dehnung ihrer Schenkel und sah aus verschwommenen Blick, dass sich der Anführer die Hose öffnete, um sie endgültig und komplett zu zerstören. Sie hörte die Worte nicht, die von Caleb kamen. Und selbst wenn, hätte sie sie nicht verstehen können. Sie merkte kaum die Verzögerung, die zustande kam, als der Heiler mit dem Anführer sprach. Madiha hing in den Fängen der Männer und wünschte nur, dass sie es endlich hinter sich bringen würden und sie dann in Ruhe ließen. Dass sie den Preis für seine Rettung gezahlt hätte. Doch dazu kam es nicht. Madiha spürte den Boden wieder unter ihren Füßen, als sich der Stein kalt wie Eis anfühlte. Sie fröstelte nicht, sie fühlte gar nichts. Sie hätte nicht alleine stehen können, wäre sie nicht erneut grob gepackt worden. Sie glaubte schon, dass er sich jetzt nicht mehr zurückhalten konnte, als er plötzlich Sendli mit ihr sprach. Madiha brauchte lange, um die Worte überhaupt durch ihren Schleier aus Selbstschutz und zerbrochener Seele zu lassen. Sie blinzelte, wollte zu Caleb schauen, als sie verstand, doch der Griff verhinderte, dass sie sich bewegen konnte. Dann öffnete sie den Mund, um etwas zu sagen, doch es kamen einfach keine Worte. Sie holte Luft und setzte neu an, räusperte sich kläglich und brachte dann nur ein verängstigtes "Es ist wahr…“, zustande nicht wissend, ob sie glaubhaft genug war doch wie sollte sie ihm jetzt auch mit vollster Überzeugung eine Lüge präsentieren. Jetzt? In ihrer Situation? Das einzige, was sie den Worten beimischen konnte, war die Hoffnung, dass er ihr glaubte. Und dass diese Lüge, zum zweiten Mal erzählt, griff, damit man sie in Ruhe ließ. Damit sie die letzten Reste ihrer zerbrochenen Seele zusammenkratzen konnte, um vielleicht nicht gänzlich an dem soeben Erlebten zu Grunde zu gehen.
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Erzähler » Sonntag 6. Juni 2021, 09:42

Nicht einmal die Worte, die der Heilkundige Devin an Haraam richtete, genügten Caleb, um sich zu entspannen. Er zappelte weiter, um auf sich aufmerksam zu machen und das schlimmste Schicksal für Madiha zu verhindern. Niemand außer Devin achtete auf ihn. Dieser aber packte Caleb nun an der Schulter, um ihn bestimmt gegen die Wand in seinem Rücken zu pressen. "Es genügt jetzt", raunte er ihm zu. "Die Entscheidung kannst du ohnehin nicht verhindern. Aber deine Wunde könnte bei jeder unnötigen Bewegung weiter aufreißen. Halt still, damit ich die letzten Stiche setzen kann." Er wartete keine Antwort ab, sondern klemmte dem Verletzten das Beißholz zurück in den Mund. Dann griff er wieder zu Nadel und Faden, ungeachtet dessen, was in seinem Rücken geschah. Caleb ließ es geschehen, aber er schaute sehr genau in Richtung Haraam und dessen Schergen. Er konnte nur hoffen, dass seine Worte, gesprochen durch Devin, nicht auf taube Ohren träfen. Unter leisem Winseln ob der schmerzlichen Behandlung beobachtete er, was sich abspielte.
Nach wie vor hielten einige der sarmaer Handlanger Madiha empor und Haaram starrte auf sie herab. Er erhielt einen weiten Einblick, interessierte sich plötzlich aber nur noch bedingt dafür. Nur Madihas Narben hatte er noch weniger zur Kenntnis genommen. Seine wachen, bösen Augen fixierten sie. Er forderte den Blickkontakt heraus, während er auf eine Reaktion des Mädchens wartete. Oh, er suchte nach der kleinsten Lüge in ihren Worten. Ihm war zuzutrauen, dass er - sollte er sie finden - sofort eine Klinge zückte.
Zu Madihas Überraschung setzte man sie dann auf den bellenden Befehl Haraams hin ab. Beinahe wäre sie eingeknickt. Obwohl sie wieder den sandigen und kalten Steinboden unter ihren Füßen spüren konnte, fühlten ihre Gliedmaßen sich weich und taub an. Und obwohl sie geschlafen hatte, wollte sie es am liebsten erneut tun. Rettung aus der Realität und hinein in Manthalas Domäne, auf der Suche nach einem friedlichen Traum. Es würde eine Weile ablenken, aber sobald man erwachte, kam die Erkenntnis, dass jeder noch so gute Traum am Ende auch nur eine Lüge war. Eine wie jene, die Madiha nun vorgaukeln musste. Caleb hatte es nun schon mehrmals angerissen und sie als seine Tochter ausgegeben. Wann würde diese Lüge sich wie eine Wahrheit anfühlen? Vielleicht, wenn man sie oft genug daher sagte. Im Moment könnte sie aber Madihas Leben gewährleisten, also musste sie glaubwürdig klingen. Das war angesichts des frisch Erlebten und dessen, was ihr vielleicht doch noch bevorstehen könnte, schwieriger als gedacht. Sie konnte das Zittern in ihrer eigenen Stimme hören, die kaum lauter als das Fiepsen einer Ratte zu sein schien. Aber sie bestätigte Calebs Worte. Sie gab sich als dessen Kind aus.
Wie lange mochte sie dies tun können? Das Kartenhaus bräche ein, das wusste sie. Wenn Haraam nur noch weiter mit diesem eiskalten Blick auf sie herabstarrte, würde sie aufgeben. Der Mann besaß ein Talent dafür, ohne ein einziges Wort alles aus seinen Opfern herauszuholen. Seine kalten Augen hinterließen tatsächlich mehr Eindruck als seine harschen Worte. Aber auch Caleb hatte wohl Spuren hinterlassen.
"Gut", brummte der Kerl und nickte einem seiner Schergen zu. Dieser hob unter Zögern ihre Tunika unf die Hose auf. Beides warf er dem Mädchen über die Schulter. "Zieh dich an, Tochter eines Tunichtguts. Wir müssen los!" Haraam verteilte noch einige Anweisungen an seine Leute, erneut in der befremdlichen Sprache. Viele stöhnten missmutig auf. Sie hatten sich wohl wenigstens ein kleines Schäferstündchen mit Madiha erhofft. Dass sie allesamt nun leer ausgingen, weil sie die Tochter Calebs sein sollte, stimmte keinen von ihnen zufrieden. So warfen sie im Vorbeigehen und während sie ihre Hosen wieder zuschnürten finstere Blicke in Madihas Richtung. Dann packte Haraam sie erneut am Handgelenk.
"Sieh zu, dass er bei Bewusstsein bleibt! Dein ... Vater wird mir einiges erklären müssen." Grob schleuderte sie ihn in Richtung des verletzten Diebes. Der Heiler hatte die Wunde bereits zugenäht und legte nun noch einen Verband um Calebs Hüfte. Bis sie loszogen, sollte es aber noch dauern. Caleb blieb bei Bewusstsein, aber kaum ansprechbar. Er hatte seine letzten Reserven dafür aufgebraucht, Madiha erneut zu retten. Nun konzentrierte er sich darauf, einfach am Leben zu bleiben.
Derweil baute die Halunkentruppe eine Trage zusammen. Wie angenommen benötigten sie Madihas Kleidung nicht. Sie griffen auf Teile ihrer Vermummung zurück, so dass das Mädchen bald viele der Gesichter erkennen konnte. Das waren allesamt abgerissene Gestalten und alle älter als sie und Caleb. Oder - in Calebs Fall - mindestens gleichaltig. Nur der Heiler Devin bildete eine Ausnahme. Madiha blieb in seiner Nähe, weil sie zwangsläufig ja in Calebs Nähe bleiben sollte und vermutlich auch wollte. So gab ihr der schlaksige Arzt wenigstens Auskunft.
"Sein Zustand ist kritisch, aber er wird es schon überstehen", erklärte er, während er seine Utensilien zusammenräumte. "Er hat viel Blut verloren, das macht mir am meisten Sorgen. Aber er fiebert nicht und das ist wiederum ein gutes Zeichen. Trotzdem würde ich mir wünschen, einen Trank der Stärkung dabei zu haben. Den könnte er jetzt wirklich gebrauchen." Devin zögerte. "Äh ... also im Lager haben wir genug davon. Ich weiß nur nicht, ob ich einen ohne Gegenleistung bekomme und .. ich weiß nicht, ob ...". sein Blick huschte flüchtig zu Haraam, "ob man mir erlaubt, die Vorräte für ihn aufzubrauchen. Aber wenn wir es schaffen, ihn sicher ins Lager zu tragen, hat er das Schlimmste überstanden. Der Transport wird ihm wegen des Schaukelns wohl noch die größten Unannehmlichkeiten bescheren. Am besten achtest du darauf, dass dein Vater so ruhig wie möglich liegt." Er schmunzelte leidlich. "Caleb und Vater ... das hätte ich nie gedacht. Wo sie ihn doch allesamt noch den Unberührten schimpfen."
"Unberührt? Er ist 'ne verdammte Jungfrau!"
, lachte eine der Diebe auf, die sich nicht am Bau der Trage beteiligten, sondern so einfach nur Platz im Gang einnahmen. "Der Bastard weiß doch gerade mal, dass er mit seinem Ding pinkeln kann, ha!"
"Falls er überhaupt 'n Schwanz hat und da nichts nach innen wächst"
, mischte sich ein anderer ein. Die beiden Diebe klopften sich amüsiert die Schultern. Niemand verteidigte Calebs Ehre, nicht einmal er selbst. Aber dazu war er auch gar nicht in der Lage.
"Sind wir bald soweit? Ich will aufbrechen", zeigte Haraam sich langsam ungeduldig. Dass er Madiha nicht hatte haben können, nagte an ihm wohl am meisten. Seine Laune schien im Keller, seit er sie als Tochter des Verletzten sah. Ob das später noch Konsequenzen hätte, würde sich zeigen müssen. Jetzt hieß es erst einmal, aufzubrechen.
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Dienstag 8. Juni 2021, 08:01

Madiha war in ihrem Leben viel mehr Erniedrigung, Entbehrung, psychischem sowie physischem Schmerz ausgesetzt gewesen, als allem anderen. Liebe oder Geborgenheit hatte das Mädchen bisher nicht kennengelernt und so wurde sie gut darin, sich den immer neuen Gräueltaten an ihr, zu unterwerfen. Doch etwas hatte sich verändert und sie wusste nicht so recht, was es war. Ob das daran lag, dass sie wesentlich freier war, als sie selber bewust wahrnahm? Es dauerte vielleicht noch, bis sie sich dessen deutlich bewusst wurde. Denn jetzt hier zu stehen, umringt von Männern die ihr nichts Gutes wollten, war nicht die erste Begegnung dieser Art. Und auch die Gestalten, die hier standen und ihr mit ihren Blicken, die Haut abzogen waren ihr nicht unbekannt. Sie alle bekamen den gleichen, gierigen Ausdruck im Gesicht, wenn sie sich bewusst wurden, dass sie tun und lassen konnten was sie wollten. Sie alle hatten dieses feine Grinsen, mal mehr mal wieder zur Schau gestellt, wenn es darum ging, den Trieben zu frönen. Madiha schaute immer wieder, wie durch einen Schleier, in ihre vermummten Gesichter. Sie suchte vergeblich nach jemandem, der ihr nicht etwas Böses wollte, der Erbarmen zeigte oder zumindest ein Gewissen. Doch sie konnte es nicht erkennen und so ließ sie den Blick wieder sinken, bis sie gezwungen wurde, aufzusehen. Die Hand an ihrem Kinn war rau und grob, der Blick, der sie traf, war bohrend und eiskalt. Ihr lief ein Schauer über den nackten Rücken. Die Narben ziepten, als sie die feinen Härchen aufstellten. Madiha schluckte, spürte erneut die ausgedörrte Kehle und nahm die groben Griffe an ihren Armen und Beinen am Rande wahr. Ihr Herz pochte und der Schleier, der sie umgab, als sich der Anführer so gnadenlos an ihr zu schaffen gemacht hatte, ließ sie die Worte verzögert wahrnehmen. Madiha versuchte einen Blick auf Caleb zu erhaschen, nachdem sie endlich den Sinn hinter den Worten verstanden hatte, doch der Blick wurde ihr von dem Bärtigen verstellt. Er flatterte zurück zu diesem, um dann in mehreren Anläufen der Lüge neue Nahrung zu geben. Das Mädchen aus Sarma versuchte so glaubhaft wie möglich zu klingen, hatte jedoch große Mühe damit. Nicht zuletzt, weil er sie so schneidend ansah. Seine Augen bohrten sich regelrecht in sie und schienen dort, tief in ihrem Innern, nach der Wahrheit greifen zu wollen. Er musste nicht mal etwas sagen, damit Madiha sich noch schlechter fühlte. Sie hatte verstanden, dass Caleb ihr -schon wieder- und trotz seiner eigenen Situation, helfen wollte. Sie wollte ihn nicht schon wieder enttäuschen, sodass sie es irgendwie schaffte, dem Blick nicht alles offenzulegen, was der Wahrheit entspräche. Sie schaffte es, den Blick zu halten. Das mochte nicht zuletzt an ihrem Zustand liegen, dass sie sich in sich selbst zurückgezogen hatte, doch noch bevor er etwas sagte, wurde sie zurück auf den Boden gesetzt. Sie zuckte, als der kalte Stein an ihre Fußsohlen gelangte, nur um dann festzustellen, dass sie nicht alleine stehen konnte. Sie fühlte sich so unsagbar müde. Sie wollte schlafen, für eine sehr, sehr lange Zeit. Sie wollte sich in ihr Bett im Krankenflügel legen, den Kopf in das Kissen drücken und so lange schlafen, bis sie alles vergessen hätte. Bis sie die Bilder nicht mehr sehen würde. Den Schmerz nicht mehr fühlen musste. Es wäre ein langer Schlaf und vielleicht der letzte. Madiha wusste, dass sie dem Bärtigen nicht mehr lange Stand halten konnte. In seinem Blick lag nun keine Begierde mehr, sondern kalte Berechnung die er sicher nicht das erste Mal anwandte. Sie drohte unter der Last , die diese Augen erzeugten, einzuknicken doch dann ließ er tatsächlich ab von ihr. Sie hielt den Atem an, während er sprach und wagte eine leise Hoffnung in sich aufkeimen zu lassen, dass die Tortur vorüber wäre. Und tatsächlich sah sie, wie einer seiner Männer ihr die eigene Kleidung zuwarf. Madiha griff instinktiv danach, damit sie ihr nicht wieder entglitten und wartete dann gehorsam, auf die Anweisung, sich anziehen zu dürfen. Nach dieser konnte es dem Mädchen gar nicht schnell genug gehen, sich den schützenden Stoff, der niemals eine Klinge abhalten würde und doch einer Rüstung für sie gleichkam, überzuziehen. Sie schloss die Augen, als sie den Stoff an ihrem Körper spürte. Ihr entgingen dadurch die missmutigen Blicke der Anderen und vielleicht war das auch besser so. Erst der erneute Griff an ihrem Handgelenk, holte sie zurück in die Situation. Ängstlich zog sie die Augenbrauen zusammen, dachte kurz, dass es doch noch nicht vorbei wäre, bis sie mit einem Stoß nach vorne taumelte und ihre Beine gar nicht schnell genug hinterher kamen. Sie strauchelte, versuchte nicht zu fallen und fing sich an der gegenüber liegenden Wand ab. Ihr Herz pochte so laut, dass sie sich nicht vorstellen konnte, dass es irgendjemand in diesem Gang nicht hörte. Doch der Blick des Mädchens fiel auf Caleb und den Arzt. Er hatte bereits die Wunde versorgt und wickelte einen Verband um die Hüfte des Verletzten. Madiha stand für einen Moment reglos da, betrachtete Calebs Gesicht und biss die Zähne aufeinander. Sie verbot sich in diesem Moment, sich mit dem Erlebten auseinander zu setzen. Madiha verdrängte die Bilder des Schwerverletzten Caleb, ihrer Hilflosigkeit, sein Sterben… sie verbot sich daran zu denken, wie sie naiv versucht hatte, ihm Hilfe zukommen zu lassen und wie sie dafür behandelt worden war. Madiha verdrängte und es gelang ihr so gut, dass sie tatsächlich ruhiger wurde und die Farbe, in ihrem Gesicht, in Teilen zurückkehrte. Noch immer sah sie mitgenommen aus, verweint, schmutzig von Staub und Blut, nicht gerade eine Augenweide eben und doch gewann sie etwas mehr Haltung zurück, während die hellen Augen aus dem Dreck in ihrem Gesicht, Caleb entgegen blickten. Während der Arzt nun das Wort ergriff, ließ die einstige Sklavin von Caleb ab und sah fragend in seine Richtung, bis sie verstanden hatte, dass er sie informieren wollte. Sie hörte ihm zu und nickte stumm, dass sie verstanden hatte. Dann holte das Mädchen stockend Luft, um den Heiler anzusprechen: „Danke..“, flüsterte sie und hätte gar nicht lauter sprechen können, selbst wenn sie gewollt hätte. Madiha schaute zurück zu dem Mann, der ihr in ihrem Leben immer wieder aufs Neue begegnete und griff nach seiner Hand. Sie drückte diese, wollte dass er wusste, dass sie da war und er ihr geholfen hatte. Sprechen konnte Caleb nicht und der Arzt bestätigte diesen Eindruck, indem er ihr klar sagte, wie geschwächt er war. Es dauerte einen Moment, bis sich hinter der vernarbten Stirn des Mädchens die Rädchen zu drehen begangen. Trank der Stärkung? Hatte er nicht so etwas gesagt? Madiha ließ die Hand Caleb’s los und schaute zurück zu dem Jungen, der als einziger in dieser Runde wohl eher in ihrem Alter, oder etwas älter, war. Madiha wusste nichts mit solchen Tränken anzufangen und kannte sich auch nicht damit aus, wie so etwas überhaupt hergestellt wurde, doch etwas in ihrem verdrängendem Gehirn, ließ der Kombinationsgabe Platz und so wandte sie sich hektisch um, richtete den Blick auf den Boden und suchte diesen ab. Madiha fand den schwarzen Beutel mit der Fledermaus in zwei Schritten Entfernung. Sie streckte sich, zog ihn heran und reichte ihn dem jungen Heilkundigen. „Ich.. hier sind Fläschchen drin, ich konnte sie nicht lesen, aber… vielleicht ist etwas Brauchbares dabei?“, fragte sie ihn und wollte eigentlich keine Antwort haben. Ihr rationaler Verstand hatte sich eingeschaltet. Gab ihr die Stimme zurück und auch etwas Haltung. Dann nickte sie, als er sie anwies darauf zu achten, dass Caleb sich kaum bewegte. Der Arzt grinste plötzlich und Madiha sah ihn fragend an, bis er weitersprach. Sie senkte den Blick auf Caleb zurück, um einer eventuellen Entdeckung ihrer Lüge zu entgehen und stutzte als der Junge Calebs Spitznamen erwähnte. Madiha zog die Brauen zusammen und in ihrem Hirn ratterte es. Hatte Caleb nicht erzählt, er hätte mit Dunia..? Die herablassenden Worte der anderen Halunken, rissen Madiha aus ihren eigenen Überlegungen. Sie hob den Kopf, bedachte die Sprechenden mit einem Blick, der immer dunkler wurde. So wie sie über Caleb sprachen, schürten sie etwas in ihrem Innern. Der Mann lag halbtot vor ihnen und sie rissen Witze? Kannten sie denn keinen Anstand? Dass gerade sie diese Frage mit einem entschiedenen Nein beantworten konnte, ließ ihr verdrängender Verstand nicht zu. Wut mischte sich langsam unter ihre Emotionslosigkeit und sie ballte die Hände zu Fäusten. Das Gelächter über den eigenen Witz, lockerte ihre Zunge: „Nun, dann bin ich wohl der beste Beweis, dass ihr alle falsch liegt.“, sprang sie dem verletzten Dieb zur Seite, nährte die Lüge erneut und zischte die Worte mehr, als dass sie sie deutlich aussprach. Sie hatte immer noch Angst vor der Gruppe. Doch diese schlug in kalte Wut um, je länger sie die Fratzen sehen musste. Das Mädchen richtete ihre Konzentration nun völlig auf Caleb und den Arzt. Ob die Fläschchen helfen könnten? Die Stimme des Bärtigen, ließ sie zusammenzucken. Sie würde diesen Mann wohl niemals vergessen und seine Stimme sowie seine Augen, würden sie sicher noch eine enorme Weile begleiten, doch Madiha schaffte es dennoch, die Schrecken der letzten Augenblicke, nicht wieder Realität werden zu lassen und hielt gekonnt den Deckel auf den Gefühlen. Sie nickte dem Arzt zu. „Ich helfe, so gut ich kann.“, meinte sie dann und hätte unter anderen Umständen sicher nach seinem Namen gefragt, doch sie wollte es hinter sich bringen. Sie wollte weg von alldem. Verdrängung war doch etwas Großartiges…
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Erzähler » Samstag 12. Juni 2021, 09:51

Caleb konnte nicht zurückschauen, als Madiha allen Mut zusammennahm, um ihm entgegenzublicken. Er sah schrecklich aus. Jedoch weckte sein Anblick kaum die Erinnerungen an seine Rückkehr. Die Bilder seines schleppenden Ganges, der roten Flecken im Sand und vor allem des blutigen Handabdrucks am Gestein, mochten sich tief in Madihas Gedächtnis gebrannt haben, aber sie blieb vorerst davon verschont. Diese Bilder würden zurückkehren, wenn sie schlief und nicht prüfen konnte, ob es Caleb in der Realität auch wirklich besser ging. Das eigene Gehirn konnte zum wahren Sadisten werden, wenn es sich mit Manthala verbündete. Die Göttin der Träume besaß allerdings keine Macht im Wachzustand. Vielleicht tummelte sie sich gerade in Calebs Gedankengut, denn er hatte die Augen geschlossen. Vielleicht segnete sie ihn aber auch mit der Schwärze der Bewusstlosigkeit. Das wäre besser für ihn. Er hatte sich mehr als verausgabt. Er war dem Tod näher gewesen als irgendetwas Anderem. Wenigstens im Schlaf sollte er dann Ruhe finden.
Auch das sklavenmädchen fand ihre mentale Kraft zurück. Die Worte des Arztes unterstützen sie dabei, als sie sich ins Gedächtnis rief, dass er versuchte, ihr über seine Professionalität und seine Erkenntnis über den Patienten mitzuteilen, dass er alles im Griff hatte. Es war nicht perfekt, aber auch nicht aussichtslos und das stellte mehr Glück dar als Madiha sich hätte erhoffen können. Trotzdem wachte doch noch irgendein schicksalshafter Gott über sie und er war in Gönnerlaune. Oder zählte er - wie ihr Gehirn - zu der Sorte Sadist, der sie erst mit Hoffnung lockte, nur um sie dann in ein noch tieferes Loch der Enttäuschung fallen zu lassen. Dem Mädchen fielen die Fläschchen in der von Caleb geraubten Tasche ein. Der Beutel mit dem Fledermausverschluss! Ob in einer der Flaschen das war, was der Arzt suchte?
Für einen kurzen Moment kreuzten sich ihre Blicke. Die Augen des Heilers waren klar und hellblau - untypisch für einen Sarmaer, aber jetzt erkannte Madiha auch, dass seine Haut nicht so dunkel wie die der anderen war. Der Teint wirkte fast blässlich mit vereinzelten roten Flecken. Außerdem tanzten auf seinem Nasenrücken ein paar Sommersprossen. Man konnte sie zunächst für kleine Dreckspritzer halten, aber bei genauerem Hinsehen gaben sie mehr her. Devin konnte unmöglich aus Sarma stammen.
Das alles musste Madiha nun jedoch als nebensächliche Information verbuchen. Es durfte sie nicht ablenken, solange Caleb nicht vollends genesen war. Vielleicht besaß sie nun sogar eine Lösung dafür. Sie erinnerte sich an die Fläschchen. Der Beutel lag nicht weit entfernt, schien der Aufmerksamkeit der übrigen Männer entgangen zu sein. Rasch holte Madiha ihn heran, während Devin den Verband ein letztes Mal um Calebs Rumpf zog, um das Ende anschließend zu verknoten. Erst als das erledigt war, widmete er sich wieder der Begleiterin seines Patienten.
"Fläschchen? Lass mich mal sehen ... bitte." Dass Madiha die Etiketten nicht hatte lesen können, stellte Devin keine Sekunde in Frage. Er ging allerdings auch nicht davon aus, dass es an der fremden Sprache liegen könnte. Nicht, solange er nicht selbst einen Blick auf die Beschriftung geworfen hatte. Dann murmelte er: "Oh. Aber generell Lesen hast du gelernt?" Er erwartete keine Antwort. Die Flaschen schienen ihm gnauso ein Rätsel aufzugeben wie ihr. Im Gegensatz zu Madiha besaß er aber Verbindung. Mit einem Pfiff holte er einen der anderen Diebe zu sich. Schon unterhielt er sich mit ihm wieder in dieser imonösen Sprache. Eines konnte Madiha daraus schließen: Sie unterschied sich von der Schrift auf den Flaschen, ansonsten hätte Devin sie garantiert lesen können.
"Was ist das für eine Sprache, Rodrigo? Kennst du sie?"
"Lass micht sehen"
Der andere nahm Devin eine der Flaschen ab. Er betrachtete sie kurz, nickte dann und ließ sich auch die anderen reichen. "Das ist die Sprache der Bastarde, die Sarma erobert haben. Ob ich das nun Glück nennen soll, weiß ich nicht."
"Was steht auf den Etiketten, Rodrigo? Bitte, es ist wichtig."
"Jaja, lass mich sehen..."

Die beiden unterhielten sich noch eine ganze Weile, die Madiha wie eine Ewigkeit vorkommen musste. Madiha konnte sich zwangsläufig ablenken, als sie Calebs Ehre verteidigte und die Lüge über ihre Familienbeziehungen erneut festigte. Dass hier aber jemand log, musste ihr bewusst werden. Entweder gab Caleb vor den anderen vor, bei noch keiner Frau gelegen zu haben oder er und Dunia hatten niemals das Bett geteilt. Dieser Dieb schien jede Möglichkeit zu flunkern sofort anzunehmen. Konnte Madiha es ihm übelnehmen? Selbst Dunia hatte ihr die Wahrheit vorenthalten, als sie vorgab, Caleb nicht zu kennen. Halb Sarma schien zu einem Sündepfuhl aus Lügnern geworden zu sein und die andere Hälfte gehörte nun diesen Eindringlingen.
Um nicht tiefer in Zweifeln und dunklem Gedankengut zu versinken, richtete Madiha die Aufmerksamkeit erneut auf Caleb und den Heilkundigen. Zwei der Flaschen hatte er beiseite gelegt, aber die dritte entkorkte er gerade. Dabei unterbrach er seine Arbeit nur, um Madiha ein beruhigendes Lächeln zu schenken. Er nickte sogar dankbar. "Du hast ihm gerade mehr geholfen als wir alle zusammen. Diese Flasche enthält wirklich einen Trank der Stärkung. Es wird seine Wundheilung enorm beschleunigen. Wahrscheinlich kann er schon wieder selbst laufen, wenn wir im Lager angekommen sind."
Devin entkorkte die Flasche mit einem Ploppen und setzte sie an Calebs Mund an. Er hielt ihm die Nase zu, so dass dieser zwangsläufig die Lippen öffnete, um Luft eindringen zu lassen. Vorsichtig legte Caleb dabei seinen Kopf in den Nacken und flößte ihm den Trunk ein. Caleb hustete, verschüttete aber nur wenige Tropfen, die ihm am Mundwinkel herab rannen. Ansonsten trank er artig die gesamte Flasche leer.
Haraam, der Bärtige mit der Galgennarbe, beobachtete das Geschehen mit verschränkten Armen. Schließlich mischte er sich ein: "Wenn das Zeug ihn bald wieder munter macht, können wir auch hier im Gang warten und niemand muss diesen Halunken bis zum Bund schleppen." Hinter Haraam stöhnten seine Männer genervt auf. Das hätte ihr Anführer auch früher beschließen können. Jetzt war die Trage nämlich schon gebaut.
Devin schaute über die Schulter. Er nickte. "Das können wir, aber der Weg ist weit und vielleicht möchte sich das Mädchen etwas ausruh..."
"Die Schlampe kann selbst laufen!"
, bellte Haraam zurück. Devon duckte sich unter den harschen Worten. Madiha war die Reaktion nicht unbekannt. "Nur ein Vorschlag", entschuldigte sich der Arzt. Damit gab Haraam sich zufrieden. Er brummte mürrisch, winkte aber ab.
"Dann warten wir jetzt. Hey! Hat jemand von euch Würfel mit?" Er ließ Devin und Madiha bei Caleb und wandte sich seinen Männern zu. Diese ließen sich bei der Kreuzung im Gang nieder, abgesehen von zweien, welche die Gänge bewachten. Der Rest holte statt Würfeln einen Satz Karten hervor, sowie eine Flasche, die schnell die Runde machte. Niemand bot Madiha etwas an. Sie und der Heilkundige hockten im Halbdunkel bei Caleb und warteten darauf, dass der Trank seine Wirkung zeigte.
"Wie heißt du? Ich bin Devin, der Heiler ... Eigentum von Haraam, dem Skrupellosen..." Er nickte in Richtung des Bärtigen. Teil einer Diebesgruppe zu sein bedeutete offensichtlich nicht zwangsläufig Freiheit.
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Montag 14. Juni 2021, 00:43

Madiha erlaubte sich selber nicht, über irgendetwas nachzudenken, was ihr in den letzten Stunden passiert ist. Es gab jetzt Wichtigeres und das war ganz eindeutig Caleb und sein Gesund-Werden. Sie war es ihm schuldig-oder? Schuldig, dass sie stark war, dass sie sich nicht unterkriegen ließ und ihm beistand, auf seinem Weg zur Genesung. Er würde doch wieder gesund werden? Madiha blickte den jungen Arzt an und Hoffnung trugen seine Worte in ihr Herz. Nur leise flüsterte diese ihr Mut zu, denn noch traute sich Madiha nicht, dem ganzen echtes Vertrauen zu schenken. Während er sprach, hörte sie so aufmerksam zu, wie sie nur konnte und schlussendlich fielen ihr auch die Fläschchen ein, die sie vor einer gefühlten Ewigkeit in dem Beutel desjenigen fand, der Caleb das alles angetan hatte. Vielleicht wusste der Heiler etwas damit anzufangen? Sie erzählte ihm davon und er wurde tatsächlich neugierig. Madiha gab ihm den Beutel, den er gleich durchsuchte. Seine Frage kam so unvermittelt, dass sie lediglich den Mund aufklappte, aber nichts erwiderte. Jetzt war nicht die Zeit, um zu plaudern. Das Wüstenmädchen beobachtete, wie der Arzt sich umdrehte und offenbar jemanden heranholte, der die Etiketten lesen konnte. Leider sprachen sie wieder in der seltsamen Sprache, die sie einfach nicht verstand. Interessiert beobachtete das Mädchen die beiden Männer, lauschte, versuchte Zusammenhänge zu erstellen, doch nichts durchbrach die Barriere des Nichtverstehens.

Also senkte Madiha ihren Blick wieder auf Caleb. Er schien zu schlafen oder bewusstlos zu sein, sie konnte es nicht genau erkennen. So oder so, würde er diese Ruhe brauchen und sie wünschte ihm, dass er sich richtig erholen konnte. Dass er lange von den Schrecken dieser Tage verschont bleiben mochte. Sie selber fühlte sich unsagbar müde und ausgelaugt, doch sie würde nicht schlafen wollen. Nicht, solange Calebs Zukunft ungewiss und die Erinnerungen so frisch waren. Sie fürchtete sich vor dem Schlaf und den Träumen, die sie sicher heimsuchen würden. Nein, sie würde wach bleiben, das nahm sie sich fest vor. Ihre Gedanken trugen sie zu den Dieben, die sich über Caleb lustig gemacht hatten. Nachdenklich musterte sie das entspannte Gesicht das vor einiger Zeit noch so unfassbar schmerzverzerrt war. Ob er gelogen hatte, was seine.. Erfahrungen anging? Oder logen diese furchtbaren Mitglieder der Diebe? Dunia hatte sie auch belogen und es schien für alle so unfassbar einfach zu sein. Jeder log, das wurde Madiha plötzlich klar. Caleb hatte gelogen, im Bezug auf ihre Verbindung zueinander. Und sie hatte gelogen, um sich selber aus der Schlinge zu ziehen. Madiha runzelte ihre Stirn, bei den Gedanken. Sagte denn niemand mehr die Wahrheit? Gab es überhaupt noch jemanden? Ilmys Name durchzuckte ihre Gedanken und sie hätte gelächelt, wenn sie nicht so verbissen daran gearbeitet hatte, jegliche Emotion zu verdrängen, aus Angst, was passierte, wenn sie fühlte.

Plötzlich riss die Stimme des Arztes sie aus ihren Gedanken und sie musterte ihn. Seine Worte gaben ihr erneut Hoffnung und erlösten einen kleinen Teil ihrer Seele. Sie hatte tatsächlich etwas bewirken können. Madiha's Mundwinkel zuckten kurz. Das waren gute Neuigkeiten, großartige sogar. Doch sie war weiter vorsichtig. Vielleicht log der Arzt ja auch. Als sich der Bärtige plötzlich einmische, mied Madiha seinen Blick und starrte mehr verbissen, als aus anderen Beweggründen, auf Caleb herab, dem ein Tropfen des Tranks an der Wange entlang lief. Madiha hob kurz die Hand, wischte mit dem Daumen darüber und nahm ihn wieder weg. Die Worte, die getauscht wurden, behagten ihr nicht. Noch länger hier ausharren unter ihnen? Sie fröstelte bei dem Gedanken, doch der Anführer machte unmissverständlich klar, dass er nichts von ihr hielt und sie würde es nicht wagen, ihn auch nur schief anzusehen, geschweige denn, etwas zu sagen. Doch offenbar hielt das Lügenkonstrukt weiter an, denn ‚die Galgennarbe' verlangte nach einem Spiel und scherte sich nicht mehr, um das Sklavenmädchen. Madiha spürte, wie ihr tief die Luft aus der Kehle entwich, als sich die Männer verteilten und sich ans Warten machten. Jetzt merkte sie erst, wie verkrampft sie die ganze Zeit neben Caleb gesessen hatte. Madiha erhob sich so weit , dass sie sich auf allen Vieren die wenigen Zentimeter zur Wand begeben konnte und setzte sich dann neben Caleb, sodass sie ihn etwas stützen könnte, falls er drohte zu rutschen oder, um ihm den Schlaf etwas angenehmer machen zu können.

Der Arzt schien weniger Vorbehalte einer Frau gegenüber zu haben und Madiha sah ihn von der Seite her an. Er wirkte nett auf sie. Doch was hieß das schon? Erst jetzt nahm sich die gebürtige Sarmaerin Zeit, den Jungen zu mustern. Seine hellen Augen unterschieden sich deutlich, von all dem Braun und Schwarz, das man hier vorwiegend fand. Auch seine Hautfarbe war deutlich heller, als zum Beispiel die von Haaram. Die lustigen Punkte auf seiner Nase, hatte Ilmy auch, wie sie sich erinnerte. Madiha zögerte lange. Ob sie mit ihm reden sollte? Ihr war nicht wirklich danach, wenn sie ehrlich war. Doch er hatte vor allem Caleb geholfen und dafür war sie Devin sehr dankbar. „Mein Name …“, sie stockte und ließ den Blickkontakt abbrechen. Sie vertraute ihm nicht. Wie könnte sie auch? Er gehörte zu ihnen und auch wenn er offenbar in manchen Dingen anderer Meinung war, woher sollte sie wissen, was und wie er war? Nein.. sie musste vorsichtig sein. „Made.. aber.. man nennt mich Madi.“, fügte sie schnell an, denn Calebs Namenwahl war mehr als nur… schlecht. Ihr war aufgefallen, dass Devin offenbar ebenfalls Sklave war. Sie musterte ihn neugierig, brach den Blick aber sofort ab, wenn er ihn erwiderte. „Du gehörst ihm?“, fragte sie dann und ließ den Blick gesenkt. Ihre Stimme war leise und brüchig. Sie fühlte sich weiterhin schwach, ängstlich. Jetzt, wo sie hier saßen und warteten, merkte Madiha wie sehr sie sich nach Ruhe sehnte. Doch das würde bedeuten, dass sie sich fallen lassen konnte und das würde ganz sicher nicht hier an diesem Ort passieren. Also griff sie nach der einzigen Möglichkeit, um sich wach zu halten: „Woher kannst du das alles?“, fragte sie und nickte auf die verbundene Wunde. Eigentlich interessierte es sie nicht wirklich und sie wollte auch nicht mit einem von ihnen sprechen, doch er war eben die einzige Option, wenn sie wach bleiben wollte. „Du… bist nicht aus Sarma.“, stellte sie noch fest, sah ihn dabei aber nicht an, sondern blickte zu den Männern, die lautstark am Kartentisch wetteten. Sie wirkte etwas gedankenverloren, kam aber mit ihrer Aufmerksamkeit zu Devin zurück. Sie wirkte ernst und alles andere, als entspannt in ihrer ganzen Haltung und ihrem Verhalten. „War es nicht schön dort, wo du herkommst?“, fragte sie plötzlich unvermittelt und lehnte ihren Kopf gegen Steinwand hinter sich. Madiha wandte den Kopf etwas, um Devin doch anzusehen. Ihr Gesicht wirkte emotionslos, auch wenn ihre Fragen eine gewisse Neugierde nicht leugnen konnten. Sie hoffte, dass sie bald aus diesen Gang herauskommen konnte. Sie wollte diese Männer abschütteln, wollte sich verkriechen und nie wieder hervorkommen. Doch bis dahin, würde eine kleine Unterhaltung die Wartezeit verkürzen…
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Erzähler » Donnerstag 17. Juni 2021, 08:12

So große Sorgen wie Madiha sich um Caleb machte, so ruhig und besonnen ging Devin vor. Trotz seines Alters wirkte er überaus erfahren um Umgang mit Verletzten. Jeder seiner Handgriffe war so flüssig, dass es mehr wie ein Reflex wirkte. Deshalb fand der Heiler auch Zeit zum Plaudern, wenngleich es nicht sofort erwidert wurde. Madiha hatte im Gegensatz zu ihm nämlich noch keine großen Erfahrungen damit gemacht, einen lieb gewonnenen Menschen möglicherweise zu verlieren. Sicherlich hatte auch sie bereits den Tod gesehen. In ihrer Vergangenheit war es gerade den anderen Lustsklavinnen oftmals nicht leicht ergangen. Aber keine von ihnen hing ihr so sehr am Herzen wie Caleb, selbst wenn sie es wohl nicht zugeben wollte. Und auch Dunia und Ilmy hatten sich auf ihre Weise in das vernarbte Herz der Sarmaerin eingeschlichen. Wie sonst ließ sich erklären, dass sie beide unbedingt hatte retten wollen? Und alles, was dafür nötig gewesen war, war eine kleine Belagerung!
Wie es oben aussähe, würde Madiha vielleicht noch in Erfahrung bringen. Jetzt war es erst einmal wichtiger, dass Caleb wieder auf die Beine kam. Eines der Fläschchen sollte ihn dabei unterstützen, denn darin war laut Devins Aussage wirklich ein Trank der Stärkung. Auch seine mutmaßliche Tochter wollte ihm Unterstützung sein. Obwohl sie bereits so viel für ihn getan hatte, kroch Madiha an seine Seite und hockte sich zu Caleb. Sie wollte ihn stützen, falls er drohte, seitlich abzurutschen. Aber genau das tat er, kaum dass sie neben ihm saß. Er rutschte auf sie zu, bis er sanft an ihr lehnte. Ein gedehntes Raunen entkam ihm.
"Halte die Hand deines Vaters", schlug Devin vor. "Es ist nicht bewiesen, aber einige Heilkundige sind davon überzeugt, dass es hilft, wenn Verwandte Körperkontakt zu den Patienten aufbauen. Du ... kannst auch mit ihm reden, wenn du möchtest. Dann lasse ich euch allein, sobald ich hier fertig bin." Er war ja immer noch damit beschäftigt, seine Tasche wieder einzuräumen. Devin ließ sich dabei sogar Zeit, reinigte er doch Nadel und Faden mit einigen Tropfen des Wundalkohols. Der beißende Geruch drang bis zu Madiha herüber und machte ihr deutlich, dass sie lang nichts mehr zu sich genommen hatte. Oder rührte das flaue Gefühl im Magen von etwas Anderem her?
"Made ist ein seltsamer Name. Nicht dein wirklicher, hm?" Devin grinste schief zu ihr herüber. Er hakte nicht nach. Offensichtlich konnte er nachvollziehen, dass man lieber eigens erdachte Namen nutzte. Unter den Wüstendieben war dies schließlich nicht unüblich. Caleb verzichtete offenbar darauf und auch Haraam schien seinen richtigen Namen benutzt zu haben. Bei ihm war es sein blankes Ego, dass er diese Entscheidung traf. Es bestand kein Zweifel darin, dass der Mann wünschte, dass sein Name weitreichend bekannt war. Er baute sich darauf ein Bildnis auf, das ihn nur noch mächtiger machte. Dabei hatte er sich für das Portrait eines Furcht einflößenden und skrupellosen Halunken entschieden. Caleb hingegen zeichnete sein Bildnis mit einer Mischung aus Charme und der Spur romantischer Abenteuerlust, die man aus den zauberhaften Diebesgeschichten Sarmas kannte. Es fehlte nur noch eine schöne Schleiertänzerin, ein fliegender Teppich oder irgendein Wundergeist aus einer Lampe, der ihm Wünsche erfüllte. Madihas Wunsch wäre aktuell wohl, dass er einfach nur wieder die Augen öffnete und sie unverhohlen angrinste. Doch es war Devin, der dies tat, wenngleich nicht mit so viel aufgeschlossenem Selbtbewusstsein wie Caleb es an den Tag legen konnte.
Madiha erkannte schnell den Grund dafür. Auch Devin war ein Sklave. So fragte sie, ob Haraam dessen Herr wäre und der junge Mann spähte nur flüchtig zu der Bande herüber, die sich mit einem wilden Spiel die Zeit vertrieb. Er nickte zögernd.
"Gewissermaßen. Ich bin Teil der Wüstendiebe, aber ... Haraam stellt Besitzansprüche, weil er es war, der ..." Devin verstummte. Auch er vertraute Madiha nicht genug, um seine Lebensgeschichte vor ihr auszubreiten. So winkte er ab, schien froh über ihre weiteren Fragen. Sie lenkten von dunklen Kapiteln seines Lebens ab. "Ich habe in einem Heilhaus in meiner Heimat Andunie gelernt. Ich war so strebsam, dass ich sogar mit den älteren Schülern am Unterricht teilnehmen durfte. Ich hatte mit elf Jahren bei meiner ersten Operation assistieren dürfen. Das war sehr spannend!"
Andunie. Das hatte auch Ilmy erwähnt. Andunier schienen also mit reichlich Sprenkeln im Gesicht gesegnet zu werden. Außerdem war ihre Haut heller und auch das Haar. Caleb wies ebenfalls helleres Haar auf. Braun war auch in Sarma keine Seltenheit, doch sein Schopf verströmte diiesen Haut des Exotischen, der ihn ein wenig fremd machte - auf eine anziehende Art und Weise.
"Andunie ist wirklich schön", murmelte er plötzlich. "Ich würde gern wieder dorthin zurück." Devin bemerkte seine Worte, stutzte und räusperte sich dann. Verstohlen sah er zu Haraam und seinen Männern hinüber. Niemand hatte die Worte des Jungen dort bemerkt. Er packte seine Tasche zusammen, griff ein letztes Mal hinein und holte ein unförmiges Paket heraus, nicht größer als sein Handteller. Es war in dünnes Papier gewickelt, das der Heiler nun auseinander faltete. Zum Vorschein kam ein einfaches Stück Fladenbrot. Devin teilte es so gerecht auf wie es möglich war, wenn man kein Messer und Schneidbrett zur Hand hatte. Eine Hälfte - die etwas größere! - reichte er Madiha. "Du musst hungrig sein. Hier. Die andere Hälfte kannst du ihm geben, sobald er wieder wach ist. Keine Sorge, im Lager gibt es genug zu Essen. Das hier ist nur mein restlicher Proviant." Die andere Hälfte des Brotes legte er Caleb einfach in den Schoß. Der Dieb gab keinen Laut mehr von sich. Er erholte sich. Und Devin stand auf. Offenbar wollte er Madiha etwas Zeit mit ihrem "Vater" schenken- Bevor er jedoch zu den anderen seiner Gruppe ging, raunte er ihr noch zu: "Haraam hatte auch eine Tochter. Deshalb bist du noch unversehrt." Dann ließ er das Mädchen in Frieden.
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Donnerstag 17. Juni 2021, 15:15

Die Art, die der Heiler zeigte, beruhigte Madiha irgendwie. Er wirkte so routiniert und selbstsicher, ganz anders noch, als sie es vor einigen Minuten gewesen war. Sie beobachtete ihn bei seinem Tun, ließ sich davon einlullen und schaltete für einen Augenblick ihre wirbelnden Gedanken aus. Er pflegte seine Utensilien und erinnerte das Mädchen an die Krankenschwester, die ihr Equipment auch immer ganz dezidiert hegte und pflegte. Auch mit ihrem Unterrichtsmaterial, war Dunia so verfahren und gab diese Genauigkeit, an Madiha weiter. Perfektion, in allem was man tat, das war etwas, was die Schwester predigte. Madiha hatte sich sehr bemüht, der Schwester gerecht zu werden, doch hatte sie es bei Weitem nicht so verinnerlicht, wie sie oder der Arzt. Das Wüstenmädchen erkannte, dass sie in Panik geraten war, als Caleb vor ihr lag und zu verbluten drohte. Sie hatte zwar nicht lange gezögert, ihm mit allem, was in ihrer Macht stünde, zu helfen, aber perfekt oder routiniert war daran gar nichts gewesen. Ob Dunia sie tadeln würde dafür? Es kam ihr seltsam vor, dass sie jetzt in dieser Situation daran dachte, aber offenbar hatte sich die Krankenschwester, ob sie sie nun belogen hatte oder nicht, in ihrem Herzen einen Platz ergattert. Ebenso wie Ilmy. Sie wurde unweigerlich an die Elevin erinnert, als sie Devin genauer musterte und feststellte, dass auch er diese Punkte im Gesicht hatte, ebenso wie Ilmy. Madiha lehnte sich neben Caleb gegen die Wand und bot ihm, sollte er es brauchen, eine Schulter. Dass er augenblicklich gegen sie rutschte, ließ Madiha sich kurz verkrampfen, bevor sie sich jedoch entspannte und sogar ein leichtes Lächeln zeigen konnte. Es hielt nicht lange, als Devin zu sprechen begann. Als er sie bestärkte, Caleb mehr noch zu unterstützen, durchfuhr sie ein seltsames Gefühl. Galt das etwa nur für Verwandte? Ging es um den Familiensinn, dem die Ärzte diese Wirkung zuschrieben? Madiha zögerte einen Moment, denn sie war ja nicht wirklich seine Tochter. Sich davon jedoch nicht weiter beirren lassend, sah sie auf den braunen Schopf des Diebes an ihrer Schulter und hob tatsächlich ihre Hand, um nach seiner zu greifen. Sie stockte jedoch kurz vorher und brach die Aktion ab. Etwas hielt sie zurück, jetzt wo Devin sie beobachtete. Madiha räusperte sich leise, tat so, als müsste sie ihre Hand erst reinigen, indem sie sie in den überhängenden Stoff, ihrer Tunika wickelte und daran rieb, bevor sie unterbrochen wurde, als Devin seine Vermutung äußerte. Schuldbewusst verzog sie die Mundwinkel in seine Richtung. Ihr tat es leid, dass sie ihn angelogen hatte, denn er wirkte wirklich nett und hilfsbereit. Doch nichts desto trotz gehörte er zu Haraam und seinen Schergen. Und auch wenn Madiha nicht viel von dieser, -oder überhaupt einer- Welt wusste, so war sie doch klug genug, sich nicht noch weiter in etwas zu verrennen, dessen Ausmaß sie gar nicht vorhersehen konnte. Sie hatte ihre Lektion gelernt. Deutlich. Vielleicht besser, als jede Lese- oder Schreibaufgabe, die Dunia ihr gestellt hatte.

Als er anfing, auf ihre Frage nach seiner Freiheit zu antworten, hörte Madiha aufmerksam zu. Sie konnte den Schmerz erkennen, den Devin erlebte und verstand, wieso er seine Erklärung abbrach. Die Sarmaerin musterte den Arzt schweigend und auch sie verstand, dass es Dinge gab, die man nicht jedem Dahergelaufenen anvertraute. So etwas brauchte Zeit, die sie wohl nicht haben würden. Sie schenkte Devin trotzdem ein wissendes, aufbauendes Lächeln und nickte ihm zu. „Ich verstehe. Sehr gut, sogar.“, ließ sie ihn wissen und bohrte nicht weiter. Sein Schicksal war seine Sache, ihres war ihres. Sie verstanden einander, auch ohne dass sie sich kannten und Madiha wurde etwas zugänglicher in ihrer Haltung.
Vielleicht bewirkte das aber auch Caleb, indem er an ihr lehnte, sie seine Körperwärme spürte und wusste, dass er wieder gesund würde. Die Angst um ihn hatte sie gelähmt, doch mit jedem Tropfen Leben, das in ihn zurückkehrte, entspannte sie sich und konnte sich auf das vor ihrer Nase konzentrieren, ohne sich weiter Gedanken, um das Geschehene machen zu müssen. Sie stutzte, als Devin ihr erzählte, woher er kam. „Andunie?“, fragte sie nach und ihr Blick ging kurz zu Caleb. Offenbar war dieses Andunie gar nicht so weit weg. Ilmy hatte das auch erwähnt und Devin war nun schon der 3. Der ihr davon erzählte. Wie es dort wohl war? Offenbar hatten alle aus Andunie, diese lustigen Flecken im Gesicht. Hatte Caleb eigentlich auch welche? Madiha ertappte sich dabei, wie sie ihm prüfend ins Gesicht blicken wollte, doch Devin sprach weiter. Ihre Augen wurden sogar neugierig, als er von seiner Ausbildung erzählte. „Du warst erst 11?“, fragte sie bewundernd und lächelte abermals. Seine Geschichte half ihr, sich auf etwas völlig anderes zu konzentrieren, als auf diese Gänge. Sie stellte sich vor, wie es war, dieses Andunie. Sie fragte sich, wie es wohl gewesen wäre, dort aufzuwachsen? Sie nahm sich vor, Caleb danach zu fragen, sobald es ihm besser ging und gut genug, um ihre Fragen zu beantworten. Erneut bemerkte Madiha, dass Devin offenbar mit seinem Schicksal haderte.

Sie folgte seinem Blick zu den Anderen. „Gibt es keinen Weg?“, fragte sie dann und zeigte, dass die Hoffnung immer das letzte sein sollte, was man aufgab. Sie jedenfalls, hatte ihre Hoffnung, auf ein besseres Leben nie aufgegeben. Egal was ihr widerfahren war. Und egal wie schmerzhaft die Umwege sein würden. Irgendwann, das glaubte sie einfach, würde sie wissen, wohin sie gehörte und zufrieden sein. Irgendwann. Ihr Blick erfasste das kleine Päckchen, was Devin aus seinem Beutel zog. Als sie das Fladenbrot erkannte, knurrte ihr Magen augenblicklich. Schon kurz zuvor, als dieser beißende, unverkennbare Geruch von Wundalkohol in ihre Nase drang, wurde ihr etwas übel. Sie hatte es nur nicht als Hunger erkannt, auch wenn sie ewig nichts gegessen hatte. Erinnerte sie sich überhaupt an das letzte Mal? So viel war seither passiert… Jetzt jedenfalls war das Geräusch ihres Magens nicht anders zu deuten und sie nahm das Stück Brot dankbar an. „Brauchst du es denn nicht?“ fragte sie noch mal nach, doch dann schenkte sie Devin abermals ein flüchtiges Lächeln. „Ich danke dir, Devin.“, sprach sie seinen Namen das erste Mal aus. Sie zögerte kurz, als er sich bereits erhob, um sie und Caleb etwas alleine zu lassen. Ihr Blick ruhte auf dem Arzt und sie schien über etwas nachzudenken. „Madiha.“ murmelte sie zu ihm hoch. „Ich heiße Madiha". Sie hatte das Gefühl, dass er diesen kleinen Vertrauensbonus nicht ausnutzen würde. Und auch wenn es eigentlich völlig unwichtig war, wie sie hieß, wollte sie ihm damit auf ihre Weise danken. Mehr konnte sie nicht anbieten, vielleicht zählte aber auch die Geste.

Schlussendlich war ihr Name auch alles was Madiha besaß, was ihr gehörte. Also war es für sie schon etwas Besonderes, ihm diesen mitzuteilen. Danach senkte sie ihren Blick wieder und biss vom Brot ab. „Ich hoffe, du findest einen Weg nach Andunie.“, flüsterte sie, damit niemand sonst es hören konnte und ließ Devin dann gehen. Als er sich etwas entfernt hatte, blickte Madiha auf den braunen Schopf, an ihrer Schulter. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihr aus, von dem sie nicht wusste, ob es am Brot lag oder an etwas anderem. Dann sah sie erneut auf Calebs Hand. Die Worte des Arztes sickerten ihr wieder in den Verstand und sie schluckte, bevor sie erneut ihre Hand hob, um sie dieses Mal doch auf Calebs zu legen. Sie ließ ihre Finger zwischen seinem Daumen und Zeigefinger verschwinden, drückte sie sanft. Danach drehte sie ihren Kopf etwas in seine Richtung und murmelte ganz leise: „Du wirst wieder gesund, hörst du?“, sprach sie ihm gut zu. Dann lehnte Madiha ihren Kopf gegen seinen und schaute zurück zu den Dieben.„Erinnerst du dich an unser Gespräch in den Zellen von Khasib? Ich habe dir noch gar nicht erzählt, wie ich mich eine Woche lang, als ich zu Abbas kam, an allen möglichen Orten versteckt habe und sie jedes Mal den halben Hausstand nach mir suchen ließen.“ Madiha lächelte kurz, bei der Erinnerung daran. Es war keine schwermütige, wie die anderen. Man hatte Verständnis für den Wildfang gehabt. Während sie die Diebe betrachtete, wurde ihr klar, dass sie, obwohl ihr die Augen schwer wurden, kein Auge zu tun würde. Dafür war sie viel zu angespannt in ihrer Gegenwart. Trotzdem kehrte etwas Ruhe in den Mädchenkörper und sie spürte, wie die dunklen Gedanken sich heimtückisch ihren Weg bahnen wollten. Also setzte sich Madiha wieder etwas gerader hin, um wachsam zu bleiben. Calebs Hand ließ sie jedoch nicht los. Er sollte merken, dass sie da war und dass sie ihn nicht alleine lassen würde, egal was er gesagt hatte und wie detailliert er ihr erklärte, wie sie sich hier zurechtfand.
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Erzähler » Freitag 18. Juni 2021, 13:41

Auch Devin stammte aus Andunie, genauso wie Ilmy und bei deutlicherem Hinschauen wies selbst Caleb ähnliche Züge wie beide auf. Nur er besaß die winzigen Sommersprossen nicht. Langsam kam es Madiha in den Sinn, dass dieses Andunie nicht allzu weit weg sein konnte. Vielleicht gab es dort sogar Hilfe für Sarma zu holen. Vielleicht hätte sich eine wahre Heldin mit rechtschaffenem Herzen auch dorthin auf den Weg gemacht. Sie hatte eigene Probleme zu bewältigen, da konnte sie sich nicht um die Rettung einer ganzen Stadt kümmern. Selbst dann nicht, wenn es sich um ihre eigene Heimat handelte. Wer war sie schon, das zu bewältigen. Sie hatte nicht einmal Caleb helfen können. Nein, das entsprach nicht der Wahrheit. Sie hatte ihm geholfen! Jetzt sogar noch einen Deut mehr, denn der Trank der Stärkung würde ihm das Leben retten. Es war sogar etwas mehr Farbe in sein Gesicht zurückgekehrt, wie Madiha feststellen durfte. Das beruhigte sehr. So konnte sie sich tatsächlich ein wenig auf das Gespräch mit dem Heilkundigen fokussieren und erfuhr ein wenig mehr über ihn, ohne dass es ins Detail ging. Aber dass er ein talentierter Heiler sein musste, konnte Madiha schnell schlussfolgern. Wie also hatte es geschehen können, dass er nach Sarma gelangt und dort zum Sklaven dieses widerlichen Narbenhalses geworden war? Und weshalb fand er nicht die Freiheit?
Es war seltsam, dass Madiha sich diese Frage bei Devin stellte, zuvor aber niemals bei sich selbst. Die Antwort wäre wohl dieselbe gewesen. Warum war sie nicht entkommen? Warum hatte sie ihrer Sklavschaft nicht früher ein Ende gesetzt? Ihr wären körperliche und geistige Misshandlungen erspart geblieben. Die Antwort lauerte wohl schon länger in ihr, tief verborgen und vergraben, um sich bloß nicht ihrer Wahrheit und dem damit verbundenen Schmerz entgegenstellen zu müssen. Nun, da sie Devin jedoch die Frage stellte, musste sie mit einer Antwort rechnen. Eine, die genau so begann, wie es vielleicht bei ihr der Fall gewesen wäre. Devin atmete schwermütig durch, schaute zu Madiha empor und lächelte sie wehleidig an. Das war es. Es brauchte keine Worte, wenn man seinen Blick erkannte. Wie sollte er es bewerkstelligen, ganz allein? Klein und hilflos ... und gebrochen? Devin war gebrochen. Er besaß nicht den Kampfgeist, der in Madiha wohnte. Er sah keinen Ausweg und so gab er sich seinem Schicksal hin, denn er wollte seltsamerweise genauso weiterleben wie sie. Er glaubte nur nicht daran, dass es in Freiheit passieren könnte. Dies war der erste Schritt eines jeden Sklaven, bevor er sich selbst endgültig aufgab. Der nächste wäre die Illusion, es bei seinem Herren gut zu haben. Dieser Irrglaube, dass man es schlimmer treffen könnte, wenn man mehr als einmal am Tag ausgepeitscht, vergewaltigt oder anderweitig misshandelt würde. Man begann zu lächeln und dankbar zu sein für das Leben, das man hatte. Und man dachte nicht mehr darüber nach. Man arbeitete, diente in jeder Weise, die der Herr wünschte. Man aß - wenn man denn etwas bekam. Man schlief. Und irgendwann starb man.
Es war schrecklich, diese Erkenntnis in Devins Augen entdecken zu müssen. Ob sie auch so aussah?
"Mach dir um mich keine Sorgen." Der Heiler nickte in Calebs Richtung. "Er hat ein schlimmeres Schicksal erwischt. Achte auf deinen Vater, ja? Er soll essen, sobald er wach ist." Das Brot wollte Devin nicht zurück. Ein Blick auf seine Statur verriet, dass er zumindest nicht hungern musste. Er war jenseits der Fettleibigkeit, aber dennoch soweit gut genährt, dass sogar Madiha weniger auf den Rippen auswies, wenn man beide verglich. Jedenfalls, soweit sie es bei seiner Kleidung sehen konnte. Denn ob Heilkundiger oder nicht, auch er war wie die übrigen Diebe und Halunken gekleidet. Einzig die Bewaffnung fehlte, dafür war er mit dieser Wundertasche ausgestattet, die Caleb nun das Leben gerettet hatte.
Devin ließ sie mit ihrem mutmaßlichen Vater allein. Jetzt wäre die Gelegenheit gewesen, sich selbst etwas auszuruhen, aber Madiha wagte es nicht, in Gegenwart der Männer einzuschlafen, die sie beinahe für ihre Lust missbraucht hätten. Außerdem wollte sie wach sein, wenn auch Caleb die Augen wieder aufschlug. Das sollte allerdings noch eine ganze Weile dauern. Wieviel Zeit verging, wusste Madiha nicht zu sagen. Hier unten war es ohnehin schwer genug, ein Gefühl dafür zu behalten. Sie würde sich aber auch nicht mehr in Erinnerung rufen können, ob sie nur gedöst hatte oder wirklich eingeschlafen war. Plötzlich rüttelte sie jemand an der Schulter. Erst sanft, dann etwas energischer, bis es schließlich zu dir durch drang.
"He, Augen auf, Kleine. Schlafen kannst du, wenn du tot bist." Entgegen der Wortwahl war die Tonlage freundlich, fast schon väterlich. Vor allem aber war ihr die Stimme vertraut, welche sie langsam in die Wirklichkeit zurückholte. Doch noch ehe sie sich bewusst werden konnte, dass es Caleb war, der da sprach, mischte sich Haraam harscher Ton ein.
"Wenn sie nicht gleich aufwacht, verpass ich ihr einen Tritt."
"Immer mit der Ruhe, Haraam. Mein Töchterchen wird doch gerade wach. Notfalls trage ich sie."
"Oh, das solltest du ni~"
"Schnauze, Devin!"

Der Heiler verstummte sofort unter dem Klaps, welchen er von Haraam kassierte. Mit hochgezogenen Schultern und ansonsten eher gekrümmt, um einem weiteren Hieb auszuweichen, zog Devin sich ein wenig in den Hintergrund zurück. Erneut rüttelte Caleb an Madiha. "Komm schon, kleine Made. Bereit zum Aufbruch."

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