Nica schlenderte zwischen flachen Sandsteinbauten entlang. Die Mittagssonne jagte brütende Hitze auf die Häupter der Santroner und wer nicht gerade einen Dreispitz trug, von bezahlten Schirmträgern verfolgt oder in einer Sänfte getragen wurde, flüchtete vor der Hitze in den Schatten der engen Gassen. Die Finger seiner Rechten fuhren für ihn beinahe unbewusst über das raue Relief der Wände. Der Sandstein hatte die für niedere Qualität typische dunkelbraune Farbe und war schlecht bearbeitet. Müll sammelte sich in den ganz dunklen Ecken und manchmal sah und hörte man es darin rascheln. Die Hitze war der Geruchskulisse nicht unbedingt zuträglich.
Ein Hauch von Nostalgie überschwemmte Nica, während er so durch das Bettler- und Gaunerviertel von Santros ging.
In der Linken hielt er ein Gebäck, dass er sich gerade auf dem Markt gekauft hatte und von dem er ab und zu einen Bissen nahm. In seiner Kindheit hatte er von diesem billigen Straßenstand oft auf dem Heimweg von den Privatstunden im Adelsviertel eben diese Kleinigkeit erhascht. Der Geschmack war nichts besonders, aber Nica hatte bei dem Anblick einfach nicht widerstehen können.
Die Zahl der guten Erinnerung war im Vergleich zu den Schlechten durchaus geschrumpft, deshalb nahm er sich etwas Zeit und genoss jeden Happen. Außerdem hatte er ganz dringend eine Aufmunterung gebraucht, nachdem er erst am Morgen im Hafen von einer ganzen Familie Abschied genommen hatte.
Genau das war der Zirkus für ihn gewesen, eine Familie. Fast zwei Jahre war mit ihnen durch den Westen Celcias gereist. In Santros hatte er sich ihnen angeschlossen, und hier hatte er sie wieder verabschieden müssen. Das war ihm durchaus nicht leicht gefallen. Kaum jemand in Santros bedeutete ihm noch so viel wie die Mitglieder des Zirkus. Die Versuchung war groß gewesen mit ihnen den Rest von Celcia zu bereisen, aber zu viele lose Enden verbanden Nica mit Santros. Obwohl er sich den Einzelheiten nicht ganz bewusst war, hatte er doch das Gefühl hier etwas abschließen zu müssen. Ein Aufbruch wäre einer Flucht vor dieser Verantwortung gleich gekommen.
Deshalb war Birtes Haus sein erster Anlaufpunkt. Nica war damals vollkommen impulsiv nach Zyranus aufgebrochen, hatte er doch nach seiner Begegnung mit Birtes Geist über ein Jahr mit sich und seinen neuen magischen Fähigkeiten gehadert. Damit, und mit der Miete, die er ohne Birte und ihrer Tätigkeit als Wahrsagerin Bryna nicht mehr hatte bezahlen können. So genau wusste er gar nicht, wem das Haus überhaupt gehörte, oder was inzwischen mit Birtes Hab und Gut und vor allem mit ihrer Sammlung kurioser Gegenstände passiert war.
Damit wollte er anfangen...und außerdem war er ohne den Zirkus ein klein wenig obdachlos. Er würde seine alte Kammer in Birtes Haus heute Nacht sicher vermissen.
Nica stopfte sich den Rest Nostalgiegebäck in den Mund und bog dann in eine andere Gasse ab. Vor ihm in einem verdunkelten Hauseingang hatte er eine Gestalt entdeckt, die mit ihren verschränkten Armen und den wachsamen Augen nicht gerade einen liebevollen Eindruck gemacht hatte. Ihm war nicht nach Ärger zumute, aber am meisten Angst hatte er davor, in einen Spion zu laufen. Am Stadttor hatte er sich als Mitglied des Zirkus einen temporären Passierschein aushändigen lassen können und hatte so nicht seinen persönlichen Einwohnerschein vorzeigen müssen. Deshalb hatte er die Hoffnung, dass der etwas hinterlistige Teil seiner Familie – allen voran seine Großmutter Ylva – noch nicht wusste, dass er zurückgekehrt war. Irgendwann würde er sich nicht mehr verstecken können, aber das wollte Nica dann doch so weit wie möglich in die Zukunft verdrängen.
Nach ein oder zwei weiteren Umwegen kam er endlich an seinem Ziel an. An der Ecke blieb er stehen und spähte zu dem Haus herüber, indem er schon als Kind so viel Zeit verbracht hatte. In diesem Teil des Bettlerviertels stapelten sich einige der flachen Sandsteinbauten wie Bauklötze. Auch Birtes Haus war eigentlich ein zweites Geschoss, dass man über eine Treppe an der Außenwand erreichte. Überhaupt kam es einem, wenn man die richtigen Wege kannte, oft so vor als hätte das Bettlerviertel eine zweite Ebene. Die Dächer waren immer flach, viele waren mit losen Brettern verbunden und es gab dort oben genauso viele Abzweigungen, Gassen und versteckte Ecken wie hier unten.
Nica zögerte. Es war zu früh am Tag um nach Licht in den Fenstern Ausschau zu halten und zu heiß am Mittag, um auf irgendwelche Bewegung zu hoffen. Ohne es zu bemerken leckte sich der junge Santroner nervös die letzten Krümel von den Fingern. Seine Rechte glitt unter seinen Umhang und fühlte die Form der Maske, die er unter seinem schwarzen Umhang und außer Sichtweite an seinem Gürtel festgeschnallt hatte. Wäre es zu verdächtig, sie aufzusetzen? Was, wenn jemand aus seiner Familie dort eingezogen war? Nica konnte sich nicht entscheiden was schlimmer war. Die Vorstellung so schnell seiner Familie über den Weg zu laufen oder einfach zu klopfen und sich Fremden erklären zu müssen.
Er war kurz davor sich seiner Maske zu bedienen, aber da erinnerte Nica sich an die Karte, die er im Morgengrauen für den heutigen Tag gezogen hatte. Sie hatte ihn dazu aufgefordert, sich einer schwierigen Situation zu stellen und nicht davon zu laufen. Er mochte diese Karte überhaupt nicht, aber genau deshalb schien sie besonders oft den Weg in seine Hand zu finden.
Heute war ein Tag für Marius, nicht für Nica. Also tauchte er aus dem Schatten den Gasse auf und huschte hinüber zum Treppenansatz. Dort horchte er noch einmal - vielleicht konnte er Stimmen erhaschen - dann fasste er sich ein Herz und erklomm die wenigen Stufen. Vor der Tür zögerte er wieder eine Weile, bevor er sich schlussendlich zu einem zurückhaltenden Klopfen durchrang.
Ein Hauch von Nostalgie überschwemmte Nica, während er so durch das Bettler- und Gaunerviertel von Santros ging.
In der Linken hielt er ein Gebäck, dass er sich gerade auf dem Markt gekauft hatte und von dem er ab und zu einen Bissen nahm. In seiner Kindheit hatte er von diesem billigen Straßenstand oft auf dem Heimweg von den Privatstunden im Adelsviertel eben diese Kleinigkeit erhascht. Der Geschmack war nichts besonders, aber Nica hatte bei dem Anblick einfach nicht widerstehen können.
Die Zahl der guten Erinnerung war im Vergleich zu den Schlechten durchaus geschrumpft, deshalb nahm er sich etwas Zeit und genoss jeden Happen. Außerdem hatte er ganz dringend eine Aufmunterung gebraucht, nachdem er erst am Morgen im Hafen von einer ganzen Familie Abschied genommen hatte.
Genau das war der Zirkus für ihn gewesen, eine Familie. Fast zwei Jahre war mit ihnen durch den Westen Celcias gereist. In Santros hatte er sich ihnen angeschlossen, und hier hatte er sie wieder verabschieden müssen. Das war ihm durchaus nicht leicht gefallen. Kaum jemand in Santros bedeutete ihm noch so viel wie die Mitglieder des Zirkus. Die Versuchung war groß gewesen mit ihnen den Rest von Celcia zu bereisen, aber zu viele lose Enden verbanden Nica mit Santros. Obwohl er sich den Einzelheiten nicht ganz bewusst war, hatte er doch das Gefühl hier etwas abschließen zu müssen. Ein Aufbruch wäre einer Flucht vor dieser Verantwortung gleich gekommen.
Deshalb war Birtes Haus sein erster Anlaufpunkt. Nica war damals vollkommen impulsiv nach Zyranus aufgebrochen, hatte er doch nach seiner Begegnung mit Birtes Geist über ein Jahr mit sich und seinen neuen magischen Fähigkeiten gehadert. Damit, und mit der Miete, die er ohne Birte und ihrer Tätigkeit als Wahrsagerin Bryna nicht mehr hatte bezahlen können. So genau wusste er gar nicht, wem das Haus überhaupt gehörte, oder was inzwischen mit Birtes Hab und Gut und vor allem mit ihrer Sammlung kurioser Gegenstände passiert war.
Damit wollte er anfangen...und außerdem war er ohne den Zirkus ein klein wenig obdachlos. Er würde seine alte Kammer in Birtes Haus heute Nacht sicher vermissen.
Nica stopfte sich den Rest Nostalgiegebäck in den Mund und bog dann in eine andere Gasse ab. Vor ihm in einem verdunkelten Hauseingang hatte er eine Gestalt entdeckt, die mit ihren verschränkten Armen und den wachsamen Augen nicht gerade einen liebevollen Eindruck gemacht hatte. Ihm war nicht nach Ärger zumute, aber am meisten Angst hatte er davor, in einen Spion zu laufen. Am Stadttor hatte er sich als Mitglied des Zirkus einen temporären Passierschein aushändigen lassen können und hatte so nicht seinen persönlichen Einwohnerschein vorzeigen müssen. Deshalb hatte er die Hoffnung, dass der etwas hinterlistige Teil seiner Familie – allen voran seine Großmutter Ylva – noch nicht wusste, dass er zurückgekehrt war. Irgendwann würde er sich nicht mehr verstecken können, aber das wollte Nica dann doch so weit wie möglich in die Zukunft verdrängen.
Nach ein oder zwei weiteren Umwegen kam er endlich an seinem Ziel an. An der Ecke blieb er stehen und spähte zu dem Haus herüber, indem er schon als Kind so viel Zeit verbracht hatte. In diesem Teil des Bettlerviertels stapelten sich einige der flachen Sandsteinbauten wie Bauklötze. Auch Birtes Haus war eigentlich ein zweites Geschoss, dass man über eine Treppe an der Außenwand erreichte. Überhaupt kam es einem, wenn man die richtigen Wege kannte, oft so vor als hätte das Bettlerviertel eine zweite Ebene. Die Dächer waren immer flach, viele waren mit losen Brettern verbunden und es gab dort oben genauso viele Abzweigungen, Gassen und versteckte Ecken wie hier unten.
Nica zögerte. Es war zu früh am Tag um nach Licht in den Fenstern Ausschau zu halten und zu heiß am Mittag, um auf irgendwelche Bewegung zu hoffen. Ohne es zu bemerken leckte sich der junge Santroner nervös die letzten Krümel von den Fingern. Seine Rechte glitt unter seinen Umhang und fühlte die Form der Maske, die er unter seinem schwarzen Umhang und außer Sichtweite an seinem Gürtel festgeschnallt hatte. Wäre es zu verdächtig, sie aufzusetzen? Was, wenn jemand aus seiner Familie dort eingezogen war? Nica konnte sich nicht entscheiden was schlimmer war. Die Vorstellung so schnell seiner Familie über den Weg zu laufen oder einfach zu klopfen und sich Fremden erklären zu müssen.
Er war kurz davor sich seiner Maske zu bedienen, aber da erinnerte Nica sich an die Karte, die er im Morgengrauen für den heutigen Tag gezogen hatte. Sie hatte ihn dazu aufgefordert, sich einer schwierigen Situation zu stellen und nicht davon zu laufen. Er mochte diese Karte überhaupt nicht, aber genau deshalb schien sie besonders oft den Weg in seine Hand zu finden.
Heute war ein Tag für Marius, nicht für Nica. Also tauchte er aus dem Schatten den Gasse auf und huschte hinüber zum Treppenansatz. Dort horchte er noch einmal - vielleicht konnte er Stimmen erhaschen - dann fasste er sich ein Herz und erklomm die wenigen Stufen. Vor der Tür zögerte er wieder eine Weile, bevor er sich schlussendlich zu einem zurückhaltenden Klopfen durchrang.